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Interpretation des Gedichts Nachtgedanken von Heinrich Heine

Alles zu Heinrich Heine  - Nachtgedanken

Interpretation


Lehmann, Nico 12 GK
Heinrich Heine: Nachtgedanken (1843)
Denk ich an Deutschland in der Nacht, Die Jahre kommen und vergehn!
Dann bin ich um den Schlaf gebracht, Seit ich die Mutter nicht gesehn, Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Zwölf Jahre sind schon hingegangen; Und meine heißen Tränen fließen. Es wächst mein Sehnen und Verlangen.
Mein Sehnen und Verlangen wächst. Die alte Frau hat mich so lieb, Die alte Frau hat mich behext, Und in den Briefen, die sie schrieb, Ich denke immer an die alte, Seh ich, wie ihre Hand gezittert, Die alte Frau, die Gott erhalte! Wie tief das Mutterherz erschüttert.
Die Mutter liegt mir stets im Sinn. Deutschland hat ewigen Bestand, Zwölf lange Jahre flossen hin, Es ist ein kerngesundes Land, Zwölf lange Jahre sind verflossen, Mit seinen Eichen, seinen Linden, Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen. Werd ich es immer wiederfinden.
Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr, Seit ich das Land verlassen hab, Wenn nicht die Mutter dorten wär; So viele sanken dort ins Grab, Das Vaterland wird nie verderben, Die ich geliebt – wenn ich sie zähle, Jedoch die alte Frau kann sterben. So will verbluten meine Seele.
Und zählen muß ich – Mit der Zahl Gottlob! durch meine Fenster bricht Schwillt immer höher meine Qual, Französisch heitres Tageslicht; Mir ist, als wälzten sich die Leichen, Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen, Auf meine Brust – Gottlob! sie weichen! Und lächelt fort die deutschen Sorgen.
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In dem Gedicht „Nachtgedanken“ von Heinrich Heine aus dem Jahr 1843, erschienen 1844 im Gedichtband „Zeitgedichte“ gibt es zwei inhaltliche Ebenen: die private Ebene zeigt vor allem Heines Sehnsucht und Sorge nach der Heimat, insbesondere nach der Mutter und dem Freundeskreis auf, darauf basiert die höhere, politische Ebene, die die Verhältnisse Deutschlands in der Biedermeier- und Restaurationszeit anprangert.
Heine unterteilte das Gedicht in zehn Strophen zu je vier Versen unterteilt, es ist also regelmäßig. Als Metrum wurde größtenteils ein vierhebiger Jambus verwendet, das Reimschema des Paarreims verhindert ein mögliches „Leiern“. Gleich am Anfang („Denk ich...“) sowie in der Mitte („Deutschland“) wird der Daktylus verwendet. Die Kadenzen sind in den ersten beiden Versen der Strophen jeweils weiblich, in den letzten männlich. In der Lexik sind besonders Wortwiederholungen auffällig, die das gesamte Gedicht durchziehen- so wie Deutschland, Mutter, (alte) Frau und die Zahl zwölf, die zentralen Motive des Gedichts werden also besonders in den Mittelpunkt gestellt. Auffällig ist auch, dass das distanziert wirkende Wort „Deutschland“, dass eher als Symbol für Gesellschaft und Politik angesehen werden muss, sehr viel häufiger vorkommt als das patriotischere „Vaterland“, dass er trotz der schwierigen Verhältnisse liebt. In der ersten Strophe wird Heines Sorge um die Mutter deutlich, denn das lyrische Ich kann nicht schlafen und „heiße Tränen fließen“. Sprachlich auffällig ist vor allem die Anapher „Denk ich...Dann bin ich“ an den Anfängen der ersten beiden Verse. In den folgenden Strophen zeigt sich Heines Sehnsucht nach der Mutter, die er seit zwölf Jahren nicht gesehen hat. Der Zeilenübergang von der zweiten zur dritten Strophe ist jene sehr gut erkenntlich, denn sie wird durch eine überkreuzende Wiederholung (Chiasmus) hervorgehoben ("Es wächst mein Sehnen und Verlangen. Mein Sehnen und Verlangen wächst."). Die schon angesprochenen Periphrasen (Mutter, Frau, zwölf) treten hier besonders gehäuft auf. Heines Mutterliebe ist in diesen Strophen zentrales Thema und in Strophe vier wird auch die Liebe und Sehnsucht mütterlicherseits deutlich, denn ihre Hand zitterte als sie einen Brief an ihn verfasste. In Strophe fünf ist die Anapher "Zwölf lange Jahre flossen hin, Zwölf lange Jahre sind verflossen" auffällig, zeigt sie doch in besonderem Maße Heines Sehnsucht. "Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen" ist eine Metonymie, denn Heine kann seine Mutter eben nicht an sein Herz schließen, sodass mit dieser Zeile vor allem fehlende familiäre Liebe und Wärme zum Ausdruck gebracht wird. Die sechste Strophe ist in meinen Augen als vollständig ironisch zu betrachten, vor allem der Vergleich Deutschlands mit den eigentlich als stark geltenden deutschen Symbolen Eiche und Linde sowie dem Wort „kerngesund“, dass die ironische Intention noch einmal verstärkt, da Deutschland sich zu jener Zeit in einem rückständigen Status befand, dem der Adelsherrschaft und dem Rückzug der Bürger aus dem gesellschaftlichen und politischen Leben und einer nicht vorhandenen nationalen Einheit. Die vierte Zeile dieser Strophe zeigt, dass das lyrische Ich wohl auch keine Hoffnung auf Besserung der starren Verhältnisse hat, die pessimistische Grundstimmung kommt besonders zur