Facharbeit: Anmerkungen zu Hesses Glasperlenspiel
Anmerkungen zu Hesses "Glasperlenspiel"
Vorneweg: Hesse hat sich intensiv mit dem europäischen (!) Mittelalter befasst hat und etliche Schriften auch übersetzt, darunter Caesarius von Heisterbach (enthalten in dem immer noch greifbaren, von Hesse herausgegebenen Insel-Taschenbuch "Geschichten aus dem Mittelalter").
Es wird notwendig sein, sich bei einer Auseinandersetzung mit dem "Glasperlenspiel" vorab mit der philosophiehistorischen Entwicklung des Utopiebegriffes zu beschäftigen. So ist es gewiss sinnvoll, zunächst einmal einen Abriss der Utopievorstellungen generell zu geben. Dazu kann ich wärmstens empfehlen, sich durch die von Ferdinand Seibt 1972 in Düsseldorf vorgelegte Utopiestudie zu wühlen: "Utopica - Zukunftsvisionen aus der Vergangenheit" (aktualisierte Neuausgabe 2001, München, Orbis Verlag, www.orbis-verlag.de). Die gut lesbare Studie hilft ganz sicherlich, zumindest den Strukturaufbau für den Allgemeinteil zur Utopie schnell erstellen zu können.
Da die utopischen Gesellschaftsentwürfe durchweg ein städtisches Modell vor Augen haben, bei Morus ebenso wie in Andreaes "Christianopolis", müsste herausgestellt werden, daß Hesse auf das historisch ältere, monastische Gesellschaftsmodell zurückgreift. Zwar bleibt bei Hesse dezidiert der Erziehungsauftrag bestehen, den die meisten Utopisten als Voraussetzung betrachten, um überhaupt eine entsprechende Gesellschaftsordnung in die Tat umsetzen zu können. Doch Hesse (nicht vergessen: es handelt sich beim "Glasperlenspiel" um Literatur, nicht um eine philosophisch stringente Abhandlung!) verlegt die "ideale Gesellschaft" in klösterliche Abgeschiedenheit.
Das von Hesse beschriebene strenge Regelwerk - was sowohl das soziale Miteinander und die hierarchische Abstufung der kastalischen Gemeinschaft anbetrifft, als auch im übertragenen Sinne das System des Glasperlenspiels selbst - ist teilweise, ich sag es ungern, abgekupfert von einem Werk, das in unmittelbarer Nähe von Hesses Geburtsort Calw entstanden ist. Es sind die "consuetudines hirsaugiensis", die Wilhelm von Hirsau (gest. 1091) nach Cluny-Vorbild formuliert hat, und nach denen über die Hälfte der deutschen Klöster reformiert worden sind. (Hinweis: Inzwischen ist das vollständige, gut erhaltene, etwa um 1080 geschriebene Exemplar der Consuetudines, früher im Besitz der Klosterbibliothek Ochsenhausen, digital erfasst und als CD-Rom zugänglich)
Hesse, der als Knabe sehr häufig in Hirsau war (zwei Kilometer von Calw entfernt) und in den Klosterruinen spielte (vgl. hierzu: Siegfried Greiner, Hermann Hesse - Jugend in Calw, Sigmaringen 1981), hat sich
intensiv mit den Gepflogenheiten der monastischen Gemeinschaft auseinandergesetzt. Dazu kam Hesses, wenngleich kurzer, Aufenthalt im Seminar des ehemaligen Klosters Maulbronn. Nicht von ungefähr siedelt Hesse "Narziß und Goldmund" und das "Glasperlenspiel" im monastischen Umfeld an. - Im "Glasperlenspiel" unverkennbar als literarische Folien benutzt, allein schon durch die topographischen Einzelheiten, sind "Mariafels" das ehemalige Benediktinerkloster Hirsau und "Waldzell" das ehemalige Zisterzienserkloster Maulbronn.
