Facharbeit: Automatenmenschen und die Verarbeitung in der Novelle "der Sandmann" von E.T.A Hoffmann
Facharbeit: Automatenmenschen und die Verarbeitung in der Novelle "der Sandmann" von E.T.A Hoffmann
I. Einleitung
A. Vorwort
Im Rahmen meiner Facharbeit werde ich mich mit der 1915 geschriebenen Novelle "Der Sandmann" aus Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns "Nachtstücken"1, welche 1817 veröffentlicht wurden, beschäftigen. Meinen Schwerpunkt werde ich dabei auf das Motiv der Automaten2 legen, da diese, als eine neue Entwicklung der Zeit, die Menschen faszinierten und sich deshalb auch besonders häufig in der Literatur wieder fanden. Doch bereits in den "Metamorphosen"3 des Ovid wurde die Vorstellung von künstlichen Menschen aufgegriffen und setzte sich in der griechischen Mythologie mit der Sage des Prometheus4 fort. Aber auch bekannte Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts, in der Zeit, als die Entwicklung der Automaten in der Hochblüte war, integrierten diese neuen Errungenschaften in ihren Werken. Unter anderem ,schuf' Goethe einen Homunculus5 im zweiten Teil seines "Faust" und auch der weltbekannte Roman "Frankenstein" von Mary Shelley erschien 1818, ein Jahr nach der Publikation der "Nachtstücke". Hoffmann versuchte aber in seinen "Nachtstücken", Dinge, die dem Menschen vertraut waren, zu verändern und dabei das Ordnungsschema der Welt durcheinander zu bringen, indem er die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum, Vernunft und Wahnsinn und Belebtem und Unbelebten verwischte. Er wurde somit zu einem der herausragendsten, aber auch einem der wichtigsten Schriftsteller der Romantik. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen das Motiv der Automaten im "Sandmann" aufzugreifen, um in mehreren Schritten die Einstellung Hoffmanns zu den künstlichen Menschen zu erarbeiten.
Beginnen werde ich im Hauptteil, unter anderem, mit der Charakterisierung und Analyse der Figur Olimpia, welche, wie sich am Ende des Werkes herausstellt, ein Automat ist. Im nächsten Schritt werde ich auf die Entwicklung der Maschinenmenschen im 18.Jahrhundert und in der Epoche der Romantik eingehen, da sich dort einige Unterschiede in der Sichtweise der Menschen zeigen. Dabei werde ich gezielt auf die Gesellschafts- und Weltbilder eingehen, um abschließend im Schlussteil die Einstellung Hoffmanns zu den Automaten zu verdeutlichen.
II. Hauptteil
A. Der Automatenmensch in E.T.A Hoffmanns Novelle "Der Sandmann"In der Novelle "Der Sandmann", welche 1817 veröffentlicht wurde, setzt sich der Autor, E.T.A Hoffmann, unter anderem mit dem Thema der künstlichen Menschen, der Automaten, auseinander. In der Erzählung hat der Physiker Professor Spalanzani es nach 20 Jahren, mit Hilfe des Wetterglashändlers Coppola (der ebenso die Figur des Coppelius verkörpert), geschafft, eine Puppe zu konstruieren und sie sogar als seine Tochter in die Gesellschaft einzugliedern. Nachdem der Protagonist, Nathanael, unwissend, ein Perspektiv bei Coppola erstanden hat, welches seine Wahrnehmung täuscht, verliebt er sich, in die künstlich erschaffene Olimpia und vergisst seine Verlobte Clara. Kurz nach dem Entschluss, die Tochter des Professors zu heiraten, gerät Nathanael in einen Streit zwischen den Erbauern Olimpias und erfährt, dass es sich bei seiner Geliebten um eine leblose Puppe handelt. Coppola stiehlt Spalanzani seine ,Tochter' und Nathanael wird vom Wahnsinn gepackt.
