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Interpretation und Zusammenfassung

Alles zu Friedrich Schiller  - Kabale und Liebe

FRIEDRICH SCHILLER - KABALE UND LIEBE


Analyse / Interpretation / Zusammenfassung
1.AKT
1. und 2.Szene: Dicke Luft bei Millers
Die Zuschauer werden am Beginn des 1.Akts ohne jede Einleitung mit einem Streitgespräch konfrontiert, das offensichtlich schon eine Weile in Gang ist. „Einmal für allemal", sagt der Stadtmusikus Miller zu seiner Frau, die noch im Nachthemd ihren Kaffee schlürft. „Der Handel wird ernsthaft. Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei. Mein Haus wird verrufen. Der Präsident bekommt Wind, und – kurz und gut, ich biete dem Junker aus." Noch weiß das Publikum nicht genau, welches Problem den Musikus quält, aber schon bald werden die Zusammenhänge klarer: „Nehmen kann er das Mädel nicht", der Baron nämlich, „Vom Nehmen ist gar keine Rede nicht, und zu einer daß Gott erbarm? – Guten Morgen!" (I/1) Miller spricht in Andeutungen, aber man ahnt, welche Fortsetzung der elliptische Satz haben sollte: Zu einer Mätresse ist ihm seine Tochter zu schade.
Stadtmusikus Miller ist fest entschlossen, der Liaison zwischen dem Baron und seiner Tochter ein Ende zu setzen. Er wird zum Präsidenten, dem Vater des Barons, gehen und wird ihm die Sache verraten: „Dero Her Sohn haben ein Aug auf meine Tochter; meine Tochter ist zu schlecht für dero Herrn Sohnes Frau, aber zu dero Herrn Sohnes Hure ist meine Tochter zu kostbar; und damit basta! – Ich heiße Miller." (I/1)
Die Frau des Musikus sieht die Sache anders. Sie versucht Miller zu beruhigen. Ihm könne man doch keinen Vorwurf machen. Und seinem Verdacht, dem Baron von Walter ginge es hauptsächlich darum die Tochter zu verführen, setzt sie entgegen: „Solltest nur die wunderhübschen Billetter auch lesen, die der gnädige Herr an deine Tochter als schreiben tut. Guter Gott! Da sieht mans ja sonnenklar, wie es ihm pur um ihre schöne Seele zu tun ist." Sie weiß auch die „Präsenter" des Barons zu schätzen. Miller ist aber nicht umzustimmen. Was seine Frau vorbringt, erscheint ihm lächerlich, dumm und eitel.
Eine weitere Figur tritt auf: Wurm, der Sekretär des Präsidenten, betrachtet sich offensichtlich als Luises künftiger Bräutigam. Aber seinem Ansinnen widersetzt sich nicht nur Frau Miller, die den Sekretär rundheraus wissen lässt, dass „halt der liebe Gott meine Tochter barrdu zur gnädigen Madam will haben", sondern auch Miller selbst, dieser allerdings aus anderen Gründen. Wurm bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass der Vater die Tochter überreden wird, den Sekretär zu heiraten, aber Miller hält dies für ein Zeichen mangelnder Courage. Ein Liebender, der nicht im Stande ist seine Interessen bei der geliebten Frau selbst zu betreiben, ist für ihn ein „Hasenfuß", für den „keine Luisen gewachsen" sind. Gekränkt verlässt Wurm Millers Haus. Er weiß jetzt von der Verbindung zwischen Ferdinand von Walter und Luise Miller und sieht seine eigenen Aussichten auf Luise erheblich geschmälert. Das wird sich noch rächen.
3.Szene: Die Heldin tritt auf und spricht nur von ihrer unbedingten Liebe
In der 3.Szene stellt Schiller die weibliche Hauptfigur vor. Sie kommt von der Kirche. Offen spricht sie vor ihren Eltern von ihrer heftigen Liebe zu Ferdinand von Walter. „Als ich ihn das erstemal sah – und mir das Blut in die Wangen stieg, froher jagten alle Pulse, jede Wallung sprach, jeder Atem lispelte: Er ists (...) Damals – o damals ging in meiner Seele der erste Morgen auf. Tausend junge Gefühle schossen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus dem Erdreich, wenns Frühling wird. (...) ich wußte von keinem Gott mehr, und doch hatt ich ihn nie so geliebt." In dieser für den Sturm und Drang so typischen emotional-bildhaften Sprache wird dem Zuschauer die Absolutheit dieser Liebe klar. In diesem scheinbar paradoxen Bild „ich wußte von keinem Gott mehr, und doch hatt ich ihn nie so geliebt" drückt sich jene Sakralisierung der Liebe aus, die im Zeitalter der Empfindsamkeit verbreitet war. Man denke in diesem Zusammenhang an Goethes Werther. Im Liebeserlebnis offenbart sich das Göttliche. Luise ist allerdings nicht so naiv wie ihre Mutter, die darauf hofft, dass es zwischen ihrer Tochter und Ferdinand von Walter tatsächlich zu einer ehelichen Verbindung kommen könne. Lusie spricht die „Schranken des Unterschieds", die „verhaßten Hülsen des Standes" an. Sie weiß, dass sie Ferdinand „für dieses Leben" entsagen muss. Dazu ist sie bereit, weil sie auf eine andere Welt hofft, in der „die prächtigen Titel wohlfeil werden, wenn Gott kommt, und die Herzen im Preise steigen. Ich werde dann reich sein."
4.Szene: Und jetzt kommt der Held und sagt zunächst einmal: „Du bist blaß, Luise"
Auch für Ferdinand ist die Liebe zu Luise ein absolutes Gefühl, das keinerlei Einschränkungen erduldet. Im Gegensatz zu Miller und Luise sieht Ferdinand in der ständischen Zugehörigkeit kein unüberwindliches Hindernis: Laß doch sehen, ob mein Adelsbrief älter ist als der Riß zum unendlichen Weltall? oder mein Wappen gültiger als die Handschrift des Himmels in Luisens Augen? (...) Ich fürchte nichts- nichts – als die Grenzen deiner Liebe."
