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Brief 14 in deutscher Übersetzung

Alles zu Seneca - Epistulae Morales Ad Lucilium

Seneca - Briefe an Lucilius über Ethik (2.Buch) - Brief 14


- Übersetzung ins Deutsche (relativ freie Übersetzung)
(1) Ich gebe zu, dass in uns die Liebe zu unserem Leib eingewurzelt ist; ich gebe zu, dass wir ihm unsere Fürsorge angedeihen lassen. Nicht bestreite ich, dass man ihm gefällig sein soll; dass man ihm sklavisch ergeben sein soll, bestreite ich. Ein Sklave vieler wird sein, wer ein Sklave seines Leibes ist, wer um ihn allzu ängstlich besorgt ist, wer alles von ihm abhängig macht. (2) So müssen wir uns verhalten, nicht als ob wir um unseres Leibes willen zu leben hätten, sondern als ob wir ohne ihn nicht leben könnten. Eine übertriebene Liebe zu ihm beunruhigt uns durch Ängste, belastet durch Sorgen und setzt uns Demütigungen aus; das sittlich Gute ist wertlos für den, dem sein Leib allzu teuer ist. Man soll ihn auf das sorgfältigste pflegen, jedoch so, dass man ihn, wenn es die Vernunft, wenn es die Würde, wenn es die Treue erfordert, bedenkenlos ins Feuer werfen kann. (3) Nichtsdestoweniger wollen wir, so gut wir können, auch den Unannehmlichkeiten aus dem Wege gehen, nicht nur den Gefahren, und uns in Sicherheit zurückziehen, indem wir uns immer wieder Mittel ausdenken, mit deren Hilfe das Furchteinflößende abgewehrt werden kann.' Davon gibt es, wenn ich nicht irre, drei Arten: man fürchtet die Mittellosigkeit man fürchtet Krankheiten, man fürchtet Gewalttaten eines Mächtigeren. (4) Von alledem erschüttert uns nichts so sehr wie die Bedrohung durch fremde Gewalt; unter großem Lärm und Getümmel rückt sie nämlich heran. Die natürlichen Übel, die ich erwähnt habe, Mittellosigkeit und Krankheit, schleichen sich still und leise ein und flößen weder Augen noch Ohren auch nur den geringsten Schrecken ein. ungeheuer hingegen ist der Aufzug jenes anderen Übels; mit Eisen und Feuer umgibt es sich und mit Ketten und mit einer Meute wilder Tiere, um sie auf die menschlichen Eingeweide loszulassen. (5) Stell Dir an diesem Punkt den Kerker vor und die Kreuze und hölzerne Folterpferde und den Widerhaken und den Pfahl, mitten durch den Menschen getrieben, so dass er zum Mund herausdringt, und die Körperteile, zerrissen von Wagen, die in entgegengesetzte Richtungen getrieben werden jene Tunika, mit leicht brennbaren Stoffen bestrichen undurchwoben, und was sich sonst außerdem noch Grausamkeit hat einfallen lassen. (6) Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die Furcht vor dem am größten ist, dessen Vielfalt groß und dessen Aufwand schrecklich ist. Denn wie ein Folterknecht mehr ausrichtet, je mehr Folterwerkzeuge er zur Schau gestellt hat - durch den bloßen Anblick werden nämlich jene überwältigt, die sonst standhaft durchgehalten hätten' -, ebenso haben unter den Qualen, die unseren Mut niederringen und bezwingen, diejenigen eine größere Wirkung, die etwas vorzuweisen haben. jene anderen Geißeln sind zwar nicht weniger schlimm - ich meine Hunger und Durst, Magengeschwüre und Fieber, das selbst die Eingeweide ausdörrt -, doch sie sind verborgen, nichts haben sie, womit sie drohen, nichts, was sie sehen lassen könnten: diese (Qualen hingegen) haben wie mächtige Feldzüge durch ihr (bloßes) Erscheinen und ihre Rüstung gesiegt .3
