Der Sozialstaat - Ein kontinuierliches Problem?
Der Sozialstaat – ein kontinuierliches „Problem“
Seit der Einführung der Sozialversicherung durch Bismarck (1881-1889) wirft die Existenz des Sozialstaates in Deutschland den Konflikt zwischen seinen solidarischen Vorteilen und seiner prekären Finanzierbarkeit auf. Das ganze 20. Jahrhundert über blieb wenig von den Einflüssen dieser Diskussion unberührt. Politik und Wirtschaft arbeiten bis heute an neuen Konzepten für die Lösung des „Problems Sozialstaat“. In der Vergangenheit hatten die Krisen des Sozialstaates Deutschland erheblichen Anteil an dem Verlauf der Geschichte.
Was ist ein Sozialstaat?
Laut Lexikon: „Ein Staat, der seine Mitverantwortung und Mitgestaltungsmacht auf die Überwindung sozialer Schäden und auf die Befriedigung sozialer Gegensätze im Volkskörper erstreckt. Die Bundesrepublik Deutschland sieht den Sozialstaat in der Form eines sozialen Rechtsstaates vor. (Wohlfahrtsstaat)“ (F.A. Brockhaus, vierte, neu bearbeitete Auflage, fünfter Band, Wiesbaden, 1971). Meist wird mit dem Begriff Sozialstaat Hilfe die vom Staat kommt und der Gedanke der Solidarität durch Chancengleichheit, Sicherheit und Respekt assoziiert. Solidarität ist in diesem Falle schwierig zu definieren, vor allem da es in verschiedenen Staaten differenzierte Vorstellungen von Solidarität und damit auch von dem Sozialstaat gibt ( z. B. der liberale, der sozialdemokratische, der kontinentaleuropäische Sozialstaatstypus ). Auch haben die gesetzgebenden Organe zwischen den zwei verfassungsrechtlichen Grundlagen Deutschlands immer einen gewissen Spielraum. Auf der einen Seite den Schutz der persönlichen Freiheit des Einzelnen (Art 2, 1 GG) und auf der anderen Seite die Forderung nach einer sozialstaatlichen Ordnung (Art 20,1 GG). (Vgl. Dieter Hesselberger, Das Grundgesetz. Kommentar für die politische Bildung, Bonn, 9. Aufl. 1995, S. 168 f.)
Die „Sozialstaatsklausel“ des Grundgesetzes fordert nicht die Einrichtung eines totalen Wohlfahrtstaates. Sie enthält auch nicht die Forderung nach einer ausschließlich staatlich gelenkten Wirtschaftordnung. Der soziale Auftrag des Grundgesetzes beinhaltet im Einzelnen die Verpflichtung des Staates
zur Fürsorge für Hilfsbedürftige (Fürsorgeprinzip). Jeder Bürger hat damit das Recht, eine Sicherung seines Existenzminimums einzufordern (Fürsorgeanspruch).
zur Versorgung der Bevölkerung mit Gas, Strom, Wasser, öffentlichen Verkehrsmitteln, Gesundheit, Bildung und Arbeit (Versorgungsprinzip). Dies muss der Staat allerdings nicht kostenlos tun.
zur Schaffung eines sozialen Sicherungsnetzes gegen die „Wechselfälle“ des Lebens, das in Deutschland in Form einer gesetzlichen Zwangsversicherung auftritt (Versicherungsprinzip).
Die große Koalition und der Ruhreisenstreit
Die Wahlergebnisse der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928, welche die Splitter- bzw. Interessenparteien (Wirtschaftspartei, Landvolkpartei, Bauernpartei) begünstigten und die bürgerliche Mitte von Zentrum und DDP entkräfteten, führten zur Bildung der „Großen Koalition“, die sich aus Zentrum, DVP, BVP, SPD und DDP zusammensetzte. Denkbar, dass ein so großes Bündnis von Parteien mit verschiedenen Programmen wenig stabil und belastbar war.