5.-7. Szene: Schauplatzwechsel: Von der Bürgerstube in den „Saal beim Präsidenten"
Wurm informiert den Präsidenten darüber, dass sein Sohn Ferdinand eine Beziehung zu Luise Miller unterhält. Der Präsident ist nicht beunruhigt. Er ist davon überzeugt, dass Ferdinand die „Bürgerkanaille" nur mit schönen Worten und Geschenken dazu bringen will, mit ihm zu schlafen. Dies sei verständlich und zeige, falls die Liaison mit einem Kind abgeschlossen wird, dass er seine Sache versteht. „(...) so trink ich auf die guten Absichten meines Stammbaums eine Bouteille Malaga mehr, und bezahle die Skortationsstrafe für seine Dirne." Von einer legitimen Verbindung zwischen Ferdinand und Luise kann natürlich für den Präsidenten gar keine Rede sein. Er hat mit seinem Sohn ganz andere Ehepläne. Ferdinand soll Lady Milford heiraten. Sie ist die Mätresse des Fürsten, und durch diese günstige Verbindung hofft Präsident von Walter, auf alle Zeiten die Gunst des Fürsten für sich und seine Familie zu sichern. Damit an dieser Verbindung nicht mehr der geringste Zweifel gelassen wird, wird der dümmlich-geschwätzige Hofmarschall von Kalb beauftragt, die Neuigkeit in der ganzen Stadt zu verbreiten.
7.Szene: Der Vater-Sohn-Konflikt
Präsident von Walter unterschätzt die Widerstandskraft seines Sohns. Alle Aussichten auf eine große Karriere bei Hofe haben für Ferdinand keinen Wert, und den Befehl des Vaters, sich bei Lady Milford einzufinden und förmlich um ihre Hand anzuhalten, beantwortet Ferdinand so: „Ja, ich will zu ihr – will hin – will ihr Dinge sagen, will ihr einen Spiegel vorhalten – Nichtswürdige! und wenn du auch noch dann meine Hand verlangst – Im Angesicht des versammelten Adels, des Militärs und des Volks – Umgürte dich mit dem ganzen Stolz deines Englands – Ich verwerfe dich – ein deutscher Jüngling."
2.AKT
1.-3.Szene: Lady Milford – das gar nicht stereotypes Bild einer Mätresse
Das Publikum kennt Lady Milford bisher nur aus Gesprächen. Nun bringt sie der Autor auf die Bühne und revidiert schrittweise das Vorurteil, das die meisten von der Mätresse des Herzogs vermutlich haben. Im Gespräch mit ihrem Kammermädchen macht Lady Milford aus ihrer Abneigung gegen die Menschen bei Hof, ja sogar aus ihrer Distanz zum Herzog kein Geheimnis. Von „schlechten, erbärmlichen Menschen" spricht sie (II/1), von Leuten, deren „Seelen so gleich als ihre Sackuhren gehen". Der Herzog scheint ihr ohne jedes „schöne Gefühl" zu sein. Ihre sinnlichen und materiellen Wünsche werden zwar rundherum zufrieden gestellt , aber ihr „Herz hungert bei all dem Vollauf der Sinne". Lady Milfords Zukunftshoffnung ist Major Ferdinand von Walter. Geschickt hat sie die künftige eheliche Verbindung mit ihm in die Wege geleitet. Was die anderen Beteiligten - der Herzog, der Präsident, der Hofmarschall - für eine pfiffige „Hofkabale" halten, ist in Wahrheit ein Herzenswunsch Lady Milfords. Sie liebt Ferdinand von Walter. Bevor Schiller die Lady mit Ferdinand direkt konfrontiert, schiebt er noch die berühmte Kammerdiener-Szene ein, in der der Autor scharfe Zeitkritik übt.
Ein Kammerdiener bringt Lady Milford auf Befehl des Herzogs wertvolle Brillanten. Auf die Frage, was der Herzog für diese Steine bezahle, antwortet der Kammerdiener: „Sie kosten ihm keinen Heller". Lady Milford muss erfahren, dass dieser Luxus, der ihr zugedacht ist, durch den Verkauf von jungen Männern an die englische Armee finanziert wird. Sie werden zwangsrekrutiert, um in Amerika gegen die Aufständischen zu kämpfen. Anschaulich schildert der Kammerdiener, dessen Söhne auch zu den Rekruten zählen, das menschliche Elend. Wer sich auch nur mit Worten gegen die Zwangsrekrutierung wehrte, wurde niedergeschossen, heulende Kinder liefen hinter ihren abmarschierenden Vätern her, Bräutigam und Braut wurden mit Säbelhieben auseinander gerissen. Lady Milford ist entsetzt über das Elend, das der Herzog hinter ihrem Rücken (und auch zu ihren Gunsten) unter seinem Volk anrichtet. Sie will dafür sorgen, dass wenigstens die Söhne des Kammerdieners zurückgeholt werden. Den Schmuck will sie verwenden um vierhundert Menschen zu helfen, die kürzlich durch einen Brand in Not geraten sind.
Ferdinand von Walter kommt zu Lady Milford – ausschließlich auf Befehl seines Vaters, sagt er, und die Lady ahnt wohl schon nach den ersten Sätzen, dass diese Unterredung nicht das Ergebnis bringen wird, das sie sich wünscht. Ferdinand ist sehr offen. Er denkt gar nicht daran Lady Milford zu heiraten, hält ihr ihr Dasein als Mätresse vor und macht sie mitverantwortlich für die wachsende Ausbeutung und Unterdrückung des Volkes. Lady Milford erzählt Ferdinand von Walter daraufhin ihre Lebensgeschichte: Sie stammt aus einem alten englischen Adelsgeschlecht, dessen Güter der Krone zufielen, weil der Vater verräterischer Beziehungen mit Frankreich bezichtigt wurde. Die Familie wurde des Landes verwiesen, die Lady kam als junges Mädchen fast mittellos nach Deutschland und wurde dort aufgrund dieser Umstände zur Favoritin des Herzogs. An zahlreichen Beispielen kann Lady Milford nachweisen, dass ihr Einfluss auf den Herzog vielen Menschen genützt hat. Dass sie dadurch Leid verhindert, nicht bewirkt hat. Ferdinand hat durch diese Schilderung sein Bild von Lady Milford korrigiert und er bittet die unglückliche Frau um Vergebung für seine ungerechtfertigten Vorwürfe, aber an seinem Entschluss, sich der geplanten Heirat zu widersetzen, ändert dies nichts.