(7) Geben wir uns also Mühe, Kränkungen zu vermeiden. Bisweilen ist es das Volk, das wir fürchten müssen; bisweilen sind es, wenn der Staatsverfassung entsprechend die meisten Angelegenheiten vom Senat erledigt werden, die darin einflussreichen Männer; bisweilen einzelne, denen die Gewalt über das Volk und gegen das Volk verliehen worden ist.' Alle diese als Freunde zu haben ist mühsam; es genügt, sie nicht als Gegner zu haben. Daher wird der Weise niemals den Zorn der Mächtigen erregen, im Gegenteil, er wird ihn meiden, ebenso wie während einer Seefahrt den Sturm. (8) Auf Deiner Reise nach Sizilien überquertest Du die Meerenge. Ein leichtsinniger Steuermann kümmerte' sich nicht um die Drohungen des Südwindes - jener ist es nämlich, der Siziliens Meer peitscht und aufwirbelt -; nicht steuerte er die Küste zur Linken an, sondern jene, in deren Nähe Charybdis' die Fluten aufwühlt. Der umsichtigere (Steuermann) hingegen befragt die Ortskundigen, wie die Brandung sei, was die Wolken zu bedeuten haben; in weiter Entfernung von jenem durch seine Strudel verrufenen Bereich hält er den Kurs. Ebenso handelt der Weise'; die unheildrohende Gewalt meldet er, wobei er sich in erster Linie vor dem Anschein hütet, sie zu meiden; ein Teil der Sicherheit nämlich liegt auch darin, nicht ausdrücklich auf diese bedacht zu sein; denn was man flieht, missbilligt man. (9) Sorgsam müssen wir daher überlegen, wie wir uns vor der Masse schützen können. Zuallererst wollen wir nicht nach demselben verlangen. ein Konkurrenzkampf herrscht unter Mitbewerbern. Ferner wollen wir nichts besitzen, was uns mit einem beträchtlichen Gewinn für den, der es darauf abgesehen hat, entrissen werden kann; möglichst wenig Beute sei an Deinem Körper. Niemand ist auf Menschenblut um seiner selbst willen aus, oder jedenfalls nur ganz wenige. Es gibt mehr solche, die rechnen, als solche, die hassen. Einen Nackten lässt der Straßenräuber ungeschoren vorbei. Sogar auf einem belauerten Weg hat der arme Teufel seine Ruhe. (10) Drei Dinge hat man sodann nach einer alten Weisung peinlich zu meiden: Hass, Missgunst und Verachtung. Wie das geschehen soll, wird einzig die Weisheit lehren. Schwierig ist es nämlich, den Mittelweg zu finden, und es ist zu befürchten, dass uns die Angst vor Missgunst der Verachtung preisgibt, dass wir, während wir nicht (andere) treten wollen, den Anschein erwecken, man könnte uns treten. Bei vielen hat die Möglichkeit, gefürchtet zu werden, Furcht ausgelöst. Halten wir uns in jeder Hinsicht zurück: nicht weniger schädlich ist es, verachtet als mit Argwohn betrachtet zu werden. (11) Zur Philosophie also muss man Zuflucht nehmen;' diese Wissenschaft gilt, ich will gar nicht sagen bei guten, sondern bei nicht ganz schlechten Menschen so viel wie priesterliche Stirnbänder'. Denn die Kunst der Gerichts- und jeder anderen Rede, die das Volk beeindruckt, hat ihre Gegner: die Philosophie jedoch, friedlich und auf ihre eigene Aufgabe bedacht, kann nicht verachtet werden, sie, der von allen Kunstfertigkeiten auch bei den Schlechtesten Ehre zuteil wird?' Niemals wird die Gemeinheit so viel an Macht gewinnen, niemals wird man sich so sehr gegen die sittlichen Werte verschwören, dass der Name »Philosophie« nicht verehrungswürdig und heilig bliebe. Gleichwohl muss die Philosophie in aller Stille und unaufdringlich betrieben werden.
