Sebastian 23: Online Sein - Gedichtanalyse / Analyse von Slam-Texten
Sebastian 23: Online sein - Gedichtanalyse
Das Slam-Gedicht "Online sein" von Sebastian 23, ist im Jahr 2007 erschienen. Es thematisiert die zunehmende Internetnutzung der heutigen Zeit und den daraus häufig resultierenden Ersatz der Realität gegen eine solche Scheinwelt.
"Online sein" handelt von einem Jungen, der seine gesamte Zeit online im Internet verbringt, statt etwas mit anderen Leuten zu unternehmen. Er verwendet sogar schon Internetsprache im Alltag, sodass Kommunikation mit seiner Großmutter fehlschlägt. Schließlich behauptet er, dass die Realität nur nebensächlich sei.
Auf den ersten Blick sieht das Gedicht sehr ungeordnet aus, weil es aus 6 Strophen besteht, die aber eine auffallend unterschiedliche Länge haben. So besteht die erste Strophe aus 35 Versen, die Zweite und Dritte aber nur aus drei, die Vierte aus 13 und die Fünfte und Sechste aus zwei.
Außerdem fällt auf, dass die Versanfänge der ersten Strophe fast immer die Selben sind, nämlich "Ich bin", mit wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel Vers 13-17.
Das gleiche Muster findet man auch in der vierten Strophe wieder, bei der sich die Versanfänge mit dem Fragewort "Wer" wiederholen. Reime gibt es keine, mit Ausnahme des Titels, und es ist auch kein Metrum vorgegeben.
Im gesamten Gedicht benutzt der Autor, passend zum Inhalt, Internet- und Umgangssprache, zum Beispiel "Secondlife" (V. 23) und "Arsch" (V. 33).
Er verwendet außerdem mehrere Metaphern: "Ich habe eine Flatrate beim Pizzataxi" (Vers 17). Die Flatrate, welche normalerweise dem Internet oder Telefon zuzuordnen ist, steht hier für das dauerhafte Bestellen von Pizzen, die direkt vor die Haustür geliefert werden. Er muss also nicht in die Öffentlichkeit, um sich sein Essen zu kaufen.
Eine weitere Metapher befindet sich in Vers 20: "Diener des Servers". Sie drückt aus, dass das Lyrische Ich die ganze Zeit vor dem Computer und im Internet verbringt, sogar schon in eine Abhängigkeit davon geraten ist. Diese Aussage wird in Vers 4 unterstützt, da das Internet hier als eine Droge dargestellt wird, indem man es mit Kokain vergleicht. "Ich bin so heftig online, dass Kokser neidisch sind" (V. 4).
Außerdem verwendet der Autor die Metapher "Problembericht" ("Nein, ich möchte keinen Problembericht an microsoft senden", V. 36). Die Metapher verdeutlicht das mangelnde Interesse an Kommunikation bei der man über seine Probleme und Sorgen mit anderen Leuten redet.
"Hau mir den Bildschirm blau, weil meine Festplatte die Pest hatte" (V. 35f). Wie im vorherigen Vers erklärt, ist die Pest eine Metapher für einen Virus auf dem PC (vgl. V. 35), durch welchen das Lyrische Ich merkt, wie aufgeschmissen es ohne das Internet ist.
In Vers 23 befindet sich die Metapher "Secondlife", welche für die Welt des Internets steht, die klar von der Realität, dem "Reallife", zu trennen ist.
Überdies benutzt er in Vers 7 bewusst das Homonym "Maus" als Metapher, welches in Bezug auf die zuvor genannte Freundin (vgl. V. 7) wie ein Kosename für ein Mädchen klingt. In Wirklichkeit meint er jedoch die Maus vom Computer, was bedeutet, dass das Internet sozusagen seine Liebe ist und er keine Freundin mehr braucht.
