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"Bücher für das ganze Leben"

Frage: "Bücher für das ganze Leben"
(10 Antworten)

 
Ulrich Greiner: Bücher für das ganze Leben


In Peter Handkes jüngstem Drama ,,Zurüstungen für die Unsterblichkeit" tritt der Dichter in Gestalt einer spöttischen Erzählerin auf die Bühne und herrscht das Volk an, also uns alle: ,,Du sollst mich anschaun, Volk, wenn ich noch zu dir spreche - oder weißt du nicht einmal mehr, was schön ist?"
Gute Frage.
Und was wäre es, das Schöne? Bei Rilke, in den ,,Duineser Elegien", ist das Schöne ,,nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, / und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, / uns zu zerstören".
Reden wir mal zur Abwechslung über Literatur. Sie ist der Ort des Schönen, wenn damit nicht das Gefällige und das Geläufige gemeint sein soll, sondern der Hereinbruch des erschreckend anderen. Dieses andere kann das Verdrängte sein und das Vergessene, die nachtschwarze Fantasie ebenso wie das helle Entzücken, das Abenteuer der Seele ebenso wie der heldenhafte Konflikt des Individuums mit der Gesellschaft. Wissen wir das noch? Oder sind wir, wie Hölderlin klagte, nur noch Handwerker und keine Menschen, nur noch blind beschäftigt mit den Kleinlichkeiten und Widrigkeiten des schieren Augenblicks?
Es ist wahr: Hölderlins ,,Brot und Wein" helfen nicht gegen die Arbeitslosigkeit, und Goethes Mondlied ist kein Beitrag zur Lösung der Rentenkrise. Wer sich heutzutage beruflich behaupten will, tut besser daran, Englisch zu lernen, Computertechnik und Mathematik. Belesenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. Die Schüler lesen im Deutschunterricht eher Bild als ,,Faust", und sie diskutieren lieber ,,Liebe Sünde" als ,,Kabale und Liebe". Das ist ein Fehler.
Die weiland untergegangene DDR hatte sich die Pflege und Aneignung des ,,kulturellen Erbes" zum Ziel gesetzt. Dies geschah bekanntlich mit dem Vorsatz der Parteilichkeit und mit dem Zusatz der Zensur. Aber es entsprang auch dem Willen, die Überlieferung nicht abreißen zu lassen. Geschichte ist nicht nur die Geschichte der Könige und der Generäle und nicht nur die der Bauern und der Arbeiter, sie ist auch die Geschichte der Dichter und der Philosophen, die Geschichte von Büchern, von Dramen, von Gedichten. Darin sind die Träume aufbewahrt, die Ängste und die Hoffnungen der Menschen.
Wer diese Geschichte nicht kennt, der kennt die Kultur nicht, der er angehört, der kennt sich selber nicht. ,,Besinn dich. Entsinn dich. Lass dir erzählen", sagt Handkes Erzählerin. Aber hört noch jemand zu? Wen kümmert das kulturelle Erbe?
[...]
Das alte Bildungsbürgertum - vielleicht ist es längst tot. [...] Aber darauf kommt es nicht unbedingt an. Denn in diesem Land gibt es Bibliotheken und Buchhandlungen genug, das Reich der Literatur steht jedem offen, der lesen kann, und selbst im Internet lockt die Gutenberg-Galaxis mit den Texten der Weltliteratur. Aber Lesen muss man lernen. Und dazu bedarf es der Anleitung, der Verführung anhand der kanonischen Werke.
Wer den ,,Faust" nicht mag, und welcher Schüler hat ihn je gemocht, muss die Chance erhalten, den eigenen Widerstand an ihm auszubilden. Wo keine Verbindlichkeit mehr herrscht, gähnt die geschichtsvergessene Leere. In die stolpert hinein, wer sprachlos ist und dem Müll der Bilder nicht das Eigene entgegenzusetzen weiß. Das Eigene? Es bestünde darin, dass eine oder einer, geschult an der von den Dichtern erzählten Erfahrung, ihre oder seine Erfahrung erzählen könnte, um der eigenen Geschichte bewusst zu werden.
Ein Gedicht von Stefan George (gehört es zum Kanon?) beginnt so: ,,Komm in den totgesagten Park und schau: / Der Schimmer ferner lächelnder Gestade, / Der reinen Wolken unverhofftes Blau / Erhellt die Weiher und die bunten Pfade." Und Hofmannsthal, in seinem berühmten ,,Gespräch über Gedichte", lässt seine beiden Redner, den Clemens und den Gabriel, darüber diskutieren. Clemens spricht aus, was auf der Hand liegt und also nur die Hälfte ist: dass die Poesie, voll von Bildern und Symbolen, vielleicht nur eine gesteigerte Sprache sei, weil sie eine Sache für die andere setze.
Darauf entgegnet Gabriel: ,,Niemals setzt die Poesie eine Sache für die andere, denn es ist gerade die Poesie, welche fieberhaft bestrebt ist, die Sache selbst zu setzen." Und er fügt hinzu: ,,Wollen wir uns finden, so dürfen wir nicht in unser Inneres hinabsteigen: draußen sind wir zu finden, draußen. Wie der wesenlose Regenbogen spannt sich unsere Seele über den unaufhaltsamen Sturz des Daseins. Wir besitzen unser Selbst nicht: von außen weht es uns an."
Wir besitzen unser Selbst nicht. In den Werken der Literatur weht es uns an. Manches stünde besser, wenn wir sie läsen und darüber sprächen. Obgleich damit die Frage des Spitzensteuersatzes immer noch nicht endgültig beantwortet ist.


