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Lyrik des Expressionismus: "Der Gott der Stadt" von Georg Heym, Vergleich mit Ludwig Meidner

Alles zu Georg Heym  - Der Gott der Stadt

Klausur zu Georg Heym: Der Gott der Stadt


Aufgabentyp 2 A: Analyse eines literarischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag

Aufgaben:
  1. Analysiere und interpretiere das Gedicht Der Gott der Stadt (1910) von Georg Heym . Unterziehe das Gedicht dabei einer formalen und inhaltlichen Analyse sowie einer darauf aufbauenden Deutung. Untersuche, inwieweit es in Form und Inhalt der Lyrik des Expressionismus entspricht.
  2. Vergleiche deine Ergebnisse aus Aufgabe 1 mit dem Bild von Ludwig Meidner (1884 – 1966) und arbeite inhaltliche Parallelen heraus.


Georg Heym: Der Gott der Stadt (1910) 1 Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.
2 Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
3 Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
4 die letzten Häuser in das Land verirr’n.

5 Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,
6 die großen Städte knieen um ihn her.
7 Der Kirchenglocken ungeheure Zahl
8 wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer.

9 Wie Korybanten-Tanz1 dröhnt die Musik
10 der Millionen durch die Straßen laut.
11 Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik
12 ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.

13 Das Wetter schwelt in seinen Augenbrauen.
14 Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt.
15 Die Stürme flattern, die wie Geier schauen
16 von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt.

17 Er streckt ins Dunkle seine Fleischerfaust.
18 Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt
19 durch eine Straße. Und der Glutqualm braust
20 und frißt sie auf, bis spät der Morgen tagt.

Aufgabe 1:
Das Gedicht „Der Gott der Stadt“ von Georg Heym aus dem Jahr 1910 beschreibt die Geschehnisse in einer Großstadt vom Abend bis zum Morgen. Es setzt sich aus fünf Quartetten zusammen.

Es lässt sich die Deutungshypothese aufstellen, dass der Autor mit seinem Gedicht Kritik am städtischen Leben üben will und die Selbstzerstörungskraft und Abweichung von den wichtigen Werten des Lebens der Menschen zum Ausdruck bringen möchte.
Formal kann man sagen, dass jede Strophe sich aus zwei Kreuzreimen zusammensetzt. Das Metrum ist mit fünfhebigen Jamben sehr regelmäßig und insgesamt scheint das Gedicht in bezug auf die Form zunächst sehr geordnet.

In der ersten Strophe wird eine mit „er“ bezeichnete Person eingeführt, welche die Stadt von den Dächern ihrer Häuser aus beobachtet. Dann wird die Stadt am Abend beschrieben, aus der die Kirchtürme aus den Häusermassen herausragen. In der dritten Strophe wird deutlich, dass es in der Stadt sehr dreckig und laut ist und dass sich viele Menschen dort aufhalten.
Die vierte Strophe charakterisiert den Gott Baal, der zornig alles überblickt und schließlich, in der letzten Strophe, die Stadt durch Feuer zerstört.

In der ersten Strophe wird der Gott Baal noch nicht mit Namen genannt, aber die Überschrift des Gedichts lässt den Leser darauf schließen, dass ein Gott gemeint ist. Die Wortwahl „sitzt er breit“ (V.1) vermittelt einen negativen Eindruck von diesem Gott. Auch im darauffolgenden Vers wird dies unterstrichen durch den Ausdruck „lagern schwarz“ (V.2), da die Farbe schwarz meist mit etwas Düsterem assoziiert wird. Dass Baal kein wohlgesonnener Gott ist, zeigt sich ganz explizit in Vers 3, in dem er „voll Wut“ schaut. Es werden Häuser beschrieben, die „in Einsamkeit“ stehen, also wahrscheinlich entfernt von der Stadt und dem Großstadtleben. In diese Richtung schaut Baal und es lässt sich vermuten, dass sein Zorn daher kommt, dass er der „Gott der Stadt“ ist und sich alle anderen Häuser nicht in seinem Einflussbereich befinden. Der Ausdruck „verirrt“ (V.4) verdeutlicht, dass diese „letzten Häuser“ sehr isoliert stehen und fast verloren erscheinen neben der Großstadt.

