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Analyse und Interpretation aller Briefe - Die Leiden des jungen Werther

Alles zu Werke

Johann Wolfgang Goethe - Die Leiden des jungen Werther

Inhalt und Analyse der einzelnen Briefe!


"Die Leiden des jungen Werther" sind ein Briefroman, eine literarische Gattung, die dem heutigen Leser fremd geworden ist. Der Roman ist in zwei Bücher eingeteilt, seine Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren. Während die Zeit der Handlung durch die Briefdaten genau ermittelbar ist, bleiben die Orte des Geschehens unbestimmt. Goethe lässt einen fiktiven Herausgeber die Briefe Werthers an dessen Freund Wilhelm sammeln und, mit einer gefühlvollen Anrede an den Leser versehen, publizieren. Erst gegen Ende des Romans werden neben den Briefen Werthers Erkundungen des Herausgebers über Werther mitgeteilt. Der Roman schließt mit dem Bericht von Werthers Tod und seiner Bestattung.

Das erste Buch:

Das erste Buch des Romans lässt sich in drei Briefgruppen einteilen, die jeweils einem Zeitraum von etwa sechs Wochen entsprechen. Eine Art Exposition stellt die erste Gruppe von Briefen vom 4.-30. Mai dar. Die zweite Briefgruppe beginnt mit dem Brief vom 16. Juni, in dem Werther vom ersten Zusammentreffen mit Lotte erzählt, und endet mit dem Brief vom 26. Juli. Bis zu diesem Zeitpunkt scheint Werthers Glück ungetrübt zu sein. Mit dem Bericht von der Ankunft von Lottes Verlobten Albert beginnt am 30. Juli der dritte Teil des ersten Buchs, der mit Werthers Abschied am 10. September endet.

Diese Briefe besitzen die Funktion einer Einleitung. Zunächst wird der Leser mit der Lebenssituation Werthers vertraut gemacht, Herkunft und Stand, gegenwärtige und vergangene Verhältnisse werden kurz skizziert. Die folgenden scheinbar wenig zusammenhängenden Briefe dienen einer vorläufigen Charakterisierung Werthers und geben dem Leser einen ersten Einblick in sein Denken und seine Gefühlswelt.
Expositorische Funktion der
ersten Briefgruppe
"Wie froh bin ich, dass ich weg bin!" Schon in diesem ersten Satz des Briefes vom 4. Mai klingt das Motiv der Flucht an, das im Laufe des Romans ständig wiederkehrt. Werther ist geflohen, weil er offenbar in einer Frau Hoffnungen geweckt hat, die er nicht erfüllen konnte. Er versichert seinem Freund Wilhelm, dass er sich nicht weiter mit einer unglücklichen Vergangenheit befassen und sich ganz dem Genuss der Gegenwart zuwenden wolle. Die Erledigung einer strittigen Erbschaftsangelegenheit bietet ihm einen willkommenen Anlass für seine Abreise. Werther zieht den einsamen Aufenthalt in der schönen Natur der "unangenehmen" Stadt vor. Er möchte mit der frühlingshaften Natur verschmelzen - "man möchte zum Maienkäfer werden" - um so die lästige Vergangenheit abzustreifen. Sein Lieblingsplatz ist ein Garten außerhalb, von dem er behauptet, "dass nicht ein wissenschaftlicher Gärtner, sondern ein fühlendes Herz den Plan gezeichnet, das seiner selbst hier genießen wollte". Hinter dieser Beschreibung verbirgt sich das Ideal des englischen Gartens, der den Anschein erwecken soll, als sei er frei, ohne Eingreifen des Menschen, gewachsen. Den Gegensatz zu einer solchen Gartenanlage bildet der französische Park - man denke etwa an den Park von Versailles - in dem die Natur zu geometrischen
Figuren zurechtgestutzt wird. Schon in diesem ersten Brief beruft sich Werther mehrere Male auf sein "Herz". Dies hat in einem Brief, der Expositorische Funktion besitzt, natürlich eine besondere Bedeutung. Dem Leser wird von Beginn an deutlich, dass Werther ein gefühlvoller, sich auf seine Subjektivität berufender Mensch ist.
Fluchtmotiv






"Unangenehme Stadt" - "Schönheit der Natur"






Die Berufung auf das Herz
Wird Werther im ersten Brief noch von düsteren Erinnerungen bedrängt, ist im nächsten Brief vom 10. Mai von Heiterkeit, Glück, Genuss, von "ruhigem Dasein" die Rede. In einem langen Satzgefüge versucht Werther, seinem emphatischen Naturerlebnis Ausdruck zu verleihen. Inmitten des Waldes liegend, wendet er seine Aufmerksamkeit den Gräsern, "Mückchen" und "Würmchen" zu, in denen sich die Anwesenheit des "Allmächtigen" manifestiert. So wie sich das Erhabenste im Kleinsten zeigt, so spiegelt sich die Welt in Werthers Seele. Diese Entsprechung von kleiner Welt und großer Welt, das Bild des Spiegels drücken eine vollkommene Harmonie aus. Der Brief ist die eindringliche Darstellung eines pantheistischen Religions- und Naturerlebnisses. Werther würde diesen Gefühlen gerne schriftlich Ausdruck geben, muss aber resigniert gestehen, dass er unfähig ist, dieses Gefühl auf dem Papier festzuhalten.
Wie schon im ersten Brief beruft sich auch in diesem und vielen folgenden Briefen Werther ständig auf sein Herz, auf seine Seele. Er genießt mit dem Herzen, er nimmt mit der Seele wahr, das Herz entwirft einen Plan.
Das "ruhige Dasein in der Natur"







Begrenztheit der Sprache
Im Brief vom 12. Mai malt Werther eine idyllische Szene aus. Er beschreibt, wie er am Brunnen vor dem Ort sitzt und die Mädchen beim Wasserholen beobachtet. Die Quelle liegt in einem Gewölbe, das von einer Mauer eingefasst ist, der Platz rings umher ist von hohen Bäumen umgeben. So entsteht ein Eindruck von Geborgenheit und Ruhe. Werther begnügt sich freilich nicht mit dieser Schilderung, er fügt hinzu, dass er sich an vergangene patriarchalische Zeiten erinnert fühlt.
Idylle am Brunnen
Im Brief vom 13. Mai lehnt Werther das Angebot seines Freundes Wilhelm, ihm Bücher zuzuschicken, mit der Begründung ab, er bedürfe keiner Anleitung und Ermunterung. Seine innere Verfassung, die zwischen Überschwang und Niedergeschlagenheit schwankt, gestattet ihm nur die Homer-Lektüre. Der Leser gewinnt den Eindruck, dass Werther ganz sich und seinen Empfindungen lebt: "Auch halte ich mein Herzchen wie ein krankes Kind."

Nur Homerlektüre
Werther berichtet im Brief vom 15. Mai , dass er von den "geringen Leuten des Ortes", besonders von den Kindern geliebt werde. Er beklagt, dass zwischen den verschiedenen Ständen keine unbefangene Kommunikation mehr möglich sei. Aus der Verachtung, die "Leute von einigem Stande" dem "gemeinem Volke" entgegenbrächten, folge umgekehrt Misstrauen, das er selber zu spüren bekommen habe, als er sich einfachen Menschen genähert habe. Bei aller Ungleichheit der Menschen müsse dennoch ein unbefangener Umgang möglich sein. Wie zum Beweis für seine Forderung erzählt er in auffällig schlichter Sprache, dass er einer Dienstmagd beim Tragen des Wasserkrugs geholfen habe.

Werther und das "gemeine Volk"
Viele Menschen suchten zwar seine Bekanntschaft, zu intensiveren Kontakten sei es aber noch nicht gekommen, stellt Werther im Brief vom 17. Mai bedauernd fest. Die Menschen in seiner Umgebung seien "wie überall". "Die meisten verarbeiten den größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bisschen, das ihnen von Freiheit übrig bleibt, ängstigt sie so, dass sie alle Mittel aufsuchen, um es los zu werden. 0 Bestimmung des Menschen." Werther fühlt sich diesen Menschen überlegen und gleichzeitig auch nicht hinreichend verstanden. Traurig stimmt es ihn, "dass noch so viele andere Kräfte in mir ruhen, die alle ungenutzt vermodern und die ich sorgfältig verbergen muss". Wehmütig erinnert er sich an eine ältere, verstorbene Freundin, in deren Gegenwart er alle seine Kräfte habe entfalten können. Zum Schluss des Briefes äußert er sich anerkennend über eine Bekanntschaft, den fürstlichen Amtmann. In den nächsten Tagen will er ihn und seine neun Kinder besuchen.



