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Uwe Kolbe- Immer liest du, was ...: Interpretation gesucht

Frage: Uwe Kolbe- Immer liest du, was ...: Interpretation gesucht
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Hey Leute, ich hab heute mal ein Anliegen.

Ich will etwas üben, wie ich interpretieren kann und habe mir dazu das Gedicht "Immer liest du, was..." von Uwe Kolbe ausgesucht.

Leider sehe ich dabei gar keine Sonne, was mich sehr beunruhigt, denn ich schreibe schon morgen eine Leistungskursklausur.
Unserer Lehrer gab uns folgende Hinweise auf den Text: 29 Verse, schöner Text, nicht politisch, für jeden greifbar, von Uwe Kolbe oder Grünbein,Hensel oder Ostermeier.

Wenn jemand eine Idee hat, wäre das sehr toll!

Gedicht:

Immer liest du

Immer liest du, was dir jetzt weh tut
Immer liest du, was dich jetzt freut
Immer liest du, was in deinem Kopf
Das aufgeschlagene Buch, was es dich lesen lässt.
Immer liest du nur das, was du lesen kannst,
Lesen der einen Seite
Dasselbe, immer ein wenig abseits desselben.
Wie steht es also um dich?
Wer ohne Vergangenheit ist, ist vergangen.
(Yang Lian, Finsternisse II)
Immer liest du blind.
Immer liest du mit vorsagendem Mund.
Du hörst nicht, was du liest, denn du sprichst,
Und das ist dein Widerruf.

Immer liest du die Stille und tönst
Wie eine irre Nachtigall.
Wie eine Elster schackerst du,
Schackerst das stille Wort weg.
Immer liest du, liest aber nichts.
Immer übersiehst, überhörst du das Schweigen
Und kündigst das mütterliche Wort auf
Mit deinem lauten Verstand.
Immer schreit der Mann die Frau weg.
Immer liest du blind vorsichtshalber,
aber die Sprache kann warten.
Immer antwortest du schon,
Bevor die Frage vollständig ist.

Meine fertige Interpretation werde ich hier reinstellen, ich setze mich jetzt mal mit nem Kumpel hin und mache das so gut es geht, wäre toll, wenn jemand dazu etwas helfen könnte, Denkanstöße, Dinge, die ich unbedingt nenne muss etc etc.

DANKE!

Frage von Blanky2 (ehem. Mitglied) | am 01.03.2009 - 17:55

 
Antwort von GAST | 01.03.2009 - 19:46
Aaah, die Mutti motzt nicht gern - aber einen Tag vor der LK-Klausur mit dem Überlegen anfangen ist einfach zu spät. Ich hoffe, daraus lernst du für`s nächste Mal. Ja, das klingt jetzt ganz furchtbar besserwisserisch, aber es ist leider wirklich so. =)



Für Schulklausuren ist das Wichtigste immer eine möglichst komplette und saubere FORMALE Analyse. Auch wenn Lehrer da gerne drumherumreden: finde möglichst viele rhetorische Mittel, das sind Pluspunkte.

In diesem Fall springen z.B. die vielen Anaphern bzw. Parallelismen sofort ins Auge sowie der insgesamt, sagen wir: unruhige Aufbau. So ein erster Eindruck ("Irgendwie wirkt das total unruhig") kann übrigens ein super Einstieg sein - man muss dann nur versuchen, diesen ersten Eindruck formal und/oder inhaltlich zu begründen. Woran liegt denn das "Unruhige" hier? Unterschiedlich lange Zeilen, keine Reime, kein durchgängiges Metrum...... usw.

Der nächste Schritt ist die inhaltliche Analyse und die Interpretation. Tipp: immer zunächst mal die erste und die letzte Zeile bzw. den Anfang und das Ende anschauen, gucken was da steht.

Anfang:
Immer liest du, was dir jetzt weh tut
Immer liest du, was dich jetzt freut

Was macht man daraus? Die ersten beiden Zeilen sind doch eigentlich widersprüchlich: erst liest da jemand über etwas, das ihm wehtut, dann heißt es, "gleichzeitig" (vermittelt durch die parallele Struktur) liest derjenige etwas, was ihn erfreut. Wie passt denn das zusammen? Auffällig ist zudem das Wort "Immer" - zieht sich durch`s gesamte Gedicht. Da geht es also offenbar um Eintönigkeit, sich Wiederholendes, "Immer machst du dies und das!" - das klingt schon wie ein Vorwurf!