Geltung. Diese setzt sich auch in Zeile sieben fort, wo die räumliche Entfernung des in Frankreich lebenden Heine und seiner Mutter in Deutschland thematisiert wird. Auch wird deutlich, dass er Deutschland nicht so vermissen würde, wenn „nicht die Mutter dorten wär“. Ein lautmalerisches Element (Onomatopoesie) aus der ersten Zeile ist die Wortgruppe „lechzt ich“, die wohl in besonderem Maße auf die Sehnsucht nach der Mutter anspielt und mit der restlichen poetischen Ebene des Gedichts bricht, in denen keine Lautmalereien anzufinden sind. Der Vergleich "Das Vaterland wird nie verderben, Jedoch die alte Frau kann sterben" hat die gleiche Wirkung wie die Onomatopoesie. In Strophe acht wird die schwierige, schmerzvolle Situation des lyrischen Ichs mit dem entfernten Freundeskreis beleuchtet, der sich immer mehr lichtet, sodass die „Seele [des lyrischen Ichs] verblutet“. Die neunte Strophe stellt den Höhepunkt des Gedichts dar, was nicht nur durch die gehäufte Syntax, also Verwendung von Satzzeichen, deutlich wird, sondern auch durch die Lexik bemerkbar ist („zählen“, “Zahl“, „Qual“, „Leichen“). Auch hier wird die „Qual“ des lyrischen Ichs als zentrales Thema abgehandelt, auch hier geht es um den Verlust des Freundeskreises, und je mehr Freunde sterben, desto größer werden jene Qualen für das lyrische Ich. Die Sprache ist hier sehr verbittert und trauernd, mehr noch als in den vorangegangenen Strophen, die Unerträglichkeit der Situation ist für den Leser deutlich spürbar. Wie bedrückend die Situation ist, wird metaphorisch mit den Worten „Mir ist, als wälzten sich die Leichen, Auf meine Brust“ ausgedrückt, die Situation wird nachvollziehbar gemacht- nun auch auf bildlicher Ebene. Am Höhepunkt des Klagens und der Verzweiflung kommt in der letzten Zeile der neunten Strophe der nicht für möglich erachtete Wendepunkt, der die melancholische Grundstimmung des Vorangegangenen schlagartig in Hoffnung verwandelt. Der Ausruf „Gottlob! sie weichen!“ mutet mehr nach dem Abfall aller Lasten als der Linderung seiner Schmerzen an, die das lyrische Ich schlagartig zu vergessen scheint. Auch in der letzten Strophe setzt sich diese völlige Erleichterung fort, durch sein Fenster bricht „Französisch heitres Tageslicht“, wobei dieses Tageslicht fast nach Erlösung klingt. Frankreich ist wohl nicht nur wegen Heines Wohnlage angesprochen, sondern auch zur Hervorhebung und Idealisierung der herrschenden, fortschrittlichen Verhältnisse in Frankreich, dass eine gesellschaftliche und politische Vorbildfunktion innehatte. Der metaphorische Vergleich "Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen" nimmt eigentlich schon die letzte Zeile vorweg: sie macht die deutschen Sorgen vergessen und somit hinterlässt das insgesamt melancholische Gedicht einen realistischen Eindruck von Deutschland und auch von der kritischen persönlichen Situation Heines, der Zerrissenheit zwischen Exil und Heimat, aber auch einen sehr hoffnungsvollen Abschluss.
Heine schrieb dieses Gedicht 1843 im Pariser Exil, und trotz aller anderen Aspekte seines Leidens ist wohl die Sehnsucht nach der Mutter das größte. Im selben Jahr, sowie im darauf folgenden unternahm Heine, der Sehnsucht nachgebend, seine letzten beiden Deutschlandreisen. Seine Mutter (gestorben 1859) überlebte Heine um drei Jahre. Heine hat es nach meinem Erachten sehr gut geschafft, von dieser scheinbar zurückgezogenen, privaten Ebene, auf das Deutschland der Restaurations- und Biedermeierzeit kritisch anzuspielen. In der letzten Strophe wird zudem besonders Heines Verlangen nach ähnlich fortschrittlichen Verhältnissen wie in Frankreich deutlich, die im Gedicht enthaltenen Gegensätze „Nacht-Tag“ und „Schlaf-Aufwachen“ weisen aber deshalb nicht nur auf die Deutschlandklage hin, sondern eben auch auf Frankreichs Vorbildfunktion. Heines Nachtgedanken bleiben dem Leser als ein bewegendes Gedicht in Erinnerung, indem die zentralen Motive die gegensätzlichen Gefühle Liebe und Sehnsucht oder Schmerz sind, wobei dennoch eines das andere bedingt. Am Schluss des Gedichtes kommt dazu noch die Hoffnung, mit der Heine das Gedicht auch zum Abschluss bringt- und die die Wirkung des Vorangegangen mehr als nur mildert. Der größte Teil des Gedichtes ist, wie bereits genannt, sehr melancholisch gestimmt, wobei der Schluss, aber auch die teilweise eingestreute Ironie es keineswegs zu einem absoluten Klagegedicht machen, sondern, trotz der zentralen Stellung der familiären Leiden Heines, ein auch heute noch äußerst zitierfähiges.
Inhalt
Aufgabe war es, das Gedicht "Nachtgedanken" von Heinrich Heinrich Heine zu interpretieren. Der grobe Aufbau besteht aus der Einleitung mit dem Basissatz (TATT), danach der Hauptteil, indem sprachliche und rhetorische Mittel einhergehend mit dem Inhalt und meiner Interpretation der Strophen abgehandelt wird. Abschließend folgt der Schlussteil, indem vor allem die zeitliche Einordnung des Gedichts, sowie die persönlichen und politischen Hintergründe zu Heines Zeit beleuchtet werden. (1347 Wörter)
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