In der Novelle wird Olimpia auf zwei Weisen dargestellt. Auf der einen Seite aus der Sicht Nathanaels und auf der anderen aus der Sicht des Erzählers und der Gesellschaft. Zu Beginn der ,Olimpia-Handlung' zeigt sich Nathanael weniger beeindruckt von der Tochter Spalanzanis. Er bemerkt zwar, dass sie "oft stundenlang in derselben Stellung [...] ohne irgendeine Beschäftigung an einem kleinen Tische saß und dass sie offenbar unverwandten Blickes nach ihm herüberschaute"6 und er konnte auch nicht leugnen, dass "er nie einen schöneren Wuchs gesehen"7 hat, aber im Gegensatz zu seiner Verlobten Clara "blieb ihm die steife, starre Olimpia gleichgültig"8. Erst bei dem Blick durch ein Taschenperspektiv des Mechanicus und Opticus Coppola, welches ihm "die Gegenstände so rein, scharf und deutlich dicht vor die Augen rückte"9 entdeckte Nathanael "Olimpias wunderschön geformtes Gesicht"10. Aber durch die Schärfe des Perspektivs erblickte Nathanael nicht nur die Schönheit Olimpias, sondern auch ihre starren und toten Augen11. Doch je länger er durch das Perspektiv schaute, desto "lebendiger flammten die Blicke"12 und es war ihm, als "gingen in Olimpias Augen feuchte Mondstrahlen auf"13. Hier findet eine wichtige Wendung statt, denn Nathanaels Wahrnehmung wird durch das Perspektiv so verändert, dass er Olimpia mit ,anderen Augen' sieht. In seiner, ihm am Anfang gleichgültigen, Nachbarin sieht er nun eine "himmlisch-schöne"14 Frau, die ihn sogar davon abbringt einen Brief an seine Verlobte zu beenden, denn "wie von unwiderstehlicher Gewalt getrieben, sprang er auf, ergriff Coppolas Perspektiv und konnte nicht los von Olimpias verführerischen Anblick"15. Drei weitere Tage beobachtete er sie, bis die Fenster verdeckt wurden. Nathanael war "ganz verzweifelt und getrieben von Sehnsucht und glühendem Verlangen"16, obwohl er Olimpia noch nie begegnet war. Dies tat er erst bei einem großen Fest, bei welchem Professor Spalanzani seine Tochter zum ersten Mal in der Öffentlichkeit erscheinen ließ. Bei diesem Ball wird zum ersten Mal die Sicht der Gesellschaft auf Olimpia, durch den Erzähler, geschildert.
"Olimpia erschien sehr reich und geschmackvoll gekleidet. Man musste ihr schön geformtes Gesicht, ihren Wuchs bewundern. Der etwas seltsam eingebogene Rücken, die wespenartige Dünne des Leibes schien von zu starkem Einschnüren bewirkt zu sein. In Schritt und Stellung hatte sie etwas Abgemessenes und Steifes, das manchen unangenehm auffiel"17
Schon bei der ersten Begegnung, beobachteten die Gäste ihr unnatürliches Verhalten, welches sie aber dem "Zwange der Gesellschaft"18 zuschrieben. Doch nicht nur ihr künstliches Aussehen wird durch den Erzähler geschildert, sondern auch ihre übernatürlichen Talente in Musik und Tanz. So "spielte sie den Flügel mit großer Fertigkeit, [...] trug ebenso eine Bravour-Arie mit heller, beinahe schneidender Glasglockenstimme vor"19 und tanzte mit einer ganz "eigenen rhythmischen Festigkeit"20. Hier verdeutlicht sich für die Gäste, dass Olimpia anders ist als der Rest der Gesellschaft, da sie durch ihre Perfektion alle Blicke auf sich zog. Nathanael hingegen ist nicht auf ihr äußeres Erscheinungsbild, oder ihre Fähigkeiten fixiert. In ihr spiegelt sich sein ganzes Sein 21 und mit der Projektion seines eigenen Ichs in die Puppe, indem er seine Seele in den gefühllosen Körper steckt, scheint