1928 kam es zum „Ruhreisenstreit“ in der Metallindustrie zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die eine Lohnerhöhung forderten. Da sowohl die Arbeitgeber, welche eine verhandlungslose Kündigung aller Mitarbeiter verlangten, als auch die Gewerkschaften Interessenpartner in der großen Koalition besaßen wurde der Streit auch in die politische Ebene gehoben. Die Gewerkschaften fanden ihre Vertreter in der SPD, während die Industrieverbände im Reichstag von der DVP begünstigt wurden. Letzte Instanz in Tarifauseinandersetzung war zu dieser Zeit der Staat, welcher bis 1932 keine Einigung erzielen konnte.
„Auch wenn sich keine der beiden Seiten durchsetzen konnte, wurde in diesem Streit offenbar, mit welcher Verschärfung der sozialpolitischen Fronten diese sozialdemokratisch geführte Regierung Müller zu rechnen hatte.“ (Weimarer Republik und Nationalsozialismus, Ernst Klett Schulbuchverlag GmbH., 1. Aufl., 1992)
Für die Gewerkschaften gehörten der Acht-Stunden-Tag, Tarifrecht und Arbeitslosenversicherung zu der Verfassung Deutschland, die unangetastet bleiben sollten. Die „Zentralarbeitsgemeinschaft“ von 1918 zwischen Unternehmen und Gewerkschaften entpuppte sich als „Zweckbündnis [..], das die Sozialisierung verhindern sollte.“ (siehe letztes Zitat)
Die Industrieverbände verfolgten den Sozialabbau Deutschlands. Ein Aufschwung für Wirtschaft und Haushalt war für sie mit der Entmachtung der Gewerkschaften verbunden, deren Vorraussetzung der Untergang der Großen Koalition war.
Die Große Koalition zerbrach an der Debatte über die Sanierung der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung. Eine enorme Anzahl von Arbeitslosen im Nacken sitzend stieg der Erwartungsdruck gegenüber der Regierung für eine Lösung. Die Regierung konnte die Massenarbeitslosigkeit nur noch durch Anleihen finanzieren. Die einzelnen kompromisslosen Parteien konnten immer noch keine Einigung zum paritätischen Prozentsatz der Arbeitslosenversicherung erzielen.
Der rechte Flügel der Sozialdemokraten, als Ziel die Wirtschaftsförderung, war für einen Kompromiss, der die Beiträge lediglich um ¼ % erhöhen sollte. Der linke Flügel der selben Partei, weigerte sich.
Der Streit über die Dimension des deutschen Sozialstaates fand kein Ende, sodass der Reichkanzler Hermann Müller zwangsläufig zurücktreten musste. Am 27. März 1930 endete die „letzte vom Parlament getragene Regierung“ (siehe letztes Zitat).
Was die Große Koalition bis dahin zusammen gehalten hatte, war das gemeinsame Interesse an den laufenden Reparationsverhandlungen (seit 1929), die zum Young-Plan führten. Nachdem am 12.03.1930 die Young-Gesetze von der Regierung akzeptiert wurden, löste sich das Motiv für den Weitererhalt der Koalition –zumindest für die Konservativen- auf.
Zeitgenössische Lösungsvorschläge
Aus der Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie vom 2. Dezember 1929 geht die Forderung hervor, das Maß der staatlichen Fürsorge müsse für deren Realisierung an die Wirtschaft angepasst werden, da „wirtschaftliche Produktivität […] die Quelle sozialer Leistungen“ (letzte Quelle, aus einer Veröffentlichung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie Nr. 49, Dezember 1929, Berlin, S.11ff.) sei. Die Verfasser verstanden den Sozialstaat als ein von der Wirtschaft abhängiges Organ, daher gaben sie der Wirtschaft den Vorrang vor der Politik. Sie verlangten, dass die Sozialleistungen an die „wirtschaftliche Tragfähigkeit“ angepasst und die Defizite des Staatshaushalts zwar nicht durch Beitragserhöhungen der Versicherungsbeiträge aber durch Leistungskürzungen ausgeglichen werden sollten. Zusätzlich solle der staatliche Einfluss auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen auf staatlich relevante, lebenswichtige, Betriebe reduziert werden.
