Analyse von Auftritt II, Szene 10 - Emilia Galotti
Emilia Galotti von G.E. Lessing
Analyse der Szene II,10
Gliederung
1. Gegensätze zwischen dem Hofadel und dem Feudaladel im Absolutismus
2. Erschließung und Interpretation von II,10
2.1 Entscheidung über das Schicksal des Grafen
2.2 Ablehnung des Scheinauftrages des Prinzen von Appiani
2.3 Detaillierte Dialogerschließung
2.3.1 Appiani lehnt die Freundschaft Marinellis ab, nimmt aber den Auftrag an
2.3.2 Marinellis Reaktion auf die Ablehnung des Auftrages
2.3.3 Eskalation des Dialoges
2.4 Lessings Kritik am Absolutismus
3. Marinellis unserer Zeit
Der willkürlich und nicht gewissenhaft herrschende Prinz Hettore Gonzaga begehrt die aus bürgerlichen Verhältnissen stammende Emilia Galotti. Jene allerdings soll noch am selben Tag mit dem Grafen Appiani, einem Vertreter des Feudaladels, verheiratet werden. Natürlich möchte der Prinz eine Verhinderung der Höchzeit mit allen Mitteln erreichen und betraut seinen hofadeligen Kammerherren Marinelli mit dieser Aufgabe. Im folgenden Dialog zwischen Marinelli und Appiani entscheidet sich das Schicksal des Grafen, als dieser einen Scheinauftrag des Prinzen, der eine Aufschiebung der Hochzeit bedeutet hätte, ablehnt und damit Marinellis ersten gewaltlosen und unblutigen Plan zunichte macht.
Den Aufbau der Szene bestimmen zwei Gesprächsphasen. Zuerst wird Marinellis Verhalten verdeutlicht bevor Appiani den Auftrag als Gesandter nach Massa zu reisen ablehnt. Danach schildert Lessing wie Marinelli sich verhält, nachdem sein erster Plan zur Verhinderung der Hochzeit gescheitert ist.
Anfangs kennzeichnet Marinellis Verhalten seine weit übertriebene Höflichkeit. Diese zeigt sich in seinen vielen inhaltslosen Floskeln, wie beispielsweise Und wenn der Graf Appiani nicht (...) einen seiner ergebensten Freunde in mir verkennen will (S.30 Z.29 f.). Diese zweifelhaften Schmeicheleien unterbricht der Graf jedoch abrupt mit seiner Forderung Ohne weitere Vorrede, wenn ich bitten darf (S.30 Z.29). In dieser Aufforderung wird der parataktische Satzbau und der Befehlston Appianis verdeutlicht, was einerseits auf eine gewisse Ungeduld des Grafen hinweist, andererseits aber auch seine Ablehnung gegenüber Marinelli deutlich macht. Auch scheint der Graf die Hofsprache des Kammerherren geringzuschätzen, benutzt er jene doch nie. Nun bringt Marinelli den eigentlichen Grund seiner Anwesenheit ins Gespräch. Er verkündet dem Grafen den Auftrag des Prinzen als Bevollmächtigter (S.31 Z.3) nach Massa zu reisen. Dabei verweist Marinelli auch indirekt darauf, dass der Auftrag nur aufgrund [s]eines Zutun[s] (S.31 Z.8)dem Grafen erteilt wurde. In erster Linie möchte Marinelli damit dem Grafen schmeicheln um etwas Sympathie zu gewinnen. Allerdings kommen hier auch Marinellis Selbstgefälligkeit und Stolz zum Ausdruck. Diesen Anbiederungsversuch erwidert Appiani jedoch sarkastisch mit Wahrlich, sie setzen mich wegen eines Dankes in Verlegenheit(...) (S.31 Z.9 f.). Diese Bemerkung unterstreicht die Verachtung gegenüber dem Residenzadeligen. Er weist zugleich darauf hin, dass er nicht mehr mit einem Auftrag vom Prinzen gerechnet hat (vgl. S.31 Z.10 f.). Der Graf ist zwar Marinelli gegenüber abgeneigt, jedoch nicht dem Prinzen gegenüber. In seiner typischen Hofsprache macht Marinelli deutlich, dass er davon ausgehe, Appianis Freund zu sein (vgl. S.31 Z.14 f.). Dies ist, wie alle Schmeicheleien zuvor, eher heuchlerisch als ernst gemeint. Appiani verwendet den Begiff Freundschaft (S.31 Z.16) in seiner Replik mehrmals, so dass er inhaltsleer und sogar etwas lächerlich wirkt. Die ironische Aussage Des Marchesen Marinellis Freunschaft hätt ich mir nie träumen lassen.(S.31 Z.17 f.) provoziert Marinelli geradezu. Dieser muss zurückstecken, denn ohne die Erlaubnis Appianis darf er ihn nicht seinen Freund nennen. Dann greift Marinelli das eigentliche Thema, nämlich den Auftrag des Prinzen wieder auf. Nach einiger Überlegung (S.31 Z.24) nimmt Appiani ihn an.
