Facharbeit: Das Motiv der Angst in Wolfgang Koeppens "Tauben um Gras"
Lise-Meiner-Gymnasium
Hausbroicher Str. 40 47877 Willich
Facharbeit
Das Motiv der Angst in Wolfgang Koeppens "Tauben im Gras"
Eingereicht bei: Frau Pinter
Kurs: Leistungskurs Deutsch
Verfasst von
Abgabetag: 21.03.2012
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung - 3-
2 Zusammenfassung des Romans
- 4-
2.1 Zusammenfassung
2.2 Wichtige Charaktere - 5-
3 Definition von Angst - 6-
3.1 allgemeine Definition von Angst
3.2 verschiedene Ängste - 7-
4 Ängste in "Tauben im Gras" - 9-
4.1 individuelle Ängste der Charaktere
4.2 allgemeine Kriegsangst -16-
5 Angstbewältigung in "Tauben im Gras" -18-
5.1 allgemeine Angstbewältigung der Charaktere
5.2 Eskapismus -22-
6 Fazit -23-
7 Schlusswort -24-
8 Quellenverzeichnis -25-
9 Selbstständigkeitserklärung -26-
1 Einleitung
"Flieger waren über der Stadt, unheilverkündende Vögel."
So beginnt Wolfgang Koeppen seinen Roman "Tauben im Gras". Und genauso ist auch der Roman, unheilverkündend, wo er doch in seinem ganz eigenen Stil die Schrecken und das Leiden der Menschen der Nachkriegszeit schildert.
Ich untersuche im Rahmen meiner Facharbeit im Fach Deutsch das Motiv der Angst in diesem Roman "Tauben im Gras". Im weiteren Verlauf meiner Arbeit werde ich zunächst eine kurze Inhaltsangabe zu dem Buch verfassen und die für mein Thema wichtigen Protagonisten knapp vorstellen, sowie gegebenenfalls charakterisieren. Anschließend definiere ich das Wort Angst und stelle verschiedene Ängste kurz vor. Außerdem werde ich den Roman auf eine allgemein herrschende Angst und auf die individuellen Ängste der Protagonisten analysieren, sowie die Strategien der Angstbewältigung einzelner Protagonisten untersuchen.
Ich habe dieses Thema gewählt, da mich das Buch schon vor einiger Zeit fasziniert hat und ich die Erzähltechnik und die Struktur, sowie das Thema besonders beeindruckend finde. Da ich aber auf Grund der Länge keine Facharbeit zu dem ganzen Roman schreiben kann, hat mich meine Freude an der Psychologie zu dem besonderen Augenmerk auf das Thema Angst geführt.
Ich wünsche Ihnen noch viel Spaß beim Lesen meiner Facharbeit und hoffe, dass sie Ihnen gefällt.
2 Zusammenfassung des Romans
2.1 Zusammenfassung
Wolfgang Koeppens Roman "Tauben im Gras" (1951) spielt im Nachkriegsdeutschland des zweiten Weltkriegs um 1949. Es ist der erste Teil der "Trilogie des Scheiterns". Handlungsort ist eine nicht namentlich genannte Stadt (verschiedene Quellen vermuten München) in der Besatzungszone der Amerikaner. Es gibt keinen klaren Protagonisten, stattdessen werden in ca. 100 Abschnitten über 30 Charaktere behandelt, die zunächst voneinander unabhängig scheinenden Handlungssträngen folgen, welche sich allerdings im Laufe des Romans verknüpfen.
Diese Charaktere vertreten alle Gesellschaftsschichten, sind Deutsche und Amerikaner und sind alle mit Problemen belastet. Es gibt nur wenige tief entwickelte Charaktere (z.B. Phillip & Emilia) und ein allgemeiner Pessimismus zieht sich durch den Roman. Besonders auffällig ist das Motiv des "Scheiterns", dem alle Charaktere ausgesetzt sind. Es gibt auch keinen Charakter der als Gegenpol fungieren könnte oder mit dem man sich identifizieren könnte, selbst das kleine Mädchen Hillegonda ist traumatisiert und hat eine tiefe Furcht vor dem Leben in sich. Auch der zunächst glücklich wirkende Washington wird von Problemen und Ängsten geplagt.
Weiterhin ist das Ende kein "Happy End", sondern endet mit dem Tod einiger Charaktere, dem ungewissen Tod oder zumindest Leiden einiger anderer. Nur einige der Amerikaner könnten zu einem "normalen" Leben zurückkehren, die anderen sind entweder verstorben oder müssen weiterhin versuchen, wie bisher, ihren Wünschen und Vorstellungen nicht genügend, zu leben. Auch hier wird das Scheitern noch einmal besonders betont, da sich für die Charaktere selbst kaum etwas im Verlauf des Buches verändert, weder sie selbst noch ihre Umstände. Außerdem wird dadurch deutlich, dass Koeppen den Roman als Dokumentation der damaligen Umstände schrieb, die damals herrschenden Verhaltensweisen und Rückstände kritisieren und gleichzeitig die Zufälligkeit aller Geschehnisse betonen wollte. Ein weiterer Hinweis darauf ist unter anderem der Buchtitel "Tauben im Gras", welcher die Willkürlichkeit und Zufälligkeit verdeutlicht.
2.2 Wichtige Charaktere
Ein wichtiger behandelter Aspekt ist das Motiv der Angst. Dieses tritt vor allem bei folgenden Charakteren auf, bei denen ich ihre Handlung kurz erläutern werde:
Hillegonda ist die kleine Tochter des Schauspielers Alexander und Messalina. Von ihrer Kinderfrau Emmi sehr gottesfürchtig erzogen, ist sie stark traumatisiert und hat eine tiefe Furcht vor dem Leben.
Phillip ist ein erfolgloser Schriftsteller, der sich mit Paranoia und Selbstzweifeln plagt, die aus einer Schreibblockade hervorgehen. Er ist Patient Doktor Behudes und Ehemann Emilias.
Emilia ist eine junge Erbin, die ihren Besitz größtenteils verloren hat. Dafür macht sie alle verantwortlich, die älter sind als sie. Sie hat häufig Tobsuchtsanfälle und abrupte Stimmungsschwankungen. Ihrer Verzweiflung entflieht sie unter anderem durch Masturbation. Sie beschuldigt oft ihren Ehemann, Schuld an ihrem Unglück zu haben und fühlt sich nur von ihren Tieren verstanden. Wie ihr Ehemann Phillip ist sie Patientin Doktor Behudes.
Mr. Edwin ist ein amerikanischer, bekannter Schriftsteller. Er hält in der Stadt einen Vortrag über den abendländischen Geist.
