Analyse von Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti, 5. Aufzug 7.Auftritt
Szenenanalyse: Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti
5. Aufzug 7. AuftrittDialog zwischen Emilia und Odoardo Galotti
Das bürgerliche Trauerspiel Emilia Galotti, welches 1772 von Gotthold Ephraim Lessing verfasst wurde, handelt von einem Prinzen, der in eine Tochter aus bürgerlichem Hause verliebt ist. Es hat 5 Aufzüge und ist damit ein klassisches Theaterstück.
Der vorliegende Auftritt ist ein Dialog zwischen Emilia und ihrem Vater im Lustschloss des Prinzen, auf welches Emilia, nachdem Marinelli, ein Handlanger des Prinzen, zwar nicht auf dessen Befehl, aber doch mit Tolerierung des Prinzen, ihren Bräutigam, den Grafen Appiani hat umbringen lassen, gebracht wurde. Während des Dialogs eröffnet Odoardo seiner Tochter, dass der Graf tot ist und dass sie in den Händen des Prinzen bleiben wird, um den Tod des Grafen eingehend zu untersuchen. Emilia jedoch hat Angst, den Veführungskünsten des Prinzen, von dem sie inzwischen weiß, dass er hinter ihr her ist, zu erliegen, sodass sie sich umzubringen versucht. Odoardo will sie zunächst daran hindern, als sie ihm jedoch sagt, ein aufrechter Vater würde dies nicht tun, tötet er sie.
In dieser Szene kritisiert Lessing das übertriebene Einhalten der bürgerlichen Werte und Normen, da diese letztlich zu Emilias Tod führen, insbesondere ihre extreme Religiösität.
So führt Emilia in Z.3 als Grund dafür, dass sie sich umbringe will, an, dass sie nur eine Unschuld zu verlieren habe. Sie ist voller Gefühle, die sie aber unterdrücken muss ( Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mutter; - und es erhob sich so mancher Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum in Wochen besänftigen konnten (Z. 10ff)). Emilia hat also Angst vor ihren eigenen Gefühlen und ist überzeugt davon, dass sie diese unterdrücken muss, eben um ihre Unschuld zu erhalten, aber dies nicht kann. Diese Furcht davor, ihre Unschuld zu verlieren resultiert einerseits aus den Werten der bürgerlichen Welt und auch aus denen der Religion. Dies ist für sie ein Grund sich umzubringen. Odoardo will sie zunächst daran hindern, sich umzubringen (vgl. Z. 21ff), jedoch als Emilia sich eine Rose aus dem Haar zieht und sagt Herunter mit dir! Du gehörst nicht in das Haar einer, - wie mein Vater will, dass ich werden soll! (Z.28ff) erzeugt sie bei ihm eine Art Schuldgefühl, er wolle sie zu einer ehrlosen Frau machen, wodurch er ins Wanken gerät. Schließlich sagt sie noch Ehedem wohl gab es einen Vater, der, seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte [...] Aber alle solche Taten sind von ehedem! Solcher Väter gibt es keine mehr! (Z.34ff). Hierdurch erinnert sie ihn an die bürgerlichen Werte, die auch seine eigenen sind, über die er allerdings vorher hatte hinwegsehen wollen, um seine Tochter am Leben zu erhalten. So bekommt er das Gefühl, ein unzureichender Vater zu sein, der seine Tochter in die Schande schicken will. Indem er sich an seine Werte erinnert und um sich und ihr zu beweisen, dass er doch ein guter Vater ist, tötet er sie (Doch, meine Tochter, doch!(Z. 39)). Gleich darauf bereut er diese Tat zwar wieder (Gott, was hab ich getan! (Z. 40)), doch Emilia sagt ihm, dass er richtig gehandelt hat (Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert. (Z. 42)).
Zwar sind die eigentlich für Emilias Tod verantwortlichen der Prinz und Marinelli, jedoch käme es auch nicht zu diesem tragischen Ende, wären Emilia und Odoardo nicht in derartig festgefügten und überkommenen Werten und Normen verfangen. Wäre z.B. Emilia ihre Unschuld nicht gar so wichtig, hätte sie überhaupt kein Problem mit den Verführungskünsten des Prinzen, ganz abgesehen davon, dass es wohl kein Problem für sie wäre, kurz nachdem ihr Bräutigam ermordet worden ist, jeden anderen Mann abzuweisen. Sie versucht in diesem Auftritt geradezu krampfhaft, sich als schlecht und in der Gefahr, ehrlos zu werden befindlich darzustellen. Odoardo ist zunächst versucht, um das Leben seiner Tochter zu erhalten, über den Wert der Unschuld hinwegzusehen. Doch als sie ihn daran erinnert und zeigt, dass sie selbst absolut an diesen Wert glaubt und ihn für wichtig hält sowie gleichzeitig sich selbst für nicht widerstandsfähig genug, um diesen zu erhalten, sieht er sich in der Pflicht, Emilia umzubringen.
Die in diesem Auftritt zum Ausdruck gebrachte Gesellschaftskritik ist, dass es nicht notwendig ist, unbedingt an Normen und Werten festzuhalten nur um dieser Normen und Werte willen, sondern dass dieses oft ins Unglück führt. Wenn die Erhaltung der Ehre oberstes Gebot ist, bleibt nicht viel Menschlichkeit übrig. Dieser Auftritt ist also ein Appell, menschlicher zu denken und an überholten Vorstellungen nicht unbedingt festzuhalten.
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