Facharbeit: Bedroht die Freiheit im Netz in Wahrheit die Freiheit jeder einzelnen Person?
Bedroht die Freiheit im Netz in Wahrheit die Freiheit jeder einzelnen Person?
Erörterung
Der Journalist und Herausgeber des Magazins Profil, Christian Rainer,
schreibt in seiner Kolumne mit dem Titel "Mails, Postings, Shitstorms. Die
Erträglichkeitsgrenze der anonymen Verleumdung ist erreicht" über das
präventive Aushebeln jeglicher Privatsphäre im Internet, um zukünftig diese
Art des Mobbings zu vermeiden und gegebenenfalls die Täter leichter
ausforschen zu können. Anlassfall ist eine Cybermobbingattacke nach einer
unbedachten Aussage der Ö3-Moderatorin Elke Lichtenegger. Die Frage, ob es
sich tatsächlich um den richtigen Weg handelt, jegliche Form anderer
Identitäten im Netz abzuschaffen, möchte ich auf den folgenden Seiten
erörtern.
Rainer beginnt mit einer Akkumulation an Beispielen von Shitstorm-Attacken,
die in der vergangenen Zeit in Deutschland und Österreich vorgekommen sind.
Er fragt sich weiters, ob es sich um einen "idealen Aggregatzustand für
Redefreiheit in demokratischen Verhältnissen" handle oder "doch die
digitale Version von feiger Vernaderung und brutaler Hexenjagd" sei. Er
vertritt die Auffassung, dass die Meinungsäußerung im Netz, vor allem aber
in sozialen Medien, Maß und Ziel verloren hätte. Ihm persönlich fehle die
Kontrolle.
Kurz führt er die Pro-Argumente derjenigen an, die gegen die Aufhebung der
Anonymität im Netz sprechen. Von der Abwesenheit hierarchischer Strukturen
ist da die Rede und vom Umstand, dass der Zugang zum Internet jedem frei
stehe, nicht nur einer finanzstarken Elite.
Er hingegen hätte den Eindruck, dass es sich bei Postings und Kommentaren
aller Art nicht mehr um Meinungen handle, sondern nur noch um
Beschimpfungen und Anschuldigungen. Als Beispiel führt er die
Shitstorm-Attacke auf Elke Lichtenegger und Mario Plachutta an.
Abschließend stellt er die Frage, was gegen das "Chaos im rechtsfreien
Raum" zu tun sei, welches sich nach Rainer "Freiheit für alle nennt, in
Wahrheit aber die Freiheit der anderen bedrohe". Sein Problemlösungsanstz
sei die Abschaffung virtueller Identitäten und "Klarnamen für alle", da die
Anonymität der Rechtsordnung widerspreche. Schließlich würden in der
Realität Menschen, die andere beschimpfen, auch als Person verurteilt
werden. Mangels Verfolgbarkeit im Netz sei es zudem unmöglich, die Täter
ausfindig zu machen und zur Verantwortung zu ziehen. Rainer beendet seine
Kolumne mit der angeblich noch regen Erinnerung an die damals erwünschte anonyme
Vernaderung im Dritten Reich.
Der Kolumnist eröffnet und beendet den Text mit dem Thema
Nationalsozialismus, was nicht nur bedenklich ist, sondern vor allem einen
besonders manipulativen Charakter besitzt. Der Vergleich des Internets mit
dem Nationalsozialismus entbehrt jeglicher Logik, steht jedoch, zusammen
mit dem Vergleich der "digitalen Version einer brutalen Hexenjagd" in
diesem Fall als Hyperbel einerseits für die "Dringlichkeit einer Abwehr des
Bösen", nämlich der freien Meinungsäußerung im Netz, andererseits für
mittelalterlich anmutende soziale Interaktionen.
Im kurzen Absatz der Pro-Argumente führt Rainer keine tatsächlichen
Argumente für die Anonymität im Netz an, vielmehr verstärkt er seine eigene
Meinung mit dem normativen Argument der Abwesenheit von Kontrolle.
