Essay-Wie wäre es, gebildet zu sein?
Essay
Wie wäre es, gebildet zu sein?
Kürzlich hatte ich eine Unterhaltung mit Kollegen. Das Thema des Gespräches war die Finanzkrise.
Der eine ältere Kollege brachte die Informationen ein, die er aus den Medien erhalten hatte und er legte sie fest als seine eigene Meinung. Beispielsweise betonte er kritisieren, dass die Amerikaner keine Gesetze oder Regeln hatten, die die freie Wirtschaft regulieren. Jeder konnte aus „Nichts“ Geld machen bis zu diesem Tag der Krise, als alles aus den Nähten platzte. Keiner der Anderen hatte was eigenes beizutragen ausser das, was in den Massenmedien verbreitet wurden ist. Die am häufigsten genannten Informationen waren die Rettungspakete, die vorige Hypothekenkrise und ähnliche geschichtliche Ereignisse. Keiner der Mitarbeiter hat einen Satz angefangen wie: „Ich finde, dass...“ oder „Kritisieren würde ich ...“. Es hiesst immer nur: „ Im Radio hörte ich...“ und „ Im Fernsehen erfuhr ich...“. Dieses Gespräch hat mich stutzig gemacht und ich wollte mehr über dieses Phänomen erfahren. Ich erinnerte mich an das Gespräch in der Schule, denn in der Schule im Deutschunterricht haben wir uns mit der Frage beschäftigt: „ Wie ist es gebildet zu sein?“
Dieser Moment ist entscheidend für die oben genannte Frage.
Nicht nur mit den Kollegen habe ich diese Erfahrung gemacht, dass man selber nur das Informationsvermittler dient. Ebenso kann man es erkennen, wenn man im Alltag auf solche Ereignisse achtet. Beispielsweise in der Schule: Jemand trägt wichtiges mündlich im Unterricht bei und kaum hat dieser Schüler seinen Beitrag zu Ende gebracht, wiederholt der nächste Schüler seinen Inhalt nur in anderen Worten.
Ein anderes Mal war ich bei der Familie, bei der ich Nachhilfe gebe. Das Kind ist in der sechsten Klasse. Kaum kam eine allgemeine Frage wie:“ Was ist eine Aktie?“ Das Kind erhält die Antwort von mir und will sein neues Wissen sofort weitergeben. Er rannte zu einem Elternteil und vermittelte dieselben Informationen weiter, die ich ihm als Antwort gab.
Nicht nur weil er jung war, übernahm er die Rolle als Informationsvermittler. Auch ältere Menschen übernehmen gerne diese Information.
Im Altersheim unterhält sich ein Zivildienstleistender mit einer Gruppe von Senioren, die noch nicht abwesend wirken. Der Zivildienstleistender erzählt über ein Erlebnis beim Einkaufen und teilt den Senioren seine Meinung über die gestiegenen Lebensmittelpreise mit. Eine der Senioren erzählt fast das Gleiche, als sie selber Besuch von Verwandten bekam. Obwohl sie nicht dieselbe Erfahrung gemacht hat und nicht in diesem Supermarkt vor Ort dabei war, erwähnte die Seniorin ihrem Besuch diese Erfahrung, die sie nicht erlebt hatte, mit.
Solche Beispiele und zahlreiche unausgesprochenen Beispiele gibt es.
Alle sind in diversen Situationen und Altersklassen.
Sie haben alle aber die gleiche Aussage:
„Wir Menschen sind ungebildet, wenn wir nicht selber Denken.“
Gebildet zu sein bedeutet aber nicht sofort, wenn man denkt.
Um mir vorerst eine Vorstellung des Ganzen zu verschaffen wollte ich die Meinungen anderer Leute einholen, die sich damit auseinander gesetzt haben.
Nach mehreren Recherchen im Internet hatte ich am Ende eine grosse Sammlung von verschiedenen Betrachtungen und Kommentaren von Theoretikern und Wissenschaftlern. Nach der Selektion bewertete ich die Betrachtungsweise von Peter Bieri als die Beste. Diese haben wir auch später im Deutschunterricht in der Schule erhalten.