Es wird dann der Abend beschrieben und Baal, nun auch beim Namen genannt, wird von der untergehenden Sonne beschienen. Auf den ersten Blick erscheint dies fast idyllisch, aber der Untergang der Sonne könnte auch für das Hereinbrechen der Dunkelheit und des Negativen, Bösen stehen. Die Personifikation „die großen Städte knien“ (V.6) zeigt, dass alles in der Stadt dem Gott unterlegen ist und zu ihm emporblickt, denn die Städte können ebenfalls auf die Stadtbewohner übertragen werden.
Auch die „ungeheure Zahl“ (V.7) von Kirchenglocken verdeutlichen, dass der Gott von den Menschen verehrt oder zumindest gefürchtet wird, da sie vor ihm niederknien.

Durch die Verwendung des Wortes „wogt“ (V.8) wird die Kraft, die von Baal auszugehen scheint, noch einmal verstärkt. Die Metapher „schwarzer Türme Meer“ zeigt, dass der Gott sich mitten in der Stadt befindet und um ihn herum hohe Häuser, wie ein Meer, stehen.
Außerdem zeigt sich hier, dass die Bewohner der Stadt scheinbar einen für den christlichen Glauben heidnischen Gott anbeten und das sogar mithilfe der Kirchenglocken, welche eigentlich einen anderen Gott verehren sollen. Sie sind also abgerückt vom christlichen Glauben, in dem Gott als gut und barmherzig charakterisiert wird und haben stattdessen einen wütenden, fast launischen Gott gewählt.

Die dritte Strophe beschreibt das Leben in der Stadt. Der Vergleich „wie Korybanten-Tanz“ (V.9) deutet auf das Chaos und die Unordnung hin, das Verb „dröhnt“ (V.9) vermittelt ebenfalls eine gewisse Unkontrolliertheit und etwas Negatives.
„Die Musik der Millionen“ (V. 9/10) bezieht sich wahrscheinlich auf den Lärm, den die Menschen, hier durch „Millionen“ übertrieben dargestellt, verursachen durch Verkehr, Stimmengewirr, Musik etc. Diese Geräusche erfüllen die Stadt und es lässt sich wahrscheinlich nicht mehr feststellen, woher sie kommen, sondern alles vermischt sich zu einem lauten Ton (vgl. „Musik“). „Der Schlote Rauch“ (V.11) zeigt, dass es in der Stadt sehr dreckig ist, scheinbar befinden sich dort viele Fabriken, die dort pausenlos ihren Rauch abgeben, der sich zu „Wolken“ (V.11) formt. Diese Metapher zeigt, dass große Mengen an Rauch an die Luft abgegeben werden, so dass man den Himmel wahrscheinlich nicht mehr sehen kann, als sei er wolkenbedeckt.

Der Rauch steigt nun hoch zu Baal und der Ablauf wird als seht feierlich dargestellt durch den Ausdruck „ziehen auf zu ihm“ (V. 12). Der Vergleich „wie Duft von Weihrauch“ (V.12) lässt darauf schließen, dass es sich hier um eine Art Opergabe handelt, da Weihrauch in der Kirche (vgl. oben) zu besonderen Anlässen verwendet wird. Der Neologismus „blaut“ könnte hier für den Himmel stehen, welcher ja ebenfalls blau ist und der Duft steigt hoch zum Himmel. In dieser Strophe findet sich ein eindeutiger Bezug zur Überschrift „Der Gott der Stadt“, denn alles in der Stadt verehrt Baal und ist ihm unterlegen. Sogar die Fabriken und Kirchen werden in diesem Zusammenhang erwähnt, welche unweigerlich Teil der Großstadt sind.