Die Angst der Menschen vor der Freiheit


Klage über die Mangelnde Entfaltungs-möglichkeit
Im Brief vom 22. Mai greift Werther das Thema des letzten Briefs wieder auf, wenn er die Eintönigkeit und Beschränktheit des bürgerlichen Alltags beklagt. Verachtung bringt er jenen entgegen, "die ihren Lumpenbeschäftigungen oder wohl gar ihren Leidenschaften prächtige Titel geben und sie dem Menschengeschlecht als Riesenoperationen zu dessen Heil und Wohlfahrt anschreiben". Werther kritisiert hier die gesellschaftlichen Gruppen, die eigennützige und hohle Ziele verfolgen und diese durch den Hinweis auf ein vorgebliches Gemeinwohl bemänteln. Wem dieser Selbstbetrug nicht gelingt, dem bleibt laut Werther nur der Rückzug auf sich: "Ich kehre in mich selbst zurück, und finde eine Welt"' Im letzten Satz des Briefs geht er noch weiter und deutet als allerletzten Ausweg die Möglichkeit des Selbstmords an, der als Ausdruck der Freiheit und als Möglichkeit, Freiheit zu erlangen, erscheint.


Perspektiven-
losigkeit des bürgerlichen Alltags





Erstes Auftauchen
des Selbstmord-motives
Werther erzählt im Brief vom 26. Mai von einem neuen Lieblingsplätzchen, das er in Wahlheim, einem kleinen Ort vor der Stadt, gefunden hat. Ein kleiner Platz vor der Kirche, von Bauernhäusern umgeben, von Linden überwölbt - hier trinkt er seinen Kaffee und liest seinen Homer. Zu dieser Idylle gehören noch zwei Kinder, die Werther "mit vielem Ergötzen" zeichnet. Bei seiner Zeichnung habe er sich ganz an die Natur gehalten, betont er, nichts habe er von sich aus hinzugefügt. Wie so oft in seinen Briefen hebt er zu einer allgemeinen Reflexion an, diesmal über Kunst und Natur. Der Künstler müsse sich allein an die Natur halten - "sie allein bildet den großen Künstler" - und nicht an irgendwelche Regeln. Zwar Regeln und Natur werde derjenige, der sich an die Regeln halte, nie in der Kunst Abgeschmacktes oder Schlechtes" hervorbringen, aber andererseits hinderten die Regeln die freie Entfaltung des Künstlers, und weder die Natur noch das Gefühl für die Natur könnten so angemessen wiedergegeben werden. Zur Verdeutlichung seiner Gedanken behilft sich Werther mit einem Gleichnis. Nur der liebe wirklich, der sich mit seinem ganzen Herzen seiner Liebe hingebe. Wer sich hingegen in seiner Liebe an die Mäßigungsgebote der bürgerlichen Gesell schalt halte, der gebe zwar einen guten Beamten ab, mit seiner Liebe sei es aber nichts. Ähnlich der Künstler: auch er dürfe sich an keinerlei Regeln und Einschränkungen halten, wenn er es zum großen Künstler bringen wolle. Werther beendet seine Überlegungen mit dem Ausruf: "0 meine Freunde! warum der Strom des Genies so selten ausbricht, so selten in hohen Fluten hereinbraust und eure staunende Seele erschüttert?" Er bleibt im Bild, wenn er von den "gelassenen Herren" spricht, die diesen Strom rechtzeitig eindämmen und ableiten, um ihre Gärten zu schützen. Werther will mit diesen Sätzen zum Ausdruck bringen, dass der Bürger ganz im Sinne eines aufklärerbischen Verhaltensideals seine Gefühle mäßigt und kontrolliert, damit aber seine Natur gewaltsam unterdrückt.

Die Idylle von
Wahlheim




Regeln und Natur in der Kunst







Der Bürger und die Liebe


"Der Strom des Genies"


"die gelassenen Herren"
Im Brief vom 27. Mai lernt Werther die Mutter der beiden Kinder, die er gezeichnet hat, kennen. Das Zusammentreffen mit dieser einfachen Frau, die, so Werther, ganz in der Natur aufgehoben ist, übt eine lindernde Wirkung auf seine Seele aus. Er selber versucht, an dieser Idylle teilzuhaben, und besucht die Kinder häufig.
Die Mutter der Kinder: eine idyllische Existenz
Im Mittelpunkt des Briefs vom 30. Mai steht die Begegnung mit einem Bauernburschen, die Werther nachhaltig beeindruckt. Den Erzählungen des Knechts entnimmt er, dass dieser offensichtlich in
die Witwe, bei der er arbeitet, verliebt ist. Werther ist zutiefst berührt von den Gefühlen, die in der Erzählung des einfachen Mannes zum Ausdruck kommen.
Die Liebes-geschichte des Bauernburschen
Wir sind am Ende des einleitenden Teils angelangt. Der Leser hat einen ersten Eindruck von Werther gewonnen. Er ist ein junger Mann, der in einem ständigen Gefühlsüberschwang lebt und sich nach einem idyllischen Dasein in der Natur und nach Kontakt mit einfachen Menschen sehnt. Alle Einschränkungen sowohl im Leben als auch in der Kunst, der sein besonderes Interesse gilt, lehnt er entschieden ab. Am Ende des letzten Briefs offenbart Werther seinem Freund, dass das Bild des Knechts in ihm ein leidenschaftliches Bedürfnis "entzündet" habe. Durch eine solche Äußerung wird beim Leser die Erwartung geweckt, dass auch Werther sich bald in eine Frau verlieben wird.
Werthers Situation am Ende der ersten Briefgruppe
Nach einer mehr als vierzehntägigen Unterbrechung lässt Werther wieder von sich hören. Er berichtet in diesen Sommerbriefen zunächst ausführlich von der ersten Begegnung mit Lotte, einer Tochter des bereits erwähnten fürstlichen Amtmannes, auf einem Ball. Für Werther bedeutet diese Begegnung mit Lotte, in die er sich aufgrund ihres natürlichen und charmanten Wesens beim ersten Anblick verliebt, eine entscheidende Veränderung seiner Lebenssituation. Bis zu diesem Zeitpunkt erleben wir ihn als einen Menschen, der, abgesehen von einigen Zufallsbekanntschaften, ein eher einsames und ungeselliges Leben führt. Von nun an richtet sich sein ganzes Handeln und Denken auf die eine geliebte Person, Lotte. Kaum ein Tag vergeht, an dem er sie nicht sieht, mit ihr gemeinsam Freunde und Bekannte besucht oder mit ihren jüngeren Geschwistern spielt. Im Mittelpunkt seiner betrachtenden Äußerungen steht die Liebe sowie das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Die Briefe sind von einer euphorischen Stimmung geprägt, freilich fällt immer dann ein Schatten auf Werthers Glück, wenn ihm zum Bewusstsein kommt, dass Lotte verlobt ist und seine Liebe unerfüllt bleiben muss.