es ihm, als würde Olimpia eine ,echte' Frau sein. Es durchfährt ihn ein "grausiger Todesfrost"22 als er Olimpias Hand ergreift, jedoch belebt er sie durch einen tiefen Blick in die Augen, so dass er glaubt ihren Pulsschlag zu fühlen. Ebenso erwärmt er, durch seine glühenden, ihre eiskalten Lippen bei einem Kuss. Professor Spalanzani scheint mit seinem ,Werk' nicht zufrieden zu sein, da er sie als ein "blödes Mädchen"23 bezeichnet. Auch die Gesellschaft dichtete der "todstarren, stummen Olimpia [...] totalen Stumpfsinn an"24. Nathanael meinte jedoch in ihr ein "tiefes herrliches Gemüt"25 zu erkennen und ihre einzigen Worte: "Ach, ach" erscheinen ihm "als echte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis des geistigen Lebens"26. Die wirklichen, reellen Gespräche der Gesellschaft bezeichnet er hingegen als "platte Konversationen"27. Siegmund, ein Studienfreund Nathanaels, ist der Erste und Einzige, der ihn darüber aufklärt, dass Olimpia kein ,echter' Mensch ist. Er spricht im Namen der Gesellschaft und weist Nathanael darauf hin, dass sie eine Holzpuppe mit einem Wachsgesicht28 ist. Ebenso erzählt er, dass sie ihm und der Gesellschaft
"starr und seelenlos erschien. Ihr Wuchs ist regelmäßig, so wie ihr Gesicht, das ist wahr!- Sie könnte für schön gelten, wenn ihr Blick nicht so ganz ohne Lebensstrahl, ich möchte sagen, ohne Sehkraft wäre. Ihr Schritt ist sonderbar abgemessen, jede Bewegung scheint durch den Gang eines aufgezogenen Räderwerks bedingt. Ihr Spiel, der singenden Maschine und ebenso ist ihr Tanz. Uns ist diese Olimpia unheimlich geworden, wir mochten nichts mit ihr zu schaffen haben, es war uns als tue sie nur so wie ein lebendiges Wesen und doch habe es mit ihr eine eigne Bewandtnis."29
Nathanael geht nicht auf die Worte Siegmunds ein, denn ihm erscheint Olimpia nicht unheimlich. Er spiegelt sich selbst in der Puppe wieder und kontert mit dem Argument, dass sich das poetische Gemüt nur dem gleich organisierten entfaltet.30 Nathanael ist sich bewusst, dass Olimpia nur ihm so wunderschön erscheint, aber er richtet sich nicht nach dem Äußeren, sondern ist fasziniert von ihrer inneren Schönheit, welche eigentlich nur das Spiegelbild seiner eigenen Seele ist. Nur in Olimpias Liebe findet er sich selbst wieder31. Unbeeindruckt von Siegmunds Hinweis lebte Nathanael weiterhin mit Olimpia zusammen, vergaß dabei seine Verlobte Clara, seinen Freund Lothar und auch seine Mutter. 32 Stundenlang las er Olimpia seine Aufzeichnungen vor, die für ihn eine "herrliche Zuhörerin"33 war, denn
"stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins Auge, ohne sich zu rücken und zu bewegen und immer glühender, immer lebendiger wurde dieser Blick. Nur wenn Nathanale endlich aufstand und ihr die Hand, auch wohl den Mund küsste, sagte sie: Ach, ach!'- dann aber: ,Gute Nacht, mein Lieber!'"34
Hier stellt Olimpia den Gegensatz zu Nathanaels Verlobten Clara dar, denn diese war heiter, hatte einen hellen Blick und starrte nicht Tag für Tag in dieselbe Richtung. Clara war lebendig und hatte Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie lächelte, wenn ihr etwas gefiel und ebenso konnte man an ihrem Blick die Langeweile erkennen. Clara hatte kein Verständnis für die wahnsinnigen Märchen, die Nathanael ihr vorlas und wurde deshalb von ihm als ein "lebloses, verdammtes Automat"35 bezeichnet.
