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Interpretation Es ist alles eitel (Andreas Gryphius)

Alles zu Werke

Analyse „Es ist alles eitel“ (Andreas Gryphius)


Andreas Gryphius’ Gedicht „Es ist alles eitel“ aus dem Jahre 1637 liegt in der Fassung von 1663 vor und thematisiert die Vergänglichkeit und Eitelkeit auf der Welt. Vom Gesamteindruck ausgehend, ist jedoch schon erkennbar, dass Eitelkeit im heutigen Sinne (Gefallsucht, Prunksucht) hier nicht die Sinnrichtung des Gedichtes trifft. Belege für diese Annahme finden sich in der folgenden Analyse.
Auffallend ist bei erster Betrachtung besonders die, für den Barock typische, Sonettform des Gedichtes. Kennzeichnend sind die vier Strophen, wobei die ersten beiden Quartette aus vier und die folgenden beiden Terzette aus drei Versen bestehen. Die Quartette weisen als Reimschema umarmende Reime auf, deren Reimwörter strophenübergreifend kompatibel sind (abba, abba). Die äußeren Verse bestehen aus dreizehn und die inneren Verse aus zwölf Silben. In den Terzetten ist ein Schweifreim (ccd, eed) zu finden, in dem ebenfalls die umschließenden Verse dreizehnsilbig und die restlichen zwölfsilbig sind. Bei dem metrischen Bau des Sonetts handelt es sich um einen sechshebigen Jambus mit Zäsur, der Alexandriner genannt wird. Augrund der bereits angesprochenen unterschiedlichen Silbenzahl der Verse kommt es so in den Quartetten zu einer weiblichen Kadenz in den umschließenden und zu einer männlichen Kadenz in den inneren Versen. Ebenso verhält es sich in den Terzetten. Die äußere Form des Sonetts weist besonders in Hinblick auf das, eine Zäsur enthaltende, Metrum auf eine antithetische Struktur hin, die sich auch im Inhalt widerspiegelt.
Deutlich wird dieser Aufbau bereits im ersten Quartett. Vor der Zäsur beschreibt das lyrische Ich die Gegenwart und nach der Zäsur die Vergangenheit (Vergleiche Vers 2, 3). Es bezieht sich hier auf die Zivilisation, dessen Bauten vergänglich sind, indem es sagt: „Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein. Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein.“ Bemerkenswert ist, dass hier kein Fortschritt sondern ein Rückschritt beschrieben wird, was auch in Vers Vier deutlich wird, in dem das Bild eines spielenden Schäferkindes beschrieben wird, das ursprünglich und natürlich, allerdings auch naiv wirkt. Der parallelistische Satzbau in diesem Quartett unterstreicht die angesprochene konträre inhaltliche Gestaltung ebenso, wie die gegensätzlichen Schlüsselwörter „Städte“ und „Wiese“ in Vers drei und „baut“ und reißt […] ein“ in Vers zwei. Die Ansprache „Du“ im ersten Vers ist theoretisch auch durch das Personalpronomen „man“ austauschbar, verlöre der Beginn des Sonetts dann jedoch an seiner Eindringlichkeit und Ambition den Leser mit einzubeziehen und ihm zu verdeutlichen, dass auch er die „Eitelkeit auf Erden“ sieht oder sehen muss.
Wie das erste Quartett ist auch die zweite Strophe eine Art Zustandsbeschreibung, in der erneut Beispiele angeführt werden, hier aus dem Bereich der Natur. Das lyrische ich sagt in Vers fünf: „Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden.“, wobei die Leitbegriffe die antithetische Struktur aufgreifen. Ebenso verhält es sich in Vers sechs, in dem auf den Gedanken der Vergänglichkeit eingegangen wird mit der Aussage „Was itzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein.“. Auch der nächste Vers spricht davon, dass nichts ewig ist und unterstreicht dies mit dem Ausdruck „kein Erz, kein Marmorstein“. Das lyrische Ich sagt, dass nicht einmal etwas so massives wie diese Materialien dem Schicksal und dem Lauf der Zeit standhalten können. Während im ersten Quartett, der Rückschritt zur Natur dargestellt wird, geht die Aussage des zweiten Quartetts ins Negative und deuten den Tod an, was mit dem jetzigen Glück, auf das „donnernde Beschwerden“ folgen dargestellt wird (Vgl. V. 8).
Nach der Beschreibung der Situation in den Quartetten folgt nun das erste Terzett, das sich auf die Rolle des Menschen in der dargestellten flüchtigen Welt bezieht. Im neunten Vers beginnt das Terzett mit der Aussage, dass auch der Glanz der großen „Taten“ (Kriegssiege, Bauten und so weiter) irgendwann „wie ein Traum vergeht“. Darauf folgt ein Einschnitt, der mit der Fragestellung „Sollt denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn?“ (V. 9) eingeleitet wird. Der „leichte Mensch“ steht hier für jemanden, der leichtmütig ist, nichts bewirkt und keinen Einfluss auf die Zeit hat, in der er lebt. Dass das lyrische Ich der Meinung ist, dass diese Art Mensch nicht „das Spiel der Zeit […] bestehn“, also überleben sollte macht es mit dieser Fragestellung deutlich. Dadurch erhält die Stimmung des Sonetts etwas theatralisches, was im elften Vers durch einen Klageruf („Ach“) unterstrichen wird. Dort wird außerdem gesagt, dass alles, was den Menschen wichtig ist, vor dem Hintergrund der Zeit eigentlich keinen Wert hat und das Motiv der Vergänglichkeit kommt stark zum Ausdruck.