Carla ist eine ehemalige Prostituierte. Sie ist schwanger mit Washingtons Kind. Sie möchte das Kind abtreiben, da sie keine Zukunft für es sieht. Ihr Traum ist es, nach Amerika zu ziehen, um ein Leben wie in den Hochglanzmagazinen zu führen. Gleichzeitig hat sie allerdings auch Zweifel, ob so ein Leben überhaupt existiert oder nur eine Illusion ist.
Washington ist ein schwarzer, amerikanischer Soldat und ehemaliger Baseballspieler. Er liebt Carla und möchte unbedingt das Kind behalten und mit ihr ein neues Leben in den USA bzw. Frankreich beginnen. Ohne erkennbaren Grund sieht er Frankreich als das Paradies ohne Rassismus oder ähnliches.
3 Definitionen von Angst
3.1 Allgemeine Definitionen
Zum allgemeinen Verständnis habe ich zunächst verschiedene Definitionen von Angst zusammengetragen.
Allgemein ist Angst eine "Reaktion auf eine unbestimmte Bedrohung im Gegensatz zur Furcht".
Des Weiteren wird "Angst [...] gemeinhin als eine Reaktion auf (erwartete oder tatsächliche) Bedrohung oder Gefahr verstanden, die zumeist durch erlernte Reize ausgelöst wird. Angstreaktionen können sich vom ursprünglichen Reiz auf allgemeinere Reizmuster ausdehnen oder sich quasi verselbständigen.
[...]
Man unterscheidet normale (objektive) Angst, die sich auf tatsächliche Ursachen bezieht und Möglichkeiten der Anpassung bietet, von neurotischer Angst - damit ist eine unangemessen intensive Angst gemeint, die zum Gefahrenpotential des Auslösers in keinem (objektiv) nachvollziehbaren Verhältnis steht.
[...]
Phobien oder Zwangsstörungen entstehen als Reaktion auf bestimmte angstauslösende Situationen oder Objekte."
3.2 verschiedene Ängste
Kriegsangst: Angst vor einem Krieg
Paranoia: "Paranoia ist [...] die Bezeichnung für eine psychische Störung, in deren Mittelpunkt Wahnbildungen stehen. Häufiger taucht der Begriff jedoch in seiner adjektivischen Form paranoid auf, der auf Verfolgungsängste oder Verfolgungswahn hinweist. Die Betroffenen leiden an einer verzerrten Wahrnehmung ihrer Umgebung in Richtung auf eine feindselige (im Extrem bösartig verfolgende) Haltung ihrer Person gegenüber. Die Folgen reichen über ängstliches oder aggressives Misstrauen bis hin zur Überzeugung von einer Verschwörung anderer gegen sich."
Kurz gesagt kann man es als "Verfolgungswahn, Eifersuchts- oder Beziehungswahn." , sowie
"Geisteskrankheit mit Wahnvorstellungen wie Verfolgungswahn und Größenwahn, wobei anfangs der Verstand und das Gedächtnis kaum gestört sind." bezeichnen.
Existenzängste: Kurz gesagt die "Angst, die Existenz zu verlieren", näher ausgeführt versteht man darunter "Angst und Verzweiflung, gepaart mit Depressionen und einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit. [Dies] kann auftreten als Folge von Verlusten an Menschen und materiellen Gütern in Katastrophensituationen"
Verlustängste: Verlustängste sind "große Angst vor Alleinsein und Verlassen".
Selbstzweifel: Selbstzweifel können selbsterklärend als Zweifel an sich selbst beschrieben werden. (Selbstzweifel sind im allgemeinen Sinn keine Ängste. Doch in dem Roman gehen sie einher mit Ängsten und sind ebenso zahlreich vertreten, daher habe ich mich entschlossen, sie der Liste hinzuzufügen.)
Zukunftsängste: " [...] Ängste vor der Zukunft sind normal. Wenn Zukunftsängste jedoch über einen längeren Zeitraum den Alltag bestimmen, besteht die Gefahr, dass sie außer Kontrolle geraten. Betroffene steigern sich in ihre Ängste hinein, die Zukunft erscheint immer bedrohlicher. Gelingt es nicht, den Katastrophengedanken gegenzusteuern, kann die zunächst normale Zukunftsangst in eine ernsthafte psychische Erkrankung, die generalisierte Angststörung übergehen."
Generelle Lebensangst: Diese kann als "Angst vor dem Leben; Angst, dem eigenen Leben und seinen Anforderungen nicht gewachsen zu sein" definiert werden.
4. Ängste in "Tauben im Gras"
Ein Motiv des Romans ist Angst, sowohl die Kriegsangst, von der alle Menschen in dieser Zeit geprägt waren, als auch die individuellen Ängste der Charaktere. Die dominierenden Ängste sind Existenzängste, Paranoia, Selbstzweifel, Verlustängste, Zukunftsängste, Angst vor einer höheren Macht und die generelle Angst, sich dem Leben und Gefühlen zu stellen. Diese werden im nächsten Abschnitt auf die Protagonisten bezogen näher erläutert.
4.1 individuelle Ängste der Charaktere
Die vermutlich wichtigsten Charaktere in diesem Bereich sind Emilia und Phillip:
Emilia
Emilias Charakter ist geprägt von Existenzängsten. Sie ist als Kommerzienratserbin aufgewachsen, hat jedoch im Krieg alles verloren. So ist sie gewöhnt an Luxus und Überfluss und muss nun damit zurechtkommen, kein Geld mehr zu haben. Um zu verhindern, dass sie arbeiten gehen muss, verkauft und verleiht sie den Hausstand. Dies fällt ihr jedoch schwer, da sie sehr an Besitz gebunden ist. Sie sieht das Verkaufen ihrer Sachen als Opferung , daher verkauft sie lieber Dinge, die ihrem Ehemann Phillip wichtig sind, um ihm zu schaden, da sie ihn unter anderem für ihre Misslage mitverantwortlich macht (S. 96, Z. 3). Ihre soziale Stellung ist jedoch ohne Arbeitsplatz sehr unsicher und sie muss täglich neu versuchen, Geld zu verdienen, indem sie ihre Besitztümer verleiht und verkauft. Dennoch ist es ihr unvorstellbar arbeiten zu gehen, sie sieht sich selbst als "Lumpenprinzessin" (S. 93, Z. 26). Ihre einzige Möglichkeit an Geld zu kommen, ist ihre Häuser zu verkaufen, was in der derzeitigen Wirtschaftslage unmöglich scheint (S. 96, Z. 35).
Ansonsten stützt sie all ihre Hoffnungen darauf, dass Phillip ein Buch schreibt und veröffentlicht und sie so wieder Geld einnehmen. (S. 97, Z. 26). Gleichzeitig möchte sie jedoch nicht abhängig von seinem Geld sein und hat Angst, er könnte sie dann verlassen, weshalb sie ihn teilweise sabotiert (S. 147, Z. 13 ff.).
