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Abi-Klausuraufgabe: Ästhetische Urteile über das Soziale Drama (Büchner,Hebbel)

Alles zu Theorien (Theater, Dramen,..)

Vergleich von Büchners und Hebbels Dramenauffassung der Werke: "Woyzeck" und "Maria Magdalena"

Thema: Ästhetische Urteile über das soziale Drama


Gustav Freytag und Hermann Hettner äußerten ihre Ansichten zum Drama in den beiden hier zu erörternden Texten, die Mitte des 19.Jahrhunderts, als die literarische Strömung des Realismus aufkam, verfasst wurden. In seiner Abhandlung „Die Technik des Dramas“ von 1863 befasst sich Gustav Freytag auch mit dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit.

Nach Freytag müsse die Literatur als Kunst verstanden werden und folglich eine anspruchsvolle ästhetische Gestaltung aufweisen. Mit dem sozialen Drama als gesellschaftlichem Abbild der Wirklichkeit sei es aber nicht möglich eine solche Ästhetik zu erreichen. Denn die Kunst in Form der wahren Tragödie biete keinen Platz für die Probleme der „armen und gedrückten Klassen“ (Z.2) und erst recht nicht für die „Schilderung der Gemütsvorgänge eines gemeinen Verbrechers“ (Z.1). Freytag ist der Auffassung, dass diese Probleme ausschließlich im wirklichen Leben gelöst werden sollten. Durch die Metapher „die Muse der Kunst ist keine barmherzige Schwester“ (Z.4-5) verdeutlicht Freytag seine Position.

In seinen Ausführungen spricht er sich somit gegen das soziale und für das klassische Drama aus, in welchem nach der aristotelischen Ständeklausel einzig und allein Personen der höchsten Gesellschaftsschicht die Protagonisten sind, die ihre Probleme im Rahmen ihrer sittlichen Normen zu lösen suchen und infolgedessen zum Ideal aufstreben. Ziel des klassischen Dichters war es die moralische Wertevorstellung des vorwiegend hohen Publikums zu befriedigen und den Zuschauer anhand von Furcht oder Mitleid in den Zustand der Katharsis zu führen.
Zugleich vertritt Freytag die Überzeugungen der Dichter des Idealismus, die nach Schiller die Idealisierung ihrer Figuren bis zur absoluten Vollkommenheit als ihre höchste Aufgabe betrachteten.

Georg Büchner, als Vertreter des frühen Realismus, sah hingegen gerade in den von Freytag abgelehnten Inhalten das größte Konfliktpotenzial für ein Drama liegen. Denn die Kluft zwischen Arm und Reich, die sozialen Verhältnisse und die daraus entstehenden gesellschaftlichen Konflikte waren für ihn das Wesentliche. Sein Hauptanliegen war es die materiellen und geistigen Missstände der Gesellschaft aufzuzeigen und damit Kritik an den Herrschenden zu üben, die ihr Recht und ihre Macht nur auf der Rechtlosigkeit und Ohnmacht der Unterdrückten begründen konnten.

Für ihn ging es keineswegs um eine Ästhetik der Idealisierung. Er lehnte sie sogar gänzlich ab, denn er war der Ansicht, dass gerade das Hässlichste und Geringste es wert ist, dargestellt zu werden, da es einen tieferen Eindruck als das bloße Empfinden des Schönen und Guten hinterlasse.
Sein Ziel war es deshalb, dem Leser eine ungeschminkte, lebensnahe Darstellung der Wirklichkeit mit Gestalten „aus Fleisch und Blut […,] deren Leid und Freude“ (Zitat aus: Brief „An die Familie“) den Zuschauer ergreifen soll, zu bieten. Büchner verstand den dramatischen Dichter als Geschichtsschreiber, der sich an historisch belegten Fällen orientiere und sie dann ein zweites Mal erschaffe um den Leser unmittelbar in das Leben einer Zeit zu versetzen (vgl. Brief „An die Familie“).