Werther hat Lotte kennen gelernt. Sein Überschwang und seine Begeisterung kommen in der Sprache des Briefs vom 16. Juni zum Ausdruck. Die Sätze brechen plötzlich ab, Gedanken werden nicht zu Ende geführt. Ein Versuch, Lottes Charakter zu beschreiben, scheitert; die Sprache abstrahiere zu sehr und sei nicht geeignet, Lottes Individualität zu erfassen. Schließlich zwingt er sich dazu, Schritt für Schritt von seiner Begegnung mit Lotte zu erzählen. Auf dem Weg zu einem Ball holt er zusammen mit zwei Begleiterinnen Lotte ab. Er erfährt, dass Lotte eine außerordentlich liebenswürdige Person sei, in die er sich aber nicht verlieben solle, da sie schon "vergeben" sei. Als Werther das Haus des fürstlichen Amtmannes betritt, bietet sich ihm ein idyllischer Anblick: Lotte, die "ein simples weißes Kleid" trägt, befindet sich inmitten ihrer jüngeren Geschwister und verteilt Brot. Während dieser ersten Begegnung bleibt Lotte ständig in Bewegung, präsentiert sich als tätige Hausfrau. Werther ist von ihrer Gestalt und ihrem Auftreten tief beeindruckt: "Meine ganze Seele ruhte auf der Gestalt."
Auf der Fahrt zum Ball kommt es zu einem Gespräch über Literatur, bei dem sich schnell ein Einverständnis zwischen Werther und Lotte herstellt. Lotte bevorzugt jene Art von Büchern, in der sie ihre Welt wiederfindet, ihr "eigen häuslich Leben". Werther zeigt sich von allem, was Lotte äußert, beeindruckt, er ist "so in Träumen rings in der dämmernden Welt verloren", dass er weder seine Umgebung noch Lottes Worte im einzelnen richtig wahrnimmt.
Werthers Bezauberung hält auch während des Balles an: Janzen muss man sie sehen! Siehst du, sie ist so mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabei, ihr ganzer Körper eine Harmonie, so sorglos, so unbefangen, als wenn das eigentlich alles wäre, als wenn sie sonst nichts dächte, nichts empfände; und in dem Augenblicke gewiss schwindet alles andere vor ihr." Als er mit Lotte einen Walzer tanzt, hat er den absoluten Glückszustand erreicht, in dem der Mensch vollständig in der Gegenwart aufgehoben ist, frei von aller Reflexion und Erinnerung. Doch dieser Augenblick höchsten Glücks dauert nicht lange an. Als Lotte ihren Verlobten Albert erwähnt, gerät Werther vollkommen aus der Fassung.
Das Tanzvergnügen wird durch ein Gewitter unterbrochen. Als unter einigen der Anwesenden Panik aufkommt, entspannt Lotte die Situation, indem sie ein Gesellschaftsspiel organisiert. Schließlich verzieht sich das Gewitter. Lotte und Werther treten ans Fenster und genießen gemeinsam den Anblick der nach dem Gewitter erfrischten und friedlichen Natur. Lotte ergreift Werthers
Hand und sagt nur: " Klopstock! " Die Erinnerung an Klopstocks berühmte Ode "Die Frühlingsfeier" löst bei Werther einen "Strom[e] von Empfindungen" aus. Zu Tränen gerührt, neigt er sich über Lottes Hand und küsst sie. Dass die Erwähnung des Namens Klopstock solche Gefühle bei Werther hervorruft, ist dem heutigen Leser kaum noch verständlich. Klopstock war für die Generation des jungen Goethe eine Art "Kultautor", der einen ganz neuen Ton in die Lyrik gebracht hatte. Seine Gedichte waren von einer bis dahin nicht gekannten Intensität des Gefühls geprägt, in ihnen sprach sich ein empfindsames Herz aus, Wenn nun Werther und Lotte beim Anblick der Natur an Klopstocks Gedicht denken, dann kommt darin die Übereinstimmung ihres gemeinsamen Empfindens zum Ausdruck. Mit diesem Moment tiefster innerer Übereinstimmung endet der längste Brief des ganzen Romans.
Erste Begegnung mit Lotte











Gespräch über Literatur






Tanz mit Lotte







Erwähnung Alberts






"Klopstock"
Im folgenden Brief vom 19. Juni führt Werther den Bericht über die Ballnacht kurz zu Ende. Bei Sonnenaufgang fährt er mit Lotte und seinen zwei Begleiterinnen zurück. Beim Abschied bittet
er Lotte, sie noch am selben Tag wiedersehen zu dürfen. Lotte gewährt ihm diesen Wunsch. Seitdem lebt Werther gleichsam wie im Rausch, er nimmt die Realität kaum noch wahr: "Die ganze
Welt verliert sich um mich her."
Werther fühlt sich in seiner Liebe bestätigt
Im Brief vom 21. Juni denkt Werther nach über das Bedürfnis des "Menschen, sich auszubreiten, neue Entdeckungen zu machen, herumzuschweifen-, und dann wieder [ ... ] sich der Einschränkung willig zu ergeben". Werther ist ein Wanderer, beneidet aber zugleich all jene, die in gesicherten Verhältnissen dahinleben, frei von allem Bedürfnis, die eigenen Grenzen zu überschreiten. Der Wanderer sehne sich, nachdem er auf seiner Entdeckungsreise doch nicht gefunden, was er gesucht habe, zuletzt nach der Hütte, in der er im Kreise der Familie aufgehoben sei. Für Werther existiert diese Rückzugsmöglichkeit freilich nicht, und so versucht er denn, ein selbstgenügsames, eingeschränktes Leben zu verwirklichen, indem er sich im Wirtshausgarten Zuckererbsen zubereitet und dabei Homer lesend nachempfindet, wie die "Freier der Penelope Ochsen und Schweine schlachten, zerlegen und braten".

Der "Wanderer" und die "Hütte"
Kehrte Werthers Phantasie im vorhergehenden Brief in die historische Vergangenheit der Antike zurück, wendet er sich im Brief vom 29. Juni einer anderen Vergangenheit zu: der Kindheit. Er erzählt, dass er beim Arzt aus der Stadt Anstoß erregt habe, weil er sich mit den Kindern des Amtmanns beschäftigt und sich selber dabei sehr kindlich verhalten habe. Geringschätzig bezeichnet Werther den Arzt als "dogmatische Drahtpuppe", als eine Person also, die kein eigenständiges Urteilsvermögen besitzt. Für Werther sind Kinder "unverdorben", "ganz", noch frei von allen Verformungen, die die Gesellschaft bei den Menschen bewirkt. Er zitiert das berühmte Wort aus der Bibel: "Wenn ihr nicht werdet wie eines von diesen! ", und beklagt, dass die Kinder, anstatt in ihrer Naivität und Ganzheit als Vorbilder genommen, von den Erwachsenen wie Untertanen behandelt werden.


Lob der Kindheit
Im Brief vom 1. Juli erzählt Werther von einem Besuch mit Lotte bei einem älteren Pfarrer, den sie "in dem von zwei hohen Nussbäumen beschatteten Pfarrhof" antreffen und der bei Lottes Ankunft "wie neu belebt" ist. Als Werther die schönen Nussbäume bewundert, erzählt der Pfarrer, dass sein Schwiegervater und Amtsvorgänger den jüngeren der Nussbäume am Geburtstage seiner Tochter gepflanzt habe und dass er selber sie als junger Student unter diesem Baume sitzend kennen gelernt habe. Während der Erzählung des Pfarrers kommt dessen Tochter mit ihrem Bräutigam hinzu, der sich als ein übellauniger und zur Eifersucht neigender Mensch erweist. Werther, gegen den sich die Eifersucht des jungen Mannes richtet, ist empört darüber, dass "junge Leute in der Blüte des Lebens" sich die gute Laune "mit Fratzen verderben", und lenkt das Gespräch auf diesen Punkt. Seiner Meinung nach ist die üble Laune eine "Art von Trägheit", zu der man zwar neige, gegen die man sich aber "ermannen" könne, so dass man "in der Tätigkeit ein wahres Vergnügen [finden]" könne. Der Einwand des jungen Mannes, es sei doch übertrieben, "den bösen Humor ein Laster" zu nennen, weist Werther zurück und ereifert sich immer mehr. Die üble Laune untergrabe das Glück des Nächsten, insofern sie Missvergnügen an sich selber sei und Neid den anderen gegenüber zur Folge habe. Wie so oft, wenn er von seinen Emotionen überwältigt wird, lässt Werther seine Ausführungen in einem langen Konditionalsatz gipfeln, der durch keinen Hauptsatz mehr abgeschlossen wird. Der Mensch, der durch seine Übellaunigkeit die Gesundheit seines Nächsten untergraben habe, stehe schließlich hilflos an dessen Totenbette und gäbe alles her, wenn er dem Sterbenden "Stärkung" und "Mut einflößen" könnte. Aufs äußerste bewegt und den Tränen nahe verlässt Werther die Gesellschaft. Lotte ermahnt ihn später, dass er "zu warmen Anteil an allem" nehme und dass er "drüber zugrunde gehen würde".
Besuch beim Pfarrer