Zusammenfassend ist derjenige gebildet der:
eine Vorstellung der Genauigkeit hat und versteht, dass ihre Bedeutung differenziert an anderen Orten ist
selber auswerten kann und mündig denkt (gedankliche Unbestechlichkeit)
ein breites und tiefes Verständnis der Möglichkeiten über die Führung eines menschlichen Lebens aufweist
nicht wiederholt was andere sagen und seine eigene Sprache und Gedanken verwendet
seine eigene Identität hat und sich integrieren und tolerieren kann
sich immer weiterentwickelt und selber entscheidet
besitzt Einfühlungsvermögen und die dazugehörige soziale Phantasie
der aus der Poesie lernt und sie wortwörtlich fühlen kann
erkennt die schlechten Ereignisse in der Welt und verabscheut sie regelrecht
Peter Bieri betont, dass man die Neugier benötigt, um sich Bildung aneignen zu können. Nach seiner Meinung nach geht es nicht darum viele Informationen man im Kopf speichert, sondern diese auch auszuwerten und zu hinterfragen. Der Prozess der Bildung ist ein nie aufhörender und Bedarf der ständigen Auseinandersetzung mit dem eigenem Gut an Wissen und der Fähigkeit zu denken.
Würde ein Mensch so gebildet sein, wie nach der Ideologie von Bieri, dann würde es sehr wahrscheinlich wenige Konflikte im Alltag geben. Der gebildete Mensch weiss, wie seine Position in der Welt ist und wie er Hindernisse beseitigen kann. Da der Mensch aber anfällig ist durch seine Gefühle kann auch ein gebildeter Mensch beeinflusst werden und in dem Moment ungebildet gehandelt oder gedacht haben.
Wenn wir uns nun erneut auf die Situation vom Anfang hingeben, dann sehen wir den Fall des ungebildeten Menschen nach Bieri. Die Kollegen geben die Informationen weiter, die sie der Massenmedien entnommen haben. Nach Peter Bieri ist das kein gebildetes Handeln.
Man hat zwar Informationen erhalten, doch diese wurden nicht hinterfragt auf ihre Glaubwürdigkeit der Quelle, ihre Bedeutung und ihre Aktualität. Ein gebildeter Mensch würde einige solcher Vorgänge der Analyse anwenden, eher er an dem Gespräch teilnehmen würde.
Interessanterweise bezeichnet Bieri auch denjenigen nicht unbedingt als gebildet, der ganz viele literarische Texte gelesen hat. Die Menge macht es nicht aus, sondern eher die Interpretation in das Ganze. Alles Geschriebene muss kritisch betrachtet werden, ausgewertet werden und mit dem eigenen Wissen zu einem neuen Ergebnis verbunden werden. Der Austausch mit anderen über die mündliche Kommunikation ist auch ein wesentlicher Bestandteil dessen. Die Literatur und das eigene Wesen mögen nicht ausreichen, um gebildet zu sein. Das Geschriebene ist meistens inhaltlich schon vergänglich und hingegen enthält das Mündliche mehr aktuelle Informationen. Jedoch ist das Geschriebene sicherer in seiner Glaubwürdigkeit als das Gesprochene, was oftmals inhaltlich verfälscht wird.
Laut Bieri kann das Glück im Leben nicht nur den Gebildeten erreichen. Ebenso der Ungebildete kann sein Glück finden durch die eigenen Lebenserfahrungen und einem wachen Verstand.
Der Gebildete, der ständig alles negative wahrnimmt und sich gedanklich damit auseinander setzt, kann sich stagnieren und melancholisch werden.
Das Bild des gebildeten Menschen ist der Perfektionismus. Der Gebildete ist laut Bieri in der Lage dazu, sich jeder Situation anzupassen. Dabei lässt sich der Mensch aber nicht von seiner eigenen Denkweise abhalten. Er versucht seine Ansicht diplomatisch durchzusetzen und es vorerst geheim zu halten, falls er auf Widerstand stossen sollte.
Demnach ist der Gebildete dem Ungebildeten überlegen.