Ende:
Immer antwortest du schon,
Bevor die Frage vollständig ist.

Hier wird der Vorwurf ("Immer machst du...!") ganz deutlich. Da antwortet jemand auf eine Frage, die noch gar nicht vollständig ausgesprochen wurde. Kann man dann die Frage überhaupt "richtig" beantworten, wenn man sie noch gar nicht komplett gehört hat? Vermutung: eigentlich eher nicht (also: Vorwurf).

Der erste Eindruck (Interpretationshypothese), mithilfe von Anfang und Ende, geht also in diese Richtung: dieses Gedicht ist ein umfassend formulierter Vorwurf. "DU" ist eine Ansprache an den Leser - oder an jemand ganz Bestimmten? Wie auch immer, hier wird jemand angeklagt.

Was heißt es denn, wenn jemand antwortet bevor er die Frage gehört hat? Derjenige ist ungeduldig, vorschnell, kommt zu schnell zu (womöglich falschen) Schlüssen. Findet sich dieser Vorwurf auch noch anderswo formuliert?

Ja!

Immer liest du blind. (ohne selber zu "sehen")
Immer liest du mit vorsagendem Mund. (das, was vorgegeben ist, nichts "Eigenes")

Immer liest du nur das, was du lesen kannst, (Angst vor dem Neuen?)

Immer liest du, liest aber nichts. (kein echtes Verstehen, nichts, was anhält / fortwirkt / etwas bringt....)

In der Richtung kann man aus dem Gedicht sicherlich einiges "rausziehen". Es geht um`s Selberdenken, Selbermachen, Verstehen, Nachdenken usw.

Letzte Frage: Wofür steht das "Lesen" (und zwischendurch: "Sprechen")denn eigentlich? Tatsächlich für das Lesen oder vielleicht übertragen für etwas anderes? Eine Lebenseinstellung vielleicht, die sich im Lesen stellvertretend äußert? Also: nur sehen, was man sehen will (= nur lesen, was du lesen kannst)? Angst vor dem Unbekannten, dem Neuen? Würde passen zur ständigen Wiederholung des Wortes "immer", das signalisiert das immer Gleiche.

Aufi! :)


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Antwort von Blanky2 (ehem. Mitglied) | 01.03.2009 - 19:54
ich hab mit 4 Freunden jetzt schon länger dran rumgearbeitet und wir sind darauf gekommen, dass es um die innere Zerrissenheit eines in der Gesellschaft verloren individuums geht.

-Man liest, was einem wehtut, also was einen beschäftigt.
-man liest, was einen freut-->Spaß
-man liest in seinem Kopf ergeab wenig sinn, aber was im Kopf kann man lesen? seine eigenen erinnerungen!

das war unser interpretationseinstieg. ein aufgeschlagenes buch, das buch der erinnerungen lässt sich gut "nachlesen". man liest/ erinnert sich oft an dinge, die einen beschäftigen doer beschäftigt haben..

es ging im wesentlichen - unter berücksichtigung von rhethorischen mitteln so weiter, nachtigall und elster machten uns probleme..

 
Antwort von GAST | 01.03.2009 - 20:19
Lasst mal das "zerrissen" weg, dann passt das. :)

Immer liest du, was dir jetzt weh tut
Immer liest du, was dich jetzt freut

Signalwort ist hier: "Jetzt". Es geht um schnelle Bedürfnisbefriedigung, Ungeduld. Ich brauche JETZT etwas, und das ist bei mir IMMER so. Ich habe Emotionen, die ich umsetzen muss - das habt ihr drin, "was einen beschäftigt" und "Spaß".

Immer liest du, was in deinem Kopf
Das aufgeschlagene Buch, was es dich lesen lässt.