Dieses Verhalten weckt wiederum starke Selbstzweifel in ihr. Sie sieht sich selbst als gespaltene Persönlichkeit, die eine gute und eine böse Seite hat: "...sie kannten nur die gute Emilia [...] Die böse Emilia wandte sich gegen die Menschen." (S. 31, Z. 2 f.), da sie häufige Wutausbrüche bekommt.
Emilia fühlt sich allein auf der Welt und für sich selbst verantwortlich. Gleichzeitig überfordert sie dies aber. Eine stete Zuflucht sind ihr ihre Tiere, die ihren Ehemann hassen, sie aber vergöttern. Da Emilia ein sehr misanthropisches Menschenbild hat, weil sie allen Menschen, die älter sind als sie die Schuld an ihrem Unglück gibt (S. 36, Z. 29), sieht sie die Tiere auch als die besseren Menschen, "dem Augenblick ergebene Kreatur ohne Falschheit und Berechnung..." (S. 31, Z. 1).
Durch dieses Menschenbild und ihre häufigen Wutausbrüche ist sie geprägt von Verlustängsten, da sie auch immer wieder ihren Ehemann Phillip beschimpft und für ihr Unglück verantwortlich macht (S. 31, Z. 30). Des Weiteren wirft sie ihm häufig vor, mitverantwortlich für ihr Schicksal zu sein, da er eine Schreibblockade hat und dadurch kein Geld verdient. Hier äußert sich auch wieder ihre innere Zerrissenheit. Auf der einen Seite liebt sie ihn, auf der anderen Seite macht sie ihn immer wieder für ihr Schicksal verantwortlich und möchte ihn verletzen und "strafen" (S. 96, Z. 4; 14).
Insgesamt wirkt sie alles in allem sehr jung, jünger als sie wirklich ist, was sich vor allem in der Sprache ("...um Verzeihung gebeten für ihr Schlimmsein..." (S. 96, Z. 16)) aber auch ihrem Verhalten und der Art alles mit einer gewissen Naivität zu betrachten, gleichzeitig allerdings Lebenserfahrung zu simulieren, zeigt.
Phillip
Doch auch in Phillip lassen sich einige Formen dieser Ängste wiederfinden. Auch er ist geplagt von Selbstzweifeln, allerdings eher durch seine Schreibblockade. Diese resultiert daraus, dass seine erste Veröffentlichung wegen des zweiten Weltkrieges nicht beachtet wurde und er sich seither als Schriftsteller nicht mehr wertgeschätzt fühlt (S. 104, Z. 6). Dies zeugt von einem sehr sensiblen Charakter, wie man auch an Emilias Gedanken ("weil Phillip dann schimpfte oder manchmal auch weinte. Phillip war hysterisch in letzter Zeit" (S. 180, Z. 21)) sieht. Seine Schreibblockade quält ihn, er scheut die Anstrengung und arbeitet daher gar nicht, diese Untätigkeit verfolgt ihn jedoch (S. 145, Z. 16 f.).
Der Krieg hat Phillip traumatisiert, durch seine Schreibblockade ist er depressiv geworden und hat eine sehr pessimistische Lebenseinstellung. Diese äußert sich auch darin, dass er davon überzeugt ist, dass bald ein weiterer Krieg ausbrechen wird (Kriegsangst) (S.104, Z. 13).
Er fühlt sich häufig unfähig, einfachste Dinge zu tun (S.21, Z. 32) und kann so seiner Gelegenheitsarbeit als Journalist auch nur sehr schwer nachgehen. Dies liegt vielleicht auch daran, dass er keinen Sinn mehr in seiner Tätigkeit und seinem Leben generell sieht; er ist frustriert und auf der Suche, nach seiner Bestimmung (S. 27, Z. 8). Diese scheitert allerdings immer.
Phillip hat das Gefühl, dass seine Ehefrau Emilia und damit ihr gesamter Hausstand ihn hasst (S. 27, Z. 29), was seine Paranoia unterstreicht und seine Selbstzweifel unterstützt. Durch seine Unsicherheit ist er unfähig, wirkliche zwischenmenschliche Kontakte zu haben, abgesehen von einigen Vertrauten wie Emilia und Doktor Behude. So reagiert er, als man ihn mit dem Schriftsteller Edwin verwechselt, voller Furcht und flüchtet sobald er kann, anstatt das Missverständnis aufzuklären. Er selbst erklärt diesen Zwischenfall mit seiner Furcht vor Journalisten, den Stellvertretern der Öffentlichkeit, sieht allerdings darin keinen Zusammenhang und verharrt in seiner Furcht (S. 97, Z. 32).
Eines der wenigen Dinge, die er nicht fürchtet, sind Enttäuschungen (S. 168, Z. 29). Dies allerdings ebenfalls nur aufgrund seiner pessimistischen Einstellung, da er inzwischen an sie gewöhnt ist.
Phillip ist Emilias Trunksucht (siehe Facharbeit Seite 19) bekannt, ebenso wie die Ambivalenz ihres Charakters. Diese bezeichnet er als "Dr. Jekyll" und "Mr. Hyde" in Anlehnung an R. L. Stevensons Novelle "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde", in der der angesehene Londoner Arzt Dr. Henry Jekyll durch die Isolation seiner dunklen Persönlichkeit Edward Hyde ein Doppelleben führt. Allerdings gibt sich Phillip auch hierfür die Schuld, was seinen Selbsthass weiter verstärkt (S. 173, Z. 15).
Phillip sieht seine Beziehung zu Emilia - anders als sie selbst - in einem sehr realistischen Licht, er ist sich darüber im Klaren, dass sie sich lieben, doch dass im Falle einer schwerwiegenden Veränderung ihre Liebe enden würde. Er formuliert es so: "Wenn wir sie [die Hütte auf dem Land] bauten, würden wir uns zerfleischen, in der Stadt lieben wir uns noch, wir tun nur so als ob wir uns nicht liebten." (S. 173, Z. 31 ff.).
Carla
Carlas Ängste sind vor allem von Unsicherheit über die Zukunft (Zukunftsangst) geprägt. Sie ist schwanger mit Washingtons Kind, möchte es aber nicht austragen (S. 47, Z. 14). Dadurch ist sie einem Gewissenskonflikt ausgesetzt, der zwar nicht durch die unchristliche Abtreibung hervorgerufen wird - sie hat als Prostituierte gearbeitet und keinen starken Glauben - aber dadurch, dass der Vater, Washington, das Kind unbedingt behalten möchte. Ihre Erinnerungen sind durchflutet von Angstgefühlen, wie zum Beispiel die Erinnerung an ihren ersten Tag in der Kaserne der Amerikaner, die sie nochmals durchlebt, als sie auf dem Weg zu Doktor Frahm ist, der die Abtreibung vornehmen soll.
