Referat: Naturlyrik der 50-er Jahre
>>Vom Trost der Bäume<<
Naturlyrik der 50er-Jahre
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt
Bertolt Brecht, An die Nachgeborenen
Allgemein
innere Emigration = Rückzug aus Gesellschaft und Jetztzeit > Programm für einige Naturlyriker schon um 1930
Rückzug ins Abseitige und Entlegene, um von dort veränderte Form der Wahrnehmung zu formulieren: neu entdeckter Blick auf unbedeutendes und unbeachtetes Detail
von jeder Einzelheit (jede Pflanze, jedes Lebewesen) gehen geheimnisvolle Kräfte aus
Zitat von Peter Rühmkorf
In den Jahren zwischen 1948 und 1950 begann die Naturlyrik dann ins Weite und Breite zu wuchern. Anhaltend auf der Flucht vor tragischen Bedrängungen und rück- und rückgetrieben an den Hang, den Knick, zum Rasenstück, zum Beet und Blumentopf, geriet die Lyrik immer aussichtsloser ins Bescheidene und Beschnittene, [...] Weil jener Exodus(Auszug) aus der Zeit, weil diese Flucht vor widerwärtig Gegenwärtigem die lyrischen Naturisten allgemach in die ästhetische Provinz führte, wo sie sich am Ende alle die gleichen bunten Blumen an den Hut steckten. Schließlich glichen sich die Florilegien aufs Haar, der einsame Wanderweg wurde zum Trampelpfad, die Lust an wuchernden Details führte zu Queckenbildung, und auch der Wunsch nach Vielfarbigkeit [...] hatte nur wieder jene katalogische Stupidität(Stumpfsinn) zur Folge, die eine Unterscheidung vollends unmöglich machte. [...] Von überall her duftete es auf einen zu; kein deutscher Verseflechter, der nicht durch die Blume sprach; und unter so vielen Outsidern und Sonderlingen kaum einer mit unverwechselbarem Muster und individuellem Bukett(Duft).
Folie (Zusammenfassung):
Jeder Naturlyriker sprach durch die Blume, trotzdem war jeder individuell
Gründe für Hochkonjunktur der Naturlyrik
Leben der Deutschen nach Kapitulation 1945 von Nahrungs- und Unterkunftssorgen geprägt > dadurch Blick auf Landschaften in unlyrischer Weise geschärft
bestimmendes Thema der Lyrik war die schöne Natur
in stilisierter Idylle von Naturlandschaft konnte sich bürgerliches Ich forträumen aus den schlimmsten Verhältnissen und in Einsamkeit von Wald und Wiese ein attraktiveres Ambiente finden
naturlyrischem Eskapismus folgte bürgerliches Lesepublikum
nahm Zäsur von 1945 bzw. 1949 misstrauisch und verunsichert zur Kenntnis, denn Entnazifizierung lag gerade zurück und von Politik wollte man erst mal nichts wissen
gab vorher keine andere Phase der dt. Lyrik, in der derart viele Gras- und Kräutersorten, allerlei Wurz und Farn, Vogelstimmen und Vogelarten samt Bäumen, Sträuchern, Flussarmen, Seen, Garten- und Feldwegfauna nachweisbar sind
ebenfalls in dieser Zeit: Unmengen von Wald-, Wiesen-, Berg-, Tal-, Strom- und Schleusengedichten
eskapistische Tendenzen sind Ausdruck eines verunsicherten, aus den Fugen geratenen Weltbildes
zur Natur gehört Koppelung von Naturort und historischer Stätte, die Ereignisse der Geschichte mit Bild von Landschaften zusammenfügt wie blutig-bunte Schlachtenpanoramen
bei Schriftstellern wie Arendt, Huchel und Bobrowski war Umkehrung des tradierten (überlieferten) Musters und Destruktion (Auseinanderriss) des (Heldenhaften) in einem von Trauer und Leid, Mord und Totschlag erfüllten Naturraum zu beobachten
Bogen der Naturlyrik reicht vom Rückzug in den Raum Natur als einer heilen Welt bis hin zur Identifikation von Untergang und Vernichtung in der Sprache des Naturgedichts
Natur bietet großes Bilderrepertoire, das sich in verschiedenste Konzeptionen fügt
Es ist Beschreibung eines Augenblicks, in dem der Mensch meistens wahrhaft Bestandteil der Natur ist
Funktion( zum einen): Kriegsgefangenschaft in Erinnerung rufen
Natur erscheint in Lyrik als mythischer Eigenbereich, unberührt von der Situation des zerstörten Deutschland und der Frage nach seiner faschistischen Vergangenheit
Dichter wie Peter Huchel und Günter Eich suchen die lyrische Sprache an Realität heranzubringen; sie entzaubern Naturbereich, indem sie Naturbilder mit geschichtlicher Vergangenheit und dem Schock der Nachkriegszeit unmittelbar in Zusammenhang bringen
Insgesamt: Lyrik der 50er-Jahre bietet kein einheitl. Bild > Grund: 2-3 Generationen von Lyrikern schrieben nebeneinander mit sehr unterschiedlichen Lebenserfahrungen
Die, um die Jahrhundertwende geborenen (Becher, Brecht, Fürnberg, Arendt, Huchel, Maurer u.a.)