(...)Sie müssen noch heute abreisen. (S.31 Z.28). Diese Bedingung Marinellis gibt den Ausschlag, dass der Graf nun, nach einer kurzen Vergewisserungsphase, die Ehre (...) [sich] verbitten muss (S.31 Z.32 f.). Marinelli ist wirklich fassungslos (vgl. S.31 Z.34 ff.). So ist doch sein erster, unblutiger und gewaltloser Plan zur Verhinderung der Hochzeit gründlich gescheitert. Dadurch hat der Graf im Grunde selbst sein Todesurteil gefällt. Seine Entscheidung begründet Appiani ironisch mit eine[r] Kleinigkeit (S.32 Z.7), nämlich der bevorstehenden Hochzeit. Marinelli kannte natürlich diesen rund, spielt aber den Unwissenden (vgl. S.32 Z.6). Sein, aus Appianis Sicht, verzweifelt naiv[er] (S.32 Z.10 f.) Kommentar Nun ? und dann ? (S.32 Z.9) lässt erkennen, dass er diese Hochzeit wirklich als Kleinigkeit (S.32 Z.7) sieht, meint er doch dass sich Hochzeiten aufschieben lassen (S.32 Z.12 f.). Für ihn ist der Befehl des Herrn (S.32 Z.17 f.) wesentlich wichtiger, da er auf ihn als Residenzadeliger angewiesen ist. Nun spielt der Graf seine Unabhängingkeit voll aus. Durch die mehrmalige Wiederholung des Begriffes Herrn (S.32 Z.17 f.) macht er deutlich, dass ihm dieser Begriff wenig bedeutet. Dagegen hebt er den Unterschied zwischen ihm als Freiwillige[n] (S.32 Z.20) am Hof und Marinelli als Sklave[n] (S.32 Z.21) deutlich hervor. Appiani ist nicht an die Befehle des Prinzen gebunden, sondern nur an die des Kaisers, der Hofadelige jedoch ist direkt von seinem Fürsten abhängig.
Marinelli wird unübersehbar dadurch provoziert und lässt alle Höflichkeitsfloskeln fallen. Nachdem er vom Grafen selbst erfahren hat, dass es sich bei der Braut um Emilia Galotti (S.32 Z.29) handelt, beginnt er diese wenig standesgemäße Trauung zu bespötteln. Zuerst zeigt er das mit einem vieldeutigen Hm.Hm. (S.32 Z.32); dann aber mit der sarkastischen Herabsetzung die guten Eltern (S.33 Z.1). Aufgrund von Emilias bürgelicher Hekunft habe es sonach um so weniger Schwierigkeiten, (...) die Zeremonie (...) auszusetzen (S.32 Z.34 ff.). Vor allem seine Anmerkung Und Emilia bleibt ihnen ja wohl gewiss (S.33 Z.3) beleidigt er die Ehre von Appianis zukünftiger Frau. Diese Ehre muss Appiani wiederherstellen, indem er Marinelli als ganze[n] Affe[n] (S.33 Z.5) bezeichnet, was zwangsläufig zu einem Duell führt. Marinelli scheint von Anfang an auf diese Eskalation des Dialoges hingesteuert zu haben, denn er verschiebt dieses Duell auf unbestimmte Zeit. So hat seine Schlussbemerkung Nur Geduld, Graf, nur Geduld. (S.33 Z.18 f.) weniger zeitliche, sondern mehr richtungsweisende Bedeutung für den weiteren Verlauf des Stückes.
In dieser Szene kritisiert Lessing vor allem die Abhängigkeit und das damit verbundene Verhalten des Hofadels im Absolutismus. Der Vertreter dieser Gruppe Marinelli spricht meistens in inhaltslosen Phrasen, heuchelt falsche Schmeicheleien und falsche Freundschaft vor und bekundet nie seine eigene Meinung. Denn ein falsches Wort, fürchtet er, und er verliert seine ihm so wichtige Stellung am Hof. Diese Stellung ist das einzige, das er besitzt. Ohne die Gunst des Fürsten wäre er ein Niemand.
Ähnlich verhält es sich auch noch heute, nur etwas umgekehrt. Heute bettelt die Politik geradezu um die Gunst des Volkes. Sie macht Versprechungen, die sie nicht halten kann, zeigt in den Medien nur ihr strahlendes Lächeln und ihre Äußerungen richten sich meistens nur nach den neuesten Meinungsumfragen der Bevölkerung. Im Grunde genommen bestimmen ihre Reden größtenteils heuchlerische Versprechungen und inhaltslose Phrasen. Deswegen glaube ich behaupten zu können, das Stück ist auch heute noch aktuell, nur dass heute wirklich die Marinellis unserer Zeit an der Macht sind.
Inhalt
Analyse eines dramatischen Textausschnittes. Analyse vom 2. Auftritt/ Szene10 aus Lessings Emilia Galotti. In dieser Szene entscheidet sich Appianis Schicksal, als er einen Scheinauftrag des Prinzen ablehnt. Ich hab ziemlich lange für diesen Aufsatz gebraucht, aber das Ergebnis kann sich echt sehen lassen. (1376 Wörter)
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von unbekannt
Schlagwörter
Emilia Galotti | Gotthold | Ephraim | Lessing | Absolutismus | Analyse | Textauschnitt | Szene 10 | Appiani | Marinelli | Interpretation | Dialoganalyse | Dialogerschließung
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