Kästner, Erich - Besuch vom Lande (1929): Interpretation
Erich Kästner: Besuch vom Lande (1929)
Das expressionistische Gedicht, "Besuch vom Lande", wurde 1929 von Erich Kästner verfasst. Es behandelt die Wirkung der Großstadt (Berlin) auf die Menschen vom Land. Dies macht der Autor in seinem Gedicht deutlich, indem er die Emotionen und Gefühle der Personen vom Land beschreibt, die gerade auf dem Potsdamer Platz in Berlin angekommen sind.
Das Gedicht besteht aus vier Strophen mit jeweils fünf Versen. Es ist kein spezielles Reimschema verwendet worden, dennoch gibt es eine Struktur: Die einzelnen Strophen sind nach dem Muster von abaab-Reimen aufgebaut. Man könnte dieses Muster als umarmenden Reim mit einem Extra-Vers ansehen. Es unterstützt die voranschreitende Ausdehnung der Großstädte über den Stadtrand hinaus. Der erste Vers stellt sozusagen die Agglomeration über die Mauern der Stadt dar.
Eine weitere Auffälligkeit ist, dass die Sätze teilweise zeilenübergreifend sind, an anderer Stelle gibt es wiederum zwei Sätze in einem Vers. Es ist in diesem Falle keine eindeutige Struktur vorhanden; damit wird das Geschehen in der Stadt beschrieben. Im Gegensatz zur Ruhe auf dem Land, geht es in Berlin drunter und drüber und sehr hektisch zu. Die kurzen ausdrucksstarken Sätze verdeutlichen die Hektik (vgl. Z. 8 Die Bahnen rasseln. Die Autos schrein.). Ein deutliches Metrum gibt es nicht: Beim Lesen des Gedichts werden die Verse auf unterschiedliche Art und Weisen betont. Dies unterstützt nochmals das Chaos in der Stadt.
Erich Kästner hat den Potsdamer Platz (vgl. Z. 1) absichtlich als Standpunkt der Landbewohner gewählt, da dieser um 1929 der Hauptknotenpunkt der Stadt war.
In jeder der vier Strophen gibt es einen Vers mit einer eindeutigen Aussage, angefangen mit der ersten Strophe. Hier heißt es "Und finden Berlin zu laut" (vgl. Z. 2). Im Verlauf des Gedichts steigern sich die Adjektive, die in diesen parallel aufgebauten Sätzen immer wieder auftauchen (Und finden Berlin zu laut vgl. Z. 2, Und finden Berlin zu groß vgl. Z. 10, Und finden Berlin zu wild vgl. Z. 15 > Parallelismus und Klimax). Diese Klimax läuft auf den Höhepunkt in der letzten Strophe zu (Sie machen alles verkehrt vgl. Z. 17). Der Leser verspürt eine zunehmend angespanntere Lage der "Besucher" und kann sich durch den Einsatz dieses rhetorischen Mittels besser in die beiden Personen hineinversetzen und ihre Gefühle nachvollziehen. Gleichzeitig beschreiben die verwendeten Adjektive die akustischen und optischen Reize, die auf Menschen besonders innerhalb von Großstadtzentren einwirken. Ist man diese Beeinflussung nicht gewöhnt kann man ihr oft nicht standhalten und die Nerven werden überstrapaziert. So geht es auch den Personen in diesem Gedicht.
In der dritten Zeile weist Kästner auf eine weitere Neuerung hin. Er sagt, dass die Nacht in Kilowatts aufglüht, damit spielt er auf die, erst ab 1880 in Privathaushalten verwendete, Glühbirne an: Eine technische Neuerung, die auf dem Land um 1929 höchstwahrscheinlich noch nicht weit verbreitet war.
Außerdem wird gleich in der ersten Strophe ein Sinnbild für eine Großstadt wie Berlin verwendet. Erich Kästner schreibt hier von einer Prostituierten, die die Neuankömmlinge mit "Komm mit, mein Schatz!" (vgl. Z. 4) anspricht. Noch deutlicher wird es durch die nächste Zeile. Darin wird sie als leicht bekleidet beschrieben. Damit ist klar, dass hier die Rede von einer Prostituierten ist. Die Besucher reagieren entsetzt auf die Erscheinung der Frau. Es zeigt, dass man auf dem Land etwas Derartiges nicht kennt.
Gleich in der ersten Zeile der nächsten Strophe findet man eine Antithese (nicht aus und nicht ein, vgl. Z. 6); diese unterstützt die Zwiespältigkeit der Besucher: Einerseits sind sie nach Berlin gekommen, um hier etwas zu erreichen, andererseits haben sie den dringenden Wunsch wieder zu Hause zu sein, weil sie sich in der Großstadt keineswegs wohl fühlen.
