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Brief 20 in deutscher Übersetzung (HTML)

Alles zu Seneca - Epistulae Morales Ad Lucilium

Seneca - Brief 20 (deutsch)


- Briefe an Lucilius über Ethik (2. Buch) -
(1) Wenn es Dir gut geht und Du Dich für würdig hältst, endlich einmal Dein eigener Herr zu werden,' freue ich mich; mein Ruhm wird es nämlich sein, wenn ich Dich von dort, wo Du, ohne Hoffnung zu entkommen, taumelst, 2 herausgeholt habe. Um folgendes aber bitte ich Dich, mein Lucilius, und ermuntere Dich dazu, dass Du die Philosophie tief in Deinem Herzen verankerst und den Beweis für Deinen sittlichen Fortschritt nicht einer Rede oder Schrift entnimmst, sondern der Festigkeit Deiner Sinnesart und der Verringerung der Leidenschaften; mach die Worte durch Taten glaubhaft! (2) Eine andere Zielsetzung haben Vortragende, die nach dem Beifall des Zuhörerkreises haschen, wieder eine andere jene, die die Ohren junger Leute und der Nichtstuer mit schillernder und zungenfertiger Disputation fesseln': Handeln lehrt die Philosophie, nicht reden, und dies verlangt sie, dass jeder nach seinem eigenen Grundsatz' lebe, dass das Leben nicht zur Rede im Widerspruch stehe' oder gar zu sich selbst, dass der Farbton aller Handlungen einheitlich sei. Das ist die wichtigste Aufgabe der Weisheit und ihr sicherstes Merkmal, dass Handlungen mit Worten harmonieren, dass jeder überall sich selbst treu und immer derselbe bleibe. "Wer wird dies leisten?" Wenige, aber immerhin einige. Es ist freilich schwierig; und ich behaupte ja nicht, dass der Weise immer gleichmäßigen Schrittes, sondern auf einem Weg gehen wird. (3) Beobachte Dich daher, ob etwa Deine Kleidung und Dein Haus nicht zueinander passen, ob Du gegen Dich großzügig bist, gegen die Deinen jedoch kleinlich, ob Deine Mahlzeiten anspruchslos, Deine Bauten aber verschwenderisch sind. Nimm Dir einmal eine Richtschnur, nach der Du leben sollst, und richte danach Dein ganzes Leben aus! Manche schränken sich zu Hause ein, protzen aber in der Öffentlichkeit und lassen sich gehen: Ein Fehler ist diese Inkonsequenz und ein Zeichen von wankelmütigem Charakter, der noch nicht seine feste Haltung gefunden hat. (4) Außerdem will ich Dir sagen, woher diese Unstetigkeit und dieses Abweichen der Handlungen von den Vorsätzen stammt: Niemand macht sich ein klares Bild davon, was er will, noch bleibt er, wenn er es sich gemacht hat, dabei, sondern er springt ab, ändert nicht nur seine Meinung, sondern kehrt wieder zu ihr zurück und verfällt wieder dem, was er verlassen und verurteilt hat. (5) Um nun die alten Begriffsbestimmungen der Weisheit zu übergehen und die ganze menschliche Lebensweise zu erfassen, kann ich mich mit folgendem begnügen: Was ist Weisheit? Immer dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen.' Man braucht hier jene kleine Einschränkung eigentlich nicht hinzuzufügen, dass es recht sein soll, was man will; denn niemand kann an demselben immer Gefallen finden, wenn es nicht sittlich einwandfrei ist. (6) Die Menschen wissen also nicht, was sie wollen, außer in jenem Augenblick, in dem sie es wollen; im ganzen gesehen hat niemand einen festen Grundsatz, etwas zu wollen oder nicht zu wollen; man ändert täglich seine Entscheidung und kehrt sie ins Gegenteil um, und für die meisten verläuft das Leben wie ein Spiel. So bleib denn auf dem eingeschlagenen Weg, und Du wirst vielleicht zum Gipfel geführt werden oder wenigstens so weit, dass Du als einziger erkennst, dass es noch nicht der Gipfel ist. (7) "Was soll", sagst Du, "aus meiner Anhängerschaft werden, ohne Vermögen?" Wenn diese Leute nicht mehr von Dir ernährt werden, müssen sie sich eben selbst ernähren, beziehungsweise Du wirst (dann wenigstens) das, was Du auf Grund Deiner Wohltätigkeit nicht wissen kannst, dank Deiner Armut wissen: Sie wird die wahren und zuverlässigen Freunde beibehalten, entfernen aber wird sich jeder, der nicht Dir, sondern etwas anderem nachging. Muss man aber nicht schon aus diesem einen Grund die Armut lieben, weil sie zeigen wird, von wem Du geliebt wirst? 