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Antwortbrief des Francis Bacon an Philipp Lord Chandos

Alles zu WerkeAntwortbrief des Francis Bacon an Philipp Lord Chandos Mein hochverehrter Freund Philipp Chandos, zunächst einmal wollte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie nach so langer Zeit wieder an mich geschrieben haben, wenn auch ich sagen muss, dass mich Ihr Brief sehr nachdenklich gestimmt hat. Ich verstehe Ihre Argumentation und glaube mich in Ihre Lage hineinversetzten zu können. Ich kann mir vorstellen, dass Sie enorme Schwierigkeiten haben müssen, sich auf die alltäglichen Dinge des Lebens zu konzentrieren, wenn Sie dabei ein Gefühl extremer Empfindungen überkommt. Man kommt sich sicherlich vor, als wenn man im Meer badet, man für einen Moment nicht aufpasst und von einer gemeinen Welle mitgerissen wird. Man hat nichts, wo man sich festhalten kann und wird regelrecht weggespült.
Ich hoffe, mein lieber Freund, Sie werden nicht weggespült; ich schätze Sie sehr. Und darum möchte ich versuchen, Ihnen etwas nahe zu bringen. Aus Ihrem Brief geht hervor, dass Sie glauben, weit weg von der Wirklichkeit zu sein und in Ihnen selber eine neue Wirklichkeit gefunden zu haben. Ich glaube nicht, dass diese beiden Wirklichkeiten zwei von Grund auf verschiedene sind. Sie werden mir zustimmen, dass wir eine gewisse Vorstellung von der Welt haben, die naturwissenschaftlich festgelegt ist. Da können weder Sie, noch ich, noch sonst irgend jemand etwas dran ändern. Diese Tatsache hat Allgemeingültigkeit und kann daher von jedem nachvollzogen werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Sagen wir, ich besitze einen Ring. Wenn nun jemand kommt und diesen Ring sieht, wird er einfach nur meinen, dass es ein normaler Ring sei. Er betrachtet die Wirklichkeit mit seiner Vernunft, also logisch. Jetzt sehe ich aber diesen Ring und weiß aus meinen Erfahrungen, das ist der Ring, den meine Freundin mir zu unserem einjährigen Zusammensein geschenkt hat und meine Gedanken drehen sich um meine persönlichen Erinnerungen. So glaubt man, dass es zwei Wirklichkeiten dieses Ringes geben kann. Aber wahrlich ist es nur eine einzige Wirklichkeit, die ihr Fundament in der Logik hat und durch gewisse Erfahrungswerte erweitert worden ist. Aber dennoch ist es im Prinzip die eine Wahrheit der Wirklichkeit. So ist es mir auf jeden Fall auch weiterhin möglich, diesen Ring rein rational zu betrachten. Ich weiß, dass er zu ca. 90% aus Silber besteht, ich kann den Radius oder den Durchmesser messen und weiß, dass er ca. 10 Gramm schwer ist. Wenn ich diese logische Betrachtungsweise der Wirklichkeit wegstreiche und mich voll und ganz meinen Erinnerungen und damit verbundenen Gefühlen hingebe, entziehe ich dem Weltbild sein Fundament und ich würde weiterhin nicht existieren können. Das wäre eine extreme existenzielle Bedrohung; ich würde jegliche Orientierung verlieren und womöglich nicht mehr durch die Tür einen Raum verlassen, sondern versuchen, ihn durch das Fenster verlassen zu wollen, denn ich kann ja nicht wissen, ohne logische Betrachtungsweise, dass die Tür den Ausgang des Raumes darstellt. Mein lieber Freund, so schlimm geht es Ihnen doch nun wirklich nicht! Sie selbst haben demnach dasselbe Weltbild wie wir alle, das auf Logik basiert und durch gewisse Werte erweitert ist. Ich gebe zu, dass bei Ihnen im Moment der erweiterte Teil der Wirklichkeit, nämlich Ihre eigenen subjektiven Empfindungen, den größeren Teil ausmachen, so können Sie sich dennoch auf das Fundament der Wirklichkeit zurückbesinnen, das bei Ihnen und bei uns allen zu jeder Zeit, an jedem Tag und jedem Ort allgegenwärtig ist. Ich hoffe, mein Freund, dass Sie meine Argumente verstehen und versuchen, meine Überlegungen den Ihrigen hinzuzufügen. und aus Ihrer jetzigen Lage zurück zu Ihren Vorhaben finden. Ich würde mich freuen, wenn ich bald von Ihnen das erste Buch Ihrer Enzyklopädie lesen könnte. Hochachtungsvoll, Francis Bacon

Inhalt
Als fiktionaler Brief verfasst schreibt Francis Bacon als Aufklärer an den Stürmer und Dränger Lord Chandos (fiktionale Figur, ausgedacht von Hoffmannsthal; vgl.: der Brief des Lord Chandos) und versucht ihn mit seinen Argumenten zur "Vernunft" zu bringen. (590 Wörter)
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