Sein empirisches Argument dazu sei der Umstand, dass es sich bei Postings
und Kommentaren "nicht mehr um Meinungen handle, sondern nur noch um
Beschimpfungen und Anschuldigungen". Dieses Argument kann jedoch nicht
verallgemeinert werden, denn das würde bedeuten, dass sich auch im
"profil.at-Forum" keine Meinungen, sondern lediglich ebendiese
Beschimpfungen und Anschuldigungen finden lassen. Beim Lesen der
durchgehend sachlichen Kommentare zu der Kolumne auf der Seite profil.at
stellt man jedoch schnell fest, dass es sich wohl eher so verhält, dass
Rainer seine eigenen Stammleser zu Unrecht beschuldigt.
Am Beispiel Elke Lichtenegger solle der Leser erkennen, dass sie, die sich
angeblich "nichts zuschulden kommen" hätte lassen, ungerechtfertigterweise
einem Shitstorm ausgesetzt war. Tatsächlich kam es zu einer heftigen
Cybermobbing-Attacke gegen die junge Frau. Anzunehmen ist, dass es sich bei
den Tätern vorwiegend um österreichische Musiker und deren Unterstützer
handelte. Rainer stellt die Täter als eine Gruppe von Menschen dar, die nur
des Spaßes wegen eine völlig unschuldige Frau im Internet beschimpfen und
bloßstellen würden. Als wäre ihre Wahl rein zufällig auf Elke Lichtenegger
gefallen und es genauso gut jede andere Person hätte treffen können.
Das zweite Beispiel, das Rainer anführt, ist der Shitstorm auf der
Facebookseite Mario Plachuttas, der einen Mitarbeiter wegen der Aneignung
von 50 Gramm Zucker entlassen hatte.
In beiden Beispielen wird eines besonders deutlich: In sozialen Netzwerken
handeln die User nicht rein willkürlich. Lichtenegger und Plachutta wurden
nicht, wie Rainer versucht, es darzustellen, rein zufällig als Opfer
ausgewählt, sondern wurden nach öffentlicher, wenn auch unabsichtlicher Beleidung einer bestimmten Gruppe und nach einer groben Fehlentscheidung von den Usern abgestraft.
Natürlich ist auch dieser Umstand keine Rechtfertigung für öffentliche
Beleidigungen und Demütigungen.
Aber Rainers Argument, die Freiheit im Netz bedrohe in Wahrheit die
Freiheit jedes anderen, in Zusammenhang mit den von ihm angeführten
Beispielen, kann als entkräftet angesehen werden. Die Frage "Wessen
Freiheit?" darf hier laut gestellt werden, wo er doch selbst angibt, es sei
ein Pro-Argument, dass alle Zugang zum Internet hätten, nicht nur die
finanzstarke Elite.
Rainer hält sich überwiegend an die Textsorte einer klassisch gegliederten
dialektischen Erörterung. Die Einleitung beginnt er mit seinem persönlichen
Zugang zum Thema, den Hauptteil schmückt er mit mehr oder weniger Pro- und
Contra-Argumenten, wobei die Contra-Argumente überwiegen, Beispiele sind
angeführt. Im Schlussteil schildert Rainer seine eigene Meinung zum Thema,
die besonders beim abschließenden Vergleich mit nationalsozialistischem
Gedankengut manipulativ daherkommt. Der Vergleich ist irreführend und
unlogisch. Die Argumente pro Abschaffung der Privatsphäre sind aus dem
Zusammenhang gerissen und für den gemeinen Internetuser nicht
nachvollziehbar.
Ich kann den Argumenten des Verfassers nicht zustimmen.
Die Forderung nach Abschaffung aller virtuellen Identitäten zum Schutz
gegen Shitstorm und zur strafrechtlichen Verfolgbarkeit erweckt bei mir den
Eindruck, er würde es begrüßen, das Volk mundtot zu machen. Der Bürger hat
nach seiner Auffassung alles stillschweigend hinzunehmen und sich gefälligst weder über
ungerechte, beleidigende öffentliche Aussagen, noch über ungerechtfertigte
Entlassungen beschweren.