Sie möchte die Abtreibung unter anderem auch deswegen, da sie Angst vor Rassismus hat. Ihr Kind würde schwarz werden und sie fürchtet die Ausgrenzung (S. 64, Z. 5; 9). Diese Angst geht so weit, dass sie Suizidgedanken hegt, falls der Doktor ihr die Abtreibung verweigert (S. 65, Z. 14).
Außerdem ist sie sich nicht sicher, ob sie Washington wirklich so sehr liebt, dass sie sein Kind haben möchte. Sie fragt sich, ob ihre Liebe nur "Zweisamkeit, Verzweiflung" und das Kind "Frucht der Gewohnheit" (S. 113, Z. 30; 33) ist. Daher hat sie Angst, dass Washington sie verlässt und sie alleine ein Kind großziehen muss. Dies ist auch eine Art Verlustangst, allerdings anders als bei Emilia.
Des Weiteren muss sie sich immer der Missbilligung ihrer Mutter und der Nachbarn aussetzen, die keine Schwarzen in ihrer Nachbarschaft bzw. Verwandtschaft dulden wollen (S. 116, Z. 10). Carla denkt, dass sie das Kind nur aus Verzweiflung und Angst vor der Einsamkeit gezeugt haben, als festere Bindung. Dem ist sie aber abgeneigt. Indem sie sich dies immer weiter einredet, steigt ihre Angst vor der Zukunft ins Unermessliche und kehrt sich auch in eine Angst vor dem Baby um. Diese verschwindet erst wieder nach dem Streit und anschließender Versöhnung (S. 165; 177) mit Washington, als beide zusammen nach Paris aufbrechen.
Eine weitere Furcht ihrerseits ist nämlich, dass ihr vermeintlicher Traum, nach Amerika zu ziehen und dort ein besseres Leben zu führen, scheitern könnte. Auch hier steigert sie sich immer mehr in ihre Angst, dass dieser Traum für sie zur Hölle wird (S. 177, Z. 33).
Washington
Washington ist, wenn man es so sehen möchte, die andere Seite der Medaille in der Beziehung zu Carla. Er liebt sie sehr und findet ihre Angst unbegründet, auch wenn er insgeheim auch Zweifel hat, wie lange er als Baseballspieler noch arbeiten kann (S. 47, Z. 18).
Er hat starke Verlustängste in Bezug auf Carla und das Baby und daraus resultierende Versagensängste, sie nicht von der Abtreibung abbringen zu können (S. 117, Z. 3). Sein Wunsch ist es, Carla glücklich zu machen, weshalb er sich als Versager fühlt und ihre Beziehung in Gefahr sieht, als Carla das Kind abtreiben möchte (S.117, Z. 4).
Um ihr ein glückliches Leben zu ermöglichen, möchte er mit ihr nach Amerika ziehen und zeigt ihr immer wieder die amerikanischen Hochglanzmagazine und erzählt ihr utopische Geschichten. Dass er sie dadurch enorm unter Druck setzt, merkt er nicht.
Hillegonda
Hillegonda ist die kleine Tochter des Schauspielers Alexander. Doch die meiste Zeit verbringt sie mit der strenggläubigen Emmi, ihrem Kindermädchen. Diese zwingt sie jeden Tag mehrmals in die Kirche zu gehen und redet ihr immer wieder ein, ein "Komödiantenkind, ein Sündenkind" (S. 14, Z. 18) zu sein. Dadurch festigt sich in Hillegonda eine tiefe Angst vor einer höheren Macht, die sich sowohl auf Gott, als auch auf Emmi bezieht.
Da Emmi der festen Überzeugung ist, dass Gott auch die Kinder straft, muss Hillegonda auch häufig beichten (S. 119, Z. 9). Hillegonda ist jedoch so verwirrt, da sie sich selbst als unschuldig sieht, Emmi ihr jedoch immer einredet eine Sünderin zu sein.
Das einzige, was ihr völlig bewusst ist, ist dass sie Angst vor der Kirche, Emmi und Gott hat (S. 119, Z. 13). Durch die strafende Darstellung Gottes durch Emmi ist Hillegonda verwirrt und weiß nicht, was sie glauben soll: "'Ist Gott böse', fragte das Kind" (S.119, Z. 17).
Durch diese Verwirrung quält sie sich, da sie langsam Zweifel bekommt, ob Gott wirklich böse ist und ob sie wirklich eine Sünderin sei (S. 154, Z. 22). Wenn sie jedoch versucht mit ihrem Vater darüber zu reden, beschäftigt er sich nicht mit ihr.
Hillegonda hat durch diese strenge Erziehung Angst vor beinahe allem und keine Bezugspersonen, die ihr mit Liebe begegnen: "Angst, Verzweiflung, Verlassenheit lag in dem Kinderschrei." (S. 12, Z. 32). Ihre Kinderfrau fürchtet sie so, dass sie nicht einmal wagt ihr zu sagen, wenn sie ihr wehtut (S. 13, Z. 19-22). Von dieser wird ihr auch immer wieder eingebläut, dass alle Menschen Sünder sind und sie muss deshalb Emmis pessimistischen Leitspruch "klage nicht, frage nicht, freue dich nicht, lache nicht, spiele nicht, tändele nicht, nütze die Zeit, denn wir sind dem Tod verfallen" (S. 13, Z. 24-26) befolgen.
Da sie die Kirche und Gott mit Emmi assoziiert, hat sie auch vor diesen starke Angst (S. 14, Z. 5). Ein Großteil ihrer Gedanken befassen sich mit Gott und Furcht, so fragt sie sich zum Beispiel auch, ob sogar Gott sich fürchtet (S. 14, Z. 12). In der Kirche hat sie Visionen von einstürzenden Mauern, sie ist in diesem Moment innerlich zerrissen von ihrer Furcht vor Emmi und deren Funktion als einzige Bezugsperson "Emmi ich mag dich nicht mehr, Emmi liebe Emmi, Emmi ich hasse dich" (S. 14, Z. 22 ff.). Dadurch, dass die lieblose und strenge Emmi ihre einzige Bezugsperson ist, ist Hillegonda auch von Verlustängsten geprägt, da sie trotz ihrer Angst immer in Gedanken zu Emmi spricht und auch betet, dass Emmi sie nicht verlasse, da sie sonst ganz allein wäre (S. 14, Z. 34).
