Interpretation von Brechts "Maßnahmen gegen die Gewalt"
Analyse und Interpretation
„Maßnahmen gegen die Gewalt“
von Bertolt Brecht
Gewalt ist ein Phänomen früherer und jetziger Zeit. Menschen mussten und müssen sich täglich mit unterschiedlichen Formen von Gewalt auseinander setzen, d.h. sie müssen Entscheidungen treffen, wie sie mit Gewalt ein noch menschenwürdiges Leben führen können. Konkret bedeutet das, dass sie der Gewalt erliegen oder dass sie versuchen sich zu wehren.
Bertolt Brecht (10.02.1898-14.08.1956) kleidete seine gesellschaftskritischen Gedanken oft in kleine parabolische Geschichten, unter denen besonders seine Keunergeschichten bekannt geworden sind.
Der Verfasser erläutert diesen Fakt aus einer auktorialen Erzählperspektive, demnach aus einer wissenden Sicht, indem er sich zweier Varianten des Umgangs mit der Gewalt bedient. Durch die Verwendung des Plurals im Titel „Maßnahmen gegen die Gewalt“ deutet Bertolt Brecht bereits an, dass es sich um unterschiedliche Entscheidungsmöglichkeiten handelt. Im Weiteren verdeutlicht er, dass man zum Überleben in bedrohlichen Situationen, die durch Gewalt hervorgerufen wurden, zum einen seine wahre Haltung nach außen hin verleugnet oder zum anderen sich scheinbar der Gewalt ausliefert, aber innerlich an seinen menschlichen Prinzipien festhält.
Im ersten Teil der Parabel, der Rahmenerzählung, nimmt die Hauptfigur Herr Keuner, als politischer Redner fungierend, zunächst eine ablehnende Haltung gegenüber der Gewalt ein. Dabei ist zu bedenken, dass Keuner aus dem Griechischen von „Keunos“, dem Allgemeinen, und „Keoneus“, dem Wissen“ herzuleiten ist, d.h., dass einerseits die Problematik der Auseinandersetzung mit der Gewalt jeden betreffen kann und andererseits Keuner zu den „Denkende(n(“(Z.1) gehört, die überlegt handeln.
Die Allgegenwärtigkeit der Gewalt bleibt in der Rahmengeschichte allein durch die häufige Verwendung dieses Wortes (Z. 1,3,4,5,8) bestimmend und wirkt dadurch besonders bedrohlich. Es wird der Anschein erweckt, dass man der Gewalt nichts direkt entgegensetzen könne. So wie der bedrängte und somit gefährdete „Nathan der Weise“ aus G. E. Lessings gleichnamigen Stück bedient sich auch „Herr Keuner , der Denkende“(Z.1) eines Gleichnisses. Beide bedürfen dieser lehrhaften Geschichte, um ihre persönliche Haltung zu demonstrieren und gebrauchen dabei einen indirekten Weg, um ihre Gesinnung zu erklären.
Bertolt Brecht gibt dem Leser als erste Information zu Herr Keuner, dass er ein „Denkende(r(“(Z.1) sei. Somit setzt der Autor auf durchdachtes Handeln. Keuner geht überlegt an die Problematik der Gewalt: Er spricht sich für die Gewalt aus, verleugnet seine Ausgangsposition und wirkt als Lügner und Gewissenloser gegenüber seinen Schülern, aber um gerade seine geistige Überlegenheit und sein Verantwortungsbewusstsein nachzuweisen, erklärt Herr Keuner sein Verhalten.
Um seine Schüler von seiner Überlebensstrategie zu überzeugen, bedient er sich eines unterstützenden Gleichnisses.
Anstelle der personifizierten Gewalt tritt in der Binnenerzählung, die die in der Rahmenerzählung entfaltende Problematik näher erklärt, ein „Agent“(Z.11), ein in staatlichem Geheimauftrag tätiger Spion. Gleichzeitig wird auf die „Zeit der Illegalität“(Z.11) verwiesen. Brecht stellt dadurch einen unmittelbaren Bezug zu seiner Zeit (1930, Entstehungszeit der Parabel) und somit zu der Bedrohung durch den Faschismus her. Dieser Agent verschafft sich mit einem behördlichen Schreiben Zugang in die Wohnung des Herrn Egge. Dieser Name ist ein Palindrom und verdeutlicht somit, dass seine Situation auf jeden übertragbar wäre..