Die Konsequenzen einer solchen Reform wäre beispielsweise die Verkopplung von sozialer Sicherheit an die Wirtschaftkonjunktur, d. h. wenn bei einer blühenden Wirtschaft heute eine Sicherung des Existenzminimums durch staatliche Unterstützung noch möglich ist, kann die Wirtschaftsflaute von morgen nicht einmal mehr eine Lebensgrundlage schaffen. Auf der anderen Seite würde ein solches System ein kollektives Interesse am wirtschaftlichen Wachstum fördern. Weiterhin würde das Solidarprinzip aufgehoben und durch eine liberale Struktur ersetzt, bei der jeder Betrieb seine eigenen Löhne und Arbeitsbedingungen festlegen kann. Zu was für einer sozialen Situation von Massen dies führen kann, zeigen die Lebensumstände der Menschen zur zeit der Industrialisierung. Die offensichtlichste Konsequenz wäre ein sozialer Verschleiß durch die Dezimierung der Sozialleistungen.
Der Sozialstaat Deutschland im Jahre 2004
Arbeitslosigkeit, Demografie, Kostenexplosion, kurz gesagt die Finanzierbarkeit sind die Lasten unseres Wohlfahrtsstaates. Die Arbeitslosigkeit, in Deutschland höher als in einigen anderen europäischen Ländern, belastet die Kassen der Arbeitslosenversicherung. Der einstige Generationenvertrag funktioniert nicht mehr, da die deutsche Bevölkerung stetig altert während dessen sie wenig Nachkommen hervorbringt. Die Differenz zwischen den Einnahmen der Versicherungsbeiträge und den Ausgaben reißt scherenartig auseinander.
Auch im Jahre 2004 gibt es theoretische Lösungsansätze, die in verschiedenen Parteien Sympathisanten gefunden haben. Hier sollen sechs von ihnen kurz diskutiert werden:
Die Beitragssätze erhöhen. Durchaus eine Lösung, welche die staatlichen Einnahmen erhöhen könnte. Auf der anderen Seite aber auch die Arbeiter zusätzlich belastet und Unternehmer veranlassen könnte, zur Zeit der Globalisierung in einem steuergünstigeren Land niederzulassen ( da durch die paritätische Beitragszahlung auch ihre Ausgaben erhöht würden). Die PDS und auch die Gewerkschaften tendieren zu einer solchen Reform.
Die Leistungen der Sozialversicherung kürzen. Durch eine solche Veränderung würde das Solidarprinzip Deutschlands deutlich eingeschränkt werden. Wie zu Anfang des 20. Jahrhunderts vertritt die Arbeitsgeberseite diese Neugestaltung. Diese „Sparmaßnahme“ wurde von der führenden Regierung aus SPD und Grünen durch die Agenda 2010 bereits durchgesetzt. Ebenso wie Folgendes:
Die staatliche Fürsorge (z. B. Wohngeld) einschränken. Staatliche Leistungen, die aus dem Rahmen der Zwangsversicherung herausfallen, sollen eingeschränkt werden. Der Begriff „sparen“ darf im neu-politischen Sinne nicht mehr als ein Zurücklegen von Geld für ein größere Anschaffung, sondern als eine Reduktion der Ausgaben gesehen werden.
Staatliche Verschuldung erhöhen. Dies wäre eine zusätzliche externe Geldquelle für deutsche Kassen. Doch wohin solch eine geborgte Prosperität führen kann, sieht man an dem Beispiel der Weimarer Republik, deren Untergang auch auf der Weltwirtschaftkrise begründet war. Dass ein solcher Schritt wirklich zukunftssicher ist, meinen PDS und die Gewerkschaften.