Dieser Gedanke steht ebenfalls im Vordergrund des zweiten Terzetts, das gleichsam die letzte Strophe des Gedichtes ist. Die Leitbegriffe „Nichtigkeit“, „Schatten“, „Staub“ und „Wind“ (Vgl. V. 12) sind starke Metaphern für die Idee der Endlichkeit des irdischen Lebens und haben an dieser Stelle des Gedichtes keinen Gegenbegriff mehr, woraus hervorgeht, dass das lyrische Ich die Hoffnung auf Ewigkeit und Unvergänglichkeit aufgegeben hat. Besonders im letzten Vers des Sonetts wird das deutlich, in dem einerseits die pessimistische, hoffnungslose Stimmung aus dem neunten Vers verstärkt wird, indem das lyrische ich davon spricht, dass die Menschen die ewigen Dinge des Lebens nicht erkennen. Andererseits erkennt der Leser hier durch den Ausdruck „Noch will, was ewig ist…“ eine Mahnung und, neben dem Lebenspessimismus, auch einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.
Der Titel des Gedichtes „Es ist alles eitel“ wird erst beim Lesen begriffen. Versteht man „eitel“ im Sinne von vergänglich, endlich, begrenzt und flüchtig (was Eitelkeit auch im heutigen Sinne ist) spiegelt der Titel den Grundgedanken des lyrischen Ichs wider. Der Begriff „alles“ wird direkt im ersten Vers in dem Ausdruck „nur Eitelkeit auf Erden“ aufgegriffen und die beiden absoluten Worte sind bezeichnend für die Atmosphäre des Gedichtes. Gleichzeitig bildet der Titel auch die erste These, nämlich das Alles kurzlebig ist.
Der klassische gedankliche Aufbau eines Sonetts (These, Antithese, Synthese) ist auch in diesem Gedicht zu finden. In den Quartetten erkennt der Leser die Thesen und Antithesen, in der Gegenwartsbeschreibung und dem Blick in die Zukunft, in der das heute Existierende tot, abgerissen, zertreten oder vergangen ist. Während in den ersten beiden Strophen sich dieses Vergänglichkeitsmotiv vor allem auf die Natur und Zivilisation bezieht, liegt der Fokus im ersten Terzett konkret auf dem Menschen und im letzten Terzett auf der Bilanz aller Nichtigkeiten. Die Synthese erfolgt im letzten Vers des Sonetts, in der die Aussage „ […] wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden“ aus dem ersten Vers bestätigt wird. Es bietet hier zwar keine Lösung, aber eine Antwort, auf die Frage nach der Flüchtigkeit aller Dinge. Da der Kern des Gedichtes erst am Ende deutlich wird, kann hier von einer Finalstruktur des Sonetts gesprochen werden, dessen mahnende Intention dem Leser erst am Schluss bewusst wird.
Besonders auffällig ist in Gryphius’ Gedicht außerdem die überzeugende Einheit von formalen und inhaltlichen Aspekten. So wird die antithetische Struktur in parallelistisch aufgebauten Versen und der Zäsur des Alexandriners aufgegriffen und das jambische Metrum unterstreicht die energische und zum Schluss auch mahnend kritisierende Haltung des lyrischen Ichs. Daneben betont das Versmaß immer die wichtigen Schlüsselwörter, die konträr zueinander stehen und damit ebenfalls die Gegensätzlichkeit der Aussagen hervorhebt.
Andreas Gryphius’ Sonett ist charakterisierend für das Zeitalter des Barock. Das Vanitasmotiv als Leitgedanke seines Sonetts war Vorstellung vieler Menschen. Eitelkeit im Sinne von Vergänglichkeit, und Nichtigkeit und das Erkennen, dass der Mensch sein Leben nicht allein in der Hand hat waren Grundzüge dieser Idee. Dass Gryphius hier besonders den moralischen Verfall darstellt, liegt vermutlich zum Teil daran, dass er selbst zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges lebte, der mit seiner Grausamkeit zahlreiche Menschen in ihrem Glauben erschütterte. Auch das „Memento mori“ Motiv erscheint in diesem Sonett, dass dem Leser die Sterblichkeit seiner selbst und aller Dinge auf Welt vor Augen führt.
Obwohl das lyrische Ich in der Synthese eine Antwort auf die Frage nach der Vergänglichkeit gibt, nämlich, dass zumindest im Moment die Menschen noch nicht bereit sind, sich auf die ewigen Dinge des Lebens zu berufen, bleibt offen, was denn ewig ist, das noch kein Mensch betrachten will. Ging Gryphius damals davon aus, heute hätten wir diese Fragestellung gelöst, so irrt er. Noch immer gehen die Menschen von der Sterblichkeit aller Dinge aus, wenngleich nicht mehr der barocke Pessimismus und der Wille, aus dieser Welt zu flüchten vorherrscht. Womit sich der barocke Mensch noch nicht abgefunden hatte, das ist für uns heute selbstverständlich und kaum jemandem scheint es erstrebenswert, sich der Idee der Unsterblichkeit anzunähern. Wir empfinden die Vergänglichkeit nicht mehr als Bedrohung sondern als selbstverständlich und alltäglich. Umso interessanter ist die Auseinandersetzung mit dem Sonett „Es ist alles eitel“, denn hier wird ein Weltbild gezeichnet, das unserem zwar gleicht, dessen Einstellung der Menschen zu selbigem sich jedoch maßgeblich unterscheidet. Dem Leser gelingt es, anhand dieses typischen Gedichtes, einen Eindruck des Lebensgefühls der Barockzeit zu bekommen.
Inhalt
Umfassende Analyse des barocken Sonetts "Es ist alles eitel" von Andreas Gryphius unter besonderer Berücksichtigung der Literaturepoche des Barock und mit dem Interpretationsschwerpunkt auf dem "Memento Mori" Gedanken.
Quellen: "Es ist alles eitel" (Andreas Gryphius) (1434 Wörter)
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