Nun sind die mittelalterlichen Klöster auch absolut autarkeWirtschaftsbetriebe gewesen (siehe auch den St. Galler Klosterplan) und insoweit auch Vorläufer dessen, was in den städtischen Gesellschaftsmodellen der Utopisten beschrieben wird. Allerdings - und da unterscheidet sich das von Hesse entwickelte Utopiemodell fundamental von allen anderen Utopien - sind Ehe und Kinder keine Bestandteile im "Glasperlenspiel". Hesse verwendet in seinem Roman wiederum einen monastischen Aspekt, um die Notwendigkeit der Erziehung des Einzelnen zum intelligenten Wesen darzutun. Wie in den Klöstern auch, spielt das Noviziat eine große Rolle, bei dem die jugendlichen Männer (entsprechend in den Frauenklöstern Mädchen) eine umfassende Ausbildung bekommen.
Wilhelm von Hirsau selbst wurde bereits im Alter von sieben Jahren ins Kloster St. Emmeram bei Regensburg gegeben und erwarb sich dort sein Wissen, das ihn zum Universalgelehrten von europäischer Bedeutung machte.
Hesse sah durchaus Parallelen zwischen dem mittelalterlichen, europäischen Mönchstum und dem in den buddhistischen Klöstern Chinas. Auch die Ähnlichkeit der durch Kontemplation erreichten Welterkenntnis und die meditative Herangehensweise fiel Hesse auf. Die durch Sekundärliteratur erworbenen, jedoch ziemlich rudimentären Kenntnisse über chinesische Musik ließen Hesse zudem sich erinnern an die ihm gutvertraute Affektenlehre der Barockmusik.
Wenn das "Glasperlenspiel", was naheliegt, auch als Utopie verstanden wird, dann muß aber notwendigerweise ebenfalls berücksichtigt werden, daß es keine gesellschaftstheoretischen Entwürfe im chinesischen Denken gegeben hat. Die bis heute in der aktuellen Politik nachwirkende Vorstellung des Konfuzius, daß der Einzelne nichts, die Gemeinschaft (das Volksganze) aber alles zähle, und deshalb auch das Lebensschicksal des Einzelnen eine quantité negligeable sei, kann niemals den Rang einer Gesellschaftsutopie einnehmen. Diese nämlich muß notgedrungen Überlegungen zu allen Aspekten einschließen, die sich aus dem sozialen und ökonomischen Zusammenleben in einer menschlichen Gesellschaft ergeben. Diesbezüglich hat die chinesische Philosophie (und deren unterschiedliche Schulen) keinen Beitrag geliefert.
Außer einer metaphysischen Spekulation über ein mögliches individuelles Weiterleben, bzw. einer Reinkarnation, ist der chinesische Buddhismus in keiner Hinsicht zukunftsorientiert. Die Utopie aber will die Voraussetzungen schaffen für die gedeihliche Zukunft einer Gesellschaft. Die Gemeinschaftlichkeiten europäischen und fernöstlichen Denkens, das Heil sucht in der meditativen Versenkung, die sind unübersehbar, und genau das hat Hesse im "Glasperlenspiel" verwendet als gedankliches Spielmaterial.
Doch Vorsicht: gemeinsames Meditieren ist längst noch kein Ausdruck gesellschaftswirksamer Veränderungs- und Entwicklungsansätze. Der utopische Grundentwurf im "Glasperlenspiel" hat als gesellschaftstheoretische Überlegung ausschließlich europäische Wurzeln. Die Chinoiserien im "Glasperlenspiel" sind kenntnisreicher Zierrat eines überaus belesenen Autors, mit einem utopischen Modell indes haben sie nichts zu tun. Daran ändert auch Hsias durchaus verdienstvolle Arbeit "Hesse und China" nicht das mindeste, zumal Hsia, wie mir Sinologen versichert haben, allzu oft sich in Spekulationen verliert.
Was nun die von Hesse entworfene, für eine nur sehr kleine Gemeinschaft in Kastalien erdachte Sozialutopie anbetrifft, so muss auf die in der Sekundärliteratur bislang nicht behandelte Verbindung zu den Gesellschaftsmodellen des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit verwiesen werden. Hesse als umfassend gebildeter und belesener Autor, der als blendender Lateiner viel im Urtext gelesen hat, kannte natürlich die Entwürfe von Morus, Bacon und Campanella (Utopia, Atlantis, Sonnenstaat), ebenso wie Platons Politeia.