Greiner, Ulrich: Bücher für das ganze Leben. In: DIE ZEIT Nr. 21, 16.5.1997


KENNT JEMAND DIESEN TEXT?
Ich muss dazu folgende Aufgaben bearbeiten und habe leider keine Ahnung. ..

1.Dieser Artikel leitete 1997 die Kanon-Debatte in der ZEIT ein: Wie reagieren Sie auf den Artikel?
Machen Sie sich Ihre Reaktion in einer knappen Stellungnahme klar.
2.Um sich den Gedankengang Greiners klarzumachen, können Sie den Text in Sinnabschnitte gliedern
und prüfen, welche Funktion die Abschnitte – in ihrer Anordnung und ihrer gedanklichen Verzahnung –
für die Argumentation haben.
Klären Sie z. B., wie der Verfasser in die Argumentation „einsteigt“: Welche Funktion haben die
Zitate (von Handke, Rilke, der Hinweis auf Hölderlin) und wie führt der Verfasser den Leser zu seiner
zentralen Forderung? Versuchen Sie die „Strategie“ zu entschlüsseln, mit der der Verfasser den
Leser für seine Absichten zu gewinnen sucht.

3Die sachlich-inhaltliche Auffassung bzw. Position eines Verfassers kann man nur beurteilen, wenn man
sich mit dem Sachzusammenhang vertraut gemacht hat, vielleicht andere Auffassungen kennt, das Problem
in einen größeren Zusammenhang einordnen kann. Setzen Sie sich mit Greiners Auffassung und Absicht
kritisch auseinander und ziehen Sie dazu auch die Stellungnahmen zur Kanon-Frage (Seite 156/157, besonders
die des Pädagogen von Hentig) heran.
4Überprüfen Sie kritisch Ihre eigene anfängliche Stellungnahme zur Wirkung des Greiner-Artikels
(vgl. Aufgabe 1, Seite 159). Welche Eindrücke haben sich bestätigt, welche müssen Sie ggf. revidieren?
GAST stellte diese Frage am 27.11.2007 - 15:16

 
Antwort von GAST | 27.11.2007 - 15:17
Ich
würde mich riesig freuen,wenn mir jemand helfen würde!


Autor
Beiträge 40293
2104
Antwort von matata | 27.11.2007 - 15:25
Abitur 2003 Thüringen

http://www.thueringen.de/de/tkm/schule/schuleonline/datenbank/content.asp?year=2003&sf=Abitur

http://www.nucleonweb.de/Klausuren/Deutsch-Abituraufgaben_des_Jahres_2003_Leistungskurs.htm
________________________
 e-Hausaufgaben.de - Team

 
Antwort von GAST | 27.11.2007 - 15:29
danke, dass du geantwortet hast. den 2. link kann ich leider nicht öffnen und der 1. ist doch nur der text,oder ? hilft mir leider auch nciht viel:( trotzdem DANKE!


Autor
Beiträge 40293
2104
Antwort von matata | 27.11.2007 - 15:32
Vermutlich ist beim 2. Link eine Lücke zu viel im Wort, das automatisch getrennt wurde. Schau einmal nach.

Suchen kannst du diesen Text mit Google

Abitur 2003 + Deutsch + Lösungen

Es gibt noch mehr Links dazu, ich habe dir einfach nur schnell 2 davon hineingestellt.
________________________
 e-Hausaufgaben.de - Team

 
Antwort von GAST | 27.11.2007 - 15:37
hab jetzt "abitur 2003 + deutsch + lösungen" bei google eingegeben - da kommen ja hunderte von seiten, wo finde ich denn da den text?:)

 
Antwort von GAST | 27.11.2007 - 15:42
schade.. ich finde es zwar als aufgabe aber nirgends ne lösung oder irgendetwas zu dem text :(


Autor
Beiträge 40293
2104
Antwort von matata | 27.11.2007 - 15:43
Dann ergänze die Eingabe bei Google noch mit "Ulrich Greiner + Bücher für das ganze Leben"
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Antwort von GAST | 27.11.2007 - 15:56
ich find echt nix :D
kannst du es nicht hier rein kopieren?

 
Antwort von GAST | 27.11.2007 - 16:04
ich komme immer nur zu der aufgabenstellung wo dann als anhang der text ist... vllt. bin ich ja echt zu blöd, aber ich such hier die ganze zeit, nicht, dass du denkst, ich sei faul:)

 
Antwort von GAST | 27.11.2007 - 16:36
bitte antworte mal:)

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