Umverteilung durch den Staat ändern (z. B. Besteuerung von Gutverdienenden und Unternehmern erhöhen). An dieser Reform fühlen viele deutsche ihren Gerechtigkeitssinn befriedigt. Doch auch die Arbeitslosigkeit kann durch eine stärkere Belastung der Arbeitgeber steigen, außerdem gibt es für jeden Gutverdienenden die Möglichkeit in ein kostengünstigeres Land auszuwandern. Die Gewerkschaften, die PDS und Die Grünen kämpfen für die Wiederbelebung der Vermögenssteuer.
Sozialversicherung vom Produktionsfaktor Arbeit abkoppeln. Die FDP neigt zu der Idee der Privatisierung der Absicherungen, also zu einem liberalen Sozialstaatsmodel. Die Kopfpauschale, bei der jeder einen festen Beitrag unabhängig von seinem Einkommen einzahlen soll, wird von der CDU favorisiert. Die Grünen vertreten die Bürgerversicherung, welche einen prozentualen-individuellen Betrag von dem Gesamteinkommen (also auch Mieteinnahmen, Aktiengewinne etc.) abzieht. Das sogenannte Wagner-Modell will den Arbeitgeberanteil in Fonds investieren, die dann zur Unterstützung gering Verdienender genutzt werden. Die Globalisierungskritiker der Vereinigung Attac entwarfen das Bürgergeld, so soll jedem Bürger, ganz unabhängig von seinem Einkommen ein Grundgehalt gezahlt werden, dass durch eine höhere Besteuerung der Verdienenden finanziert werden soll. Andere Leistungen, wie die Rente, entfallen.
Fazit
Der Sozialstaat wie wir ihn kennen läuft früher oder später vor die Wand. Es ist ein Auslaufmodell. Gerade jetzt beginnen die Menschen aufzuwachen und zu erkennen, dass es ernst wird. Doch sind die Massen längst (noch!) nicht so laut wie 1930. Die Probleme des Sozialstaates sind dieselben geblieben. Arbeitslosigkeit und staatliche Fürsorge auf hohem Niveau belastet den Staat und nun auch spürbar die Menschen in ihm. Doch spaltet sich der Lebensstandart unseres wählenden Volkes doch noch sehr von dem der Menschen 1930, die wählen gingen, um schließlich vielleicht noch etwas zu Essen zu kriegen. Wir werden schon bei einer Praxisgebühr von 10 € wach. Doch genau wie sie stehen wir vor einer politischen Veränderung, die unser Leben beeinflussen wird.
Aus rationaler Sicht, sollte Deutschland den liberalen Weg gehen. Wenn jeder für sich kämpft, füllt das ein paar erfolgreiche Taschen, wenn wir solidarisch sind, bekommt jeder etwas. Doch Liberalismus führt auch zu Armut und Kriminalität. Wie weit würde uns diese Ellbogenmentalität bringen? Früher oder später wehren sich die armen Massen. Auch der Liberalismus hat seine Kontinuität.
Aus menschlicher Sicht, sollte Deutschland einen möglichst sozialen Weg gehen. Sehr weit wird der Staat seine Bevölkerung nicht tragen können, wenn sie weiterhin ihren Lebensstandart hochschraubt und zu viele überflüssigen Sozialschmarotzer toleriert. Warum sollte ein Staat sozial sein, wenn seine Einwohner nicht bereit sind, dies auch an ihre Umwelt zurückzugeben?
Aus meiner Sicht, sollte Deutschland möglichst schnell seine Konservativität ablegen und ein Abkoppeln von dem Produktionsfaktor Arbeit als Steigbügel zu einer Mischung aus einem freiheitlichen und sozialen Staat nutzen. Doch die vorgestellten Modelle sind für mich alle unbefriedigend. Meine Vorstellung von einer brauchbaren Reform wäre eine Mischung aus Bürgerversicherung und Bürgergeld. Vielleicht würde uns die Radikalität unserer Vorfahren gut tun, wenn wir sie mit Reflexion und einer Affinität zu Neuem verbinden würden.