Was aber weit mehr zu Buche schlägt und sich unmittelbar im Glasperlenspiel wiederfindet, das ist der Gesellschaftsentwurf des Mannes, der 19 Jahre lang in Hesses Geburtsort Calw lebte: Johann Valentin Andreae. Dessen "Christianopolis" gehört nicht nur zu den bedeutenden Sozialutopien, sondern hat unmittelbar auch den
württembergischen Pietismus beeinflusst. Andreaes Gedanken sind vor allem von Oetinger aufgegriffen worden, wie Andreae selbst ja auch als der eigentliche Urvater des Pietismus gilt. Friedrich Christoph Oetinger (1702 - 1782) amtierte ab 1738 für fünf Jahre als Pfarrer in Hirsau. Hesse hatte sich in der Vorbereitung fürs "Glasperlenspiel" bei seiner Schwester Adele ausdrücklich nach den Schriften Oetingers erkundigt.
Die von Andreae geforderte Einrichtung der Kirchenkonvente als soziales Kontrollinstrument hat bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts existiert (vgl. hierzu auch Bischoff-Luithlen: Der Schwabe und die Obrigkeit). Sogar die bis heute emsig eingehaltene Kehrwoche verdankt ihr Entstehen der schon von Andreae postulierten Vorstellung, es müsse, wenn der "Herr" (Gott, wahlweise Christus) sonntags in die Häuser einkehre, alles sauber und ordentlich sein.
Was den engen Zirkel der Gemeinschaft in Kastalien anlangt, so hat Hesse auf ein anderes Werk Andreaes auch zurückgegriffen. Zwar hat Andreae später diese und drei andere Schriften (u.a. "Fraternitas") als
Studentenulk abgetan, gleichwohl aber damit eine bis heute weltweite Wirkung erzielt: "Die alchymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz". Auch dabei handelt es sich, bei aller zusätzlichen mystischen Verbrämung, um eine als Sozialutopie getarnte Satire, die Hesse genau kannte und einige Ansätze davon in seinem "Glasperlenspiel" verarbeitete. Verblüffend sind die Parallelen zwischen Andreaes Komödie "Menippus" (ein Original befindet sich im Calwer Dekanatsarchiv) und Hesses "Glasperlenspiel".
Eine weitere Spur auf der Suche nach "Glasperlen" führt auf verschiedenen Wegen zu dem 1757 in Iptingen (Nähe Vaihingen/Enz) geborenen ehemaligen Leinenweber Johann Georg Rapp. Dieser sich stark an Jakob Böhmes Ideen und dessen Sophia-Mystik ausrichtende Laienprediger sammelte rasch, sehr zum Missfallen der evangelischen Landeskirche Württemberg, eine mehrtausendköpfigen Anhängerschar um sich und wurde schließlich mit Landesverweis bedroht. Rapp hatte sich von dem bedeutenden Pietisten Michael Hahn beraten lassen, dessen Schriften jedoch von Rapp als "nicht tief und mystisch" genug beurteilt wurden. (Der Arzt und Dichter Justinus Kerner hat in seinen Erinnerungen an Maulbronn Rapp freundlich beschrieben.) Mit etwa 700 Anhängern, die Rapps Erwartung eines nahen Weltendes teilten, reiste der Laienprediger nach Pennsylvenia, USA. Am Fluss Connoquenessing, nördlich von Pittsburgh wurde eine Siedlung namens Harmonie gegründet, die nach etlichen Anfangsschwierigkeiten aufblühte. Die Gütergemeinschaft der Harmonisten umfasste viele Handwerksarten, Weinbau und Viehzucht; auch ein eigener Arzt mit einem beachtlichen Heilkräutergarten gehörte dazu.