Dies ist dieselbe Art Verlustangst, die auch Carla durchlebt, sie fürchtet die Einsamkeit, nicht den Verlust eines bestimmten Menschen. Im Laufe des Romans wird Hillegonda autonomer, nimmt ihre Bestimmung als angebliches Sündenkind nicht mehr ohne weiteres hin und fragt sich immer häufiger, ob Emmi wirklich so gut ist, wie sie behauptet: "Und wieder regte sich bei Hillegonda ein Misstrauen gegen Emmi: konnte man Emmi trauen, der frommen betenden Emmi..." (S. 185, Z. 6). Auffällig ist, dass sie in dieser Szene, in der der alte Joseph im Sterben liegt, zwar das Vertrauen gegenüber Emmi verliert, aber nicht ihr Gottvertrauen, obwohl dieser ihr immer als böser, strafender Gott beschrieben wurde.
Nebencharaktere
Frau Behrend, die Mutter von Carla hat immer noch Existenzängste, die von der Lebensmittelknappheit während des Krieges herrühren (S.19, Z.25). Außerdem hat ihr Mann sie während des Krieges verlassen, um mit einer Frau, die er in einem besetzten Gebiet kennengelernt hatte, zusammen zu sein (S. 18, Z.11). Nun muss sie sich mit der Schmach abfinden, dass ihr Mann sie verließ und ihre Tochter mit einem Schwarzen zusammenlebt. Da Frau Behrend noch recht altertümliche Ansichten hat, fürchtet sie den sozialen und gesellschaftlichen Abstieg, sobald Carla ihr Kind auf die Welt bringt.
Henriette lebt mit ihrem Mann in Amerika. Während dieser Deutschland besucht, bleibt sie in Paris, da sie unfähig ist, nach Deutschland zurückzukehren. "Sie fürchtete sich, nach Deutschland zu fahren, und sei es nur für drei Tage." (S. 72, Z. 18) allerdings ist "Paris [...] unzerstörbar" (S. 69, Z. 1). Schon bei dem Gedanken an ihre Heimatstadt und Erinnerungen bekommt sie Angst, da sie mit ansehen musste, wie ihre Eltern als einige der ersten Juden deportiert wurden und sie erst vor Kurzem erfahren hat, was den Juden angetan wurde (Konzentrationslager, Arbeitslager, Massenvernichtungen) und diese Ereignisse ihrer Jugend sie traumatisiert haben (S. 69, Z. 29).
Edwin, der amerikanische Schriftsteller hat Angst vor der Stadt und ihren Menschen, da er unsicher ist, ob sie empfänglich für seine Botschaft sind. Er fühlt sich als Heuchler.
"Seine Botschaft war kalt, sein Wissen war erlesen, Erlesen im Doppelsinn, aus Büchern stammend, [...], fast schon die Deutung, aber die Deutung der Geschichte nur, schließlich auch diese Deutung fragwürdig, die schöngeformten klugen Strophen, sensible Reaktionen, und dennoch: er kam mit leeren Händen, ohne Gabe, ohne Trost, keine Hoffnung, Trauer, Müdigkeit, nicht Trägheit, Herzensleere. Sollte er nicht schweigen?" (S. 44, Z.33 -S. 45, Z.8).
Außerdem fühlt er sich erschlagen von der Stadt, von der er so viel erwartet hatte und die ihn persönlich anzuklagen scheint, da er enttäuscht von der Banalität ist und gleichzeitig erschreckt von den Kriegsschäden und der damit verbundenen Grausamkeit. "Die Stadt erschreckte ihn, die Stadt bekam ihm nicht, sie hatte zu viel durchgemacht, sie hatte das Grauen erlebt, das abgeschlagene Haupt der Medusa gesehen..." (S. 108, Z. 27 ff.).
4.2 allgemeine Kriegsangst in "Tauben im Gras"
Die in der damaligen Zeit herrschende Kriegsangst wird im Roman vor allem durch die Schlagzeilen der Zeitungen deutlich. Diese sind vor allem auf der ersten und letzten Seite des Romans präsent und sagen Dinge aus wie " Krieg um Öl, Verschärfung im Konflikt, [...], Anschlag auf die Pipeline,..." (S. 9, Z. 17; 20; 22). Dazu passt abschließend auf den letzten Seiten "Spannung, Konflikt, Verschärfung, Bedrohung." (S. 227, Z. 32). Doch auch die Gefühle der Menschen, die auf diesen Seiten beschrieben werden, zeugen von der allgemeinen Angst vor einem weiteren (Welt-)Krieg: "Flieger waren über der Stadt, unheilverkündende Vögel. [...]. Noch waren die Bombenschächte der Flugzeuge leer." (S. 9, Z. 1; 5). Beinahe äquivalent dazu im Epilog: "...die Luftschutzbunker werden wieder hergerichtet." (S. 227, Z. 32).
Die damals herrschende Angst wird durch viele kleine Äußerungen auch in dem Roman allgegenwärtig und hebt damit die Bedeutsamkeit dieser hervor. Ein besonderes Problem der damaligen Zeit scheint der Ölkonflikt gewesen zu sein: "Das Öl hielt die Flieger am Himmel, es hielt die Presse in Atem, es ängstigte die Menschen..." (S. 9, Z. 25).
Doch auch der kalte Krieg bereitete augenscheinlich einige Sorgen: "...man lebte im Spannungsfeld, östliche Welt, westliche Welt, man lebte an der Nahtstelle, vielleicht an der Bruchstelle, [...], wieder wurde gerüstet." (S. 9, Z. 34 - S. 10, Z. 2). Durch "Atomversuche in Neu-Mexiko, Atomfabriken im Ural" (S. 10, Z. 5) steigerte sich zusätzlich die Panik der Menschen, was von den Zeitungen unterstützt wurde: "Das Zeitungspapier roch nach heiß gelaufenen Maschinen, nach Unglücksbotschaften, gewaltsamem Tod, falschen Urteilen, zynischen Bankrotten, nach Lüge, Ketten und Schmutz." (S. 10, Z. 10 ff.). Allerdings spiegeln die Schlagzeilen teilweise auch positive Entwicklungen wider: "Kein Krieg vor dem Herbst" (S. 170, S. 27).
Die verschiedenen Charaktere haben unterschiedliche Meinungen über den Krieg. Der pessimistische, verzweifelte Phillip ist der festen Überzeugung, dass ein weiterer Krieg ausbrechen wird: "Es gibt nichts zu hoffen. Es gibt überhaupt keine Hoffnungen mehr." (S. 105, Z. 32). Dadurch bleibt auch seine Schreibblockade bestehen, da im letzten Krieg sein Buch nicht beachtet wurde (S. 104, Z. 13).
Auch Hillegondas Kinderfrau Emmi glaubt an einen weiteren Krieg. Sie betet allerdings sogar dafür, da sie denkt, nur so kann die Stadt von ihren Sündern befreit werden. "Und Emmi betete: ,Herr, du hast diese Stadt zerstört und du wirst sie wieder zerstören, denn sie gehorchen dir nicht und missachten dein Wort. '" (S. 164, Z. 20 ff.).