Die Nussbäume








Streitgespräch über den "üblen Homer"
Der Brief vom 6. Juli berichtet von einem Spaziergang zu dem bereits im Brief vom'12. Mai erwähnten Brunnen. Lottes kleine Schwester Malchen holt Wasser aus dem Brunnen, und als Mariane, eine Freundin Lottes, ihr das Glas abnehmen will, protestiert Malchen, Lotte solle zuerst trinken. Werther ist von der Wahrheit" dieser Reaktion so entzückt, dass er das Kind lebhaft" küsst. In dem Aberglauben, nun einen Bart zu bekommen, schreit und weint das Mädchen, bis Lotte ihr rät, sich das Gesicht im Brunnen abzuwaschen. Werther kommentiert diese Szene auf eine bemerkenswerte und für Teile der zeitgenössischen Leserschaft sicher auch provozierende Weise. Er "habe mit mehr Respekt nie einer Taufhandlung beigewohnt". Schließlich sei der Glaube an die Taufe nichts anderes als der Glaube Malehens an die reinigende Wirkung des Wassers. Am glücklichsten sei der Mensch, wenn er "in freundlichem Wahne" dahintaumele.
Glaube und Aberglaube
Ein unbedeutend scheinender Anlass liegt dem Brief vom 8. Juli zugrunde. Bei einer Plauderei unter Bekannten wendet Lotte allen ihre Aufmerksamkeit zu, nur Werther nicht, dem vor Traurigkeit "eine Träne [ ... 1 im Auge" steht. Als sie bei der Abfahrt noch einmal einen Blick aus der Kutsche zurückwirft, schwebt Werther in der - immerhin tröstlichen - Ungewissheit, ob ihm dieser Blick gegolten haben kann.

Liebeskummer
Er hasse es, teilt er im Brief vom 10. Juli mit, wenn im Zusammenhang mit Lotte von "Gefallen" die Rede sei. Für ihn ist das eine völlig unverbindliche Kategorie, die keine echte innere Beteiligung anzeigt. Ähnlich unangemessen wie im Zusammenhang mit Lotte scheint ihm das Wort "Gefallen" in bezug auf die Dichtungen des Ossian, die hier zum ersten Mal erwähnt werden.
Banale Alltagssprache!!
Der Brief vom 11. Juli erzählt von einer sterbenskranken Freundin Lottes, die ihrem geizigen Mann gesteht, über Jahre hinweg zur Bestreitung der ständig wachsenden Aufwendungen für den Haushalt Geld aus der Geschäftskasse genommen zu haben, da sie mit dem wenigen, das ihr zu Beginn der Ehe als Haushaltsgeld zur Verfügung gestellt worden sei, nicht mehr hingekommen sei. Für Werther ist dies ein Anlass, über die "Verblendung des Menschensinns" zu räsonieren, der nicht glauben will, was nicht sein soll.
Heimlichkeit und Verblendung in der bürgerlichen Ehe
Im Brief vom 13. Juli schwärmt Werther: "Nein, ich betrüge mich nicht! [ ... ] Ja ich fühle [ ... 1, dass sie mich liebt." Aber ganz sicher ist er sich doch nicht - der ernüchternde Gedanke an Albert stellt sich ein. Wenn Lotte "von ihrem Bräutigam spricht, mit solcher Wärme, solcher Liebe von ihm spricht", dann werde ihm klar, dass er keine Ansprüche auf sie geltend machen könne.


Der störende Gedanke an Albert
Im Brief vom 16. Juli kommt eine dunkle, zerrissene Stimmung zum Ausdruck. Werther erzählt von den zugleich aufregenden und peinigenden Augenblicken, wenn er sich in Lottes Nähe befindet und es zu kleinen, völlig harmlosen Berührungen kommt. Schon die Schilderung dieser Situationen versetzt Werther in solche Aufregung, dass sich sein Schreiben in ein Stammeln verkehrt. Es gleicht einem Selbstbetrug, wenn er behauptet: "Sie ist mir heilig. Alle Begier schweigt in ihrer Gegenwart." Im Gegensatz zu Werthers Erregtheit stehen Lottes "Unschuld" und Unbefangenheit. Mit ihrem Klavierspiel vermag sie ihn zu beruhigen, wenn er sich in geradezu selbstmörderischen Stimmungen befindet. Dieser Brief macht zum erstenmal deutlich, wie sehr Werther unter der Situation leidet. Die Liebe zu Lotte kennt nicht nur die reinen Glücksmomente, sondern stürzt ihn immer wieder in Melancholie und selbstzerostörerische Stimmungen.



Unterdrückte "Begier"
Im Brief vom 18. Juli philosophiert Werther. So wie die Kerze eine Zauberlaterne erhelle und wunderbare Bilder hervortreten lasse, rufe die Liebe Wundererscheinungen herauf, und seien's auch nur "vorübergehende Phantome". Als er einen Tag nicht mit Lotte zusammentreffen kann, schickt er seinen Diener zu ihr, um wenigstens einen Menschen um sich zu haben, der ihr begegnet ist. Wenn der Brief mit der Frage schließt: "Sind das Phantome, wenn es uns wohl ist?", dann kommt darin das Zerbrechliche und Illusionäre von Werthers Glückszustand zum Ausdruck.
Liebe als Lebenselixier
Mehr einer Tagebucheintragung gleicht der Brief vom 19. Juli. Werther gesteht, sein Leben sei einzig darauf gerichtet, Lotte zu sehen, sonst habe er keine Wünsche mehr. Werthers Freund Wilhelm wie auch seine Mutter wünschen, dass Werther eine berufliche Tätigkeit aufnehmen und in den Dienst eines Gesandten treten solle.

Ansichten über die Arbeit
Werther sieht sich deshalb genötigt, im Brief vom 20. Juli seine derzeitige Lebensweise zu verteidigen. Er liebe die Subordination nicht, und im übrigen laufe alle Arbeit "auf eine Lumperei hinaus". Ein Mensch, dessen Handeln von den Ansichten anderer und nicht von der eigenen "Leidenschaft", dem "eigenen Bedürfnis" geleitet sei, sei ein "Tor".

Werther gesteht im Brief vom 24. Juli, dass er sein Zeichnen in letzter Zeit vernachlässigt habe. Er sei zwar noch nie glücklicher und empfindsamer gestimmt gewesen, es mangle ihm aber an der Fähigkeit, das Empfundene in klaren Umrissen wiederzugeben. Auch zu einem Portrait Lottes ist Werther außerstande. Schließlich fertigt er einen Schattenriss von ihr an, was kaum künstlerische Anforderungen stellt.
Werther Unfähigkeit zum Zeichnen
Am 26. Juli schreibt Werther zwei Briefe . Der erste ist an Lotte gerichtet und Ausdruck einer Liebestrunkenheit, die ans Lächerliche grenzt. Beim Abküssen eines Briefes von Lotte ist Werther Sand zwischen die Zähne geraten, und er bittet sie nun, in Zukunft keinen Sand mehr zum Löschen der Tinte zu verwenden. Im zweiten, an Wilhelm gerichteten Brief bekennt er, dass es ihm trotz aller Vorsätze unmöglich ist, auch nur einen Tag auf einen Besuch bei Lotte zu verzichten. Er vergleicht die Anziehungskraft, die Lotte auf ihn ausübt, mit jenem Magnetberg im Märchen, der das Eisen der Schiffe, die ihm zu nahe kommen, anzieht und somit die Schiffe samt der Besatzung zerstört.

Mit diesem deutlichen Vorverweis auf Werthers Scheitern am Ende schließt dieser Abschnitt des Romans, die glücklichste Periode in Werthers Leben. Er liebt einen Menschen, von dem er sich vollkommen verstanden fühlt. Angesichts dieses Glücks kommt es für ihn überhaupt nicht in Frage, sein Leben zu ändern und einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Der Leser ahnt jedoch, dass diesem Glück keine Dauer beschieden ist. Ihm ist nicht entgangen, dass Lotte bereits verlobt ist, eine Tatsache, die Werther bisher mit einigem Erfolg verdrängt hat.



Lottes gefährliche Anziehungskraft
Mit der Ankunft von Lottes Verlobten Albert beginnt der gleichfalls etwa sechs Wochen umfassende dritte Teil des ersten Buches, in dem sich Werthers Stimmung zunehmend verdüstert. Werthers Verzweiflung über seine unerfüllbare Liebe zu Lotte spiegelt sich in einer völlig veränderten Naturerfahrung wider. Das Selbstmordthema, das bisher schon immer unterschwellig vorhanden war, wird in diesem dritten Teil breit entfaltet - ein unübersehbarer Hinweis auf das Ende des Romans.