Des Weiteren verwendet der Autor den Neologismus "Gruscheltier" (V. 31) im Zusammenhang mit der Internetplattform StudiVZ, wo es die Möglichkeit gibt, andere Nutzer zu "gruscheln", was aus den Wörtern "grüßen" und "kuscheln" zusammengesetzt ist. Auch hier wird wieder deutlich, dass etwas aus der Realität, z.B. eine Umarmung, durch etwas Fiktives im Internet ausgetauscht wird. Direkter Kontakt zu den Leuten ist also hierfür nicht nötig.
"Ich bin so youtube, denn youtube killed the video star" (V. 30). In diesem Vers wird Youtube personifiziert, es erhält die Eigenschaft, jemanden bzw. etwas umzubringen.
Außerdem findet man ein Paradoxon in Vers 8: "Hier ist Nonsens Konsens." Zuerst scheinen diese beiden Worte sich gegenseitig auszuschließen, doch wiederum zeigen sie, dass im Internet viel "Quatsch" zu finden ist und dieser dort auch auf große Zustimmung trifft.
Im 12. Vers erwähnt der Autor eine Oma, welche in diesem Gedicht als Symbol für die "alten Zeiten" und somit auch für das Zeitalter ohne Internet steht.
Noch im gleichen Vers wird erklärt, dass jegliche Kommunikation mit ihr fehlschlägt (vgl. V. 12-15), da dort zwei anscheinend völlig andere Generationen aufeinandertreffen. Durch das permanente Online Sein ist die "normale" deutsche Sprache schon fast verlernt, bzw. sie wird schon als "unnormal" empfunden.
Auch wird dem Leser schnell deutlich, dass Emotionen für das Lyrische Ich keine Rolle spielen ("Ich lach nicht mehr, ich sage LOL", V. 10). Denn statt wirklich zu lachen, distanziert es sich zu dieser Emotion, indem es sie hinter Internetsprache versteckt.
Der Autor nutzt eine Anapher in Vers 34: "Internet-Männer haben keine Gefühle. Internet-Männer haben Smilies." Das Wort "Internet-Männer" wird wiederholt, um diesem Satz Relevanz zu verleihen. Es soll die "Internet-Männer" klar von den Männern aus der Realität abgrenzen und zeigt außerdem noch einmal, wie wenige Gefühle diese Person empfindet.
Er gibt außerdem an, Liebesbriefe in html und Lieder in Leet zu schreiben (vgl. V. 3). Gefühle sind für ihn also unwichtig, viel wichtiger sind ihm die Webseiten die er besucht, und die Worte, die er in einem Lied verwendet, schreibt er in Leet: einer Sprache, bei der Buchstaben durch ähnlich aussehende Zahlen ersetzt werden, wodurch sie oft an Ausdruckskraft verlieren.
Das Lyrische Ich würde sich selber nicht mehr wiedererkennen, wenn es in den Spiegel schauen würde, da es seine gesamte Zeit online verbringt ("Ich bin so online, dass mein Avatar mir ähnlicher sieht, als mein Spiegelbild")
Vergessen sind auch alle anderen wichtigen Dinge, wie zum Beispiel der eigene Name, da man im Internet mit einem Pseudonym unterwegs ist (vgl. V. 18) und alles Andere um einen herum einfach ausgeblendet wird.
"Ich bin so online, ich kann grade noch von 0 bis 1 zählen..." (V. 21). Dieser Vers zeigt, wie man geistig abstumpft, wenn man den Computer alles erledigen lässt und dass eine drastische Folge das Verlernen des Rechnens darstellen würde.
Dazu kommt, dass selbst eher unangenehme Dinge, wie das Ertönen des Nebelhorns beim Start vom ICQ, Freude beim Nutzer hervorrufen (vgl. V. 27), da man es automatisch in Verbindung mit dem Online Sein bringt.
"Ich bin so gmx, komm, lass uns den eh schon fast toten Postboten töten." (V. 32). Es wird deutlich, dass das Briefe Schreiben für das Lyrische Ich auch nicht mehr relevant ist, da es die Möglichkeit hat, Emails zu versenden, es schreibt also viel weniger mit der Hand.