Olimpia zeigte weder Begeisterung noch Abneigung für die Schriftstücke Nathanaels. Sie hörte einfach nur zu und war für Nathanael wie eine weiße Wand, auf die er seine Seele projizieren konnte. Er liebte folglich nicht Olimpia, sonder sich selbst. Clara führte ihr eigenes Leben und es war für Nathanael unmöglich sich in ihr, die eher rationale Ansichten vertrat, zu spiegeln. Er füllte Olimpias leeren Körper mit seiner Seele und bemerkte deshalb nicht, dass sie in Wirklichkeit ein Automat ist. Nathanael wollte sie sogar heiraten und ihr den Ring seiner Mutter "als Symbol seiner Hingebung, seines aufkeimenden, blühenden Lebens darreichen"36, doch dann geriet er in einen Streit zwischen den Erbauern, Spalanzani und Coppola und erfuhr, dass Olimpia durch ein Räderwerk angetrieben wird und ihr künstliche Augen eingesetzt wurden. Coppola stahl die künstliche Olimpia und ihre "Füße klapperten und dröhnten hölzern auf den Stufen"37. Nathanael sah "Olimpias todbleiches Wachsgesicht"38 und als er ihre blutigen Augen auf dem Boden entdeckte, packte ihn der Wahnsinn. Doch die Erkenntnis, dass Olimpia ein Automat ist, wirkte sich nicht nur auf die Psyche Nathanaels aus. Auch die Gesellschaft wurde durch diese Geschichte beeinflusst, die nun ihren Mitmenschen misstrauisch gegenüber war und sich zwanghaft versuchte davon zu überzeugen, dass sich keine Automaten eingeschlichen haben. So "wurde von mehreren Liebhabern verlangt, dass die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, dass sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem Möpschen spiele usw."39 und ebenso, "dass sie nicht bloß höre, sondern auch manchmal in der Art spreche, dass dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfindungen voraussetze"40. Olimpia war der Gesellschaft von Beginn an suspekt, jedoch stellte sie für Nathanael das passende Gegenstück dar. Er war der einzige, der sie lebendig sah, aber zugleich war er auch derjenige, der sie, für sich, lebendig machte. Wenn er die Liebe in ihren Augen sah, dann sah er seine eigene Liebe, die sich in ihr spiegelte. Die Gesellschaft betrachtete Olimpia von außen, sie wurde nicht durch ein Perspektiv Coppolas beeinflusst. Ihre Art fiel der Gesellschaft negativ auf, da sie keine menschlichen Schwächen besaß. Sie musizierte, tanze und sang perfekt und dies führte dann dazu, dass sie steif und mechanisch wirkte, was sie auch war. Was vorher als eine Schwäche galt wurde nun zum Beweis der Menschlichkeit und zur Distanzierung von den Automaten.
B. Die Automatenmenschen im 18. Jahrhundert
Die Konstruktion künstlicher Menschen ist schon seit Jahrhunderten ein ganz besonderes Thema für die Gesellschaft. Nicht nur Mechaniker und Forscher, auch Philosophen, Politiker und Mediziner beschäftigten und beschäftigen sich auch heutzutage noch mit der Erfindung der Automaten. Ihre Hochblüte erlebten die Androiden jedoch im 18. Jahrhundert, welches nicht nur als Jahrhundert der aufgeklärten Humanität, sondern auch als das Jahrhundert der Maschinenmenschen verstanden wird. Das Vertrauen in Technik, Fortschritt und Wissenschaft war grenzenlos und so begannen die Menschen den Traum vom künstlichen Menschen zu träumen. Voran ging jedoch die Erfindung der Räderuhr im frühen Mittelalter. Sie lieferte den Grundbaustein für die mechanisch laufende Maschine: Das harmonisch laufende Uhrwerk.