Werther scheint im Brief vom 30. Juli zunächst entschlossen, nach Alberts Ankunft zu gehen. Es wäre ihm unerträglich, Lotte in Alberts "Besitz" zu sehen. Die Beschreibung von Albert klingt durchaus positiv. Werther schildert ihn als "brav", "lieb"; er respektiere Lotte, besitze eine "gelassene Außenseite", habe "viel Gefühl" und "wenig üble Laune". Eine Schilderung, bei der trotz aller positiven Töne doch ein Stück Geringschätzung mitschwingt. Das Attribut "gelassen" sollte den Leser hellhörig machen, ist doch bereits im Brief vom 26. Mai die Rede von den "gelassenen Herren", und dies in einem negativen Sinn. Hat Werther zu Beginn des Briefes noch den Entschluss geäußert zu gehen, so wird zum Schluss deutlich, dass er nichts von Resignation und Rückzug wissen will. Er sucht weiterhin Lottes und Alberts Gegenwart und passt im übrigen jede Gelegenheit ab, Lotte allein anzutreffen.
Alberts Ankunft
Im Brief vom 8. August setzt sich Werther mit seiner eigenen Entschlusslosigkeit auseinander. Sein Freund Wilhelm hat ihn offensichtlich aufgefordert, eine klare Entscheidung zu fällen. Wenn er Hoffnung auf Lotte habe, solle er mit allen Kräften versuchen, sie ganz für sich zu gewinnen, andernfalls solle er sich dazu "ermannen", sich von Lotte zu lösen. Werther kann sich indes nicht zu dieser Entscheidung durchringen. Er vergleicht seine Situation mit der eines unheilbar Kranken, dem mit der Kraft zugleich der Mut geschwunden ist, "durch einen Dolchstoß der Qual auf einmal ein Ende zu machen". Er sei manchmal entschlossen, beteuert Werther, einen Schnitt zu machen und zu gehen, aber er wisse nicht, wohin. In einem Zusatz zum Brief bemerkt er, bei der Durchsicht seines Tagebuchs sei ihm klar geworden, dass er sich offenen Auges in diese Situation begeben habe und doch "wie ein Kind [gehandelt habe]".
Mangelnde Entschlusskraft Werthers
Eigentlich, so meint Werther im Brief vom 10 August , müssten ihn die Umstände, in denen er lebe, glücklich machen. Doch seine traurige Stimmung hindere ihn daran. Er werde von Lotte und ihrer Familie geliebt, Albert, der ihm in "herzlicher Freundschaft" zugetan sei, erzähle ihm auf gemeinsamen Spaziergängen davon, wie Lottes Mutter auf dem Totenbett darum gebeten habe, sich um das Haus und die Kinder zu kümmern, und "ihm [Albert] Lotten anbefohlen habe". Seitdem sei Lotte gereift und doch ein munterer und froher Mensch geblieben. All diese Erzählungen erfüllen Werther mit Melancholie. Im Gegensatz zu ihm ist Albert ein fleißiger und zielstrebiger Bürger. Er wird am Ort bleiben, weil er eine Anstellung am Hofe erhalten wird: "In Ordnung und Emsigkeit in Geschäften habe ich wenig seinesgleichen gesehen."

Unglücklich trotz glücklicher Umstände
Der Brief vom 12. August ist von außergewöhnlicher Länge; er gibt ein Streitgespräch zwischen Albert und Werther über das Thema Selbstmord wieder. Albert fragt, "wie ein Mensch so töricht
sein kann, sich zu erschießen". Werther wendet sich gegen eine solche verallgemeinernde Bewertung einer Tat, ohne deren innere Ursachen zu berücksichtigen. Auch Alberts Ansicht, dass gewisse Handlungsweisen unabhängig von deren Beweggründen lasterhaft bleiben, lässt Werther nicht gelten. Es gebe Taten, die bei genauem Hinsehen ihren lasterhaften Charakter verlören, was sogar die Rechtsprechung anerkenne. Auf Alberts Einwand, dass es sich dabei um die Taten von Wahnsinnigen handele, reagiert Werther mit einer Rhetorik, die wir bereits aus anderen Briefen kennen. Er klagt die gelassenen, teilnahmslosen, dem Selbstverständnis nach "sittlichen Menschen" an, die er mit "Pharisäern" vergleicht, die den Wahnsinn und die Leidenschaft denunzieren. Menschen, die etwas Großes, unmöglich Scheinendes bewirkt hätten, seien nicht selten von den "Vernünftigen" als wahnsinnig bezeichnet worden. Albert dagegen hält den Selbstmord für einen Ausdruck von Schwäche. Werther möchte das Gespräch zunächst abbrechen, führt dann aber Beispiele dafür an, dass Menschen in Krisensituationen besondere Kräfte entwickeln könnten, und folgert weiter, wenn Anstrengung Stärke sei, könne Überspannung kaum als ein Zeichen von Schwäche gewertet werden. Er lässt sich auch nicht durch Alberts Hinweis auf die fragwürdige Logik dieser Argumentation beirren und fährt fort, der Mensch könne "Schmerz und Leid" nur bis zu einem gewissen Grade ertragen, was darüber hinausgehe, richte ihn zugrunde. Wer sich das Leben nehme, sei vergleichbar mit einem, der am Fieber sterbe. Und wie es eine Krankheit zum Tode gebe, so könne auch der Geist zu Tode erkranken. Werther veranschaulicht seine Ansicht an einem Beispiel. Ein in Arbeit und Vergnügungen des bürgerlichen Alltags eingespanntes Mädchen verliebe sich in einen Mann, ihr ganzes Dasein konzentriere sich allein auf diesen Menschen, der sie plötzlich verlasse. Das Mädchen ist verzweifelt, "denn der hat sie verlassen, in dem sie allein ihr Dasein fühlt". In dieser Not sieht sie
keinen anderen Ausweg als den Selbstmord: "Die Natur findet keinen Ausweg aus dem Labyrinthe der verworrenen und widersprechenden Kräfte, und der Mensch muß sterben." Und dieses Gefühl der Aussichtslosigkeit sei durchaus als Krankheit zum Tode zu bezeichnen. Noch einmal unternimmt Albert den Versuch eines Einwands: es handele sich bei diesem Beispiel doch nur um ein "einfältiges Mädchen", nicht aber um einen "Menschen von Verstande". Werther lässt auch diesen Einwand nicht gelten. Wenn der Mensch von Leidenschaften getrieben sei, komme sein Verstand nicht mehr in Betracht. Ohne zu einer Verständigung zu gelangen, gehen Werther und Albert auseinander. Man hätte erwarten können, dass Werther den Streit mit Albert zum Anlas nimmt, eine Entscheidung zu fällen und abzureisen.
Diskussion über Selbstmord



















Melancholie als "Krankheit zum Tode"
Stattdessen folgt am 15. August ein ruhiger Bericht über das harmonische und idyllische Zusammensein mit Lotte und ihren Geschwistern.
Harmonisches Zusammensein mit Lotte
Es ist unschwer zu erkennen, dass der Sentenz, mit der der Brief vom 18. August beginnt, Werthers Liebeserfahrung zugrunde liegt. Auch die Liebe zu Lotte ist ja zugleich Quelle der Glückseligkeit und des Elends. Wehmütig erinnert sich Werther, wie ihm vor nicht allzu langer Zeit das Erleben der Natur zum Paradies wurde. Er erinnert an jenes Einheitserlebnis mit der göttlichen Natur, das er im Brief vom 10. Mai zu beschreiben versuchte. Allein die "Erinnerung an jene Stunden" könne ihn noch glücklich machen. Nun erscheint ihm die Natur wie der "Abgrund des ewig offenen Grabes", während sie ihm vorher "der Schauplatz des unendlichen Lebens" war. Die erhabene Natur schlägt um in eine zerstörerische Natur. Wo Werther vorher ein ständig sich erneuerndes Leben sah, sieht er nun "ein ewig verschlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer".


Veränderte Naturerfahrung

Die zerstörerische Natur
Werthers Stimmung wird immer trüber. Im Brief vom 21. August schreibt er, dass er nachts träume, Lotte sei in seiner Nähe. Wenn er beim Erwachen noch im Halbschlaf nach ihr taste, werde ihm bewusst, dass sie unerreichbar für ihn sei, und er weine "trostlos einer finsteren Zukunft entgegen.