Diese These lässt sich besonders an der heutigen Gesellschaft belegen.
Menschen, die keinen Zugang zur Literatur haben oder in ihrem Umfeld nicht die Möglichkeit haben sich auf einer intellektuellen Ebene auszutauschen, müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Der Gebildete sammelt das Wissen anderer und muss bestimmte Situationen im Leben nicht mehr erfahren um zu Wissen. Zudem ist die persönliche Entwicklung rasanter und intensiver als die des Ungebildeten.
Nehmen wir mal das Beispiel der Hauptschüler und der Gymnasiasten in Deutschland.
Die Pisa-Studie und andere Untersuchungen haben die Differenz der Leistungsniveaus der Schüler bestätigt. Ein Schüler, der die Hauptschule besucht hat im Gegensatz zu einem Schüler eines Gymnasiums weniger Leistungen, eine geringere Bildung und Auffassungsgabe. Dass ein Hauptschüler nicht zu einem gebildeten Menschen heranwachsen kann zeigt das Beispiel von Einstein. Er hatte die Schule mit mangelhaften Noten absolviert und sich später alles selber angeeignet.
Natürlich beeinflussen die Lebensbedingungen die Leistungen, die ein Schüler erbringen kann. Selbst ein sehr gebildeter Mensch kann durch äussere Einflüsse gehindert werden mit seinem Wissen ein Problem anzugehen.
Einige Hauptschüler haben das Potenzial dazu ihr Abitur zu machen, werden aber durch die sozialen Bedingungen und Strukturen eingeschränkt.
So gibt es das Beispiel eines jungen Inders aus armen Verhältnissen, der mit fünf Jahren seine erste Operation durchgeführt hat. Das Wissen hat er sich erlesen im Internet und in Büchern.
Keiner in seiner Familie hat jemals einen akademischen Status erreicht, ausser er.
Mittlerweile ist er einer der jüngsten Studenten in Indien. Mit sechzehn Jahren studiert er Medizin.
Wie Bieri meint, dass die Neugier ein wichtiger Faktor für die Bildung sei, zeigt sich an dem indischen Studenten. Das Streben nach mehr Wissen in dem Bereich der Biologie und die Neugier, was sich noch alles in der versteckten Welt verbirgt, hat ihn zu dem gebildeten Menschen entwickeln lassen, der er ist.
Gebildet zu sein heisst demnach kein Mitläufer zu sein und vorher nachzudenken, bevor man handelt. Peter Bieri kritisiert das Mitläufertum. Diejenigen, die der Masse nacheifern. Ein Gebildeter ist kein Individuum, jenes sich dickköpfig durchschlagen will. Sondern der gebildete Mensch hat ein ausgeprägtes Verständnis von Empathie, Moral, Bewusstsein und Erkenntnis. Er selber ist ständig dabei sich selber zu reflektieren, das Umfeld wahrzunehmen und Informationen auszuwerten und weiter zu verarbeiten..
Der Gebildete bemüht sich ständig in dem Prozess der Weiterentwicklung zu befinden. Er schliesst nicht einfach die Augen vor der Realität, sondern nimmt sie mit ganzer Aufmerksamkeit war und verknüpft das Wissen, die Erfahrungen und die Informationen miteinander.
Zuerst erschafft der gebildete Mensch sich eine Grundbasis. Diese Grundbasis enthält die Informationen aus dem Geschriebenen, Mündlichen und aus der Erfahrung. Sobald ein kleiner Horizont erreicht ist, werden alle Informationen im Verstand durch das Denken miteinander verbunden und logisch verknüpft, sodass am Ende ein Gesamtbild entsteht. Dieses Gesamtbild wird stets durch neue Informationen aktualisiert. Informationen, die man als nicht brauchbar einstuft, die durch die eigene Analyse ausgewertet werden, werden vergessen oder in den Hintergrund gestellt. Die Informationen, die wichtig erscheinen und einen Anschluss an das bisherige Gesamtbild finden, werden abgespeichert und bei Bedarf wieder aufgerufen und erneut weiterverarbeitet.