Man muss zwischen zwei Arten des Shitstorm unterscheiden. Einerseits
dem Cybermobbing und andererseits der ungerechtfertigt beleidigenden
Meinungsäußerung. Cybermobbing trifft tatsächlich völlig Unschuldige, in
den meisten Fällen stecken Neid und Intrigen dahinter. Die Opfer werden
grundlos öffentlich bloßgestellt und beleidigt. Ungerechtfertigt
beleidigende Meinungsäußerungen sind dagegen sehr wohl zielgerichtet auf
Personen, die sich entweder einer Tat schuldig gemacht oder eine andere
Personengruppe ebenfalls öffentlich beleidigt haben und deshalb "als Person
verurteilt" werden, wie auch Rainer in seiner Kolumne schreibt. Beide
Formen der persönlichen Beleidigung sind unangebracht, sogar in höchstem
Maße verwerflich, und gehören meines Erachtens genauso strafrechtlich
verfolgt wie beispielsweise Stalking.
Streng zu unterscheiden sind hier sachliche Meinungsäußerungen. Die
Aufhebung der virtuellen Identitäten als präventive Maßnahme gegen
Cybermobbing und ungerechtfertigt beleidigender Meinungsäußerungen empfinde
ich als Präventivmaßnahme völlig unangebracht, denn das würde einer
Abschaffung der Meinungsfreiheit gleich kommen. Das Internet ist doch das Sinnbild für genau dafür, für die Meinungsfreiheit. Und Meinungsaustausch funktioniert
nur durch die Wahrung der Privatsphäre.
Welche beruflich erfolgreiche, berufstätige Mutter könnte sich es noch
erlauben, ihre Meinung öffentlich zu machen, ohne der Angst im Hinterkopf,
jemand von ihren Arbeitskollegen oder sogar der Arbeitgeber selbst könnten
sich angegriffen fühlen, weil die Meinung nicht mit der ihren
korrespondiert, womöglich sogar mit der Firmenphilosophie kollidiert. Wer
sagt, dass man genau dieselbe persönliche Meinung vertreten muss wie der
Chef oder die Kollegen? Sprechen wir doch alle von der strikten Teilung
zwischen Berufs- und Privatleben, die jedoch nur dann funktioniert, wenn
der Chef nicht die Meinungen seiner Mitarbeiter, und der Lehrer von klein
Hans nicht die Meinung seiner Mama googeln können.
Wie bestraft man nochmals anonyme Drohbriefe, die per Post kommen?
Natürlich ist es für Täter zu einfach, andere Menschen im Netz zu
beleidigen, bloß zu stellen und zu demütigen. Doch dafür alle Bürger
zur Rechenschaft zu ziehen und die Privatsphäre im Netz völlig auszuhebeln
würde erst recht unserer Rechtsordnung widersprechen.
Was also tun gegen Cybermobbing und dergleichen auf Social Media
Plattformen?
Erstens: Alle Bürger über Social-Media-Kompetenzen aufklären. Zweitens:
Moderatoren und Administratoren in die Pflicht nehmen. Alle Arten von
persönlichen Beleidigungen müssen sofort abgemahnt und gelöscht werden. Den
Täter gegenenenfalls aus dem Forum werfen. Drittens: Alle Internetuser in
die Pflicht nehmen, die Netiquette sowie individuelle Forenregeln zu kennen
und einzuhalten. Nichtwissen darf nicht vor Strafe schützen. Genauso sollte
jeder Internetuser verpflichtet sein, den"Social-Media-Knigge" von Rainer
Wälde für den Deutschen Knigge-Rat zu kennen.
Mein Fazit:
Wer seinen Namen im Netz bekannt geben muss, würde das Internet zukünftig
meiden und die Spielwiese wird ihres wichtigsten Spielgerätes beraubt.
Übrig bliebe ein riesengroßes Feld mit Millionen von Werbeplakaten und
einem langweiligen Lexikon. Wenn hier also etwas die Freiheit der einzelnen
Person bedroht, dann ist es einzig und allein der Umstand, dass es
tatsächlich Stimmen für die Aufhebung der Privatsphäre im Internet
gibt.