Im Jahr 1814 verkaufte Rapp die Siedlung und zog mit seinen Anhängern in den Staat Indiana. Am Wabash, Nebenfluss des Ohio, entstand eine neue Siedlung, die Neu Harmonie und später New Harmony genannt wurde. Diese in einem Schachbrettmuster erbaute Siedlung ist dann 1824 an den schottischen Sozialreformer Robert Owen verkauft worden, der dort "ein Gemeinschaftsprojekt in Form einer Intellektuellenkommune verwirklichen wollte". (Das könnte auch eines der Vorbilder für Kastalien im "Glasperlenspiel abgegeben haben) Zu den Besuchern von New Harmony, das ein "blühendes Gemeinwesen" geworden war, zählte der aus Württemberg stammende Volkswirtschaftler Friedrich List, der fand, dass New Harmony die "Vorzüge Deutschland und Amerikas" vereine. Ebenfalls Besucher waren Herzog Paul von Württemberg in Begleitung des Malers Karl Bodmer. Einer von Hesses schon früh geliebten Dichtern, Nikolaus Lenau, verbrachte den Winter 1832/33 in der Siedlung und fühlte sich dort offenkundig heimisch.
Da Hesse bereits durch seinen Großvater Gundert mit sämtlichen pietistischen Strömungen in Württemberg vertraut war, deren Begründer sehr oft aus dem Bereich des Nagoldtales kamen oder dort tätig gewesen waren, hat der "Glasperlenspiel"-Autor selbstverständlich auch die Bedeutung von Johann Georg Rapp gekannt, dessen "Separatistenbewegung" und die Geschichte von "Harmonie", bzw. "New Harmony", deren Existenz einer real gewordenen Sozialutopie zu verdanken ist.
Zur Utopie ist noch heranzuziehen der von Hesse sehr hochgeschätzte Comenius, der eine völkerbundartige Gesellschaftstheorie entworfen hat. Dies spiegelt sich im Glasperlenspiel wider in dem Amalgam aus europäischem Wissen und fernöstlicher Weisheit. Nachweislich hatte sich Hesse auch mit den Utopiegedanken des Nikolaus von Kues beschäftigt.
Ein weiterer Aspekt ist die Affektenlehre der Barockmusik (vgl. hierzu: Johann Mattheson, "Der vollkommene Capellmeister", 1739, sowie "Das Neu-eröffnete Orchestre", 1713, beides als Reprint zugänglich). Es sind vor allem die durch die affektausdrückenden Topoi vorgegebenen Muster, die dann im Tastenspiel (Cembalo) regelgerecht ausgeführt und regelgerecht kontrapunktisch angewendet werden müssen. Durch nahe Verwandte (Kirchenmusiker) war Hesse mit diesen Anforderungen zumindest theoretisch bestens vertraut. Außerdem hatte sich Hesse durch seinen Neffen Carlo Isenberg (der Carlo Ferromonte im "Glasperlenspiel") zwei Jahre lang in den Grundlagen barocker Orgelmusik unterweisen lassen. Brieflich hatte Hesse auch darum gebeten, über die Kirchenmusik in Württemberg zwischen 1700 und 1750 informiert zu werden, wobei allerdings Hesse irrtümlicherweise annahm, dies sei eine Zeit des kirchenmusikalischen Niedergangs in Württemberg gewesen.
Ob Hesse um die Existenz des von mir wiederentdeckten barocken Orgelmeisters Johannes Kurz in Calw (1728 - 1736) wußte, ist nicht bekannt, aber doch wahrscheinlich, zumal ein Nachfahre des Musikers, der Dichter und Germanist Hermann Kurz, der lebenslange Freund von Hesses Großvater Hermann Gundert war seit deren gemeinsamem Aufenthalt im Maulbronner Seminar. Außerdem hat der mit Hesse befreundete Calwer Rechtsanwalt Ernst Rheinwald den Orgelmeister Kurz mehrfach erwähnt in "Kirchenmusik in Calw vom 15. bis 20. Jahrhundert" (neuerdings wieder greifbar in der durch Hellmut J. Gebauer ergänzten Fassung in "Kulturgeschichte III, Kirchenmusik", Verlag Archiv der Stadt Calw)
Die im Glasperlenspiel vorkommende Hereinnahme chinesischer Musikmuster hat Hesse ausschließlich aus Sekundärliteratur bezogen. Die dort beschriebenen Entsprechungen von Klang und Emotionen, bzw. Dingen wie Naturerscheinungen (z.B. Wasser) finden sich samt und sonders ebenfalls in der Hesse schon seit Jugend an vertrauten Affektenlehre. Es gehört zum intellektuellen Spiel (sic!) Hesses, sein literarisiertes, abendländisches Wissen durch fernöstliche Exotismen aufzuputzen.