0 wann kommt jener Tag, an dem niemand mehr Dir zu Ehren lügt! (8) Darauf sollen nun Deine Gedanken zielen, dies sei Deine Sorge, dies Dein Wunsch, aller anderen Wünsche Erfüllung sollst Du dem Gott erlassen, um Dich mit Dir selbst zu begnügen und mit den Werten, die aus Dir stammen.' Welche Glückseligkeit kann näher liegen? Beschränke Dich auf kleine Verhältnisse, aus denen Du nicht absinken kannst; und damit Du es um so lieber tust, dazu wird das Geschenk dieses Briefes beitragen, das ich Dir sofort überreiche. (9) Magst Du es mir auch missgönnen, noch immer bezahlt gerne für mich Epikur. "Eindrucksvoller, so glaube mir, wird Deine Rede auf einfachem Lager und in Lumpen erklingen; denn jene Worte werden nicht bloß gesprochen, sondern (auch) akzeptiert werden."' Für mich wenigstens hat das, was unser Demetrius' sagt, einen anderen Klang, wenn ich ihn in Fetzen gekleidet` gesehen habe auf einem Lager, viel ärmlicher noch als ein Strohsack- er ist dann nicht nur ein Lehrer der Weisheit, sondern ihr Zeuge. (10) "Wie nun? Ist es nicht möglich, den Reichtum, der einem in den Schoß gelegt worden ist, geringzuachten?" Warum sollte es unmöglich sein? Auch jener besitzt eine beachtliche Seelengröße, der sich über den Reichtum, von dem er umgeben ist, sehr und lange gewundert hat, dass er ihm überhaupt zuteil geworden sei, ihn dann aber belächelt und es mehr vom Hörensagen weiß, dass er sein eigen sei, als er es spürt. Es bedeutet viel, durch den Umgang mit Reichtum nicht verdorben zu werden; groß ist jener, der inmitten des Reichtums arm bleibt. (11) "Ich weiß nicht", sagst Du, "wie dieser da die Armut ertragen wird, wenn er ihr anheimfällt." Und ich weiß es nicht, Epikur", ob dieser großsprecherische arme Kerl den Reichtum ertragen wird, wenn er ihm anheimfällt. Und so muss man in beiden Fällen die Gesinnung bewerten und prüfen, ob Jener sich zur Armut hingezogen fühlt, und ob dieser sich zum Reichtum nicht hingezogen fühlt. Andernfalls sind Notbett und Lumpen ein schwacher Beweis des guten Willens, wenn es nicht klar geworden ist, dass jemand all dies nicht unter Zwang erträgt, sondern es lieber so haben will. (12) Übrigens ist es ein Zeichen großartiger Naturanlage, dem nicht wie etwas Besserem nachzujagen, sondern sich darauf wie auf ein Leichtes einzustellen. Und es ist auch leicht, Lucilius; wenn Du aber nach einer langen Vorübung dazu kommst, ist es sogar angenehm; darin liegt nämlich die Sorglosigkeit, ohne welche nichts angenehm ist. (13) Ich halte es daher für unerlässlich, was - wie ich Dir geschrieben habe - bedeutende Männer oft taten, einige Tage einzuschalten, an denen wir uns durch fiktive Armut auf die echte einüben; dies müssen wir um so eher tun, als wir durch den Luxus entkräftet sind und alles als hart und schwierig ansehen. Vielmehr soll der Geist aus dem Schlaf geweckt, aufgerüttelt und daran erinnert werden, dass uns die Natur nur ganz wenig zugebilligt hat. Niemand wird reich geboren; jeder, der das Licht der Welt erblickt, wird angehalten, sich mit Milch und Windeln zufrieden zu geben; nach solchen Anfängen vermögen uns Königreiche nicht mehr zu beeindrucken.` Leb wohl!


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