Diesen Vorgang nennt man Denken und Weiterentwicklung. Jeder Mensch denkt rund um die Uhr, doch die Ungebildeten lassen die Vertiefung ihrer Gedanken nicht zu, sodass ihre eigene Weiterentwicklung auf denselben Punkt stehen bleibt.
Gebildet ist man erst, wenn man sich die oben genannte Grundbasis geschaffen hat und diese immer weiterentwickelt. Zuerst muss sich der Mensch bewusst werden mit Hilfe des Geschriebenen, Mündlichen und dem Umfeld, wer er ist, worin seine Bestimmung liegt und welche Rolle die Mitmenschen einnehmen sollen.
Der gebildete Mensch entwickelt eine Leidenschaft für das Lesen oder für das Kommunizieren mit Mitmenschen. Dadurch erhält er neue Perspektiven und Betrachtungen über etliche Dinge.
Er schafft sich eine eigene Weltorientierung, ein Menschenbild und ein Bewusstsein. Der Mensch erhält ein Gefühl für sein Umkreis und entdeckt die Menschlichkeit. Die Grundwerte wie Respekt, Moral, Würde und andere werden zu seinem eigenem Gut des Handelns und des Glückes. Das Glück in Harmonie zu leben und dem Schlechten, jenes ihm Schaden zufügen würde, zu entweichen.
Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft kann der Gebildete verknüpfen zu einem Bild. Aus der Vergangenheit lernen, die Gegenwart auswerten und die Zukunft planen.
Nach Bieri ist ein gebildeter Mensch ein ausgeglichener Mensch, der die Balance zwischen sich selber und dem Umwelt findet. Der selbstständig denkt und sein Wissen dem gemeinnützigen Zweck widmet. Man könnte annehmen, dass der Gebildete aus der Reihe tanzen wolle, doch hierzu hat er das Werkzeug der Sensibilität, sprich das Feingefühl, das ihn vor Überheblichkeit schützt.
Hier nun eine grafische Darstellung eines gebildeten Menschen:
Das Bild des gebildeten Menschen ist nur eine Ideologie. Die Schwäche des Menschen sind die Gefühle und ihre Verletzlichkeit. Der Berührungspunkt der Erinnerungen an Schmerz und Leid. Wenn man den Menschen beispielsweise unter Druck setzt oder erpresst, dann kann man jedes Ziel vorläufig erzwingen. Selbst ein Gebildeter muss sich dem in dem Moment unterwerfen.
Bildung ist nicht überall ausreichend vorhanden, sodass es immer Niederschläge und Fehlentscheidungen oder falsche Schlussfolgerungen gibt.
Wenn man mal eine Situation der Gefangenschaft betrachtet und ein Gebildeter und Ungebildeter sind Gefangene. Die Täter halten sie fest und drohen ihnen. Der Ungebildete hat bereits so eine ähnliche Situation erlebt und sie erfolgreich überstanden. Der Gebildete jedoch hat so ein Szenario nur aus Büchern gelesen und es nicht leibhaftig erlebt.
Der Ungebildete erinnert sich an seine Erfahrungen und handelt richtig, da er die Situation besser bewältigen kann, als der nervöse Gebildete. In diesem Fall wird der Gebildete zum Ungebildeten und der vorige Ungebildete zum Gebildeten, weil er dem anderem in dieser Situation überlegen ist.
Aus diesem Beispiel lässt sich schliessen, dass jeder Mensch gebildet ist, als auch ungebildet.
Wissen ist Macht. In dem Moment, in dem man mehr Wissen hat als ein Anderer, ist man ihm überlegen und kann alles zu seinem Gunsten drehen.
Bisher haben wir Beispiele und Erläuterungen zu dem Thema „gebildet sein“ gehabt. Doch nun möchte ich darauf eingehen, wie man an die Bildung herankommt und wie es bei „nicht normale“ (durchschnittliche) Menschen um die Bildung steht unabhängig von den Äusserungen Peter Bieris.