Im nächsten Teil des Gedichts wird es dann schließlich Nacht, und die Nacht „betäubt“ (V.14) den Abend, was bedeutet, dass es völlig dunkel wird und womöglich auch das Leben etwas verlangsamt. In Vers 15 werden die Stürme mit Geiern verglichen, was scheint, als würden sie nur darauf „warten“, alles zerstören zu können, wie ein Geier sich auf seine Beute stürzt. Außerdem „schauen“ die Geier „von seinem [Baals] Haupthaar“ (V.15), das heißt, sie beobachten die Stadt aus demselben Blickwinkel wie der Gott. Dieser wird wieder als zornig beschrieben und sein Haar, welches hier vielleicht mit den Winden gleichzusetzen ist, sträubt sich. Es deutet sich an, dass die Katastrophe nahe ist.

In der letzten Strophe tritt schließlich die Zerstörung ein. Baal streckt seine „Fleischerfaust ins Dunkel“ (V.17), wobei die Wortkombination „Fleischerfaust“ eine große Kraft und Entschlossenheit zur Zerstörung vermittelt. In Vers 18 und 19 findet sich ein Enjambement, welches verstärkt, dass sich das „Meer von Feuer“ (V.18) überallhin auszubreiten scheint. In den vorigen Strophen finden sich immer zwischen den letzten Versen Enjambements, aber diese sind keine so deutlichen Einschnitte. Durch das Verb „braust“ (V.19) wird die Intensivität des Feuers deutlich und auch wiederum die Wut des Gottes. Die Personifikation der Glut, „frisst sie auf“, ist möglicherweise so zu verstehen, dass es die Schuld der Menschen selbst ist, dass diese Katastrophe herbeigeführt wurde und dass sie selbst ebenfalls daran teilhaben. Außerdem verstärkt sie das „Brausen“ und macht klar, dass alles komplett zerstört wird. Die Vernichtung durch das Feuer geht die ganze Nacht hindurch und endet erst, als „spät der Morgen tagt“ (V.20). Das Paradoxon in diesem Vers, der „Morgen“ kommt „spät“, deutet darauf hin, dass die Zerstörung sehr lange anhält und es lange dauert, bis es wieder hell wird.

Durch den Verlauf des Gedichts hindurch werden immer wieder Tageszeiten genannt und es findet eine Entwicklung vom Abend bis zum Morgen statt. Hierbei steh die Nacht für die Zerstörung und als Kontrast dazu, der Morgen für den Neuanfang. Scheinbar wiederholt sich dieser Ablauf immer wieder.
Es lässt sich in dem Gedicht kein Sprecher festmachen. Die Erzählperspektive ist distanziert und beobachtend, es scheint, als würde das lyrische Ich dem Gott Baal zusehen.

Der Gott Baal ist in dem Gedicht wahrscheinlich nicht so wörtlich zu verstehen. Vielmehr symbolisiert er das städtische Leben. Die Menschen leben in der Stadt und für die Stadt und alle Dinge sind auf das tägliche Leben ausgerichtet. Vor allem der Vergleich mit Weihrauch verdeutlicht, dass der technische Fortschritt und die Industrialisierung über allem anderen stehen. Die Menschen scheinen sich nur noch darauf zu konzentrieren und von ihren menschlichen Werten abzurücken. Sie sind eine Masse, „Millionen“, die gleich und persönlichkeitslos werden. Als Folge dessen erfolgt die Zerstörung, die auch als Selbstzerstörung der Menschen verstanden werden kann. Sie haben Selbst die Katastrophe zu verantworten durch ihre Anbetung des die Stadt charakterisierenden Baals. Es zeigt sich hier deutlich die Kritik am städtischen Leben. Insgesamt sehe ich meine Deutungshypothese bestätigt.