So auch bei seinem Stück „Woyzeck“, das aber aufgrund Büchners Todes im Jahre 1837 unvollendet blieb. Als Handlungsvorlage diente ein Mordfall, der sich einige Jahre zuvor in Leipzig ereignet hatte.
Büchners Protagonist Woyzeck, der dem gleichnamigen Mörder nachempfunden wurde stellt den äußersten Gegensatz zum klassischen Ideal des tragischen Helden dar.

Als ein Soldat untersten Ranges versucht Woyzeck alles, um seine Geliebte Marie und ihr gemeinsames uneheliches Kind zu versorgen. So opfert er nicht nur seinen geringen Lohn, sondern ist nebenbei auch noch Laufbursche des Hauptmanns und „Versuchskaninchen“ für die medizinischen Experimente des Doktors. Von seinen Vorgesetzten, die ihm wegen seiner niederen Herkunft und geringen Bildung Tag ein Tag aus nur mit Spott und Verachtung begegnen, von Marie, die sich aufgrund seiner ständigen Abwesenheit nach und nach von ihm entfremdet, Gefallen am Tambourmajor findet und daraufhin sogar ein Verhältnis mit diesem eingeht, gedemütigt, fällt Woyzeck immer mehr in ein tiefes Loch der Verzweiflung. Getrieben von Eifersucht, die zusätzlich noch von dem Gerede der Leute geschürt wird, beginnt er Stimmen zu hören und entwickelt die Zwangvorstellung, Marie töten zu müssen. Letztlich ersticht Woyzeck in rasender Wut die noch immer heißgeliebte Marie am Rande eines Teiches, in den er sich stürzt, gleich nachdem er sich im Wirtshaus selbst als Mörder entlarvt hat.

In „Woyzeck“ setzt Büchner sein eigenes Ästhetikempfinden sehr gut um. Er löst sich mit dem offenen Drama von der klassischen, geschlossenen Form und durchbricht deren Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Die daraus resultierende Vielfalt stellt einen höheren Anspruch an Leser und Zuschauer. Zwar sind die einzelnen Szenen relativ autonom, dennoch stehen sie nicht beziehungslos nebeneinander. Durch einzelne Wortmotive, die sich durch das gesamte Stück ziehen, entsteht eine metaphorische Verklammerung von nahezu allen Szenen. Dramenaufbau und eine schlaglichtartige Beleuchtung einzelner Handlungsfetzen erzeugen Spannung und spiegeln sehr gut die innere Befindlichkeit des Woyzeck wieder.

Büchner beleuchtet in seinem Werk die Abgründe der menschlichen Psyche, zum einen anhand Woyzecks Hilflosigkeit und schließlichem Verfall und zum anderen an dem schier unmenschlichen Verhalten der Obrigkeiten. Nicht als „gemeine[r] Verbrecher“ (Text 1; Z.1) soll Woyzeck gesehen werden, sondern als Repräsentant der Armen, der untersten Schicht und letztlich als Opfer der sozialen Gewalt.

Büchner gibt ihm, und damit in gewisser Hinsicht allen Angehörigen der unteren Schicht, durch die explizite Benennung des Protagonisten als „Friedrich Johann Franz Woyzeck“ ein Gesicht. Während die Armen benannt werden, verlieren die Personen der bürgerlichen Schicht hingegen ihre Namen. Sie werden so gesehen entpersonifiziert und lediglich auf ihre gesellschaftliche Funktion reduziert. Durch die sprachliche Ausgestaltung und satirische Übertreibungen gelingt es Büchner die charakterlichen Schwächen Woyzecks Vorgesetzter aufzuzeigen und sie damit bloßzustellen. Das "einfache Volk" wird ebenfalls sprachlich so nachempfunden, dass jede Person eine äußerst ausdifferenzierte und tiefe Gestaltung erlangt. Nichts Inszeniertes oder Idealisiertes lässt sich in Büchners Stück finden, alles wirkt menschlich und dadurch wird eine Nähe zur Leserschaft geschaffen, die eine starke Empathie mit dem Protagonisten ermöglicht.
Auch Hermann Hettner stellt in seiner Abhandlung „Das moderne Drama“ von 1852 die Ansichten der klassischen Dichter in Frage und spricht sich indirekt für ein soziales Drama aus.