4.-7.Szene: Szenenwechsel: Bei Millers ist der Teufel los

Für die Familie Miller wird die Lage bedrohlich. Der Präsident hat ja mittlerweile von der Liebe seines Sohns zu Luise erfahren, und man weiß, dass er alle denkbaren Mittel dagegen einsetzen wird. Ferdinand versichert Luise seiner unbedingten Treue. „Der Augenblick, der diese zwo Hände trennt, zerreißt auch den Faden zwischen mir und der Schöpfung." (II/5). In der 6. und 7. Szene setzt Schiller einen Handlungshöhepunkt, indem er die Hauptbeteiligten am Konflikt in der Stube des Musikus Miller zusammenführt. In dieser Szene erweist sich Schiller wieder einmal als Großmeister der Kommunikationspsychologie und der dramatischen Steigerung. Diese Szenen sollen daher etwas genauer analysiert werden:
Ferdinand, Luise und das Ehepaar Miller werden in Millers Haus von einem unerwarteten Besuch des Präsidenten überrascht. Nachdem sich Präsident von Walter über die Identität der Anwesenden Klarheit verschafft hat, spricht er Luise direkt an: „Wie lang kennt sie den Sohn des Präsidenten?" Luise durchschaut die Döppelbödigkeit in dieser Formulierung und weist die indirekte Unterstellung, es gehe ihr um den sozialen Rang des Geliebten, zurück, indem sie antwortet: „Diesem habe ich nie nachgefragt. Ferdinand von Walter besucht mich seit dem November." Ferdinand ergänzt: „Betet sie an." „Erhielt sie Versicherungen?", will der Präsident wissen und Ferdinand antwortet anstelle Luises: „Vor wenigen Augenblicken die feierlichste im Angesicht Gottes." Immer wieder schaltet sich nun Ferdinand in das Gespräch ein, bekräftigt und ergänzt, was Luise auf die Fragen des Präsidenten antwortet. Die ohnedies schon gespannte Kommunikationssituation wird noch verschärft, indem der Präsident Luise fragt, ob sie von seinem Sohn nicht „jederzeit bar" bezahlt worden ist, da doch jedes Handwerk seinen goldenen Boden habe, „oder wars Ihr vielleicht mit dem bloßen Verschluß gedient?" Dieses einigermaßen frivole Bild verstehen alle und reagieren entsprechend. Ferdinand verlangt Ehrfurcht vor Luises Tugend, was der Vater höhnisch zurückweist. Luise sagt: „Herr von Walter, jetzt sind Sie frei" und Musikus Miller kann die Unterstellung, seine Tochter betätige sich als Prostituierte, nicht auf sich sitzen lassen. Das bürgerliche Selbstwertgefühl empört sich gegen die Anmaßung des Aristokraten: „(...) mit Buhlschaften dien ich nicht. Solang der Hof da noch Vorrat hat, kommt die Lieferung nicht an uns Bürgersleut..(...) Euer Exzellenz schalten und walten im Land. Das ist meine Stube (...) den ungehobelten Gast werf ich zu Tür hinaus – Halten zu Gnaden."
Der Konflikt eskaliert also. Präsident von Walter will seine Machtposition zur Gänze ausnützen: „Vater ins Zuchthaus – an den Pranger Mutter und Metze von Tochter!" Gerichtsdiener treten auf. Ferdinand ist aber nicht bereit, dem Treiben seines Vaters tatenlos zuzuschauen. Als alle anderen Mittel versagt haben, greift er zum Äußersten. „Kein menschliches Mittel ließ ich unversucht – ich muß zu einem teuflischen schreiten – Ihr führt sie zum Pranger fort, unterdessen (zum Präsidenten ins Ohr rufend) erzähl ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird." Diese Drohung wirkt. Noch einmal kann Ferdinand die Katastrophe von Luise und ihrer Familie abwenden (retardierendes Moment).
3.AKT
1. und 2. Szene: Wie man eine „Kabale" spinnt- und Tragisches mit Komischem vermischt
Präsident von Walter hat die Entschlossenheit seines Sohns unterschätzt. So ist er in eine unangenehme Situation geraten. Wenn seine Plan mit Lady Milford nicht aufgeht, ist sein Einfluss bei Hofe bedroht. Versucht er Ferdinand zu dieser Heirat zu zwingen, besteht die Gefahr, dass Ferdinand der Residenz tatsächlich eine Geschichte erzählt, „wie man Präsident wird" (nämlich durch heimtückische Ermordung eines Mitbewerbers um dieses Amt). Sekretär Wurm, der bekanntlich seine persönlichen Interessen am Fall Luise Miller hat, wird nun zum teuflischen Berater und Helfer. Psychologisch und logistisch geschickt entwickelt er das Konzept für eine Intrige. Davon überzeugt, dass der maßlos Liebende auch maßlos eifersüchtig wird, wenn er sich betrogen glaubt, will Sekretär Wurm, der hier natürlich seinem Namen alle Ehre macht, Luise bei Ferdinand von Walter in den Verdacht der Untreue bringen. Das Mittel dazu soll ein Liebesbrief von Luise an einen anderen Mann sein, und Wurm weiß auch schon, wie er Luise dazu bewegen kann, diesen Brief zu schreiben. Sie hängt sehr an ihrem Vater. Man wird Miller einsperren und Luise mitteilen, dass er nur dann dem Schafott entgehen könne, wenn sie sich auf das üble Spiel des Sekretärs einlässt. Damit Ferdinand nicht die Wahrheit erfährt, muss Luise einen Eid schwören, ihm gegenüber die Echtheit des Briefs zu bestätigen. „Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf?" wendet der Präsident gegen den Plan ein, aber Wurm entgegnet: „Nichts bei uns, gnädiger Herr. Bei dieser Menschenart alles." Wurm weiß, dass für ein wohlerzogenes bürgerliches Mädchen wie Luise ein Eid absolut bindend ist. Die moralische Überlegenheit des Bürgertums gegenüber der höfischen Welt, im Bürgerlichen Trauerspiel mehrmals thematisiert, ist auch hier erkennbar.