Das aufgeschlagene Buch im Kopf ist das Gehirn, in dem alles "geschrieben" steht, was wir bisher erlebt haben, was wir wissen usw. "Erinnerungen" geht in die Richtung, ist dafür nur ein etwas unglückliches Wort. :)

Aufpassen bei Kommata! Hier wird nicht gesagt, es liest jemand in seinem Kopf. Der Satz ist grammatisch nicht korrekt, hier wird gereiht, es wird was ausgelassen.

Umformuliert hieße der Satz in "korrektem" Deutsch:

"Immer liest du das, was das aufgeschlagene Buch in deinem Kopf (dein Gehirn) dich lesen lässt."

Das heißt: ich kann nur das "lesen" (= verstehen, sehen), was ich bereits kenne. Das, was für mich "neu" ist, nehme ich immer durch einen Filter wahr. Dieser Filter ist mein Gehirn, oder wie ihr es nanntet: meine "Erinnerungen", mein Vorwissen usw.

Zur Nachtigall und der Elster: tja. ;)
Die Nachtigall ist in der Literatur ein ganz beliebter Vogel (siehe Shakespeare, Romeo und Julia - wohl das bekannteste Beispiel). Und: das ist ein "positiver" Vogel! Der singt hübsch, der trällert in der Dunkelheit, das hat was Hübsches, Heimliches, Romantisches.
Die Elster ist ein "negativer" Vogel. Warum? Weil sie klaut. Außerdem klaut sie (dem Mythos nach, wohlgemerkt) Glitzerndes, Funkelndes. Das wird gerne mal als Motiv für Materielles, Gier, Glamour usw. benutzt. Hübsch singen kann die übrigens auch nicht.

Hier kommen beide so vor:
Immer liest du die Stille und tönst
Wie eine irre Nachtigall.
Wie eine Elster schackerst du,
Schackerst das stille Wort weg.

Die Stelle ist wirklich nicht ganz einfach. Wichtig ist hier das Paradoxe, also die Gegensätze.

"Immer liest du die Stille" - wie geht das überhaupt? "Die Stille lesen"? Es ist still, und man versucht, etwas hineinzulesen. Das findet das lyrische Ich falsch, denn:
"und tönst / Wie eine irre Nachtigall."
Also: dadurch, dass du versuchst, die Stille (das heißt: das Nichts) zu "interpretieren", klingst du wie eine irre Nachtigall. Die Nachtigall ist eigentlich ein schönes Vogel, der dann singt, wenn es draußen still (=Abend, Nacht) ist. Du bist keine "positive" Nachtigall, sondern du bist "irre", dadurch dass du die Stille nicht verschönerst, wie die Nachtigall es tut.

Jetzt der Parallelismus:
"Wie eine irre Nachtigall /
"Wie eine Elster schackerst du,"
Also: die irre Nachtigall wird gleichgesetzt mit der Elster. Aus dem positiven Vogel wurde bereits ein negativer ("irre"), jetzt kommt die Schlussfolgerung: also bist du wie eine Elster (negativer Vogel). Du "tönst" auch nicht mehr, sondern "schackerst". Das ist ein Neologismus, das Wort gibt´s ja so gar nicht. Klingt ein bisschen wie "schnattern", auf jeden Fall deutlich negativ.

Darauf folgt ja dann auch:
"Schackerst das stille Wort weg."
"Das stille Wort" ist hier wieder die Stille, das Nichts, das Ruhige, das Geduldige. Das alles bist "du" nicht. Du kannst die Stille und das Ruhige nicht aushalten, du bist ungeduldig - du willst "jetzt", sofort, dass etwas passiert, du kannst nicht genießen und abwarten. Du "schackerst das stille Wort weg" - du machst etwas kaputt durch deine Ungeduld, das kommt hier zum Ausdruck.

Du hast dir zum Üben aber wirklich nicht gerade das Offensichtlichste ausgesucht. ;)


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Antwort von Blanky2 (ehem. Mitglied) | 01.03.2009 - 22:26
Wie gesagt, ich gehe davon aus, dass es Uwe Kolbe sein wird. Wahrscheinlich "Mit ihr aufzuwachen" oder sowas. ich habe leider kein Gedicht gefunden, was exakt 29 Verse hat... :( Weder von Ihm, noch ovn jemand anderem..

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