Anna-Fee Gessner, 2. Ausarbeitung, 12.2
Seit der Einführung der Sozialversicherung durch Bismarck (1881-1889) wirft die Existenz des Sozialstaates in Deutschland den Konflikt zwischen seinen solidarischen Vorteilen und seiner prekären Finanzierbarkeit auf. Das ganze 20. Jahrhundert über blieb wenig von den Einflüssen dieser Diskussion unberührt. Politik und Wirtschaft arbeiten bis heute an neuen Konzepten für die Lösung des „Problems Sozialstaat“. In der Vergangenheit hatten die Krisen des Sozialstaates Deutschland erheblichen Anteil an dem Verlauf der Geschichte.
Laut Lexikon: „Ein Staat, der seine Mitverantwortung und Mitgestaltungsmacht auf die Überwindung sozialer Schäden und auf die Befriedigung sozialer Gegensätze im Volkskörper erstreckt. Die Bundesrepublik Deutschland sieht den Sozialstaat in der Form eines sozialen Rechtsstaates vor. (Wohlfahrtsstaat)“ (F.A. Brockhaus, vierte, neu bearbeitete Auflage, fünfter Band, Wiesbaden, 1971). Meist wird mit dem Begriff Sozialstaat Hilfe die vom Staat kommt und der Gedanke der Solidarität durch Chancengleichheit, Sicherheit und Respekt assoziiert. Solidarität ist in diesem Falle schwierig zu definieren, vor allem da es in verschiedenen Staaten differenzierte Vorstellungen von Solidarität und damit auch von dem Sozialstaat gibt ( z. B. der liberale, der sozialdemokratische, der kontinentaleuropäische Sozialstaatstypus ). Auch haben die gesetzgebenden Organe zwischen den zwei verfassungsrechtlichen Grundlagen Deutschlands immer einen gewissen Spielraum. Auf der einen Seite den Schutz der persönlichen Freiheit des Einzelnen (Art 2, 1 GG) und auf der anderen Seite die Forderung nach einer sozialstaatlichen Ordnung (Art 20,1 GG). (Vgl. Dieter Hesselberger, Das Grundgesetz. Kommentar für die politische Bildung, Bonn, 9. Aufl. 1995, S. 168 f.)
zur Fürsorge für Hilfsbedürftige (Fürsorgeprinzip). Jeder Bürger hat damit das Recht, eine Sicherung seines Existenzminimums einzufordern (Fürsorgeanspruch).
zur Versorgung der Bevölkerung mit Gas, Strom, Wasser, öffentlichen Verkehrsmitteln, Gesundheit, Bildung und Arbeit (Versorgungsprinzip). Dies muss der Staat allerdings nicht kostenlos tun.
zur Schaffung eines sozialen Sicherungsnetzes gegen die „Wechselfälle“ des Lebens, das in Deutschland in Form einer gesetzlichen Zwangsversicherung auftritt (Versicherungsprinzip).
Die große Koalition und der Ruhreisenstreit
Die Wahlergebnisse der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928, welche die Splitter- bzw. Interessenparteien (Wirtschaftspartei, Landvolkpartei, Bauernpartei) begünstigten und die bürgerliche Mitte von Zentrum und DDP entkräfteten, führten zur Bildung der „Großen Koalition“, die sich aus Zentrum, DVP, BVP, SPD und DDP zusammensetzte. Denkbar, dass ein so großes Bündnis von Parteien mit verschiedenen Programmen wenig stabil und belastbar war.
1928 kam es zum „Ruhreisenstreit“ in der Metallindustrie zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die eine Lohnerhöhung forderten. Da sowohl die Arbeitgeber, welche eine verhandlungslose Kündigung aller Mitarbeiter verlangten, als auch die Gewerkschaften Interessenpartner in der großen Koalition besaßen wurde der Streit auch in die politische Ebene gehoben. Die Gewerkschaften fanden ihre Vertreter in der SPD, während die Industrieverbände im Reichstag von der DVP begünstigt wurden. Letzte Instanz in Tarifauseinandersetzung war zu dieser Zeit der Staat, welcher bis 1932 keine Einigung erzielen konnte.