Es fällt auf, dass in der ersten und zweiten, sowie in der vierten und fünften Zeile der zweiten Strophe der Satz aus einem ganzen Vers besteht. In der mittleren Zeile sind zwei Sätze in einem Vers eingebaut (Die Bahnen rasseln. Die Autos schrein. vgl. Z. 8). Der Aufbau einer Stadt wird widergespiegelt: Im Stadtkern sind die Grundstücke bzw. Häuser kleiner und es gibt mehr Wohnungen auf weniger Fläche, zum Stadtrand hin nimmt die Dichte der Häuser ab, daher können Grundstücke dort mehr Platz einnehmen. In den folgenden Strophen wird dieses Schema nahezu identisch übernommen (Ausnahme: vgl. Z. 11/12 und 19/20).
Diese Auffälligkeit lässt sich allerdings auch noch auf eine andere Weise deuten. Im Zentrum einer Großstadt wirken mehr Reize auf die Menschen ein als am Stadtrand, denn im Stadtkern gibt es eindeutig mehr Läden mit Reklameschildern etc. Die Vielen Geschäfte ziehen die Menschen an und so häufen sich dort akustische und optische Reizquellen.
In Strophe drei wird eine Personifikation angewandt: "als ob die Großstadt stöhnt" (vgl. Z. 11). Nicht nur die Großstadt scheint zu "stöhnen" auch die Nerven, der dort lebenden Menschen, sind stark strapaziert. Aus Sicht der "Besucher" verwandelt sich Berlin regelrecht in eine Art "wildes" (vgl. Z. 15) Monster. Die Fenster der Häuser werden als "funkelnd" (vgl. Z. 13) beschrieben und stehen somit für unheimliche Augen. Die bedrohliche Stimmung spitzt sich besonders in dieser Strophe zu und wird zu einer regelrechten Angst vor dem "wilden" Treiben der Großstadt.
"Berlin wird geschollen" (vgl. Z. 12), weil die Menschen vom Land schlecht über Großstädte redeten, wie dieses Gedicht aussagt. Sie fühlten sich dort nicht wohl, somit haben sie die Städte ausgeschimpft (=schelten).
Erich Kästner verwendet in seinem Gedicht auffallend häufig das Wort "und", sodass man von einem Polysyndeton sprechen kann. Dies bewirkt beim Leser das Gefühl, dass ziemlich viele negative Aspekte die Stadt Berlin ausmachen. Würde man die "unds" weglassen, fiele auf, dass gar nicht so viele kritisierende Begriffe bezogen auf Berlin verwendet wurden.
Das Gedicht endet mit dem Vers "bis man sie überfährt." (vgl. Z. 20). Ein solch dramatisches, abruptes Ende greift nach der Aufmerksamkeit des Lesers. Man wird zum Nachdenken angeregt. Was Kästner mit diesem letzten Vers sagen will, ist, dass die "Besucher vom Lande" sich nicht an das Stadtleben angepasst haben. Vergleichbar mit der Natur: Tiere, die sich nicht anpassen, können in ihrer Umgebung nicht überleben. So hart es auch klingt, wahr ist es dennoch. Die vielen Eindrücke der Großstadt waren zu viel auf einmal und haben die Neuankömmlinge erdrückt.
Betrachtet man jeweils den letzten Vers der vier Strophen, so kann man erkennen, dass dieser sich bei den ersten drei Strophen immer aus "und", Prädikat, Subjekt und Adjektiv zusammensetzt, auch wenn die Reihenfolge vertauscht ist. In der letzten Strophe wird dieses Schema bewusst unterbrochen, um den abrupten Schluss zu unterstreichen und noch dramatischer wirken zu lassen.
Mit seinem Gedicht hat Erich Kästner Probleme bezüglich des Lebens in der Stadt dargestellt und die Veränderungen auf Grund der zunehmenden Industrialisierung genannt. Auf die heutige Zeit treffen die Beschreibungen teilweise immer noch zu. In einer Großstadt ist es immer hektischer, lauter und chaotischer als auf dem Land und dies wird wohl auch in den nächsten Jahren noch so bleiben.
Inhalt
Die Gruppenaufgabe war, für das vorliegende Gedicht eine schriftliche Interpretation zu verfassen. Diese sollte abgegeben werden und in einem Vortrag der Klasse vorgestellt werden. Außerdem sollte ein passendes expressionistisches Bild erstellt werden. Dazu gibt es eine Präsentation:
http://www.e-hausaufgaben.de/Referate/D10624-Erich-Kaestner-Besuch-vom-Lande-1929-Vortrag.php (1271 Wörter)
http://www.e-hausaufgaben.de/Referate/D10624-Erich-Kaestner-Besuch-vom-Lande-1929-Vortrag.php (1271 Wörter)
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