Zu Luises fiktivem Liebhaber wird Hofmarschall von Kalb ausgewählt. In der 2.Szene des 3.Akts überzeugt ihn Präsident von Walter davon, dass dies auch für ihn die einzige Möglichkeit ist, seine Position am Hof zu behaupten, da er ja das Gerücht von der Verheiratung der Lady mit Ferdinand überall herumerzählt hat und im Falle des Scheiterns als Lügner dastehen würde. Der Hofmarschall wird von Schiller satirisch gezeichnet; der tragische Grundton des Stücks wird von einer komischen Szene unterbrochen. Die Vermischung der Stilebenen, die in der klassizistischen Ästhetik des 17. und 18.Jhs. abgelehnt wurde, wird hier zum bewusst eingesetzten Stilmittel. Der Einfluss Shakespeares auf die junge Dramatikergeneration des 18. Jhs. ist deutlich erkennbar. Am Beispiel des Hofmarschalls zeigt Schiller die Oberflächlichkeit und Dummheit des Hoflebens. Die Geschichte, warum er und ein gewisser von Bock „Todfeinde" geworden sind, hat geradezu kabarettistische Qualität. Am Ende der Szene ist Hofmarschall von Kalb – trotz seiner Bedenken wegen des Standesunterschieds! – dazu bereit, Luises angeblichen Liebhaber zu simulieren.
4. Szene: Hintergründe einer zertrümmerten Violine
Ferdinand ist nach wie vor entschlossen, seiner Liebe zu Luise nicht zu entsagen. Er schlägt ihr vor, mit ihm zu fliehen. Ferdinand fühlt sich dazu berechtigt, seinem Vater Geld zu entwenden, um diese Flucht finanzieren zu können. Luises ersten Einwand, sie könne ihrem Vater das nicht antun, weist Ferdinand zurück. Der alte Miller soll eben mitkommen. Luise macht aber noch weitere Einwände geltend. „Und der Fluch deines Vaters uns nach? – ein Fluch (...) der uns Flüchtlinge, unbarmherzig wie ein Gespenst, von Meer zu Meer jagen würde?" Luise ist im Gegensatz zu Ferdinand dazu bereit, die sozialen Konventionen und die ständische Ordnung als letztlich gottgewollte Weltordnung anzuerkennen und sich dieser zu unterwerfen: „(...) dein Herz gehört deinem Stande – Mein Anspruch war Kirchenraub." Sie will „einem Bündnis entsagen, das die Fugen der Bürgerwelt auseinandertreiben, und die allgemeine ewige Ordnung zugrund stürzen würde." Während sich Ferdinands Aggression mach außen wendet, gegen eine in seinen Augen ungerechte und vor allem herzlose Gesellschaft, die ständische Strukturen über die viel beschworene „Stimme des Herzens" stellt, richtet sich Luises Aggression gegen sich selbst. „Ich bin die Verbrecherin", sagt sie, und ihr Unglück empfindet sie als letztlich gerechte Strafe. Ferdinand von Walter fühlt wohl den Riss, der nun seine Beziehung zu Luise zu zerstören droht. In der Regieanweisung setzt Schiller deutliche Zeichen: Ferdinand „hat in der Zerstreuung und Wut eine Violine ergriffen und auf derselben zu spielen versucht – Jetzt zerreißt er die Saiten, zerschmettert das Instrument auf dem Boden und bricht in ein lautes Gelächter aus." Die zerschlagene Violine wird zum Symbol der zerstörten Harmonie zwischen Luise und Ferdinand. Am Schluss der Szene setzt Schiller (hier wieder einmal ein Meister psychologischer Kausalität!) einen Akzent, den er überzeugend vorbereitet hat und der gleichzeitig die Voraussetzung dafür schafft, dass Ferdinand im vierten Akt so leichtgläubig auf die Intrige des Präsidenten hereinfällt. Ferdinand verdächtigt Luise der Untreue: „Schlange, du lügst (...) Kalte Pflicht gegen feurige Liebe! – Und mich soll das Märchen blenden? – Ein Liebhaber fesselt dich, und Weh über dich und ihn, wenn mein Verdacht sich bestätigt."
5. und 6. Szene: Der erfolgreiche Intrigant
Ferdinand „geht schnell ab", Luise bleibt allein zurück – ein kurzer Monolog, dann betritt Sekretär Wurm das Zimmer. Wurms Intrige (siehe III/1) scheint zu glücken. Aus Angst um den geliebten Vater ist Luise bereit, den folgenreichen Liebesbrief an Hofmarschall von Kalb zu schreiben.