Hoffnungslose Stimmung
Nur einen Tag später beklagt er im Brief vom 22. August eine "unruhige Lässigkeit", er sei weder zur Muße noch zur Tätigkeit fähig. Er ekle sich vor Büchern, seine Vorstellungskraft sei versiegt, die Natur wecke keine Gefühle in ihm. Sogar Albert beneidet er um dessen Tätigkeit und spielt mit dem Gedanken, sich um eine "Stelle bei der Gesandtschaft" zu bewerben. Doch die Erinnerung an die Fabel von dem Pferd, das sich seiner Freiheit begibt und zu Tode geritten wird, lässt ihn davon wieder Abstand nehmen.

Ruhelosigkeit
Auch an seinem Geburtstag am 28. August verlassen Werther die düsteren Stimmungen nicht. Albert hat ihm eine handliche Homer-Ausgabe geschenkt, dabei liegt jene Schleife, die Lotte bei der ersten Begegnung mit Werther trug und mit der sich für Werther glückliche Erinnerungen verknüpfen. Er vergleicht diese Tage mit Blüten, die zu Früchten werden, und fragt sich, ob man diese Früchte ungenossen verfaulen lassen kann. Werthers ganze Existenz ist zunehmend auf Lotte bezogen.
Werthers trauriger Geburtstag
Man erfährt im Brief vom 30. August , dass er die einzigen glücklichen Stunden bei ihr verbringt. Aber auch in ihrer Gegenwart überkommen ihn düstere Stimmungen. Kann er sich nicht bei Lotte ausweinen, treibt ihn seine "tobende, endlose Leidenschaft" ins Feld hinaus, manchmal mitten in der Nacht. In dieser Lage sieht er als einzigen Ausweg den Tod: "Ich sehe dieses Elendes kein Ende als das Grab."
Zunehmende Verzweiflung und Verwirrung
Werther dankt Wilhelm im Brief vom 3. September dafür, dass er ihm bei seiner Entscheidung, Lotte zu verlassen, geholfen hat. Eine Woche verstreicht, bis Werther seinen Entschluss wahr macht.
Werther zur Abreise entschlossen
Am 10. September berichtet er von seinem letzten Zusammentreffen mit Lotte und Albert, die beide nichts von Werthers Entschlossenheit zur Abreise ahnen. Man trifft sich abends in einem Garten, zu dem Lotte und Werther eine "wechselseitige Neigung" entwickelt haben. Am Ende einer Allee liegt ein "abgeschlossener Platz", den Werther zum ersten Mal an einem Mittag betreten hat. Jetzt ist es Nacht. Werther denkt voller Melancholie über Abschied und Wiedersehen nach - verräterische Gedanken angesichts seines Entschlusses, Lotte zu verlassen. Schließlich treffen Lotte und Albert ein, und gemeinsam genießt man das Mondlicht, das die Terrasse beleuchtet. Lotte verbindet mit dem Mondlicht Gedanken an den Tod und fragt sich, ob die Menschen sich nach dem Tode wiederfinden werden. Werther ist in Anbetracht seines bevorstehenden Abschieds von dieser Bemerkung völlig überwältigt. Lotte setzt ihre Überlegungen fort und kommt auf ihre Mutter zu sprechen, die sie als "Heilige" bezeichnet. Als Werther sich, "tausend Tränen" vergießend, vor ihr niederwirft und ausruft, dass der Segen Gottes über ihr und ihrer Mutter ruhe, erwidert Lotte, dass die Mutter wert gewesen sei, von ihm gekannt zu werden. Werther glaubt in diesem Augenblick "zu vergehen". Lotte erzählt weiter, wie die Mutter ihr in der Todesstunde die Geschwister anempfohlen habe und schließlich angesichts der Verbindung mit Albert getröstet gewesen sei. Voller Pathos ruft Werther beim Abschied aus: "Leb' wohl, Lotte! Leb' wohl, Albert! Wir sehn uns wieder", ohne freilich seine Abreisepläne zu offenbaren. Der feierliche, mit so viel Pathos verkündete Abschied wird nicht von Dauer sein. Ungefähr zehn Monate werden vergehen, dann wird Werther wieder bei Lotte erscheinen.

Nach sechs qualvollen Wochen hat Werther seinen, gleich nach Alberts Ankunft geäußerten, Entschluss wahr gemacht und hat Lotte verlassen. Er hat eingesehen, dass ihn die Situation, in der Nähe Lottes zu leben mit dem Wissen, dass sie die Verlobte eines anderen ist, zur Verzweiflung treibt. Die lange Diskussion mit Albert über den Selbstmord hat dem Leser erneut deutlich gemacht, dass Werther der Selbstmord durchaus als Lösung seiner Probleme erscheint. Ob es Werther gelingt, durch seine Flucht endgültig von Lotte loszukommen, wird wesentlich davon abhängen, was er nun unternehmen wird. Skeptisch muss den Leser stimmen, dass Werther es bisher kategorisch abgelehnt hat, einer bürgerlichen Beschäftigung nachzugehen.
Der letzte Abend mit Lotte und Albert






Gespräch über den Tod







Pathetischer Abschied
Auch das zweite Buch des Romans lässt sich sinnvoll in drei Teile untergliedern. In der ersten Briefgruppe (20. Oktober - 15. Juni) erfährt der Leser von den misslichen Erfahrungen Werthers in der Residenz mit seinem Vorgesetzten sowie mit der Adelsgesellschaft und von Werthers Reise in seine Heimat. Darauf folgen die Briefe vom 29. Juli 6. Dezember, in denen Werther, inzwischen wieder zu Lotte zurückgekehrt, von wachsender Melancholie und Verzweiflung berichtet. Die letzten Wochen Werthers bis zu seinem Tode werden schließlich im dritten Teil vom Herausgeber rekonstruiert, wobei immer wieder hinterlassene Briefe und Aufzeichnungen Werthers eingeschoben werden.

Stand in den bisherigen Briefen die Liebe Werthers zu Lotte im Vordergrund, erleben wir ihn nun in einem völlig anderen Zusammenhang: er arbeitet als Gesandtschaftssekretär in einer kleinen deutschen Residenz. Doch vom ersten Brief an berichtet Werther von Ärger und Verdruss mit seinem Vorgesetzten, von Intrigen, Neid und Standesdünkel in der Gesellschaft. Nach einer gesellschaftlichen Demütigung ergreift er erneut die Flucht, um schließlich nach einigen Zwischenstationen wieder bei Lotte anzukommen.










Werther in der Residez
Sechs Wochen nach seinem Abschied von Lotte lässt Werther am 20. Oktober wieder von sich hören. Seine erste Bemerkung gilt dem Gesandten, mit dem er sich nicht versteht. Er sieht "harte Prüfungen" auf sich zukommen und versucht sich Mut einzureden. Doch überwältigt ihn seine Melancholie rasch wieder. Er sieht die durchschnittlich Begabten in "behaglicher Selbstgefälligkeit herumschwadronieren", während er selber zwar mit "Kraft" und "Gaben", nicht aber mit "Selbstvertrauen und Genügsamkeit" ausgestattet sei. Dass er sich nun in Gesellschaft aufhalte, habe freilich einen Vorteil. Habe er vorher in der Einsamkeit mit seiner Einbildungskraft die anderen mit Fähigkeiten ausgestattet, hinter denen er weit zurückgeblieben sei, sehe er nun, dass er den anderen weit überlegen sei.
Klage über den Gesandten