Emilia ist vor allem damit beschäftigt, die Menschen für den letzten Krieg verantwortlich zu machen. Auf den Gedanken, dass ein weiterer Krieg ausbrechen könnte, kommt sie gar nicht.
Die Amerikaner, die den Krieg nicht aktiv miterlebt haben, haben eine andere Einstellung zu einem weiteren Krieg und Krieg generell. So ist Richard Kirsch, der Neffe von Frau Behrend, fest davon überzeugt, für Amerika zu kämpfen. Obwohl sein Vater aus Deutschland kommt, ist er stolz auf Amerika und ist auch in der Luftwaffe Soldat.
"Er dachte ,wenn ich etwas älter wäre, vierundzwanzig vielleicht statt achtzehn, dann hätte ich auch mit achtzehn Jahren hier fliegen, hier zerstören und hier sterben können, wir hätten Bomben gebracht, wir hätten Bomben geworfen, wir hätten einen Weihnachtsbaum angezündet, wir hätten einen Teppich ausgelegt, wir wären der Tod gewesen, wir wären vor ihren Scheinwerfern in den Himmel getaucht [...] Wo werde ich ausüben, was ich lerne? Wo werde ich Bomben werfen? Wen werde ich bombardieren? Hier? Diese?" (S.40, Z. 1 ff).
Auch Ezra, der Sohn von Henriette und ihrem amerikanischen Mann Christopher, hat häufig Vorstellungen von Bombardements. Allerdings nicht von den Schrecken und dem Grauen, die diese verbreiten und die eigentlich noch sehr präsent sind, sondern von der machtvollen Seite: "Ezra machte Rundflüge über den Platz. Er gab es ihnen aus allen Bordwaffen. Er feuerte lustig in die Menge, des Gewimmels aus Spaziergängern und Mördern, dieses Haufens von Jägern und Verfolgern." (S. 73, Z. 10 ff.).
Diese Einstellungen/Vorstellungen zeigen, dass diejenigen, die den Krieg nicht aktiv miterlebt haben, bzw. auf der Siegerseite waren, den Krieg nicht nur nicht fürchten, sondern sich sogar einen weiteren Krieg wünschen, unabhängig davon, ob sie (verwandtschaftliche) Verbindungen zu dem Land haben. Allerdings sind es nur die Amerikaner, die diese Gedanken haben, die jungen deutschen Kinder Heinz und seine Freunde waren zwar in der Hitlerjugend, haben aber keinerlei Kriegsgedanken, da sie zumindest die Zerstörung und den Hunger selbst miterlebt haben.
5 Angstbewältigung in "Tauben im Gras"
Die verschiedenen Charaktere haben alle individuelle Methoden, wie sie mit ihren rationalen und irrationalen Ängsten umgehen.
5.1 Allgemeine Angstbewältigung der Charaktere
Emilia
Emilia hat viele Ängste und auch viele Methoden, sich abzulenken und ihre Ängste zu vergessen. Zum einen wären da ihre Tiere, die sie vergöttern und an ihre glückliche Kindheit erinnern:
"Die Tiere waren ihre Freunde, die Tiere waren ihre Gefährten, sie waren die Gefährten der glücklichen Kindheit, aus der Emilia nun vertrieben war, sie waren die Genossen der Einsamkeit, in der Emilia lebte, sie waren Spiel und Freude, sie waren harmlos, hingebungsvoll und dem Augenblick ergeben..." (S. 30, Z. 31 ff.).
Außerdem verbrachte sie viel Zeit mit Masturbation, da es ihr "...noch ein Stück innerer Nacht gewährte, eine Spanne Heimlichkeit und Liebe, ein Hinauszögern..." (S. 32, Z. 15). Dadurch versuchte sie zum einen der Realität zu entfliehen, wie es auch nachts im Schlaf war und zum anderen "zu vergessen, was man nun Wirklichkeit nannte" (S. 33, Z. 27), heißt ihre derzeitige soziale Situation zu vergessen. Aber wie man aus ihrem Bewusstseinsstrom auf den Seiten 34 und 35 schließen kann, sind auch diese Momente überschattet mit Sorgen und Vorwürfen.
Diese Realitätsflucht kann man jedoch öfter in ihren Äußerungen und Handlungen vorfinden, so zum Beispiel bei dem Gedanken an ihre Zukunft mit Phillip, wo sie zu dem Schluss kommt "...Phillip würde bis dahin sein Buch geschrieben, und die Welt würde sich geändert haben." (S. 97, Z. 26) oder als sie versucht, Messalina zu entkommen "Emilia wollte ihr entwischen, wollte sich verstecken..." (S. 53, Z. 15). Hierbei wird, wie bei Phillip, wieder die Scheu vor zwischenmenschlichen Kontakten sichtbar. Auch Emilia möchte lieber isoliert bleiben und flüchtet, anstatt sich dem Konflikt zu stellen. Dieses Verhalten projiziert sie auf alle anderen Lebenslagen, sodass eine einzige Flucht vor dem Leben entsteht.
Emilia geht zu dem Psychiater Doktor Behude, um ihren Tobsuchtsanfällen Einhalt zu gebieten, allerdings scheint dies nicht allzu viel zu nützen, da sie nach wie vor Wutanfälle hat. Diese sind eine weitere Methode, ihrer Angst und Wut Luft zu machen (S. 36, Z. 30). Indem sie andere beschuldigt, Hitler gewählt zu haben und damit ihr Unglück heraufbeschworen zu haben, muss sie sich nicht mit ihrer jetzigen Situation konfrontieren und nach Lösungen suchen. "...Fäuste und Füße gegen die geschlossene Tür: ,Ihr Nazis, warum habt ihr ihn gewählt, warum habt ihr das Elend gewählt, warum den Abgrund, warum den Untergang, warum den Krieg, warum das Vermögen in die Luft geschossen, ich hatte ja Geld, ihr Nazis'..." (S. 36, Z. 36 - S. 37, Z. 7).
Abends ertränkt sie ihre Sorgen in übermäßigem Alkoholkonsum und Feiern, wie zum Beispiel Messalina sie ausrichtet oder in früheren Bohème Cafés, obwohl sie die Bohème verabscheut, wo sie mit Tanzen und Trinken ihre Zeit verbringt: "Diese Lokale nun,[...], wurden allerdings wieder groteskerweise von Emilia [...] gerne besucht, während sie Phillip mit ihren Tanzgeschöpfen und dem Glas-Wein-Mäzenatentum der Geschäftsleute geradezu ein Greuel waren." (S. 91, Z. 29 ff.).