4.AKT
1.-5. Szene: Der Brief ist angekommen, der Held wütet
Schiller beschleunigt nun den Ablauf, indem er einen Zeitsprung macht. Luises verhängnisvoller Brief ist in die richtigen Hände gekommen: „Ferdinand allein, den Brief durchfliegend, bald erstarrend, bald wütend herumstürzend" – so die Regieanweisung. Ferdinand von Walter fühlt sich in dem Verdacht, den er gegen Luise bereits in der 4.Szene des 3.Akts hegte, bestätigt. Durch einen großen Monolog bringt Schiller Ferdinands Gefühlszustand und das Bild, das er jetzt von Luise hat, zur Sprache. Es ist das Bild einer berechnenden Heuchlerin, die Liebe, Leidenschaft, Angst vor Entdeckung usw. meisterhaft zu spielen weiß, die Zeichen wie Tränen, Erröten und ohmächtiges Niedersinken virtuos setzen kann und deren Herz an nichts anderem hängt als an der eitlen Lust des Geschlechterspiels. In seiner verzweifelten Wut sucht Ferdinand die Begegnung mit seinem vermeintlichen Konkurrenten. Nach einem hitzig geführten Dialog setzt er Hofmarschall von Kalb die Pistole an die Schläfe. Er soll gestehen, wie „weit" er bei Luise gekommen ist. In seiner Todesangst verrät von Kalb, dass Ferdinand vom eigene Vater betrogen worden ist, Wahrheitsgemäß bekennt der Hofmarschall, dass er Luise noch nie gesehen hat. Aber Ferdinand will die Wahrheit nicht glauben. Er stößt von Kalb aus dem Zimmer und fasst nun den Entschluss zu Mord und Selbstmord, zu dem er sich berechtigt fühlt, weil diese Liebe für ihn alles war. „Das Mädchen ist mein! Ich einst ihr Gott, jetzt ihr Teufel!" Die grauenhafte Vision einer Vermählung in der Hölle kommt ihm in den Sinn (Regieanweisung: „Die Augen graß in einen Winkel geworfen"): „Eine Ewigkeit mit ihr auf ein Rad der Verdammnis geflochten – Augen in Augen wurzelnd – Haare zu Berge stehend gegen Haare – Auch unser hohles Wimmern in eins geschmolzen – Und jetzt zu wiederholen meine Zärtlichkeiten, und jetzt ihr vorzusingen ihre Schwüre- Gott! Gott! Die Vermählung ist fürchterlich – aber ewig!"
6.-10. Szene: „Schrecklich harmonisches Fühlen": Luise Miller begegnet Lady Milford
Bevor Schiller den Haupthandlungsstrang weiterführt, fügt er noch zwei Szenen ein, in denen er Luise Miller mit Lady Milford konfrontiert. Die Lady hat Luise unter dem Vorwand, sie als Zofe anzustellen, zu sich kommen lassen. Sie sieht dieser Begegnung mit gespaltenen Gefühlen entgegen. Einerseits will sie die Frau kennen lernen, die von dem Mann so heftig geliebt wird, der sie selbst zurückweist. Andererseits fürchtet sie diese Begegnung, denn sie weiß, dass sie keine gute Ausgangsposition hat. Die Ermutigung des Kammermädchens Sophie, sich doch an Herkunft, Rang und Macht zu erinnern, tut sie mit Recht als Geschwätz einer Närrin ab, denn alle diese Vorzüge machen den wesentlichen Nachteil nicht wett: den Nachteil, die ungeliebte Frau zu sein.
Luise Miller betritt das Zimmer. Der Dialog wird zum Machtkampf. Lady Milford tut anfangs so, als würde sie sich nur mit Mühe an den Namen ihrer Besucherin erinnern und spricht explizit von der „armen Geigerstochter". Luises Selbstachtung wird durch diese Redestrategie nicht beeinträchtigt. Schon in Schillers Regieanweisungen zu Luises (Sprech-)verhalten ist immer wieder der ungebrochene Stolz spürbar, den er seiner Protagonistin wünscht („groß, mit entschiednem Ton", „gelassen und edel"; „fein und scharf ihr in die Augen sehend", „standhaft"). Zur Überlegenheit der geliebten Frau kommt bei Luise auch noch das bürgerliche Selbstbewusstsein, das sich auf die Gewissheit moralischer Überlegenheit stützt. Als Lady Milford ihr die Stelle des Kammermädchens in Aussicht stellt und gleichzeitig meint, nur so könne Luise „Manieren und Welt lernen" und sich ihrer „bürgerlichen Vorurteile entledigen", entgegnet Luise: „Auch meiner bürgerlichen Unschuld, Mylady?" Ohne Furcht vor möglichen Konsequenzen weist Luise das Angebot zurück. Unter anderem begründet sie dies damit, dass es für Lady Milford wohl unerträglich sein müsse, ein Beispiel weiblicher Unschuld um sich zu haben, wenn sie selbst gerade auf dem Wege zu ihrem Vergnügen sei oder von dort zurückkomme. Lady Milford hat erhebliche Probleme mit Luises souveränem Auftreten. Sie wird von unterschiedlichen und durchaus gegensätzlichen Gefühlen beherrscht. Augenblicke der verständnisvollen Zuwendung zu einer jungen Frau, die ähnlich fühlt wie sie selbst, wechseln mit Phasen, in denen sie (wirkungslos) die Überlegenheit des Standes hervorkehren will; und letztlich wird sie in ihren düstersten Minuten zur tödlich gekränkten Frau, die ihre Machtmittel für eine fürchterliche Rache missbrauchen will. „Felsen und Abgründe will ich zwischen euch werfen ; eine Furie will ich mitten durch euren Himmel gehen; (...) Ich kann nicht mit ihm glücklich werden – aber du sollst es auch nicht werden – Wisse das, Elende! Seligkeit zerstören ist auch Seligkeit." Luise reagiert gelassen: „Sie sind nicht fähig ein Geschöpf zu quälen, das Ihnen nichts zuleide getan hat, als daß es empfunden hat wie Sie." Und mit dem großmütig-verzeihendem Gestus der unbedingten Siegerin fügt sie hinzu: „Aber ich liebe Sie um dieser Wallung willen, Mylady."
Am Schluss des 4.Akts will Lady Milford mit ihren Brillanten Luise dazu bewegen, auf Ferdinand von Walter zu verzichten. Luise wird verzichten, aber freiwillig. Geld und Schmuck haben keine Bedeutung mehr für sie. Am Schluss der Szene greift Luise ein Bild auf, das Lady Milford soeben noch verwendet hat. „(...)mein Name soll eure Küsse, wie ein Gespenst Verbrecher auseinanderscheuchen: deine junge blühende Gestalt unter seiner Umarmung welk wie eine Mumie zusammenfallen", sagte die Lady in einem Anfall rasender Eifersucht. Von einem Gespenst spricht jetzt auch Luise: „Jetzt ist er Ihnen! Jetzt, Mylady, nehmen sie ihn hin! Rennen Sie in seine Arme! Reißen Sie ihn zum Altar – Nur vergessen Sie nicht, daß zwischen Ihren Brautkuß das Gespenst einer Selbstmörderin stürzen wird."