Zunächst sollte man sich verdeutlichen, dass es nicht nur den „durchschnittlichen“ Menschen gibt, sondern auch behinderte oder auch psychisch kranke Menschen. Sind sie als ungebildet zu definieren? Versuchen wir uns mal in einen behinderten Menschen hinein zu versetzen. Einen, der seit Geburt geistlich behindert ist. In seiner Kindheit hat er seine alleinerziehende Mutter und zwei Geschwister. Auf eine „normale“ Schule, wie die Mehrheit sie besucht, kommt er nicht, sondern auf eine Förderschule (Sonderschule), da er zu der Minderheit gehört. Den Klassenraum teilt er sich mit geistlich nicht behinderten Kindern, die aber ein Defizit haben beispielsweise ein gestörtes Sozialverhalten. Zu Hause wird das geistlich behinderte Kind, nennen wir es mal Paul, von seiner Mutter betreut und verbringt die meiste Zeit in den wenigen Zimmern isoliert von der Aussenwelt.
Freunde hat er kaum welche und seine Hauptbeschäftigung ist es mit Löffeln auf Töpfen zu hauen. Paul realisiert die Welt nicht so, wie es seine Mutter und andere Mitschüler es tun. Denn er ist Autist. Als er acht Jahre alt war, hatte er den geistigen Stand wie ein Säugling. In der Schule hat er nur gelernt, wie er mit seinem Defizit bzw. seiner Behinderung leben kann und die Hänseleien der Mitschüler ertragen kann. Paul hatte Geburtstag und er wurde zwanzig Jahre alt. Bis jetzt hat er immer noch keine Freunde. Allein mit seiner Mutter ohne die Geschwister, die bereits eine eigene Familie haben, feierte er seinen Geburtstag. Regelmässig geht er zum Arzt, nimmt an Therapien teil und isoliert sich. Beim Einkaufen mit seiner Mutter merkt Paul, dass viele stumme Leute ihn angucken, auch wenn er es in seinem Kopf nicht in Worte fassen kann. Er hat dieselben Empfindungen wie alle anderen Menschen, auch wenn er sie nicht beschreiben kann. Paul ist auch ein Mensch.
Mit der Zeit ist seine Mutter gestorben und er blieb zurück.
An einem Tag im Herbst sass er allein auf der Schaukel auf dem Spielplatz und schaute auf dem Boden. Eine Träne floss ihm übers Gesicht. Sein Finger war feucht geworden und panisch sprang er auf. Den Tod seiner Mutter hat er wahrgenommen und empfand Trauer. Durcheinander rennt er zur Strasse. Ein Auto kommt, kann aber noch im letzten Moment bremsen. Der Fahrer ruft den Notarzt und Paul wird vorläufig in die Psychatrie eingewiesen. Ganz ausser sich war er und wurde mit Medikamenten ruhig gestellt. Mehrere Monate verbrachte er in der Klinik eher er woanders eine Unterkunft mit Betreuung fand.
Mittlerweile hat er sich beruhigt und Paul lebt in einer betreuten Gemeinschaft mit anderen geistlich behinderten Menschen.
In dieser Kurzgeschichte erkennt man, dass Menschen, die nicht die Bildung nach unserem Verständnis erlangt haben, genauso menschlich sind, wie die durchschnittlichen Menschen.
Paul hat auch Erfahrungen gemacht und sich losgelöst von der Vergangenheit, die ihm zur Last fiel.
Ein „normaler“ Mensch wäre wahrscheinlich zum Psychiater gegangen, um über seine Probleme zu sprechen. Er wäre fähig dazu, weil er in seiner Sprache gebildet ist. Paul jedoch hat diese Form der Bildung nicht und hat nur Medikamente erhalten.
Demnach ist gebildet sein nicht nur eine Weiterentwicklung, sondern auch das Loslassen können.
Der gebildete Mensch muss sich lösen können von dem, was ihn an der Weiterentwicklung hindert. Manches Wissen, was man sich aneignet, führt er zu einem Rückschritt als ein Fortschritt.