Überlegensheits-gefühle
Erneut sind seit dem letzten Brief fast sechs Wochen vergangen. Werther fügt sich in die neuen Verhältnisse. Die Tätigkeit, so schreibt er am 26. November , hilft ihm über seinen Schmerz hinweg. Er erzählt von seiner Bekanntschaft mit dem Grafen C., der zugleich intelligent und empfindsam sei und über dessen freundschaftliches und offenes Betragen Werther ganz beglückt ist.
Arbeit als Therapie
Etwas ausführlicher erzählt Werther im Brief vom 24. Dezember von seinem Ärger mit dem Gesandten, den er für eine rechte Bürokratenseele hält. Vor allem erbost Werther, dass der Gesandte ständig Einwände gegen seinen Stil hat. Inversionen etwa, rhetorische Figuren, die von der gängigen Satzstruktur abweichen, lässt er Werther nicht durchgehen. Dieser soll beim Abfassen von Dokumenten nicht die Spur seiner Individualität hinterlassen. Einmal kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung im Anschluss an eine auch auf Werther gemünzte Bemerkung über den Grafen, dem es "an gründlicher Gelehrsamkeit mangle". Angesichts dieses Verdrusses klagt er den Freund und die Mutter an, die ihn mit ihrem Geschwätz "von Aktivität" in diese Situation getrieben hätten. Auch über die Rangsucht in der Gesellschaft ärgert sich Werther. Er gesteht zwar zu, dass der "Unterschied der Stände [nötig] ist", muss aber immer wieder die negativen Auswirkungen dieser Standesgesellschaft feststellen. In diesem Zusammenhang erzählt er von der Bekanntschaft mit einem Fräulein von B., "das sehr viel Natur im steifen Leben erhalten hat". Als er sie eines Tages bei ihrer Tante besucht, stellt er fest, dass die Alte an nichts mehr interessiert ist als an ihrem Adelsstand und dass sie voller Dünkel auf die Bürger, zu denen auch Werther gehört, herabblickt.
Erneut Ärger mit dem Gesandten











Kritik an ständischen Vorurteilen
Im Brief vom 8. Januar empört sich Werther darüber, dass sich das Interesse der Menschen nicht auf wirklich wichtige Probleme, sondern auf Rangfragen und Äußerlichkeiten richtet. In der höfischen Gesellschaft lässt sich der Rang einer Person an der Rolle, welche sie im strengen Zeremoniell des Hofes spielt, ablesen. Im übrigen komme es im realen Machtkampf nicht so sehr auf den äußerlichen Rang an, als vielmehr auf die Fähigkeit, "die anderen zu Ausführung seiner Pläne anzuspannen".
Kritik am höfischen Zeremoniell
Auch im Brief vom 20. Januar , einem der wenigen, die an Lotte gerichtet sind, steht die Klage über die gesellschaftlichen Verhältnisse im Vordergrund. Werther befindet sich in einer einsamen Hütte und lamentiert, dass sein Herz und seine Sinne ausgetrocknet seien, er sei träge und sein Leben sinnlos. Einzig die Bekanntschaft mit Fräulein B. tröste ihn ein wenig, sie gleiche Lotte sogar ein bisschen, leide unter ihrem Stand und der gesellschaftlichen Etikette. Er sehnt Lottesund deren Geschwister Gegenwart "in dem lieben, vertraulichen Zimmerchen" herbei und
schließt den Brief mit der Schilderung der schönen Natur nach einem Sturm, die ein wenig an das Gewitter bei Werthers erstem Zusammentreffen mit Lotte erinnert.
Klage über die Sinnlosigkeit seines Lebens




Sehnsucht nach Lotte
Werther begrüßt jeden verregneten, grauen Tag, da dies seiner Grundstimmung entspricht. Die schönen Tage, so meint er im Brief vom 8. Februar , würden ja doch nur von den Menschen verdorben, die im wesentlichen damit beschäftigt seien, sich gegenseitig das Leben zu vergällen.

Die Spannungen, so erfährt der Leser im Brief vom 17. Februar , zwischen Werther und dem Gesandten, dessen Pedanterie Werther zum Widerstand herausfordert, wachsen. Der Gesandte beklagt sich beim Hofe über ihn, so dass er einen leichten Verweis vom Minister erhält. Werther ist zunächst dazu entschlossen, seinen Dienst zu quittieren, kommt dann jedoch von seinem Entschluss ab, als er einen privaten Brief des Ministers erhält, dessen "hohen, edlen, weisen Sinn" er bewundert. Der Minister hält ihm "allzu große Empfindlichkeit" vor und empfiehlt ihm, seine Energien dort zu investieren, wo es sich wirklich lohne. Am Ende des Briefes spricht Werther von seiner wiedergewonnenen Ruhe, fügt freilich hinzu, dass diese ein "zerbrechliches Kleinod" sei.

Wachsende Spannungen zwischen Werther und dem Gesandten
Nur wenige Tage später folgt eine neue Erschütterung, als Werther von der Hochzeit Lottes und Alberts hört. Im Brief vom 20. Februar gratuliert er den beiden. Er macht deutlich, dass er nicht alle Ansprüche auf Lotte aufgeben will: entgegen seiner ursprünglichen Absicht will er Lottes Schattenriss an der Wand hängen lassen, da er sich gewiss ist, "den zweiten Platz" in ihrem Herzen zu haben.
Nachricht von Lottes und Albers Hochzeit
Einen Monat später - am 15. März - folgt ein Brief, in dem Werther von einer schweren gesellschaftlichen Demütigung berichtet. Nach einem Essen beim Grafen unterhält man sich noch, als bereits die abendliche Gesellschaft beim Grafen eintrifft. Die nun folgende Beschreibung der Adelsgesellschaft eines kleinen deutschen Fürstentums ist ein satirisches Meisterstück, in dem die ganze Beschränktheit und der Anachronismus dieses Adels deutlich wird. Werther, der bereits im Begriff ist, den Saal zu verlassen, bleibt, als er Fräulein B. eintreten sieht, die freilich sehr kühl und befangen wirkt. Nach einigem Getuschel nimmt ihn der Graf beiseite und gibt ihm zu verstehen, dass er als Bürger in dieser Adelsgesellschaft nicht willkommen sei, schwächt diesen Hinauswarf durch eine Geste der Sympathiebekundung ab. Um sich zu beruhigen, begibt sich Werther auf einen Hügel, sieht sich den prächtigen Sonnenuntergang an und liest "in [s]einem Homer den herrlichen Gesang [...], wie Ulys von dem trefflichen Schweinehirten bewirtet wird. Das war alles gut." Werther sucht also Linderung nach der in der Gesellschaft erlittenen Demütigung, indem er das Bild einer zwar hierarchisch organisierten, aber die unverstellte Kommunikation zwischen den Ständen ermöglichenden Gesellschaft heraufbeschwört. Als er dann aber erfährt, dass der peinliche Zwischenfall seinen Neidern Anlass zur Schadenfreude gegeben hat, ist er völlig aufgebracht: "Da möchte man sich ein Messer ins Herz bohren."
Gesellschaftliche Demütigung









Werther sucht Trost bei Homer
Werther, der noch immer unter dem Eindruck der erlittenen Demütigung steht, berichtet im Brief vom 16. März von einem Gespräch mit Fräulein B. Sie bestätigt ihm, wie sehr seine Widersacher nun über ihn triumphieren. Zudem muss er hören, dass die Tante des Fräuleins ihn als unpassenden Umgang bezeichnet habe, ohne dass das Fräulein dem zu widersprechen wagte. Werther ist außer sich: "Wenn ich Blut sähe, würde mir's besser werden." Er möchte sich "eine Ader öffnen, die mir die ewige Freiheit schaffte".


Enttäuschung über Fräulein B.
Werther hat um seine Entlassung beim Hofe ersucht. Sarkastisch fügt er dieser Neuigkeit im Brief vom 24. März hinzu, dass es seiner Mutter wohl missfallen werde, die Karriere ihres Sohnes so jählings abbrechen zu sehen. Er wird einen Fürsten, mit dem er sich einigermaßen versteht, auf dessen Güter begleiten, um dort den Frühling zu verbringen.
Entlassungs-gesuch
Am 19. April informiert Werther den Freund kurz, dass ihm der Abschied gewährt worden ist. Der Minister hat ihm einen wohlwollenden Brief geschickt, und der Erbprinz hat ihm einen größeren Geldbetrag geschenkt, so dass er bis auf weiteres finanziell unabhängig ist. Werthers Reise steht unmittelbar bevor. Am 5. Mai schreibt er, dass er seinen Geburtsort besuchen, eine Wallfahrt" in sein Kindheitsparadies unternehmen will.
Gewährung des Entlassungs-gesuchs
Der Besuch der Heimat ist Gegenstand des Briefes vom 9. Mai. Als Kind habe er sich in die unbekannte Welt hinausgesehnt, jetzt sei er desillusioniert zurückgekehrt. Als er die Stätten seiner Kindheit aufsucht, registriert er einige Veränderungen, die ihm missfallen, und vergegenwärtigt sich die Gedanken, die ihn als Kind bewegt haben. Mit dem Fürsten, der ein Mann des Verstandes, nicht des Gefühls sei, versteht Werther sich nicht sonderlich gut.