Für Lady Milford wird dieses Gespräch zum entscheidenden Wendepunkt. Sie entschließt sich, ihre Beziehung zum Herzog zu lösen und das Land zu verlassen.
5.AKT
1.-8.Szene: Durchwegs starke Abgänge
Luise ist nach wie vor zum Selbstmord entschlossen. Der Tod löst sie auch von der Verpflichtung, den Schwur einzuhalten, den sie Wurm geleistet hat. Sie schreibt einen klärenden Brief an Ferdinand, vertraut sich aber ihrem Vater an, und Miller ist natürlich nicht bereit, dem geplanten Freitod seiner Tochter einfach zuzuschauen. Hin- und hergerissen zwischen ihrer unglückseligen Liebe zu Ferdinand und der Liebe zum Vater entscheidet sie sich letztlich dazu, Millers verzweifeltem Drängen nachzugeben. Sie zerreißt den Brief und will gemeinsam mit dem Vater die Stadt verlassen. Da kommt Ferdinand von Walter und konfrontiert Luise mit ihrem Brief an den Hofmarschall. Luise fühlt sich durch ihren Eid gebunden und bestätigt Ferdinand, dass sie den Brief geschrieben habe. Ferdinand ist dazu entschlossen Luise und sich selbst zu ermorden. Er lässt sich eine Limonade zubereiten, schickt den alten Miller mit einer Botschaft an den Präsidenten weg und ist nun mit Luise allein. In einem unbeobachteten Augenblick schüttet er Gift in die Limonade, trinkt selbst davon und veranlasst auch Luise die Limonade zu kosten. „Du wirst nicht aus dem Zimmer gehen", sagt Ferdinand und Luise wird schlagartig klar, dass sie sterben wird. Nun, angesichts des unausweichlichen Todes, fühlt sie sich nicht mehr an den Eid gebunden. Ferdinand muss erfahren, dass er eine Unschuldige getötet hat.
Luise ist bereits gestorben, als Miller mit dem Präsidenten zurückkommt. Ferdinand konfrontiert seinen Vater mit den Folgen seiner „Kabalen". „Weide dich an der entsetzlichen Frucht deines Witzes, auf dieses Gesicht ist mit Verzerrungen dein Name geschrieben, und die Würgengel werden ihn lesen – Eine Gestalt wie diese (Anm. Luise) ziehe den Vorhang von deinem Bette, wenn du schläfst, und gebe dir ihre eiskalte Hand – Eine Gestalt wie diese stehe vor deiner Seele, wenn du stirbst, und dränge dein letztes Gebet weg (...)". Der Präsident will die Schuld auf Wurm überwälzen, aber der weiß sich zu wehren. Nun wird er tun, was Ferdinand einmal angedroht hat, nämlich der Residenz eine Geschichte erzählen, wie man Präsident wird. So ist am Ende alles zerstört. Den sterbenden Ferdinand fleht der Präsident noch um einen verzeihenden Blick an. Ferdinand reicht ihm tatsächlich „seine sterbende Hand." Der Präsident liefert sich den Gerichtsdienern aus.
2. ENTSTEHUNGSUMSTÄNDE
2.1. Historisch-biographischer Kontext
Das Fürstentum Württemberg wurde während der Regierungszeit des Herzogs Karl Eugen (1745-1793) zum typischen Beispiel absolutistischer Machtausübung und eines damit verbundenen Repräsentationsstils. Der Hofstaat des Herzogs umfasste etwa 2000 Personen. Ging der Herzog auf Reisen, begleiteten ihn 700 Personen und 600 Pferde. Große Festveranstaltungen der Aristokratie verschlangen bis zu 400 000 Gulden.
Bei der Geldbeschaffung war Karl Eugen nicht skrupulös. Seit dem Siebenjährigen Krieg war es in Deutschland nicht ungewöhnlich, junge Männer als „freiwillige" Soldaten an ausländische Herrscher zu verleihen oder zu verkaufen. In der Kammerdiener-Szene von „Kabale und Liebe" thematisiert Schiller diese menschenverachtende Politik der Geldbeschaffung. Im Jahr 1776 versuchte auch der Herzog von Württemberg 3000 Soldaten an England zu „liefern", damit sie im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die aufständischen Kolonien eingesetzt werden können. Aus dem Handel wurde allerdings nichts, weil Württemberg mittlerweile schon so verarmt war, dass es nicht im Stande war, die 3000 Mann angemessen auszurüsten.
Auch das Mätressenwesen, das in „Kabale und Liebe" dargestellt wird, konnte man am württembergischen Hof eingehend studieren. Herzog Karl Eugens „Favoritin" war zunächst die Venezianierin Katharina Bonafini, die 1771 dem Herzog einen Knaben gebar und daraufhin an einen Rittmeister von Poeltzig verheiratet wurde. Seit etwa 1780 war Franziska von Leutrum, Reichsgräfin von Hohenheim, die Mätresse des Herzogs, der nebenbei auch verheiratet war. Man sagt Franziska von Leutrum einen günstigen Einfluss auf Karl Eugen nach. Sie soll das Vorbild für die Gestaltung der Lady Milford gewesen sein.
Der 1759 in Marbach (Württemberg) geborene Friedrich Schiller verspürte schon als Jugendlicher die Folgen absolutistischer Herrschaft und schrankenloser fürstlicher Machtpolitik. Auf Befehl des Herzogs Karl Eugen musste er 1773 die Ludwigsburger Lateinschule verlassen und auf der herzoglichen Militärakademie zunächst Jura, dann Medizin studieren. 1780 schloss er das Studium ab und wurde Regimentsarzt. Seine heftige Abneigung gegen die Willkür des gesellschaftlichen Establishments zeigte sich schon in Schillers erstem Drama „Die Räuber". Die Hauptfigur Karl Moor ist ja nicht nur mit seinem Vater zerstritten, sondern generell von der ihn umgebenden Gesellschaft angewidert.