„Auch wenn sich keine der beiden Seiten durchsetzen konnte, wurde in diesem Streit offenbar, mit welcher Verschärfung der sozialpolitischen Fronten diese sozialdemokratisch geführte Regierung Müller zu rechnen hatte.“ (Weimarer Republik und Nationalsozialismus, Ernst Klett Schulbuchverlag GmbH., 1. Aufl., 1992)
Für die Gewerkschaften gehörten der Acht-Stunden-Tag, Tarifrecht und Arbeitslosenversicherung zu der Verfassung Deutschland, die unangetastet bleiben sollten. Die „Zentralarbeitsgemeinschaft“ von 1918 zwischen Unternehmen und Gewerkschaften entpuppte sich als „Zweckbündnis [..], das die Sozialisierung verhindern sollte.“ (siehe letztes Zitat)
Die Industrieverbände verfolgten den Sozialabbau Deutschlands. Ein Aufschwung für Wirtschaft und Haushalt war für sie mit der Entmachtung der Gewerkschaften verbunden, deren Vorraussetzung der Untergang der Großen Koalition war.
Die Große Koalition zerbrach an der Debatte über die Sanierung der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung. Eine enorme Anzahl von Arbeitslosen im Nacken sitzend stieg der Erwartungsdruck gegenüber der Regierung für eine Lösung. Die Regierung konnte die Massenarbeitslosigkeit nur noch durch Anleihen finanzieren. Die einzelnen kompromisslosen Parteien konnten immer noch keine Einigung zum paritätischen Prozentsatz der Arbeitslosenversicherung erzielen.
Der rechte Flügel der Sozialdemokraten, als Ziel die Wirtschaftsförderung, war für einen Kompromiss, der die Beiträge lediglich um ¼ % erhöhen sollte. Der linke Flügel der selben Partei, weigerte sich.
Der Streit über die Dimension des deutschen Sozialstaates fand kein Ende, sodass der Reichkanzler Hermann Müller zwangsläufig zurücktreten musste. Am 27. März 1930 endete die „letzte vom Parlament getragene Regierung“ (siehe letztes Zitat).
Was die Große Koalition bis dahin zusammen gehalten hatte, war das gemeinsame Interesse an den laufenden Reparationsverhandlungen (seit 1929), die zum Young-Plan führten. Nachdem am 12.03.1930 die Young-Gesetze von der Regierung akzeptiert wurden, löste sich das Motiv für den Weitererhalt der Koalition –zumindest für die Konservativen- auf.
Zeitgenössische Lösungsvorschläge
Aus der Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie vom 2. Dezember 1929 geht die Forderung hervor, das Maß der staatlichen Fürsorge müsse für deren Realisierung an die Wirtschaft angepasst werden, da „wirtschaftliche Produktivität […] die Quelle sozialer Leistungen“ (letzte Quelle, aus einer Veröffentlichung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie Nr. 49, Dezember 1929, Berlin, S.11ff.) sei. Die Verfasser verstanden den Sozialstaat als ein von der Wirtschaft abhängiges Organ, daher gaben sie der Wirtschaft den Vorrang vor der Politik. Sie verlangten, dass die Sozialleistungen an die „wirtschaftliche Tragfähigkeit“ angepasst und die Defizite des Staatshaushalts zwar nicht durch Beitragserhöhungen der Versicherungsbeiträge aber durch Leistungskürzungen ausgeglichen werden sollten. Zusätzlich solle der staatliche Einfluss auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen auf staatlich relevante, lebenswichtige, Betriebe reduziert werden.