(12) »Was nun«, wirst Du einwenden, »scheint Dir (etwa) M. Cato unaufdringlich zu philosophieren, der dem Bürgerkrieg durch seine Meinungsäußerung Einhalt gebietet? Der mitten zwischen die Waffen der rasenden Parteiführer tritt? Der, während die einen Pompeius beleidigen, die anderen Caesar, beide zugleich herausfordert?« (13) Man könnte wohl das Problem erörtern, ob zu jener Zeit ein Weiser hätte in die Politik eingreifen sollen. Was willst Du eigentlich, Marcus Cato? Es geht nicht mehr um die Freiheit: sie ist längst dahin. Die Frage lautet (vielmehr), ob Caesar oder Pompeius den Staat besitzen soll; was geht dich dieser Streit an? Keine Partei ist die deine. Ein Despot wird ausgewählt; was liegt dir schon daran, wer siegt? Es kann der Bessere siegen - doch es muss unbedingt der Schlechtere sein, der gesiegt haben wird.` Den letzten Wirkungsbereich Catos habe ich angedeutet; doch auch die vorangegangenen Jahre waren nicht solcherart, dass sie einem Weisen zu jenem Raubbau am Gemeinwesen Zutritt gewährt hätten. Was sonst als laut gerufen oder nutzlose Worte ausgestoßen hat Cato, als er, bald von des Pöbels Händen emporgehoben und von oben bis unten angespuckt, mitgezerrt wurde, um von dem Forum weggeschafft zu werden`, bald aus dem Senat ins Gefängnis gebracht wurde?
(14) Doch wir wollen später einmal überlegen, ob sich der Weise mit der Politik befassen soll; vorläufig verweise ich Dich auf die Stoiker, die von der Politik ausgeschlossen wurden und sich (ins Privatleben) zurückgezogen haben, um das Leben zu veredeln und der Menschheit sittliche Normen zu geben, ohne jegliche Belästigung des Machthabers.` Nicht wird der Weise die volkstümlichen Gepflogenheiten verunsichern, noch wird er das Volk durch die Extravaganz seines Lebens auf sich aufmerksam machen.` (15) Wie nun? Wird unbedingt sicher sein, wer nach diesem Vorsatz handelt? Versprechen kann ich Dir das ebenso wenig wie bei einem mäßigen Menschen das Wohlbefinden, und dennoch bewirkt eine maßvolle Lebensweise das Wohlbefinden. Manches Schiff geht im Hafen unter: doch was, glaubst Du wohl, passiert mitten auf hoher See? Wie viel drohender wäre für diesen hier die Gefahr, wenn er rastlos handelte und plante, dem nicht einmal ein ruhiges Privatleben Sicherheit gewährt> Bisweilen gehen Unschuldige zugrunde - wer leugnet dies? -, Schuldige jedoch häufiger. Die Fechtkunst bleibt auch dem treu, der durch die Rüstung getroffen wurde." (16) Auf die Absicht blickt schließlich bei allen Handlungen der Weise, nicht auf das Ergebnis; die Anfänge liegen in unserer Macht, über den Ausgang entscheidet der Zufall, dem ich kein Urteil über mich zubillige. »Doch er wird irgendeine Plage bringen, irgendeine Widerwärtigkeit.« Nicht fällt einen Schuldspruch der Räuber, wenn er tötet.
(17) Nun streckst Du die Hand nach der täglichen Gabe aus. Mit einer goldenen Gabe werde ich Dich zufrieden stellen, und weil Gold erwähnt wurde, so vernimm, wie seine Nutznießung Dir noch angenehmer sein könnte. »Jener genießt seinen Reichtum am meisten, der des Reichtums am wenigsten bedarf.«" »Gib«, sagst Du, »den Autor dieses Spruches bekannt!« Damit Du weißt, wie wohlwollend wir sind, unser Vorsatz ist es, fremdes Gut zu loben:` Der Spruch stammt von Epikur` oder Metrodoros` oder von einem anderen aus jener Werkstatt21. (18) Und was liegt schon daran, wer dies gesagt hat? Für alle hat er es gesagt. Wer des Reichtums bedarf, fürchtet für ihn; niemand jedoch kann sich eines Gutes freuen, das Sorgen macht. Er ist bestrebt, den Reichtum zu mehren; während er über den Zuwachs nachdenkt, vergisst er die Nutzung. Rechnungen lässt er sich geben, betritt tagaus, tagein das Forum, blättert im Schuldbuch: aus einem Besitzer wird er zum Verwalter. Leb wohl!
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Seneca - Briefe an Lucilius über Ethik - Brief 14
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