Was nun das Spiel angeht, so hatte Hesse nichts mit der heutigentags recht modischen Spieltheorie am Hut. Vielmehr hat ihn der von ihm nachweislich sehr geschätzte Johan Huizinga angeregt mit seinem Diktum vom "homo ludens" in Huizingas gleichnamigem Buch. Diese Arbeit ist unbedingt heranzuziehen, wenn über das Glasperlenspiel nachgedacht und geschrieben werden soll.
Nicht übersehen werden darf aber auch (und hier versagen fast alle Deuter des Glasperlenspiels), dass Hesse viele Anregungen zu dem Spiel einem Mann verdankt, der einmal sein Lehrherr gewesen war und dem er im Glasperlenspiel sogar zusätzlich mit dem Namen ein Denkmal setzte: Perrot, dem Hesse in seinem Roman den Vornamen Bastian gibt. Tatsächlich hieß der Lehrherr, bei dem Hesse eine abgekürzte Mechanikerlehre absolvierte, Heinrich Perrot. Er war ein Waldenserabkömmling. Sein Sohn gleichen Namens hat 1970 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: "Der Grübler - Erinnerungen an meinen Vater" (Privatdruck). Darin wird ausführlich beschrieben, dass Perrot auf einem alten, vom Großvater stammenden Glockenspiel teilweise jahrelang übte. Weil er keine Noten kannte, erfand er eigene Zeichen, die aus Buchstaben, Zahlen, Punkten, Strichen und Kreuzen bestanden. Die von ihm erfundenen Melodien hat Perrot dann in seiner Geheimschrift notiert.
Dazu schreibt der Sohn in seinen Erinnerungen: "Hatte er es zum Beispiel mit vier Noten zu tun, etwa a - cis - e - fis, modulierte er die Zahl der Wiederholungen, die Tonlängen, Pausen, Doppeltöne und Tempi so lange, bis er glaubte, jenen Klangsatz gefunden zu haben, der ihm das Empfinden der Freude oder des Schmerzes vermittelte." (Ja, ja, hier ist der Begriff von der trapsenden Nachtigall wirklich angebracht. Ich amüsiere mich immer königlich über manche tiefgründelnden Deutungen der Mechanik des Glasperlenspiels)
Perrot unterhielt sich sehr oft mit seinem Lehrling Hesse und hat ihm auch dieses Glockenspiel und die Geheimschrift gezeigt, wie auch Perrot dem späteren Dichter die Spieluhren, Musikautomaten und sonstigen technischen Spielereien vorgeführt, die der selbst erfindungsreiche Tüftler Perrot sammelte.
Zum Wesen des Spiels empfehle ich noch einen Blick zu werfen in:
- Roger Callois, Die Spiele und die Menschen, Frankfurt - Berlin - Wien 1982
und
- Hannsferdinand Döbler, Sport Spiel Kunst, München 1974
Als ausgesprochen wertvoll im Hinblick auf das "Glasperlenspiel" erweist sich die Lektüre des Aufsatzes "Wissenschaft und Spiel" von Arno Borst. Darin rekonstruiert der Mediävist nicht nur (samt Abbildung) das ums Jahr 1030 erfundene Zahlenspiel der Rhitmimachie (das in St. Emmeran, dem Ausbildungsort des Wilhelm von Hirsau, weiter ausgebaut wurde, und später noch Thomas Morus und Leibniz begeisterte), sondern belegt, wie das Spiel generell zur Beschäftigung der Intellektuellen im Mittelalter zählte. Die Verwandtschaft, bzw. Abhängigkeit dieser Spiele, zu Mathematik, Zahlenmagie und -mystik und Musik wird von Borst sorgfältig dargelegt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Wilhelm von Hirsau in seinem schwierig zu lesenden Traktat "de musica" (im 19. Jahrhundert auch in deutscher Übersetzung erschienen) das Spiel des Tetrachords (eines Musikinstrumentes) und die damit verbundene Zahlensymbolik darlegt. Abt Wilhelm fußte bei seinen Überlegungen auf dem musiktheoretischen Ansatz des Reichenauers Mönches, Hermann der Lahme, dessen diesbezügliche Schrift sich in der Bibliothek von St. Emmeram befand und von Wilhelm gelesen worden war.