Uhrmacher begannen vermehrt Automaten in Menschengestalt zu bauen und zielten dabei auf die perfekte Nachahmung der menschlichen Fähigkeiten, wie zum Beispiel das Sprechen, Schreiben oder Musizieren. Im Jahre 1738 präsentierte der Mechaniker Jacques de Vaucanson41 einen Flötenspieler, der durch die Bewegung seiner Lippen, Finger und seiner Zunge, zwölf Melodien spielte. Bei dem knapp 1,65m großen Jungen handelte es sich aber nicht um einen Menschen, sondern um einen Automaten, der im Inneren seines Körpers von Uhrwerken angetrieben wurde. Mit Hilfe von Blasbälgen wurde die Luft in Töne umgewandelt. Eine weitere Erfindung Vaucansons war eine mechanische Ente, die sämtliche Bewegungen eines lebendigen Tieres ausführte. Sie konnte Nahrung zu sich nehmen, diese verdauen und auch wieder ausscheiden. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Erschaffung eines menschlichen Wesens ohne schwarze Magie und Taschenspielertricks nicht denkbar gewesen. Die Herstellung verschiedenster, simpler Automaten und Statuen diente hauptsächlich zu Legendenbildung und nicht zur Belustigung der Gesellschaft. Die Automatenmenschen wurden zur Publikumssensation und entwickelten sich immer mehr zu einem Luxusspielzeug und Sammelobjekt. Je länger und intensiver die Mechaniker und Uhrmacher an der Entwicklung der Androiden arbeiteten, desto ähnlicher wurden sie dem Menschen. Als Kunstwerk Gottes dienten die Menschen als Vorbild für die Maschinen-Kunstwerke. Dies führte dazu, dass die Differenz zwischen Mensch und Maschine immer mehr schwand und die Apparaturen immer mehr in Konkurrenz zu den Möglichkeiten des menschlichen Körpers traten. Doch das allgemeine Interesse galt nicht in erster Linie der Nachahmung menschlicher Körperfunktionen, sondern der Unterhaltung. Besonders beliebt waren musizierende Automaten, die die Bedeutung des Körpers als Instrument steigerten.
So entwickelte Vaucansons nach dem ,Flötenspieler' einen neuen Automaten, der nicht nur Pfeife spielte, sondern auch noch gleichzeitig trommelte und dabei nicht ,aus der Puste kam'. Was für die Maschine schon keine leichte Übung war, war für den Menschen also kaum zu schaffen. Der Grat zwischen Nachahmung und Überbietung der Natur wurde immer schmaler und so entwickelte sich die mechanische Kopie zum Vorbild des ,Originals'. Man sah im Menschen nicht selten nur eine nach exakt festlegbaren Gesetzen arbeitende Maschine und man war davon überzeugt, den Menschen allein mit den Mitteln der Physik und Mechanik beschreiben zu können. Die ,Intellektuellen', die auf der Höhe ihrer Zeit dachten, waren der Meinung, dass Mensch und Maschine miteinander verwandt seien. Diejenigen, die noch mehr durch die mittelalterlichen Vorstellungen geleitet waren, hielten Technik und Magie für verwandt. Sie mussten die lebendig-toten Körper für ein Zauberwerk halten.
1769 konstruierte der österreichische Mechaniker Wolfgang von Kempelen den so genannten ,Schachtürken', der, auf den ersten Blick, die Grenze zwischen Mensch und Maschine auflöste. Dabei handelte es sich um einen Automaten, der in einem türkischen Kostüm, mit nachdenklicher Miene an einem kastenförmigen Tisch mit einem Schachbrett saß und gegen verschiedenste Gegner spielen konnte. In Wirklichkeit täuschte der Mechaniker das Publikum mit seiner Erfindung. Jedoch machte er nie einen Hehl daraus, dass ein Trick im Spiel war. Die Vorstellung, dass dieser neue Automat zum Denken fähig sei, regte viele Kritiker, Philosophen und Schriftsteller an sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Zu dieser Zeit entstanden viele Schriften, in denen man sich bemühte den Mechanismus und ebenso auch den Betrug zu hinterfragen. Wolfgang von Kempelen gelang es sein Publikum zu täuschen, indem er in den Tischkasten ein kompliziertes Türen- und Schubladensystem einbaute, bei welchem einige Teile, auch nach dem öffnen des Kastens verborgen blieben. Gelegentlich neigte der Automat seinen Kopf zu Seite, nickt und versetzte die Spielsteine. Am Ende der Vorstellung beantwortete der Schachtürke, mit einem eingebauten Sprachmechanismus, Fragen aus dem Publikum, was für einige Zuschauer der Beweis für seine ,Aufrichtigkeit' war. Erst zwanzig Jahre später wurde das Geheimnis gelüftet. Im Inneren des Kastens war ein kleiner Junge versteckt, der mit Hilfe von Magneten das Spiel verfolgte und dann die entsprechende Armbewegung auslöste, um die Steine auf dem Spielfeld zu versetzen. Viele Autoren haben darauf hin ihre Verunsicherung über den Grenzverlauf zwischen Mensch und Maschine in ihren Werken verschriftlicht. Unter ihnen waren unter anderen der Aufklärer Friedrich Nicolai42, Jean Paul43, der Mathematiker Carl Friedrich von Hindenburg44 und E.T.A Hoffmann. Doch im Unterschied zu dem aufklärerischen Nicolai nahmen die anderen Autoren die Automaten hauptsächlich in ihrer Spiegelfunktion wahr, da sie dem Menschen immer mehr zu seinem Ebenbild wurden. Mit der Entwicklung des Schachtürken drängte sich immer mehr die Frage in den Raum, ob die Maschine der potentielle Ersatz für den Menschen sei.