Die Konsequenzen einer solchen Reform wäre beispielsweise die Verkopplung von sozialer Sicherheit an die Wirtschaftkonjunktur, d. h. wenn bei einer blühenden Wirtschaft heute eine Sicherung des Existenzminimums durch staatliche Unterstützung noch möglich ist, kann die Wirtschaftsflaute von morgen nicht einmal mehr eine Lebensgrundlage schaffen. Auf der anderen Seite würde ein solches System ein kollektives Interesse am wirtschaftlichen Wachstum fördern. Weiterhin würde das Solidarprinzip aufgehoben und durch eine liberale Struktur ersetzt, bei der jeder Betrieb seine eigenen Löhne und Arbeitsbedingungen festlegen kann. Zu was für einer sozialen Situation von Massen dies führen kann, zeigen die Lebensumstände der Menschen zur zeit der Industrialisierung. Die offensichtlichste Konsequenz wäre ein sozialer Verschleiß durch die Dezimierung der Sozialleistungen.
Der Sozialstaat Deutschland im Jahre 2004
Arbeitslosigkeit, Demografie, Kostenexplosion, kurz gesagt die Finanzierbarkeit sind die Lasten unseres Wohlfahrtsstaates. Die Arbeitslosigkeit, in Deutschland höher als in einigen anderen europäischen Ländern, belastet die Kassen der Arbeitslosenversicherung. Der einstige Generationenvertrag funktioniert nicht mehr, da die deutsche Bevölkerung stetig altert während dessen sie wenig Nachkommen hervorbringt. Die Differenz zwischen den Einnahmen der Versicherungsbeiträge und den Ausgaben reißt scherenartig auseinander.
Auch im Jahre 2004 gibt es theoretische Lösungsansätze, die in verschiedenen Parteien Sympathisanten gefunden haben. Hier sollen sechs von ihnen kurz diskutiert werden:
Die Beitragssätze erhöhen. Durchaus eine Lösung, welche die staatlichen Einnahmen erhöhen könnte. Auf der anderen Seite aber auch die Arbeiter zusätzlich belastet und Unternehmer veranlassen könnte, zur Zeit der Globalisierung in einem steuergünstigeren Land niederzulassen ( da durch die paritätische Beitragszahlung auch ihre Ausgaben erhöht würden). Die PDS und auch die Gewerkschaften tendieren zu einer solchen Reform.
Die Leistungen der Sozialversicherung kürzen. Durch eine solche Veränderung würde das Solidarprinzip Deutschlands deutlich eingeschränkt werden. Wie zu Anfang des 20. Jahrhunderts vertritt die Arbeitsgeberseite diese Neugestaltung. Diese „Sparmaßnahme“ wurde von der führenden Regierung aus SPD und Grünen durch die Agenda 2010 bereits durchgesetzt. Ebenso wie Folgendes:
Die staatliche Fürsorge (z. B. Wohngeld) einschränken. Staatliche Leistungen, die aus dem Rahmen der Zwangsversicherung herausfallen, sollen eingeschränkt werden. Der Begriff „sparen“ darf im neu-politischen Sinne nicht mehr als ein Zurücklegen von Geld für ein größere Anschaffung, sondern als eine Reduktion der Ausgaben gesehen werden.
Staatliche Verschuldung erhöhen. Dies wäre eine zusätzliche externe Geldquelle für deutsche Kassen. Doch wohin solch eine geborgte Prosperität führen kann, sieht man an dem Beispiel der Weimarer Republik, deren Untergang auch auf der Weltwirtschaftkrise begründet war. Dass ein solcher Schritt wirklich zukunftssicher ist, meinen PDS und die Gewerkschaften.
Umverteilung durch den Staat ändern (z. B. Besteuerung von Gutverdienenden und Unternehmern erhöhen). An dieser Reform fühlen viele deutsche ihren Gerechtigkeitssinn befriedigt. Doch auch die Arbeitslosigkeit kann durch eine stärkere Belastung der Arbeitgeber steigen, außerdem gibt es für jeden Gutverdienenden die Möglichkeit in ein kostengünstigeres Land auszuwandern. Die Gewerkschaften, die PDS und Die Grünen kämpfen für die Wiederbelebung der Vermögenssteuer.