(Vgl. hierzu: Arno Borst: Barbaren, Ketzer und Artisten - Welten des Mittelalters, München 1988, Neuausgabe als Taschenbuch bei Piper, 1990)
Ich komme noch einmal aus gegebenem Anlass auf einige Aspekte im "Glasperlenspiel" zurück. Denn wohl hatte ich auf die nicht zu unterschätzende Bedeutung von Andreae hingewiesen und auch Comenius erwähnt. Doch vergaß ich zu sagen, daß Andreae und Comenius im Briefwechsel standen. Beiden zu eigen war die intensive Auseinandersetzung mit pädagogischen Fragen, was sich bei Comenius in seiner europaweiten Tätigkeit zur Förderung von Erziehungseinrichtungen niederschlug, bei Andreae vor allem in seinen Schriften.
Das Hauptwerk von Comenius "De rerum humanarum emendatione consultatio catholica" ist von Jan Patoka erstmals im Druck herausgegeben worden (Prag, 1966). Im Epilog zu dieser Ausgabe zeigt Patoka nicht nur die Verbindung auf von Comenius zu Nikolaus von Kues und anderen politischen Denkern, radikalen Reformern, Vernunftsoptimisten und Utopisten, sondern (Achtung! Glasperlenspiel!) weist auf das eigentliche Grundmotiv hin, das für die Arbeit von Comenius und Andreae gleichermaßen entscheidend ist. Es sei, ich zitiere, "die Erlösung des Menschen so durch die absolute Erkenntnis und in Folge davon nur durch die absolut gute Erziehung möglich." "So wird die Erziehung, politische Pädagogik im genauen Sinn, zur Voraussetzung für die Welterlösung" (Patoka 1966, Spalte 713)
Nur durch Erziehung, da waren sich Andreae und Comenius einig, sei eine Veränderung der Gesellschaft möglich; "die Reformation der Gemeinschaft beginnt beim Individuum". Diesen Ansatz verfolgten beide, nämlich einen absolut gesetzten Szientismus zum Erreichen des politischen Konzeptes, das in den Utopien als erstrebenswert vorgegeben und beschrieben wird.
Hesse, guter Kenner der Materie, schildert dieses (ursprünglich utopische) Erziehungskonzept als Handlungsmuster in Kastalien, wobei - und das verdient besondere Aufmerksamkeit - die von Comenius und Andreae (letzterer auch in seinen Rosenkreuzer-Schriften) beschworenen kosmisch-theistischen (Hilfs-) Kräfte bei Hesse literarisiert werden durch die Handhabung des Glasperlenspiels und die Hereinnahme fernöstlicher Mystizismen.
Denn auf den Punkt gebracht, ist Hesses "Glasperlenspiel" ein utopischer Erziehungsroman. Erst, und damit greift Hesse einen Grundgedanken der beiden Utopisten Andreae und Comenius auf: Durch die volle Intelligibilität der Welt und die totale Intellektualisierung des Einzelmenschen ist eine reibungsfreie Gesellschaftsordnung realisierbar.
Inhalt
Untersuchung der geistes- und kulturgeschichtlichen Quellen, die in Hermann Hesses nobelpreisgekrönten Roman "Das Glasperlenspiel" eingeflossen sind. (2808 Wörter)
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Es handelt sich hier um einen fremden, nutzergenerierten Inhalt für den keine Haftung übernommen wird.
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