Als Schiller 1782 heimlich nach Mannheim reiste, um bei der Aufführung der „Räuber" dabei sein zu können, beantwortete der Herzog diese unerlaubte Reise mit generellem Schreibverbot, worauf Schiller über Mannheim nach Thüringen floh. Er versuchte nun als freier Schriftsteller zu leben, schrieb zunächst sein zweites, nicht sonderlich erfolgreiches Stück „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" (UA 1783) und kurze Zeit später „Kabale und Liebe" (1784, ursprünglicher Titel: „Luise Millerin").
2.2. Direkte literarische Einflüsse
Handlungsführung und Figurenzeichnung von „Kabale und Liebe" sind zu einem nicht unerheblichen Teil an Vorbildern orientiert, die literarästhetisch deutlich schwächer sind als Schillers Stück, die aber nicht unerwähnt bleiben sollen. Zunächst ist hier Heinrich Leopold Wagners Drama „Die Reue nach der Tat" (1775) zu erwähnen, das Schiller nachweislich kannte. Der Handlungsverlauf von „Kabale und Liebe" hat deutliche Ähnlichkeiten mit diesem Stück. Die Hauptfigur Ferdinand von Walter wiederum hat ein Vorbild in „Julius von Tarent" (1776) von Johann Anton Leisewitz. Ähnlichkeiten in der Personenkonstellation und im Hinblick auf einige Handlungselemente ergeben sich auch mit dem rührseligen Schauspiel „Der deutsche Hausvater" von Otto von Gemmingen und mit dem Unterhaltungsroman „Sigwart" (1776) von Johann Martin Miller. In allen diesen Werken ist das Spannungsfeld Adel-Bürgertum handlungsprägend.
Als hochwertiges literarisches Vorbild muss natürlich Gotthold Ephraim Lessings „Emilia Galotti" genannt werden. Bis in einzelne Formulierungen hinein kann man den Einfluss Lessings auf Schillers Drama nachweisen. Lessing war es ja zu verdanken, dass das in England beheimatete „Bürgerliche Trauerspiel" auch in der deutschen Bühnenliteratur ihren Platz fand.
2.3. Zum Genre „Bürgerliches Trauerspiel"
Die Tragödie des 17. und frühen 18.Jahrhunderts zeigte im Mittelpunkt der Handlung stets eine Hauptfigur, die der Aristokratie angehörte. Tragische Schicksale - so scheint es - konnten nur Angehörige des ersten Standes haben, während die Schicksale niederer Standespersonen, also der Bürger und Bauern, als unerheblich galten. Bürger und Bauern taugten als komische Figuren. Die lächerlichen Bühnenhelden des französischen Komödiendichters Moliere, vom eingebildeten Kranken bis zu Tartuffe, waren Bürger, und die komische Figur der Volkskomödie war ein Bauer.
England war das erste Land in Europa, in dem dieses vorwiegend ungeschriebene, teilweise aber auch geschriebene Gesetz seine Gültigkeit verlor. Dafür gibt es überzeugende sozialgeschichtliche Erklärungen. Englands wirtschaftliche Entwicklung verlief aus unterschiedlichen Gründen rascher als die des Kontinents. Handel und Gewerbe wurden schon bald zum wesentlichen wirtschaftlichen Faktor, und die industrielle Produktionsweise setzte nirgendwo so früh ein wie auf der Insel. Parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung vollzog sich daher die soziale Strukturveränderung. Das wirtschaftstreibende Bürgertum wurde neben dem Adel immer mehr zur herrschenden gesellschaftlichen Klasse, die Städte wurden neben den Fürstenhöfen zu kulturellen Zentren, und das Bürgertum fand nach und nach zu eigenständigen künstlerischen Ausdrucksweisen. Diesen Umständen verdankt das „Bürgerliche Trauerspiel" seine Entstehung. Als Beispiel für diese Art von Dramatik soll hier kurz das Stück GEORGE BARNWELL OR THE MERCHANT OF LONDON erwähnt werden, das ein Juwelier namens George Lillo geschrieben hat und das in London im Jahr 1731 seine erste Aufführung erlebte.
George Barnwell ist ein junger, bislang unbescholtener Mann aus bürgerlichem Haus, der auf die sprichwörtliche schiefe Bahn gerät, weil er einer verruchten Frau namens Millwood verfallen ist. Um ihre Zuneigung und Leidenschaft zu erkaufen, läßt er sich auf allerlei Unredlichkeiten ein. Als selbst die auf diese Weise erworbenen finanziellen Mittel nicht ausreichen, um die Luxusbedürfnisse der niederträchtigen Millwood zu befriedigen, scheut George Barnwell nicht einmal vor dem Mord zurück. Das Opfer dieser Tat ist ein Onkel, der sterbend noch ein Gebet für den mißratenen Neffen spricht. Der junge Barnwell wird von der Polizei gefaßt und stirbt am Galgen, aber die hexenähnliche Millwood entgeht letztlich auch nicht der verdienten Strafe, sodaß das empörte Publikum doch noch zufrieden den Heimweg antreten kann.
Diese Art des Theaters, für das GEORGE BARNWELL steht, erfreute sich in England großer Beliebtheit und erweckte aufgrund des Erfolgs nach und nach auch das Interesse des Kontinents. In Frankreich bemühte sich zum Beispiel der vorwiegend als Philosoph und Enzyklopädist bekannte Denis Diderot um das bürgerliche Drama und schuf selbst zwei Stücke dieser Art, DER NATÜRLICHE SOHN (Le fils naturel,1757) und DER FAMILIENVATER (Le pere de famille, 1758). Und Pierre Augustin Caron, besser bekannt unter dem Namen Beaumarchais, schuf mit seinem Figaro eine bürgerliche Komödienfigur, die für selbstbewußte französische Bürger durchaus ein Identifikationsangebot war.