Diese Trunk- und Vergnügungssucht geht so weit, dass sie ihre Stammlokale hat und sich, wenn Phillip nicht zu Hause ist, jeden Abend betrinkt.
"Emilia stand im Standausschank der alten Dirne." (S. , Z. 18). "Sie trank das scharfe, kernbittere Kirschwasser. Sie trank es aus Lebensbitternis und wegen der Bitterkeit des Tages, des Bitterkeit der Schmuckaffäre, der Bitterkeit mit Phillip und der Bitterkeit des Fuchsstraßenheims." (S. 181, Z. 27).
Die kleine "Affäre" die sie mit der amerikanischen Kay hat, ist ein Versuch, sich zu befreien. Emilia bekommt ihren teuren Schmuck nicht zu einem angemessenen Preis verkauft und verzweifelt (S. 159, Z. 36). Sie möchte einmal rebellieren und sprengt die Banden der Vernunft und Sitten indem sie erst einer völlig Fremden teuren Schmuck schenkt, sie dann küsst und mit ihr in eine Bar geht. "Sie wollte frei handeln, eine freie Tat tun, die von keinem Zwang und keiner Notwendigkeit bestimmt und mit keiner Absicht verbunden war, außer der Absicht, frei zu sein;" (S. 160, Z. 6 ff.). In diesem Moment ist sie ausnahmsweise einmal ohne Selbstzweifel, da sie einmal autonom und unvernünftig handeln kann, ohne echte Konsequenzen zu fürchten. Der Kuss, den sie Kay gibt, ist noch einmal eine Provokation an die Gesellschaft, die Schuld an all ihrem Unglück ist. "Ein unerhörtes Gefühl von Glück durchströmte Emilia. Sie war frei." (S. 160, Z. 15) "Aber beide Mädchen hatten die herrliche Empfindung zu rebellieren, sie fühlten das wunderbare Glück, gegen Vernunft und Sitte zu rebellieren." (S. 160, Z. 31). Emilia wählt Kay für diesen Moment unbewusst, da sie sich selbst in ihr entdeckt, nicht vom Krieg gezeichnet und frei. Außerdem erlangt sie durch Kay eine kurze Verbindung zu Amerika, was für sie Freiheit bedeutet. "...sie ist das nette Mädchen, das ich vielleicht hätte werden können..." (S.159, Z.9) "...sie küsste Kay und als sie Kays Lippen berührte, dachte sie ,herrlich, so schmeckt die Prärie'" (S. 161, Z. 6)
Die meisten ihrer Methoden, Angst zu vertreiben oder zu vergessen kann man dem Eskapismus (siehe Facharbeit S.22) zuordnen, der generell in dem Roman häufig vertreten ist, so zum Beispiel auch in den Personen Phillip und Schnakenbach.
Phillip
Phillip besucht wie Emilia auch den Psychiater Doktor Behude, doch im Gegensatz zu Emilia verschließt er sich ihm nicht völlig. Er hat keine Erwartungen an den Doktor, doch es ist ihm Gewohnheit geworden und dort kann er sich in seine Kindheit zurückversetzen und seinen Gedanken freien Lauf lassen (S. 28, Z. 1 ff.). Auch wenn Doktor Behude ihn zunächst mit Vorstellungen an Ferien verunsichert, da er als Schriftsteller nie in seinem Leben Urlaub gehabt hatte, bzw. aufgrund seiner Schreibblockade durchgängig keiner Beschäftigung nachging (S. 145, Z. 10), erinnert er sich doch zurück an seine Kindheit im Osten. "Für Phillip bedeutete der Osten das Kinderland; er bedeutete Winterfreuden, die Katze am Ofen, Bratäpfel im Rohr; er bedeutete Frieden, er bedeutete Schnee, er bedeutete schönen, sanften, stillen, kalten Schnee vor dem Fenster." (S. 144, Z. 23 ff.).
Dass er an verschneite Weihnachten im Osten dachte, während Doktor Behude versuchte, ihn auf eine Sommerwiese zu versetzen, zeigt, dass Phillip durchaus in der Lage ist, sich selbst zu entspannen, es jedoch aufgrund seiner gefühlten Tatenlosigkeit nie von selber tut. Außerdem drehen sich auch während der Behandlung seine Gedanken immer noch um seine Arbeit bzw. zweifelt er an sich und Doktor Behude: "Er lag auf keiner Wiese. Er lag auf dem Patientenbett bei Behude. Er war nicht verrückt." (S. 145, Z. 25). Dort erinnert er sich auch zurück an seine Jugendliebe und vergleicht sie mit Emilia. "...Eva, ihre Pirouetten auf dem Eis, die frostklirrende Sonne, Eva lief für mich ohne Strümpfe..." (S. 151, Z. 2) "Emilia geht nicht aufs Eis, sie findet Sport albern..." (S. 151, Z. 8).
Zuletzt lässt sich auch Phillip von der Freiheit Kays verführen und geht mit ihr auf ein Hotelzimmer, obwohl er eigentlich gar keine Lust hat. "Nicht das Mädchen, die Freiheit verführte ihn." (S. 213, Z. 16).
Carla
Carla klammert sich verzweifelt an die Illusion von einem besseren Leben ohne Kind und in Amerika. Sie sieht die Hochglanzmagazine und hofft, dort im Luxus und Überfluss leben zu können. Auch hier wird wieder der Eskapismus deutlich. Doch im Laufe der Zeit wird dieser Traum zum Albtraum, da sie nun an den Rassismus in den USA denkt und realisiert, dass sie dort kein besseres Leben führen können. So gibt sie zunächst Washington die Schuld und schlägt ihn zuletzt, um ihrer Wut Luft zu machen. "Washington schlug sie nicht. Gegen seine Brust schlugen Teller und Tassen, zu seinen Füßen lagen die Scherben:" (S. 165, Z. 30).
Doch nach dem Streit kann Washington Carla erneut überzeugen und sie erklärt sich bereit, mit ihm nach Paris zu ziehen. "An der Seine würden sie beide zu Hause sein. Sie würden beide Franzosen werden, wenn es sein musste, sie, eine Deutsche, würde Französin werden und Washington, ein schwarzer Amerikaner, würde Franzose werden." (S. 178, Z. 9).
Washington
Washington versucht in seiner Verzweiflung über Carlas Entscheidung abzutreiben, sie mit Geschenken umzustimmen (S.66, Z.26). Dies nützt jedoch nichts, sodass er nicht mehr weiter weiß. Als er denkt, dass Carla schon abgetrieben hat, kann er dies nicht glauben und verleugnet dies. Er verwirft die Möglichkeit, dass sie des Kindes wegen zum Arzt gegangen war aus Selbstschutz: "Aber das konnte nicht sein, das konnte nicht sein. Das konnte sie nicht tun, grade dies konnte sie nicht tun." (S. 89, Z. 21).
