Brief 19 an Cerialis
Plinius (der jüngere)
Buch 2 - Brief 19
lateinisch / deutsch
C. PLINIVS CERIALI SVO S.
Hortaris, ut orationem amicis pluribus recitem. faciam, quia hortaris, quamvis vehernenter addubitern. neque enim me praeterit actiones, quae recitantur, impetum omnem caloremque ac prope nomen suum perdere, ut quas soleant commendare simul et accendere iudicum consessus, celebritas advocatorum, exspectatio eventus, farna non unius actoris diductumque in partes audientium studium, ad hoc dicentis gestus, incessus, discursus etiam omnibusque rnotibus animi consentaneus vigor corporis. unde accidit, ut ii, qui sedentes agunt, quamvis illis maxima ex parte supersint eadem illa quae stantibus, tarnen hoc, quod sedent, quasi debilitentur et deprimantur. reci- 4 tantium vero praecipua pronuntiationis adiumenta, oculi, manus, praepediuntur. quo minus mirum est, si auditorum intentio relanguescit nullis extrinsecus aut blandimentis capta aut aculeis excitata. Accedit his, quod oratio, de qua loquor, pugnax et quasi contentiosa est. porro ita natura comparatum est, ut ea, quae scripsimus cum labore, cum labore etiam audiri puternus. et sane quotus quisque tam rectus auditor, quern non potius dulcia haec et sonantia quam austera et pressa delectent? est quidem omnino turpis ista discordia, est tarnen, quia plerumque evenit, ut aliud auditores, aliud iudices exigant, cum alioqui iis praecipue auditor adfici debeat, quibus idern, si foret iudex, maxime permoveretur. Potest tarnen fieri, ut quamquam in his difficultatibus libro isti novitas lenocinetur, novitas apud nostros; apud Graecos enim est quiddam quamvis ex diverso, non tarnen omnino dissimile. nam ut illis erat moris leges, quas ut contrarias prioribus legibus arguebant, aliarum collatione convincere, ita nobis inesse repetundarum legi, quod postularemus, cum hac ipsa lege tum aliis colligendum fuit; quod nequaquam blandurn auribus imperitorum tanto maiorem apud doctos habere gratiam debet, quanto minorem apud indoctos habet. nos autem, si placuerit recitare, adhibituri sumus eruditissimum quemque. Sed plane adhuc, an sit recitandum, examina tecum omnisque, quos ego movi, in utraque parte calculos pone idque elige, in quo vicerit ratio! a te enim ratio exigetur, nos excusabit obsequium. Vale.
Du drängst mich, meine Rede einer Reihe von Freunden vorzutragen. Das will ich gern tun, obwohl ich starke Bedenken habe. Denn ich bin mir darüber klar, daß ein Plädoyer beim Vorlesen alle Wucht und Glut, ja, beinahe seinen Namen verliert, da es doch eigentlich erst durch das Gremium der Richter, die Anwesenheit zahlreicher Anwälte,dieSpannung auf den Ausgang, das Renommee nicht nur eines Redners, die Sympathien des Publikums für die eine oder die andre Partei, ferner die Haltung des Sprechenden, sein Auftreten, sein Hin- und Hergehen und die allen seelischen Regungen entsprechenden Bewegungen des Körpers Glanz und Auftrieb erhält. So kommt es, daß diejenigen, die im Sitzen plädieren, obwohl sie großenteils über dieselben Hilfen verfügen wie im Stehen, doch eben dadurch, daß sie sitzen, sich gelähmt und bedrückt fühlen. Und beim Rezitieren sind die hauptsächlichsten Stützen des Vortrags, Hände und Augen, gebunden. Um so weniger verwunderlich ist es, daß die Aufmerksamkeit der Hörer erlahmt, wenn sie nicht äußerlich durch Lockungen eingefangen oder durch Reize angeregt wird. Dazu kommt, daß die Rede, von der ich hier spreche, kämpferisch, ich möchte beinahe sagen: streitsüchtig ist. Nun liegt es aber in der Natur der Sache: was wir in mühevoller Arbeit schriftlich niedergelegt haben, das, meinen wir, müsse auch dem Hörer Mühe bereiten. Und wie wenige sind doch so verständige Zuhörer, daß sie sich nicht eher durch anziehende, schönklingende Perioden als durch nüchterne, gedrängte Ausführungen angesprochen fühlten! Dies Mißverhältnis ist auf jeden Fall beschämend, aber es besteht nun einmal, weil es meist so ist, daß die Hörer etwas andres verlangen als die Richtet, während der Hörer sich eigentlich vorwiegend dafür interessieren müßte, was ihn, wäre er Richter, besonders beeindrucken würde. Immerhin wäre es möglich, daß meinem Buche trotz dieser Schwierigkeiten die Neuheit einen gewissen Reiz verliebe, Neuheit bei uns; bei den Griechen gibt es nämlich etwas, was bei aller Verschiedenheit doch einige Ähnlichkeit damit hat. Denn wie es bei ihnen üblich war, Anträge, die sie als mit früheren Gesetzen in Widerspruch stehend verdächtigten, durch Vergleich mit andern zu widerlegen, so mußte ich den Nachweis, daß das Repetundengesetz enthält, was ich forderte, auf Grund dieses und daneben auch andrer Gesetze führen, was Laienohren durchaus nicht schmeichelt, um so größeren Reiz aber auf Fachleute ausüben muß, je geringer die Wirkung auf Ungebildete ist. Sollte ich mich also zur Rezitation entschließen, dann werde ich auch nur lauter hochgebildete Leute heranziehen. Doch geh weiterhin gründlich mit Dir zu Rate, ob ich rezitieren soll; leg' alle Steinchen, die ich aufs Tapet gebracht habe, auf die Waagschale und entscheide Dich für die Seite, der die Vernunft das größere Gewicht gibt. Denn von Dir wird man Vernunft erwarten, mich wird meine Folgsamkeit entschuldigen. Leb' wohl!
Inhalt
Brief 19 an Cerialis - Lateinischer Orginaltext und Deutsche Übersetzung (770 Wörter)
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