Das Gedicht passt eindeutig in die Zeit des Expressionismus. Das Thema Großstadt wurde von vielen Dichtern aufgegriffen und kritisiert. Vor allem die zunehmende Entmenschlichung, der Persönlichkeitsverlust und die Anonymität finden sie häufig in lyrischen Texten dieser Epoche. Charakteristisch ist auch, dass der äußere Aufbau, also Strophen und Reimschema, sich deutlich an den alten Formen orientieren, was stark im Kontrast zu Inhalt steht, der sich gerade gegen diese Formen auflehnt.

Ich denke, dass „Der Gott der Stadt“ in diese Epoche passt, da ebenfalls der technische Fortschritt als Folge der Industrialisierung beschrieben und sehr negativ beleuchtet wird, sowie der Verlust menschlicher Werte. Auch das düstere Ende, das die Zerstörung beschreibt, ist sehr programmatisch, da viele Menschen an eine bevorstehende Apokalypse glaubten und das Gedicht einen Untergang beschreibt.
Die Enjambements im Gedicht lassen sich auch auf den Expressionismus zurückführen, sowie die Metaphern, da diese Stilmittel in der Zeit sehr gebräuchlich waren.

Aufgabe 2:
Man kann das Bild sehr gut in Bezug zum Gedicht setzten. Die erst Auffälligkeit ist die ausgeprägte Verwendung der Farben blau und schwarz, welche beide im Gedicht erwähnt werden. Man sieht Schornsteine, von denen aus Rauch zum Himmel hochsteigt (vgl. V. 11/12). Die dunklen Häuser sind nur als Fassaden, nicht dreidimensional zu erkennen. Aufgrund der dunklen Farbwahl scheint es, als sei es Abend auf dem Bild, wie auch im Gedicht. Die Pinselführung ist relativ ungeordnet, vor allem im Vordergrund lassen sich keine spezifischen Formen erkennen, sondern es sieht aus, als lägen dort Trümmer von Häusern. Außerdem sieht man Straßen, aber keine Menschen. Bei genauerem Hinsehen könnte man einige schwarze „Striche“ für Personen halten. Sie werden düster dargestellt und man erkennt weder Gesichtsausdruck noch andere Details an ihnen. Im Gedicht sind die Menschen ebenfalls als Masse beschrieben. Dadurch, dass die Häuser so dunkel sind, scheint es, als seien sie verbrannt, vor allem das große Gebäude im Vordergrund. Dies lässt sich wieder auf die letzte Strophe des Gedichts beziehen, in der eine Stadt von Feuer zerstört wird.
Die Menschen auf dem Bild scheinen Hilfe zu suchen, sie sehen einsam aus.
Meiner Meinung nach drückt das Bild – so wie das Gedicht – eine Kritik am Großstadtleben aus, was durch die Farbwahl und die wüste, verlassene Darstellung einer Stadt deutlich wird. Die meisten Häuser sind zerstört und die wenigen Menschen voneinander getrennt. Auch hier zeigt sich eine Weltuntergangsstimmung, welche im Gedicht vorherrscht.
Inhalt
Analyse und Interpretation eines Gedichts von Georg Heym und Vergleich mit einem zeitgenössischen Bild von Ludwig Meidner. Einordnung in den historischen Kontext.


Aufgabenstellung:
1. Analysiere und interpretiere das Gedicht Der Gott der Stadt (1910) von Georg
Heym. Unterziehe das Gedicht dabei einer formalen und inhaltlichen Analyse sowie
einer darauf aufbauenden Deutung. Untersuche, inwieweit es in Form und Inhalt
der Lyrik des Expressionismus entspricht.
2. Vergleiche deine Ergebnisse aus Aufgabe 1 mit dem Bild von Ludwig Meidner
(1884 – 1966) und arbeite inhaltliche Parallelen heraus. (1907 Wörter)
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