Weiterführende Links:
1. zur Aneignung von Social-Media-Kompetenzen
http://social-media-experten.de/2011/03/16/was-sind-die-kompetenzen-fur-social-media/
2. zum Vertrautmachen mit dem allgemein gültigen Social-Media-Knigge:
http://www.knigge-rat.de/themen_social_media.html
3. zum Vertrautmachen mit der allgemein gültigen Netiquette:
http://de.wikipedia.org/wiki/Netiquette#cite_note-1
4. zu einer der besten Vorlagen zur Ausarbeitung von Nutzungsbedingungen
für öffentliche Foren
http://www.juraforum.de/muster-nutzungsbedingungen-forum/
zur Kolumne von C. Rainer in Profil Online
http://www.profil.at/articles/1419/568/375037/christian-rainer-shitstorm
Erörterung
Der Journalist und Herausgeber des Magazins Profil, Christian Rainer,
schreibt in seiner Kolumne mit dem Titel "Mails, Postings, Shitstorms. Die
Erträglichkeitsgrenze der anonymen Verleumdung ist erreicht" über das
präventive Aushebeln jeglicher Privatsphäre im Internet, um zukünftig diese
Art des Mobbings zu vermeiden und gegebenenfalls die Täter leichter
ausforschen zu können. Anlassfall ist eine Cybermobbingattacke nach einer
unbedachten Aussage der Ö3-Moderatorin Elke Lichtenegger. Die Frage, ob es
Identitäten im Netz abzuschaffen, möchte ich auf den folgenden Seiten
erörtern.
Rainer beginnt mit einer Akkumulation an Beispielen von Shitstorm-Attacken,
die in der vergangenen Zeit in Deutschland und Österreich vorgekommen sind.
Er fragt sich weiters, ob es sich um einen "idealen Aggregatzustand für
Redefreiheit in demokratischen Verhältnissen" handle oder "doch die
digitale Version von feiger Vernaderung und brutaler Hexenjagd" sei. Er
vertritt die Auffassung, dass die Meinungsäußerung im Netz, vor allem aber
in sozialen Medien, Maß und Ziel verloren hätte. Ihm persönlich fehle die
Kontrolle.
Kurz führt er die Pro-Argumente derjenigen an, die gegen die Aufhebung der
Anonymität im Netz sprechen. Von der Abwesenheit hierarchischer Strukturen
ist da die Rede und vom Umstand, dass der Zugang zum Internet jedem frei
stehe, nicht nur einer finanzstarken Elite.
Er hingegen hätte den Eindruck, dass es sich bei Postings und Kommentaren
aller Art nicht mehr um Meinungen handle, sondern nur noch um
Shitstorm-Attacke auf Elke Lichtenegger und Mario Plachutta an.
Abschließend stellt er die Frage, was gegen das "Chaos im rechtsfreien
Raum" zu tun sei, welches sich nach Rainer "Freiheit für alle nennt, in
Wahrheit aber die Freiheit der anderen bedrohe". Sein Problemlösungsanstz
sei die Abschaffung virtueller Identitäten und "Klarnamen für alle", da die
Anonymität der Rechtsordnung widerspreche. Schließlich würden in der
Realität Menschen, die andere beschimpfen, auch als Person verurteilt
werden. Mangels Verfolgbarkeit im Netz sei es zudem unmöglich, die Täter
ausfindig zu machen und zur Verantwortung zu ziehen. Rainer beendet seine
Kolumne mit der angeblich noch regen Erinnerung an die damals erwünschte anonyme
Vernaderung im Dritten Reich.
Der Kolumnist eröffnet und beendet den Text mit dem Thema
Nationalsozialismus, was nicht nur bedenklich ist, sondern vor allem einen
besonders manipulativen Charakter besitzt. Der Vergleich des Internets mit
dem Nationalsozialismus entbehrt jeglicher Logik, steht jedoch, zusammen
mit dem Vergleich der "digitalen Version einer brutalen Hexenjagd" in
diesem Fall als Hyperbel einerseits für die "Dringlichkeit einer Abwehr des
Bösen", nämlich der freien Meinungsäußerung im Netz, andererseits für
mittelalterlich anmutende soziale Interaktionen.
Im kurzen Absatz der Pro-Argumente führt Rainer keine tatsächlichen
Argumente für die Anonymität im Netz an, vielmehr verstärkt er seine eigene
Meinung mit dem normativen Argument der Abwesenheit von Kontrolle.
Sein empirisches Argument dazu sei der Umstand, dass es sich bei Postings
und Kommentaren "nicht mehr um Meinungen handle, sondern nur noch um
Beschimpfungen und Anschuldigungen". Dieses Argument kann jedoch nicht
verallgemeinert werden, denn das würde bedeuten, dass sich auch im
"profil.at-Forum" keine Meinungen, sondern lediglich ebendiese
Beschimpfungen und Anschuldigungen finden lassen. Beim Lesen der
durchgehend sachlichen Kommentare zu der Kolumne auf der Seite profil.at
stellt man jedoch schnell fest, dass es sich wohl eher so verhält, dass
Rainer seine eigenen Stammleser zu Unrecht beschuldigt.