So löst er sich ebenfalls von der allgemeinen Auffassung, dass Dramatik nur entstehen könne wenn die Figuren eine gewisse Fallhöhe besitzen, das heißt aufgrund ihres hohen Standes oder ihrer erhabenen gesellschaftlichen Position „fallen“ können.
Hettner geht sogar noch weiter und kritisiert diese Annahme mit den Worten: "Unbegreifliche Kurzsichtigkeit!" (Z.4). Denn auch die Probleme innerhalb eines niederen Standes oder einer armen Familie böten Potential für eine wahre Tragödie.

Indem er tragisches Schicksal mit körperlichen Schmerz vergleicht, kommt Hettner zu dem Schluss, dass dieser Schmerz "alle Teile des Körpers gleichmäßig" (Z.5) und sogar "oft den unscheinbarsten Nerv am allermächtigsten" (Z.5) trifft, also dementsprechend tragisches Schicksal jedem Menschen widerfahren kann und gerade die scheinbar Unbedeutendsten meist die tiefste Tragik der Menschheit durchleiden müssen. Ein Jeder sei Opfer der "furchtbare[n] Tragödie der Gesellschaft" (Z.7). Und die gesellschaftlichen Verhältnisse seien demnach als Auslöser solch tragischer Schicksale zu sehen.

Die Ansichten Büchners und auch die von Hettner getroffenen Aussagen stimmen weitgehend mit der Dramenauffassung des aus armen Verhältnissen stammenden Schriftstellers Friedrich Hebbel überein.
Hebbel ging jedoch noch weiter, indem er es sich zur Aufgabe machte, den "ganzen gegenwärtigen Weltzustand" und die komplexen Zusammenhänge zwischen den historischen, sozialen und philosophischen Gegebenheiten aufzuzeigen. Diese Verknüpfung und Erweiterung ins Metaphysische war für ihn von großer Bedeutung. Ebenso wichtig war es Hebbel, die "höchsten und wahrsten Interessen" der im Drama behandelten Zeit zu veranschaulichen, um eine möglichst große Lebendigkeit zu erreichen.
Er wollte zudem nicht nur ein realistisches Abbild seiner Umwelt zu schaffen, sondern es zusätzlich dramatisieren um seine Intention zu verdeutlichen.

Die dichterische Rahmenhandlung müsse deswegen künstlerisch ästhetisch so gestaltet werden, dass die Figuren wie in der Realität handeln und entscheiden. Dazu sei es nach Hebbel aber notwendig zu verallgemeinern, das heißt lediglich das Wesentliche zu erfassen und dann im Stück umzusetzen.
Die wahre Tragik offenbare sich für ihn nur dann, wenn der Individualwille des Einzelnen zu einem selbstzerstörerischen Konflikt in der Auseinandersetzung mit dem großen Ganzen führt. Gezwungen, sich diesem Konflikt hinzugeben, ist es dem Menschen nicht möglich die unüberwindbaren Gegensätze ohne Tragik zu lösen.

Dieses ästhetische Empfinden wird sehr deutlich in dem 1844 veröffentlichten Werk "Maria Magdalena". In diesem bürgerlichen Trauerspiel lässt Hebbel die bürgerliche Scheinmoral zur Ursache der Selbstzerstörung der Protagonistin Klara werden.
Tischlermeister Anton, der in dem 3-Akter als Personifikation ebendieser beschränkten Moralvorstellungen agiert, herrscht als rigoroser Patriarch über Frau und Kinder. In ständiger Angst um Verlust an Reputation und Macht, entwickelt er einen lebensfeindlichen Verhaltenskodex, den er mit allen Mitteln versucht seiner Familie, vor allem seinen Kindern Karl und Klara aufzuzwingen. Diese finden schon bald „in der Enge [ihres] häusliche[n] Kreise[s]“ (Text 2; Z.2) keine Lebensmöglichkeit mehr.