Die in der Zwischengeneration Geborenen (Kuba, Hermlin, Bobrowski u.a.)
Die in den 20er-Jahren geborenen (Fühmann, Wiens, Deicke, Kunert u.a)
Lyrik blieb weiterhin bevorzugtes Literaturforum subjektiv geprägter Wirklichkeitsbearbeitung > sehr unterschiedliche politisch-ideologische Einstellungen der einzelnen Autoren wurde deutlich in ihren Texten
Wolfgang Weyrauch (1904 - 1980): Sommer Ginster, gelb, aber fahlvom November, der droht.Jene Halbinsel schreit.Flöte weint, weil sie trauert,dass sie den Röhricht verließ.Unsere arme Halbinsel.Graue Lerchen, der Kuckuck,der mich hinweg ruft,zum Getümmel der Halbinsel.Espenlaub, bebend,in der Stille des Windes.Halbinsel, voll von geköpftem Ginster.
Gedicht von Wolfgang Weyrauch, Sommer bzw. Korea
Gedichtsinterpretation
1961 erstmals unter Titel Sommer erschienen
1987 Sammlung „Atom und Aloe“ veröffentlicht: darin trug dasselbe 13-zeiliges Gedicht den Namen „Korea“, im Text aber nur unmaßgeblich verändert
dadurch wird inhaltlicher Bezug klarer: Koreakrieg (1950 – 1953)
Gedicht gibt Weltbild wieder, das den Betrachter verunsichert zurücklässt
Verstörung mündet nicht im Eskapismus, sondern Landschaft und Krieg werden gemeinsam Gegenstand des Textes
ursprüngliche Idylle des Sommers ist gestört vom ersten Vers (Ginster, gelb, aber fahl) bis zum letzten Vers (geköpftem Ginster)
viele Requisiten sommerlichen Lebens werden genannt (von der Insel- und Vogelwelt), trotzdem wirkt die Atmosphäre düster: die trauernde Flöte, das bebende Espenlaub haben nichts an sich von ruhiger oder auch nachdenklicher Ausgewogenheit --> Irritation wird ausgelöst
Unruhe, Orientierungslosigkeit und Leere verhindern in eine Scheinwelt gerichtete Rückzüge
Verabsolutierung eskapistischer Tendenzen gab es in den 50er-Jahren nicht
deskriptive Verben der ersten vier Zeilen haben alle eine negative, traurige Bedeutung: „droht“, „schreit“, „weint“, „trauert“
Bild des Ginsters zu Beginn „gelb, aber fahl / vom November der droht“ (Z. 1 – 2) verheißt nichts Gutes
das Gelb ist in diesem Gedicht nicht die Farbe der Sonne, des Lichts, sondern eine Farbe des Todes
Mit letzter Zeile „Halbinsel, voll von geköpftem Ginster“ (Z. 13) wird der Kreis zum Beginn des Textes hin geschlossen
4-malige Verwendung des Wortes „Halbinsel“ fällt auf
Bobrowski
bei ihm entsteht aus Erlebnis von Krieg, Landschaft und der Erinnerung an die eigene Kindheit eine Odendichtung eigener Art
in ihr sind Metrum und überlieferte Strophenform in Brüche gegangen
Zitat
Ich glaube, dass wenn heute ein Lyriker ein Naturgedicht schreibt, [...] er eine Beziehung sucht zu den Menschen, die in dieser Natur leben, die diese Natur gestalten, eine Landschaft, in der Menschen gearbeitet haben, in der Menschen leben, in der Menschen tätig sind.
Seine lyrischen Erinnerungslandschaften sind im Kern Gedichte, die von Menschen handeln
Naturraum ist Aktionsraum
Er hofft auf Dialog mit Lesern, die sich bemühen, Erinnerungsspuren aufzufinden
Brecht
seine „Buckower Elegien“ bieten breite Palette von Möglichkeiten, höchst aktuelle politisch-gesellschaftliche Reflexionen und Selbstreflexionen im Medium des Naturgedichts zu entfalten
bei ihm ist Naturchiffre verschlüsselte Kritik und gleichzeitig Element der Selbstreflexion
er weitet seine Gedichte nicht aus, wertet sie nicht und interpretiert sie nicht, sondern ruft sie für kurzen Augenblick in Gedächtnis als ein Akt der Selbstvergewisserung im Gedicht
Inhalt
Alles zum Thema Naturlyrik der 50-er Jahre: Veränderung naturlyrische Position nach 1945, Gründe für Hochkonjunktur der Naturlyrik, Gedicht von Wolfgang Weyrauch, Sommer bzw. Korea + Gedichtsinterpretation, kurz zu Bobrowski + Brecht.
(Deutsch, ) (1074 Wörter)
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