Auch hier ist wieder ein Anzeichen auf den Eskapismus, Washington flüchtet sich vor der Vorstellung das Kind verloren zu haben in absurdere Gedanken und Gründe, warum Carla zum Arzt gegangen ist. Zuletzt schafft er es, sie von seinem Traum, nach Paris zu ziehen, zu überzeugen. Doch auch dieser Traum zeigt seine Naivität, er verklärt Paris zu einem Paradies ohne Böses und Rassismus.
5.2 Eskapismus
Eskapismus ist nach Definition "die (neurotische) Tendenz, vor der Realität und ihren Anforderungen in Illusionen oder Zerstreuungen auszuweichen" .
Dies ist in "Tauben im Gras" eine oft verwendete Methode der Charaktere, um den dort herrschenden Ängsten zu entkommen. Dies kommt - wie oben bereits erwähnt - bei Emilia, Carla, Washington und Phillip vor. Doch auch Nebencharaktere, wie die namenlose Tochter der Hausbesitzerin, flüchten sich vor der kalten Realität in Träume: "...gerade ihr würde gelingen, was kaum einem gelang, sie war unten, freilich, aber ein Prinz würde kommen oder ein Chef und sie auch die ihr zugedachte Sprosse von Rang und Ansehen führen." (S. 130, Z. 16 ff.).
Dieses Verhalten spiegelt die damalige Situation wider, Deutschland hatte den Krieg verloren, die Siegermächte besetzten die Städte und neben der politischen war auch vor allem die soziale Situation sehr schlecht. Die Versorgungslage war unzureichend und es gab viel Arbeitslosigkeit, sowie auch sehr viele Häuser zerstört waren und Familien durch Deportationen, Kriegsgefangenschaft oder Tod zerrissen worden waren. Dementsprechend flüchtete sich die Bevölkerung in Illusionen, um dem Leiden nicht mehr ausgesetzt sein zu müssen.
6 Fazit
Alles in allem hat meine Analyse ergeben, dass das Motiv der Angst in dem Roman "Tauben im Gras" allgegenwärtig ist. Die meisten Charaktere sind sogar von mehreren verschiedenen Ängsten geprägt, sowie das ganze Buch unterschwellig die damals herrschende Kriegsangst der Bevölkerung vermittelt. Am verbreitetsten sind in dem Roman Verlustängste und Existenzängste, wohl beide durch den gerade erst beendeten Krieg hervorgerufen.
Das Faszinierende ist, dass nicht nur die vom Krieg unmittelbar betroffenen - also Deutsche, gegebenenfalls verwundet oder anders geschädigt -, sondern auch Charaktere auf Seiten der Siegermächte von Angst geprägt sind (siehe Washington).
Außerdem haben alle Charaktere individuelle Methoden der Angstbewältigung, allerdings ist hier der Eskapismus am häufigsten vertreten.
Vor allem Emilia plagt sich mit ihren Ängsten und hat so viele verschiedene Methoden der Angstbewältigung entwickelt.
7 Schlusswort
Die Arbeit an meiner Facharbeit zum Thema "Das Motiv der Angst" in Wolfgang Koeppens "Tauben im Gras" hat mir großen Spaß gemacht. Erst während der Arbeit habe ich bemerkt, wie viel man zu den einzelnen Charakteren und Ängsten eigentlich sagen kann und versucht diese Dinge in meine Arbeit einzubauen. Dementsprechend konnte ich auch nicht alle Themen, die ich ursprünglich in der ersten Gliederung geplant hatte, bearbeiten, da die Arbeit sonst die Rahmenvorgaben vollends gesprengt hätte. Daher habe ich mich dafür entschieden, ausführlich das eigentliche Thema - nämlich die Angst - zu bearbeiten, anstatt alle Unterthemen zu behandeln, diese dafür aber nur oberflächlich anzusprechen.
Alles in allem hat meine Analyse ergeben, dass in "Tauben im Gras" unterschwellig die damals herrschende Kriegsangst vermittelt wird und die meisten Charaktere von Ängsten wie Existenzängsten und Verlustängsten geprägt sind. Eine verbreitete Methode zur Angstbekämpfung in dem Roman ist der Eskapismus.
Ich hoffe es hat Ihnen Spaß gemacht, die Facharbeit zu lesen.
8 Quellenverzeichnis
Literatur
>; "50 Schlüsselideen Psychologie" (2008), Adrian Furnham, Spektrum, 1. Auflage
>; "Das Fischer Lexikon Psychologie" (1957), Lexikon, Prof. Dr. Peter R. Hofstätter, Fischer, 4. Auflage
>; "Der Große Brockhaus in einem Band", 1. Auflage, Leipzig 2003
>; "Kursbuch Gesundheit", Kiepenheuer & Wietsch, Aktualisierte Neuausgabe, Köln 1992
>; "Tauben im Gras" (1951), Roman, Wolfgang Koeppen, Suhrkamp,1. Auflage 1980
>; "Tauben im Gras" (2009), Lektürehilfe, Hanns-Peter Reißner, Klett, 4. Auflage
>; "Tauben im Gras...verstehen" (2010) , Lektürehilfe, Michael Völkl, EinFach Deutsch, Schöningh, 2. Auflage
Internet
>; http://www.enzyklo.de/ (02/12)
>; http://de.wikipedia.org/wiki/Angstst%C3%B6rung (02/12)
>; http://www.social-psychology.de/sp/konzepte/angst (02/12)
>; http://www.psychologie-heute.de/archiv/detailansicht/news/es_gibt_kein_leben_ohne_angst/ (02/12)
>; http://psychology.wikia.com/wiki/Psychology_Wiki (03/12)
>; http://www.definition-of.net/ (03/12)
>; http://de.wikipedia.org/wiki/Angst (03/12)
>; http://www.gesundheitswerkstatt.de/node/3043 (03/12)
9 Selbstständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, die vorliegende Facharbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe erstellt und verfasst zu haben. Ich verwendete ausschließlich die angegebenen Hilfsmittel. Insbesondere versichere ich, alle wörtlich und sinngemäß übernommenen Angaben als solche ordnungsgemäß durch Quellenhinweise gekennzeichnet zu haben.
Ort, Datum und Unterschrift
Inhalt
Der Nachkriegsroman "Tauben im Gras" wird auf das Motiv der Angst im Allgemeinen und speziell auf verschiedene Ängste untersucht.
Dabei werden die wichtigsten Charaktere charakterisiert und der Inhalt kurz zusammengefasst, (6760 Wörter)
Dabei werden die wichtigsten Charaktere charakterisiert und der Inhalt kurz zusammengefasst, (6760 Wörter)
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