In Zeile 29 schreibt der Autor: "Ich bin so myspace, ich hab über tausend Freunde. In echt." Das "In Echt." wirkt doppeldeutig. Es soll aber lediglich dem vorherigen Satz Nachdruck verleihen. "Echt" steht also nicht für "in der Realität" sondern für "bei MySpace". Man kann also davon ausgehen, dass diese Freunde keine richtigen Freunde sind, sondern auch nur Pseudonyme, hinter denen sich irgendwelche Fremden verstecken.
"Egal" (V. 16). Nur dieses einzige Wort ist in diesem Vers abgedruckt, was ihm aber eine große Relevanz erteilt. Denn es drückt aus, dass dem Lyrischen Ich eigentlich alles um ihn herum egal ist, sogar seine eigene Familie (vgl. V. 12-16). Dies würde unterstützen, dass in dem Gedicht das Wort "ich" sehr häufig verwendet wird, und zwar in fast jedem Vers. Es weist darauf hin, dass die Person nur an sich selbst denkt ("Ich bin so online [...]", V. 2; " Ich bin so google [...]", V. 25; "Ich bin so yahoo [...]", V. 26)
Dann sagt es sogar, dass die Realität überbewertet sei (vgl. V. 38) und dass es an der Wirklichkeit nur die hohe Auflösung und die Farbtiefe bewundere (vgl. V. 38f). Es hat sich also schon so weit von der Realität distanziert, dass es sie nur noch mit Computerfachbegriffen erklären kann. Außerdem zieht es sie auch ein wenig ins Lächerliche, als es fragt, was "dieser Gott-Typ" für eine Grafik-Karte benutze (vgl. V. 39).
Der Autor verwendet in Vers 41-53 rhetorische Fragen, um zu verdeutlichen, dass jeder in der heutigen Zeit von diesem "Internet- und Maschinenwahn" betroffen ist ("Wer weiß jemanden, der keine E-Mail-Adresse hat?", V. 44; "Wer kennt jemanden, der noch nie ein illegal runtergeladenes Lied gehört und noch nie ein raubkopierten Film gesehen hat?", V. 46f). Zudem zitiert er George Orwell: "Wer verstehen will, wie sehr Maschinen unseren Alltag bestimmen, der möge sich jetzt sofort einmal umschauen." (V. 54f). Er schreibt dies, um zu zeigen, dass es diese Beeinflussung durch Maschinen früher auch schon gab. Doch wenn George Orwell die Abhängigkeit von Maschinen früher schon enorm fand, wie würde er heute erst reagieren? Der Autor will hiermit zeigen, dass man sich immer mehr an die Anwesenheit dieser Maschinen und auch des Internets gewöhnt hat und sie eigentlich gar nicht mehr wegzudenken sind, wir diese zunehmende Abhängigkeit jedoch kaum noch bemerken, da es zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Um dieser Selbstverständlichkeit Nachdruck zu verleihen, schreibt er: "Heute ist 1984." (V. 57) und setzt eine Pause dahinter, bevor er weiterschreibt: "Ich bin online. Sonst nichts" (V. 57).
Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass das Gedicht unter anderem den Verfall der deutschen Sprache und den Ersatz der Realität durch das "Internetleben" wiederspiegelt. Der Autor kritisiert die Menschen, die das Internet alles erledigen lassen, was zu einer Abhängigkeit führt, von der jeder Einzelne betroffen ist. Durch die ununterbrochene Nutzung des Internets distanzieren sich die Menschen emotional immer mehr voneinander. Außerdem weist er darauf hin, dass man die Realität neben all den unbegrenzten Möglichkeiten nicht ausblenden sollte.
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Sebastian 23: Online Sein - Gedichtanalyse / Analyse von Slam-Texten
Schwerpunkte: Internet, "Reallife" (1652 Wörter)
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