Im Glauben ihre Jugendliebe habe sie verlassen, lässt sich Klara mit Leonhardt, einem skrupellosen Egoisten, ein. Nicht aus Liebe, sondern nur um dem Gerede der Leute zu entgehen, verlobt sie sich schließlich mit ihm. Es kommt zur Verführung Klaras, bei der sie geschwängert wird. Doch nachdem Leonhardt erfahren hat, dass Klaras Vater die erwartete Mitgift für einen Schuldschein seines alten Lehrmeisters geopfert hat, wird Klara als Heiratsobjekt für ihn uninteressant. Als ihr Bruder Karl bald darauf des Diebstahls bezichtigt und verhaftet wird, bietet sich Leonhardt ein guter Vorwand um das Verlöbnis mit Klara zu lösen. Klaras zurückgekehrte Jugendliebe, der Sekretär, ist trotz der Schwangerschaft gewillt sie zu heiraten.
Um seine Ehre und seinen Stolz zu wahren, glaubt er Leonhardt beseitigen zu müssen.
Klara, die das nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren kann, wendet sich in völliger Verzweiflung ein letztes Mal an Leonhardt. Ihre Bitte, sie doch noch zu heiraten bleibt unerfüllt und so sieht sie keinen anderen Ausweg, als sich das Leben zu nehmen. Die Angst vor den Handlungen ihres Vaters, der bei weiterer Schande über die Familie seinen Selbstmord angedroht hat, ist zu groß. Bis zuletzt wird sich Meister Anton sich seiner Schuld, die in dem starren Festhalten an seinen überholten Wertvorstellungen liegt, nicht bewusst.

Hebbels Intention war es, die engen kleinbürgerlichen Moralvorstellungen in Zweifel zu ziehen und zu einer Erneuerung der bürgerlichen Sittlichkeit beizutragen. Das soziale Milieu der Hauptfiguren in „Maria Magdalena“ wurde dazu intensiv beleuchtet.
Durch die künstlerisch überhöhte Zuwendung zur Realität entwickelte Hebbel den sogenannten poetischen Realismus, der sich in der Ästhetik von dem Büchners unterscheidet. Zwar geht er in seinem Werk einen Bruch mit der Ständeklausel des Aristoteles ein, wählt aber dennoch die Form eines geschlossenen Dramas. Motiviert aus der unmittelbaren Wirklichkeit, löste auch er sich von komplizierten Konstruktionen und übersteigerten Pathos und bediente sich Alltagssprache zur Ausgestaltung der Charaktere. Hebbel blieb der geschlossenen Form des Dramas in Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung aber treu.

Während in den vorangehenden Epochen die Schönheit meist einem von der Mehrheit festgelegten Maßstab unterlag, ist es im Realismus der Autor, der den Dingen seine ganz eigene Schönheit verleiht. Das „objektive“ ästhetische Empfinden wurde durch ein „subjektives“ abgelöst.
Entgegen Gustav Freytags Behauptungen, lassen sich im sozialen Drama sehr wohl ästhetische Momente finden, auch wenn diese vielleicht nicht dem Schönheitsempfinden eines klassischen Dichters entsprechen. In seinen Ausführungen wird er dem sozialen Drama nicht gerecht. Hermann Hettner hingegen wird es, da er Ästhetik nicht vom Stand oder der Bedeutung der Figuren abhängig macht.
Inhalt
Aussagen über das soziale Drama, Vergleich von Büchners und Hebbels Dramenauffassung - Werke: "Woyzeck" und "Maria Magdalena", Deutsch Abi Klausur Aufgabe, offenes Drama, geschlossenes Drama.

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