Desillusionierte Rückkehr in die Heimat
In einem kurzen Brief vom 25. Mai schreibt Werther, dass er von seinem bisher verschwiegenen Vorsatz, in den Krieg zu ziehen, sehr schnell wieder abgekommen ist.

Am 11. Juni teilt Werther seinem Freund Wilhelm mit, dass er das fürstliche Schloss verlassen wird. Er kann nur wenig mit dem Fürsten anfangen, der zu einer wahren Empfindung von Kunst und Natur nicht imstande sei. Hier wird wieder deutlich, wie sehr Werther nur das Gefühl kennt, Leute, die für ihn die Vernunft repräsentieren, schätzt er hingegen nicht, sie stören seine Weltsicht.


Kritik am Fürsten
Spricht Werther im Brief vom 16. Juni von der Wanderschaft als dem Grundzug seines Lebens, äußert er am 18. Juni die Absicht, zu Lotte, und damit in die Idylle, zurückzukehren. In diesen beiden Briefen kommt der unlösbare Widerspruch von Werthers Existenz zum Ausdruck: die Sehnsucht nach einem ruhigen Dasein und die Rastlosigkeit, die eine solche Einschränkung nicht zulässt.

Werthers Versuch, sich endgültig von Lotte zu lösen, ist fehlgeschlagen. Durch die Erfahrungen in der Residenz fühlt er sich in seiner Abneigung, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, bestätigt. Er scheitert einerseits an einem kleinlichen und ihm übel gesonnenen Vorgesetzten sowie an der Diskriminierung durch eine verkrustete und bornierte Adelsgesellschaft, die ihn in seinem Stolz verletzt, andererseits aber auch an seiner mangelnden Bereitschaft, in seiner Funktion als Gesandtschaftssekretär auf die ungehemmte Darstellung seiner Persönlichkeit und seines subjektiven Ausdrucksbedürfnisses zu verzichten. Fraglich ist allerdings, ob der Entschluss, zu Lotte zurückzukehren, die mittlerweile Albert geheiratet hat, nicht erneut in eine Sackgasse führt.
Wanderer und Idylle
Die nun folgenden Briefe berichten von Werthers vergeblichem Versuch, an Lottes Seite vergangene glückliche Zeiten heraufzubeschwören. An der Situation, die ihn vor Monaten zum Weggehen veranlasst hatte, hat sich nichts geändert. So verdüstert sich Werthers Stimmung immer mehr. Er vermag seine Leidenschaft kaum noch zu kontrollieren. Selbstmordgedanken treten immer stärker in den Vordergrund. Werthers eigenes Schicksal spiegelt sich wider in den Erzählungen von der Schulmeisterstocher, von der Werther im Brief vom 27. Mai berichtet hat, von dem Bauernburschen, den er unmittelbar vor seiner ersten Begegnung mit Lotte kennengelernt hat, sowie in der Erzählung von dem ehemaligen Schreiber von Lottes Vater, der aufgrund einer vergeblichen Liebe zu Lotte wahnsinnig geworden ist. Bereits der erste Brief, den Werther – inzwischen wieder bei Lotte - nach sechs Wochen am 29. Juli schreibt, beweist, dass er nicht ruhiger geworden sicher glücklicher geworden wäre als mit Albert, dem es an Sensibilität mangle, dessen "Herz nicht sympathetisch" schlage bei der gemeinsamen Lektüre eines Buchs, während er und Lotte sich in ihren Gefühlen vollkommen einig seien.
Rückkehr zu Lotte











Eifersucht auf Albert
Im Brief vom 4. August berichtet Werther von einer Wiederbegegnung mit der Schulmeisterstocher. Die Lage der Familie, die Werther im Frühjahr so beneidenswert schien, hat sich grundlegend geändert. Das jüngste Kind ist gestorben, und der Mann ist krank und unverrichteter Dinge aus der Schweiz zurückgekehrt. Werther sieht in diesem Schicksal eine Parallele zu seinen eigenen getäuschten Hoffnungen.
Wiederbegegnung mit der Schul-meisterstochter
Nur noch wenige Augenblicke des Glücks erlebe er, schreibt Werther im Brief vom 21. August . Kaum verhohlen ist sein Wunsch, dass Albert sterben möge. Er deutet sogar den Gedanken an, Albert umzubringen. Es wird ihm klar, dass die Glückserfahrung des letzten Jahres sich nicht wiederholen lässt.

Werther verzweifelt daran, so heißt es im Brief vom 3. September , dass ein anderer als er selber Lotte lieben darf, dessen ganze Existenz an dieser Liebe hängt. Der Herbst beginnt, und Werther sieht in der Entwicklung der Natur einen Spiegel seiner inneren Verfassung.

Im Brief vom 4. September berichtet er erneut von einer Begegnung mit einem alten Bekannten, dem es in der Zwischenzeit schlecht ergangen ist. Der Bauernbursche, von dessen Liebe zu seiner Herrin im Brief vom 30. Mai erzählt worden ist, berichtet Werther, dass er aus dem Dienst verjagt worden sei, weil er in seiner Leidenschaft versucht habe, sich seiner Herrin mit Gewalt zu nähern. Er betont aber, dass seine Absichten redlich gewesen seien. Auch hier sieht Werther eine Parallele zu seinem eigenen Schicksal. Er fordert Wilhelm auf, die Geschichte "mit Andacht" zu lesen.
Begegnung mit dem Bauernburschen



Identifikation mit dem Bauern-burschen
Der Brief vom 5. September macht deutlich, dass auch die Harmonie zwischen Werther und Lotte nicht mehr ungetrübt ist. Lotte reagiert verstimmt auf eine Bemerkung Werthers, in der sich dessen ganze Liebe offenbart.
Gestörte Harmonie
Dass es Werther nicht gelingt, die glückliche Vergangenheit wiederzubeleben, zeigt der Brief vom 6. September . Er hat den Anzug, den er bei der ersten Begegnung mit Lotte getragen hat, abgelegt und einen neuen nach demselben Muster machen lassen, aber "ganz will es doch die Wirkung nicht tun".

Welch harten Proben Werthers Selbstbeherrschung in Lottes Gegenwart ausgesetzt ist, beweist der Brief vom 12. September . Lotte hat ihren Geschwistern von einer Reise einen Kanarienvogel mitgebracht, der so dressiert ist, dass er Lotte küsst. Anschließend reicht sie Werther den Vogel mit der Aufforderung, ihn auch zu küssen, ohne zu ahnen, welche Verwirrung sie damit bei Werther auslöst, wie sie ihn aus einer mühsam errungenen Gleichgültigkeit aufweckt.

Erneut muss Werther erfahren, dass die glückliche Vergangenheit unwiederbringlich dahin ist. Im Brief vom 15. September berichtet er, dass die neue Pfarrfrau jene Nussbäume, von denen er bereits im ersten Buch erzählt hat, hat fällen lassen. Mit satirischer Schärfe beschreibt Werther diese Frau, die sich gelehrt gibt, "gar viel an der neumodischen, moralisch-kritischen Reformation des Christentums arbeitet". Mit anderen Worten: sie ist Anhängern einer aufgeklärt-rationalistischen Theologie, aus der alles Gefühl, alle Empfindsamkeit, alle Begeisterung getilgt sein sollen, aller Glaube an das durch die Bibel überlieferte Heilsgeschehen.
Die gefällten Nussbäume
Manche Briefe Werthers erinnern mehr an kurze, manchmal nur aus einem verzweifelten Ausruf bestehende Tagebucheintragungen. Dazu gehört auch der Brief vom 10. Oktober . Er mag den Gedanken kaum aussprechen, dass Lotte mit ihm viel glücklicher wäre, als sie es jetzt mit Albert ist.


Briefe ab 12. Oktober siehe Datei!
Inhalt
Inhalt und Handlung des Briefromans 'Die Leiden des jungen Werther' von Johann Wolfgang Goethe! Mit einer Analyse jedes einzelnen Briefes! (25 Seiten!)
Tabelle mit Inhaltsangabe jedes Briefes, geordnet nach Datum und nach den 3 Teilen des Buches (11546 Wörter)
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