Im Unterschied zum ersten Teil der Parabel spielt sich das Geschehen nicht in einem öffentlichen Raum, „in einem Saale“(Z.1), sondern in der ganz privaten Atmosphäre („(der(Wohnung des Herrn Egge“(Z.10)) ab - Gewalt, hier in Person des Agenten, dringt bis in die Intimsphäre des Einzelnen. Die Art der inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung erinnert an Kafka, der die Hilflosigkeit und das Ausgeliefertsein des Menschen gegenüber einer drohenden Gewalt thematisiert.
Einen besonderen Stellenwert nimmt im zweiten Teil die Beschreibung des behördlichen Schreibens ein. Die scheinbare Macht dieses Papiers wird durch die überwiegende Verwendung des Konjunktivs (z.B. „verlange“(Z.14), „sähe“(Z.15), ...) deutlich, jedoch nimmt Herr Egge äußerlich die gewünschten Vorgaben des Schreibens als gesetzlich gegeben und passt sich formal an. „Egge, der gelernt hatte, nein zu sagen“(Z.10) verkörpert eine gewisse Form von Widerspruchsgeist. Er dient dem Agenten zwar körperlich, aber bewahrt sich seine innere Gesinnung, indem er dem bedingungslosen Gehorsam geschickt ausweicht und die Frage des Agenten: „Wirst du mir dienen?“(Z.17f) bewusst unbeantwortet lässt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Agent von seinem Untertan abwendet, „mit dem Gesicht zur Wand“ (Z.17), als befürchte er, eine Form von Widerstand bei Herrn Egge erkennen zu können. In der Binnengeschichte kommt es nicht zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen den beiden Gegenspielern. Das Problem von willkürlichem Machtmissbrauch und Unterwerfung wird erst mit dem Ableben des Agenten gelöst. Im übertragenen Sinne bedeutet das, dass erst, wenn eine Diktatur sich überlebt hat, das Menschliche wieder zum Vorschein kommt. Mit Tatendrang und Gründlichkeit geht Herr Egge an die Reinigung seiner Wohnung.
Dieser Prozess stellt nicht nur eine äußere, sondern auch eine innere Reinigung dar. Wie ein Befreiungsschlag wirkt sein abschließendes „Nein“(Z.25), welches nun nicht mehr infrage gestellt werden kann, da kein Gegenspieler mehr vorhanden ist. Herr Egge hat für sich einen Kompromiss gefunden, er zieht sich in eine Art Innerer Emigration zurück, um die an ihm ausgeübte Gewalt zu ertragen und nicht völlig seine Identität aufgeben zu müssen.
Anstatt der direkten Auseinandersetzung mit der Gewalt in der Rahmenerzählung wird in der Binnenerzählung ein Ansatz zur Überwindung der Gewalt deutlich.
Herr Keuner wendet sich öffentlich gegen die Gewalt, in dem Moment der unmittelbaren Bedrohung durch diese gibt er seine Position auf und bedient sich der gleichnishaften Egge - Geschichte, um seinen Schülern eine Möglichkeit zu zeigen, wie man sich der Gewalt stellen kann. Keuner und Egge können beide ihre Situation einschätzen. Dennoch schaffen sie es nicht, die Gewalt direkt zu bekämpfen. So fühlte sich ein Teil der Bevölkerung um 1930, die nur bedingt etwas gegen den beginnenden Faschismus entgegensetzen konnte. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Brecht schon frühzeitig auf die Gefahr von Willkür und Gewalt im Nationalsozialismus aufmerksam macht und seinem Leser rät sich eher passiv zu verhalten. Er ruft nicht zum offenen Widerstand auf, sondern appelliert an den Verstand. Hierbei lässt sich eine Parallele zu Lessings Fabeln ziehen. Beide Textarten wurden mit der Intention verfasst, zur Erkenntnis sinnvollen und überlegten Handelns zu gelangen. Der Leser wird aufgefordert sich selbst mit der Thematik auseinander zu setzen, selbstständig zu denken und schließlich auch einen Lösungsansatz für sich selbst zu finden.
Wörter: 1155
Inhalt
Ausführliche Analyse und Interpretation von Bertolt Brechts Keunergeschichte "Maßnahmen gegen die Gewalt" mit Einleitung zum Thema Gewalt und Bezügen zur Herkunft der Keunerfigur (1146 Wörter)
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