Am Beispiel Elke Lichtenegger solle der Leser erkennen, dass sie, die sich
angeblich "nichts zuschulden kommen" hätte lassen, ungerechtfertigterweise
einem Shitstorm ausgesetzt war. Tatsächlich kam es zu einer heftigen
Cybermobbing-Attacke gegen die junge Frau. Anzunehmen ist, dass es sich bei
den Tätern vorwiegend um österreichische Musiker und deren Unterstützer
handelte. Rainer stellt die Täter als eine Gruppe von Menschen dar, die nur
des Spaßes wegen eine völlig unschuldige Frau im Internet beschimpfen und
bloßstellen würden. Als wäre ihre Wahl rein zufällig auf Elke Lichtenegger
gefallen und es genauso gut jede andere Person hätte treffen können.
Das zweite Beispiel, das Rainer anführt, ist der Shitstorm auf der
Facebookseite Mario Plachuttas, der einen Mitarbeiter wegen der Aneignung
von 50 Gramm Zucker entlassen hatte.
In beiden Beispielen wird eines besonders deutlich: In sozialen Netzwerken
handeln die User nicht rein willkürlich. Lichtenegger und Plachutta wurden
nicht, wie Rainer versucht, es darzustellen, rein zufällig als Opfer
ausgewählt, sondern wurden nach öffentlicher, wenn auch unabsichtlicher Beleidung einer bestimmten Gruppe und nach einer groben Fehlentscheidung von den Usern abgestraft.
Natürlich ist auch dieser Umstand keine Rechtfertigung für öffentliche
Beleidigungen und Demütigungen.
Aber Rainers Argument, die Freiheit im Netz bedrohe in Wahrheit die
Freiheit jedes anderen, in Zusammenhang mit den von ihm angeführten
Beispielen, kann als entkräftet angesehen werden. Die Frage "Wessen
Freiheit?" darf hier laut gestellt werden, wo er doch selbst angibt, es sei
ein Pro-Argument, dass alle Zugang zum Internet hätten, nicht nur die
finanzstarke Elite.
Rainer hält sich überwiegend an die Textsorte einer klassisch gegliederten
dialektischen Erörterung. Die Einleitung beginnt er mit seinem persönlichen
Zugang zum Thema, den Hauptteil schmückt er mit mehr oder weniger Pro- und
Contra-Argumenten, wobei die Contra-Argumente überwiegen, Beispiele sind
angeführt. Im Schlussteil schildert Rainer seine eigene Meinung zum Thema,
die besonders beim abschließenden Vergleich mit nationalsozialistischem
Gedankengut manipulativ daherkommt. Der Vergleich ist irreführend und
unlogisch. Die Argumente pro Abschaffung der Privatsphäre sind aus dem
Zusammenhang gerissen und für den gemeinen Internetuser nicht
nachvollziehbar.
Ich kann den Argumenten des Verfassers nicht zustimmen.
Die Forderung nach Abschaffung aller virtuellen Identitäten zum Schutz
gegen Shitstorm und zur strafrechtlichen Verfolgbarkeit erweckt bei mir den
Eindruck, er würde es begrüßen, das Volk mundtot zu machen. Der Bürger hat
nach seiner Auffassung alles stillschweigend hinzunehmen und sich gefälligst weder über
ungerechte, beleidigende öffentliche Aussagen, noch über ungerechtfertigte
Entlassungen beschweren.
Man muss zwischen zwei Arten des Shitstorm unterscheiden. Einerseits
dem Cybermobbing und andererseits der ungerechtfertigt beleidigenden
Meinungsäußerung. Cybermobbing trifft tatsächlich völlig Unschuldige, in
den meisten Fällen stecken Neid und Intrigen dahinter. Die Opfer werden
grundlos öffentlich bloßgestellt und beleidigt. Ungerechtfertigt
beleidigende Meinungsäußerungen sind dagegen sehr wohl zielgerichtet auf
Personen, die sich entweder einer Tat schuldig gemacht oder eine andere
Personengruppe ebenfalls öffentlich beleidigt haben und deshalb "als Person
verurteilt" werden, wie auch Rainer in seiner Kolumne schreibt. Beide
Formen der persönlichen Beleidigung sind unangebracht, sogar in höchstem
Maße verwerflich, und gehören meines Erachtens genauso strafrechtlich
verfolgt wie beispielsweise Stalking.