Doch Vaucanson ging noch einen Schritt weiter und erfand als Direktor einer Seidenmanufaktur einen automatischen Webstuhl, wodurch er seine Produktion um ein vielfaches steigerte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren die Maschinen in den Alltag integriert und keine Faszination mehr. Zwar wurden die Arbeiter von belastenden und unmenschlichen Tätigkeiten, die sie vorher ausüben mussten, befreit, trotzdem forderten die Maschinen Ausdauer und den Selbstzwang sich an etwas Fremdes anzupassen. Die Menschen waren den Maschinen quasi untergeordnet. Die eigene Manneskraft wurde durch die Maschinen ersetzt und die ersten Schritte zum Materialismus waren gemacht.
C. Die Weiterentwicklung der Automatenmenschen in der Romantik
In der Epoche der Romantik (ca.1795-1840), als die industrielle Revolution Deutschlands im vollen Gange war, fand ein auffälliger Mentalitätswechsel statt. Die Romantiker lehnten die Wirklichkeit des endenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhundert ab, da ihnen der bürgerliche Alltag trist und ohne Abwechslung erschien. Durch die Industrialisierung war die Gesellschaft vom Gewinnstreben geprägt und sah im Menschen nur noch ein ökonomisches Nutzwesen. Neue soziale Kontrollmechanismen regelten den Alltag und führten zur ,Disziplinierung' und Differenzierung der Gesellschaft. Es entstanden Schulen, Kasernen, Fabriken, Gefängnisse und ebenso auch Irrenanstalten um alle Mitglieder der Gesellschaft zu kontrollieren. Um das allgemeine Ziel, die Perfektionierung der Menschen, zu erreichen, wurden ihre Bewegungsabläufe wie bei einer Maschine automatisiert. So mussten zum Beispiel die Arbeiter in einer Fabrik oder Manufaktur jeden Tag die selben Handgriffe tätigen und sich an ein genaues Zeitraster halten. In dieser Zeit vermehrten sich nicht mehr die menschenähnlichen Maschinen, wie es zum Teil auch noch Ende des 19. Jahrhunderts der Fall war, sondern die maschinenähnlichen Bewegungen der Menschen. Auch das Bürgertum glaubte nicht, dass die Technik immer menschenähnlicher werden könnte und legte deshalb sehr großen Wert darauf, dass sich der Mensch von der Maschine unterscheidet. Der einstige Wunschtraum, künstliche Menschen zu konstruieren, wurde zu einem Alptraum für die Gesellschaft. Was mit faszinierenden und zur Unterhaltung dienenden Automatenmenschen angefangen hatte, endete nun in der Unterdrückung der Arbeiter, die kontrolliert von der Arbeitsmaschine ihre Arbeit verrichten mussten. Die Kreativität und Eigenentfaltung wurde dabei eingeschränkt und durch simple Handgriffe, um die Maschinen zu bedienen, ersetzt. Nun war nicht mehr die Eigenleistung eines Arbeiters für die Produktion einer Ware wichtig, da die Maschinen diese Arbeit übernommen hatten. Somit wurde der Mensch durch die technischen Entwicklungen ersetzt und in seinem Beruf austauschbar gemacht, da für die Bedienung der Maschinen keine aufwendige Ausbildung mehr nötig war. Die Romantiker wehrten sich auf ihre eigene Art und Weise gegen den Materialismus, der sich in der Gesellschaft immer mehr verbreitete, und neigten sich der mystischen Welt zu. Sie sehnten sich in die frühen Zeiten der Menschengeschichte zurück. Unter anderem sahen sie im Mittelalter, wo dem Mythos noch eine große Rolle zugeschrieben wurde, die ideale Zeit der Geschichte, die aber durch die moderne, realistische und aufgeklärte Welt verdrängt wurde. Sie sehnten sich nach der idyllischen und ursprünglichen Natur und sahen in der Maschine einen Feind, der sich gewaltsam