Die Bürger der deutschen Städte hatten zwar weder im ökonomischen und politischen noch im kulturellen Bereich den Entwicklungsstand der englischen Standesgenossen erreicht, aber selbst in Deutschland entstand im 18.Jahrhundert ein eigenständiges bürgerliches Drama. Den Anstoß dafür gab Gotthold Ephraim Lessing. Lessing sah 1754 in Hamburg die deutsche Erstaufführung des oben erwähnten Stücks GOERGE BARNWELL, und er ging sofort daran, ein deutsches Trauerspiel dieser Art zu schreiben. Schon ein Jahr später, am 10.7.1755, wurde in Frankfurt an der Oder das Trauerspiel MISS SARA SAMPSON uraufgeführt.
Die tragische Hauptfigur des Stücks ist ein Mädchen aus dem Bürgertum, das den Verführungskünsten des Aristokraten Mellefont nicht widerstehen kann. Er hat sie dazu gebracht, mit ihm in einem Provinzgasthof abzusteigen. Sara erhofft sich eine ständige Bindung, Mellefont hält sie hin, indem er auf eine Erbschaftsklausel verweist. Während Sara und Mellefont im Provinzgasthof ihren Leidenschaften frönen, hat aber Marwood, Mellefonts ehemalige Geliebte, mit der er auch ein Kind hat, William Sampson, Saras Vater, über die Situation aufgeklärt. Beide, die Marwood und William Sampson, reisen unabhängig voneinander in die Provinz. Marwood will Mellefont zurückgewinnen. Sampson will, daß die Verbindung zwischen Sara und Mellefont legalisiert wird. Beider Vorhaben wird vereitelt. Als Mellefont Marwood zurückweist, vergiftet die tödlich beleidigte Frau ihre Nebenbuhlerin. Als Vater Sampson eintrifft, liegt seine Tochter bereits im Sterben. Angesichts des Unglücks, das er verschuldet hat, ersticht sich Mellefont neben Saras Leiche.
MISS SARA SAMPSON war ein enormer Publikumserfolg. Berichte über die Uraufführung geben Auskunft über herzzerreißende Szenen im Zuschauerraum. Die Menschen sollen in Tränen ausgebrochen und Wildfremde sollen einander in die Arme gesunken sein. Diese starke emotionale Wirkung ist wohl nur dadurch zu erklären, daß Lessing in seinem Drama Probleme angesprochen hat, die den Menschen aus ihrem eigenen Erfahrungsbereich geläufig waren. Solch ein Problem der Zeit war wohl die Verführung naiver Bürgermädchen durch Aristokraten. Es ist sicher kein Zufall, daß dieses Motiv in mehreren deutschen Dramen des 18.Jahrhunderts handlungstragend geworden ist, so zum Beispiel in Heinrich Leopold Wagners KINDERMÖRDERIN, in Jakob Michael Reinhold Lenz’ SOLDATEN, in Friedrich Schillers KABALE UND LIEBE und natürlich auch in Goethes CLAVIGO und im FAUST.
Auch Lessing selbst hat die Handlungsstruktur des bürgerlichen Trauerspiels noch einmal zur Grundlage eines Bühnenstücks gemacht. Bereits im Jahre 1757 wollte er die altrömische Geschichte der Virginia als modernes bürgerliches Trauerspiel bearbeiten. Sein Vorhaben wurde vorläufig vereitelt, als das von ihm geführte Deutsche Nationaltheater in Hamburg, das als Novität, nämlich als öffentliches bürgerliches Theater, gegründet worden war, schon nach drei Jahren nicht mehr finanzierbar war. Lessing mußte nun einen Brotberuf annehmen und wurde Bibliothekar beim Herzog in Braunschweig. Der Plan, die Virginia-Sage zu modernisieren, mußte unter diesen ungünstigen Bedingungen aufgeschoben werden. Erst fünfzehn Jahre später, am 13.3.1772, erlebte Lessings bürgerliches Trauerspiel EMILIA GALOTTI in Braunschweig seine Uraufführung.
Ähnlich wie in MISS SARA SAMPSON ist auch in EMILIA GALOTTI ein Mädchen aus gutbürgerlicher Familie die tragische Hauptfigur. Emilia ist die tugendreiche Tochter des Obersten Galotti. Ihr Verhängnis ist, daß Prinz Gonzaga leidenschaftlich in sie verliebt ist. Gonzaga ist kein Tyrann, kein zynischer Herrscher, der vorsätzlich seine Macht mißbraucht. Lessing zeigt ihn eher als Schwärmer, der sich nicht dessen bewußt ist, daß Schwärmereien und Leidenschaften, die ein Fürst hat, ungleich schwerwiegendere Auswirkungen haben können als die anderer Menschen. Wie ein Kind will er das Objekt seiner Begierde unbedingt für sich haben. Als er von seinem Kammerherrn Marinelli erfährt, daß Emilia bereits versprochen ist, daß sie demnächst den Grafen Appiani heiraten soll, fühlt er sich zutiefst verletzt und schreckt in dieser Stimmung nicht davor zurück, Marinelli freie Hand zu geben, die Verbindung zwischen Emilia und Appiani zu verhindern. Marinelli versucht zuerst, einen Aufschub der Hochzeit zu erreichen, indem er Appiani eine diplomatische Mission des Prinzen in Aussicht stellt. Als Appiani darauf nicht eingeht, schreckt Marinelli nicht davor zurück, die Kutsche, in der Emilia und ihr künftiger Mann reisen, von Banditen überfallen zu lassen. Appiani wird bei diesem Überfall erschossen, Emilia entführt und nach Dosalo, auf das Lustschloß des Prinzen, gebracht. Dort kommt es zur eigentlichen Tragödie. Zunächst erscheint die eifersüchtige Orsina, die ehemalige Mätresse des Prinzen, die Lessing als zutiefst enttäuschte Frau gezeichnet hat. Dann erscheint Odoardo Galotti, der Vater. Emilia gesteht ihm ihre Angst, der Verführung des Prinzen zu erliegen, und fordert den Vater daher auf, sie zu töten, damit sie vor Schande bewahrt wird.
Eingesendet von Peter Dubrowsi. Vielen Dank!
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Friedrich Schiller - "Kabale und Liebe". Eine Inhaltszusammenfassung der einzelnen Akte und Szenen mit Deutung. (5940 Wörter)
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