Streng zu unterscheiden sind hier sachliche Meinungsäußerungen. Die
Aufhebung der virtuellen Identitäten als präventive Maßnahme gegen
Cybermobbing und ungerechtfertigt beleidigender Meinungsäußerungen empfinde
ich als Präventivmaßnahme völlig unangebracht, denn das würde einer
Abschaffung der Meinungsfreiheit gleich kommen. Das Internet ist doch das Sinnbild für genau dafür, für die Meinungsfreiheit. Und Meinungsaustausch funktioniert
nur durch die Wahrung der Privatsphäre.
Welche beruflich erfolgreiche, berufstätige Mutter könnte sich es noch
erlauben, ihre Meinung öffentlich zu machen, ohne der Angst im Hinterkopf,
jemand von ihren Arbeitskollegen oder sogar der Arbeitgeber selbst könnten
sich angegriffen fühlen, weil die Meinung nicht mit der ihren
korrespondiert, womöglich sogar mit der Firmenphilosophie kollidiert. Wer
sagt, dass man genau dieselbe persönliche Meinung vertreten muss wie der
Chef oder die Kollegen? Sprechen wir doch alle von der strikten Teilung
zwischen Berufs- und Privatleben, die jedoch nur dann funktioniert, wenn
der Chef nicht die Meinungen seiner Mitarbeiter, und der Lehrer von klein
Hans nicht die Meinung seiner Mama googeln können.
Wie bestraft man nochmals anonyme Drohbriefe, die per Post kommen?
Natürlich ist es für Täter zu einfach, andere Menschen im Netz zu
beleidigen, bloß zu stellen und zu demütigen. Doch dafür alle Bürger
zur Rechenschaft zu ziehen und die Privatsphäre im Netz völlig auszuhebeln
würde erst recht unserer Rechtsordnung widersprechen.
Was also tun gegen Cybermobbing und dergleichen auf Social Media
Plattformen?
Erstens: Alle Bürger über Social-Media-Kompetenzen aufklären. Zweitens:
Moderatoren und Administratoren in die Pflicht nehmen. Alle Arten von
persönlichen Beleidigungen müssen sofort abgemahnt und gelöscht werden. Den
Täter gegenenenfalls aus dem Forum werfen. Drittens: Alle Internetuser in
die Pflicht nehmen, die Netiquette sowie individuelle Forenregeln zu kennen
und einzuhalten. Nichtwissen darf nicht vor Strafe schützen. Genauso sollte
jeder Internetuser verpflichtet sein, den"Social-Media-Knigge" von Rainer
Wälde für den Deutschen Knigge-Rat zu kennen.
Mein Fazit:
Wer seinen Namen im Netz bekannt geben muss, würde das Internet zukünftig
meiden und die Spielwiese wird ihres wichtigsten Spielgerätes beraubt.
Übrig bliebe ein riesengroßes Feld mit Millionen von Werbeplakaten und
einem langweiligen Lexikon. Wenn hier also etwas die Freiheit der einzelnen
Person bedroht, dann ist es einzig und allein der Umstand, dass es
tatsächlich Stimmen für die Aufhebung der Privatsphäre im Internet
gibt.
Weiterführende Links:
1. zur Aneignung von Social-Media-Kompetenzen
http://social-media-experten.de/2011/03/16/was-sind-die-kompetenzen-fur-social-media/
2. zum Vertrautmachen mit dem allgemein gültigen Social-Media-Knigge:
http://www.knigge-rat.de/themen_social_media.html
3. zum Vertrautmachen mit der allgemein gültigen Netiquette:
http://de.wikipedia.org/wiki/Netiquette#cite_note-1
4. zu einer der besten Vorlagen zur Ausarbeitung von Nutzungsbedingungen
für öffentliche Foren
http://www.juraforum.de/muster-nutzungsbedingungen-forum/
zur Kolumne von C. Rainer in Profil Online
http://www.profil.at/articles/1419/568/375037/christian-rainer-shitstorm
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