gegen diese und ebenso auch gegen den Menschen richtete. Sie verehrten und sammelten aber die einfache Kunst des Volkes und begeisterten sich für die Schönheit und Wildheit der Natur. Der Hauptgedanke der romantischen Weltanschauung war die Universalität45 der Menschen. Die Konstruktion von Automatenmenschen und Arbeitsmaschinen, die dem Menschen überlegen sind, stellten hierbei eine Bedrohung dar. Das Bürgertum der Romantik legte deshalb sehr großen Wert darauf, dass der Mensch sich, von sich aus, von der Technik unterscheidet. Die romantischen Schriftsteller und Künstler werden nicht mehr durch die Faszination der Androiden angeregt, sondern verarbeiten den wahr gewordenen Alptraum, von Maschinen, die dem Menschen überlegen sind und Menschen, die alles Menschliche abgestreift haben, in ihren Werken. Sie versuchen die Einheit von Geist und Natur zu betonen und wollen, dass die Menschen zu der natürlichen Schönheit zurück finden und sich nicht von den Automaten in ihrer Lebensweise beeinflussen lassen. Für die Romantiker ist die Welt unvollkommen und die Natur erweist sich als Spiegel der Seele. Es herrschen keine Zwänge und es wird nie die Perfektion von einem Menschen gefordert, da selbst das ,Original' nicht vollkommen ist.
"Die Hochzeit der Seele mit der Natur macht den Verstand fruchtbar und erzeugt die Phantasie."46
III. Schlussteil
A. Die Verarbeitung Hoffmanns der Automaten als Schriftsteller der RomantikAm 10. Oktober sah E.T.A Hoffmann in Dresden zum ersten Mal die Automaten von J.G Kaufmann (1752-1818) und seinem Sohn Friedrich Kaufmann (1785-1866), darunter einen Trompeter und eine klavierspielende Figur. Er war fasziniert von dem grausigen Doppelsinn eines ,lebendigen Toten', jedoch teilte er, wie einige andere Romantiker, nicht mehr die Begeisterung für den technischen Fortschritt. Im Gegensatz zur allgemeinen Begeisterung äußerte er sich negativ zu dem Gesehenen. Er schrieb unter anderem 1914 die Novelle "Die Automate", in der er auch den schachspielenden Türken von Wolfgang von Kempelen beschrieb. E.T.A warnte von Anfang an vor den Gefahren der Technisierung, die auch die Enthumanisierung mit sich ziehen würde. In der Novelle "Der Sandmann" übt Hoffmann zum Teil auch Gesellschaftskritik aus. Inspiriert durch den Schachtürken, der durch seinen eingebauten Sprachmechanismus das Publikum von seiner Aufrichtigkeit überzeugte, zeigte er in "Der Sandmann", dass das Sprechen keine Voraussetzung für das menschliche Denken und Fühlen ist. Obwohl Olimpia nicht viel redet und sich auch in ihrer Art von Gesellschaft unterscheidet, wird sie nicht sofort als Puppe entlarvt. Ihr Verhalten wird dem Zwange der Gesellschaft zugeschrieben. Diese Zwänge machen aus dem Menschen einen Spielball der Gesellschaft, der sich immer mehr den Normen Verhaltenscodexen anpassen muss. Die Romantiker lehnten diese Zwanghafte Anpassung ab und wollten zu der Natürlichkeit des Menschen zurück, der sich nicht in einer gewissen Weise verhalten musste, um in die Gesellschaft eingegliedert zu werden. Olimpia wurde von der Gesellschaft ,akzeptiert', da sie sich nicht negativ auf ihr Umfeld auswirkte. Sie war schön, hatte Talente und störte niemanden mir ihrer Anwesenheit. Obwohl die Gesellschaft, nach der Aufklärung um Olimpias Wesen, versuchte die Automaten auszuschließen ist es in Wirklichkeit das Automatenwesen, welches sie begünstigt. Das Streben nach Perfektion und Macht lässt den Menschen zu einer Maschine werden, die durch die Normen der Gesellschaft bedient wird.