Sozialversicherung vom Produktionsfaktor Arbeit abkoppeln. Die FDP neigt zu der Idee der Privatisierung der Absicherungen, also zu einem liberalen Sozialstaatsmodel. Die Kopfpauschale, bei der jeder einen festen Beitrag unabhängig von seinem Einkommen einzahlen soll, wird von der CDU favorisiert. Die Grünen vertreten die Bürgerversicherung, welche einen prozentualen-individuellen Betrag von dem Gesamteinkommen (also auch Mieteinnahmen, Aktiengewinne etc.) abzieht. Das sogenannte Wagner-Modell will den Arbeitgeberanteil in Fonds investieren, die dann zur Unterstützung gering Verdienender genutzt werden. Die Globalisierungskritiker der Vereinigung Attac entwarfen das Bürgergeld, so soll jedem Bürger, ganz unabhängig von seinem Einkommen ein Grundgehalt gezahlt werden, dass durch eine höhere Besteuerung der Verdienenden finanziert werden soll. Andere Leistungen, wie die Rente, entfallen.
Fazit
Der Sozialstaat wie wir ihn kennen läuft früher oder später vor die Wand. Es ist ein Auslaufmodell. Gerade jetzt beginnen die Menschen aufzuwachen und zu erkennen, dass es ernst wird. Doch sind die Massen längst (noch!) nicht so laut wie 1930. Die Probleme des Sozialstaates sind dieselben geblieben. Arbeitslosigkeit und staatliche Fürsorge auf hohem Niveau belastet den Staat und nun auch spürbar die Menschen in ihm. Doch spaltet sich der Lebensstandart unseres wählenden Volkes doch noch sehr von dem der Menschen 1930, die wählen gingen, um schließlich vielleicht noch etwas zu Essen zu kriegen. Wir werden schon bei einer Praxisgebühr von 10 € wach. Doch genau wie sie stehen wir vor einer politischen Veränderung, die unser Leben beeinflussen wird.
Aus rationaler Sicht, sollte Deutschland den liberalen Weg gehen. Wenn jeder für sich kämpft, füllt das ein paar erfolgreiche Taschen, wenn wir solidarisch sind, bekommt jeder etwas. Doch Liberalismus führt auch zu Armut und Kriminalität. Wie weit würde uns diese Ellbogenmentalität bringen? Früher oder später wehren sich die armen Massen. Auch der Liberalismus hat seine Kontinuität.
Aus menschlicher Sicht, sollte Deutschland einen möglichst sozialen Weg gehen. Sehr weit wird der Staat seine Bevölkerung nicht tragen können, wenn sie weiterhin ihren Lebensstandart hochschraubt und zu viele überflüssigen Sozialschmarotzer toleriert. Warum sollte ein Staat sozial sein, wenn seine Einwohner nicht bereit sind, dies auch an ihre Umwelt zurückzugeben?
Aus meiner Sicht, sollte Deutschland möglichst schnell seine Konservativität ablegen und ein Abkoppeln von dem Produktionsfaktor Arbeit als Steigbügel zu einer Mischung aus einem freiheitlichen und sozialen Staat nutzen. Doch die vorgestellten Modelle sind für mich alle unbefriedigend. Meine Vorstellung von einer brauchbaren Reform wäre eine Mischung aus Bürgerversicherung und Bürgergeld. Vielleicht würde uns die Radikalität unserer Vorfahren gut tun, wenn wir sie mit Reflexion und einer Affinität zu Neuem verbinden würden.
Anna-Fee Gessner, 2. Ausarbeitung, 12.2
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Probleme des Sozialstaates zur Zeit der Weimarer Republik. Scheitern der Weimarer Republik. Aktueller Bezug: Stehen wir vor den selben Problemen wie zur Zeit der Weimarer Republik? Kann der Sozialstaat überhaupt funktionieren? (1754 Wörter)
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Es handelt sich hier um einen fremden, nutzergenerierten Inhalt für den keine Haftung übernommen wird.
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