Mit der Liebe Nathanaels zu Olimpia spielt E.T.A Hoffmann auf das Problem des Narzissmus an, welches die allgemeine Bezeichnung für die Selbstverliebtheit ist. Nathanael sieht in den leeren Augen Olimpias sein eigenes Spiegelbild, er reflektiert seine Liebe. Nach Sigmund Freud47 trete dieser Zustand häufig nach enttäuschter Liebe oder Selbstwertkränkungen auf, was sich eins zu eins auf Nathanael übertragen lässt. Clara zeigt kein Verständnis für seine mystischen Dichtungen und enttäuscht ihn damit. Mit der Liebe zu Olimpia, also zu sich selbst, vervollständigt er sein Leben und wird wieder glücklich. Dadurch, dass Nathanael am Ende der Erzählung wahnsinnig wird und sich in den Tod stürzt, verdeutlicht Hoffmann, dass der Narzissmus eine ernst zu nehmende Krankheit ist. Die Automaten helfen Hoffmann diese Probleme, einerseits in der Gesellschaft, andererseits für einzelne Personen, zu verdeutlichen. Ebenso verdeutlicht er die Risiken, die die Automaten mit sich ziehen. Obwohl sie nicht in der Gesellschaft geduldet werden, sind sie ein Teil von ihr und führen dazu, dass die Menschen sich immer mehr von ihnen beeinflussen lassen.
IV. Literaturverzeichnis
A. Primärliteratur
Hoffmann, E.T.A. Der Sandmann. (Reclam) Ditzingen 2003
B. Sekundärliteratur
Wawrzyn, Lienhard. Der Automaten-Mensch. E.T.T Hoffmanns Erzählung vom Sandmann. Auseinandergenommen und zusammengesetzt von Lienhard Wawrzyn. Neuausgabe 1990. Wagenbachs Taschenbücherei 177. Nördlingen 1990
Hoffmann, E.T.A. Der Sandmann. Mit Illustrationen von Hugo Steiner-Prag und einem Nachwort von Jochen Schmidt. Insel Verlag. Frankfurt am Main 1986
Drux, Rudolf. Erläuterungen und Dokumente. E.T.A Hoffmann, Der Sandmann. Ausgabe Nr. 230. Reclam. Ditzingen 2003
Gröble, Susanne. Literaturwissen E.T.A Hoffmann. Reclam. Ditzingen 2000
Hoffmann, E.T.A. Der Sandmann. Mit einem Kommentar von Peter Braun. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2003
Pikulik, Lothar. E.T.A Hoffmann als Erzähler. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 1987
Inhalt
Dies ist eine Facharbeit über die Entwicklung der Automatenmenschen (Androiden) im 18./19. Jahrhundert. Ebenso gehe ich auf die Zeit der Romantik ein. Entstanden ist das Thema durch die Novelle "Der Sandmann" von E.T.A Hoffmann, in der die Figur der Olimpia eine wichtige Rolle spielt. Die Facharbeit ist folgend gegliedert:
1. Einleitung
a.Vorwort
2.Hauptteil
a.Der Automatenmensch in E.T.A Hoffmanns Novelle "Der Sandmann"
b.Die Automatenmenschen im 18. Jahrhundert
c.Die Automatenmenschen in der Romantik
3.Schlussteil
a.Die Verarbeitung Hoffmanns der Automaten als Schriftsteller der Romantik
4.Literaturverzeichnis (3930 Wörter)
1. Einleitung
a.Vorwort
2.Hauptteil
a.Der Automatenmensch in E.T.A Hoffmanns Novelle "Der Sandmann"
b.Die Automatenmenschen im 18. Jahrhundert
c.Die Automatenmenschen in der Romantik
3.Schlussteil
a.Die Verarbeitung Hoffmanns der Automaten als Schriftsteller der Romantik
4.Literaturverzeichnis (3930 Wörter)
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