Die geistlich behinderten Menschen, wie Paul beispielsweise, bilden sich auch. Zwar ist es für die „normalen“ Menschen nicht unbedingt ein grosser Fortschritt oder eine grosse Menge an Bildung, was sie erreicht haben. Dennoch ist es für ihren Massstab enorm. Wenn wir heute von Bildung oder auch „gebildet sein“ sprechen, dann ist die Bewertung, ob jemand zum Beispiel viel Wissen hat, an dem Massstab eines „normalen“ Menschen gemessen. Wenn man einen Menschen als „gebildet“ bezeichnen möchte, dann muss man einen Fortschritt erkennen. So wie der Schüler in der Schule oder der Arbeitnehmer im Büro. Der Lehrer, als auch der Arbeitgeber muss erkennen können, ob sich der Schüler oder der Arbeitnehmer sich weiterentwickelt hat. Diese Weiterentwicklung findet durch die Bildung statt. Ein Mensch entwickelt sich zu A nach B. Dieser Schritt sollte positiv sein, da sonst von „gebildet sein“ nicht die Rede sein kann.
Weiterentwickeln tut man sich entweder durch das Loslassen vom vorigen eingeschränkten Denken oder durch das Ausweiten des eigenen Horizontes mit Hilfe neuer Informationen.
Der Mensch erlebt diesen Prozess der Weiterentwicklung, des Lernens oder auch des Fortschritts auf vielen Ebenen. Man kann die Bildung fühlen, hören, riechen, schmecken etc.
An einem Abend sass ich auf dem Bett, lass Effi Briest und war sicher beeindruckt. Nebenbei ass ich Weintrauben. Der Herbstwind kam durch das gekippte Fenster hinein. Der Radiosender spielte die neuesten poetischen Musiklieder ab. Die Stehlampe warf einen Schatten hinter das Regal.
Nach einer Weile hörte ich auf zu lesen und nahm mir Zeit, um all die beschriebenen Ereignisse wahrzunehmen. In dem letzten Abschnitt, den ich gelesen hatte, war Effi auf einer Wiese und nahm die Umwelt wahr. Da ich nicht draussen war, wollte ich zumindest ein wenig versuchen, das Empfinden Effis nachempfinden zu können. Weintrauben schmeckten anders, da ich sie intensiver schmecken wollte. Die Herbstluft war angenehm frisch und das Licht sorgte für eine angenehme Atmosphäre. Einen der neuen Musiklieder im Radio fand ich vom Text sehr poetisch und die Lyrik widerspiegelte mein Empfinden in dem Moment. Mir war bewusst geworden, dass ich mich soeben „gebildet“ habe. Ich habe zum ersten Mal abschalten können von meiner sonst so hektischen Person. Zuvor musste ich immer viele Sachen gleichzeitig erledigen oder denken, sodass ich die eigentlichen Kleinigkeiten nicht realisiert hatte. Durch das Lesen des Buches hatte ich mich so vertieft in das Geschehen und genossen, dass ich es selber nachempfinden wollte. Auch wenn es nicht exakt dieselbe Umgebung ist, habe ich genauso empfunden. Das Gefühl der Entspannung und Glückseligkeit. Dafür brauchte ich keine Anleitung oder eine Entspannungs-CD aus der Bibliothek. Ganz allein das Lesen hat mich dazu angeregt. Seither erlebe ich den Moment öfters, wenn ich Bücher lese. Sobald ich ein Ventil brauche um meinen Stress loszuwerden, wäre dies eine Methode des Abschaltens. Diese Erfahrung ist eine Bildung, denn vorher war mir diese persönliche Entspannungsform nicht bekannt. Hier habe ich die Erkenntnis und das neue Wissen selber gefühlt und erfahren. Es gibt aber auch Situationen die bilden, in denen man nicht unbedingt fühlt.
Oft ist es in den Situationen, in denen man sich selber nicht befindet.
Mag es eine Freundin sein, die schreckliche Gewalt des Stiefvaters erleben musste und mir das mitteilt. Würde ich diese Erfahrung selber nicht durchlebt haben, würde ich das Gefühl des Verletztsein nicht bestätigen können.
Auf ein weiteres Beispiel möchte ich noch gerne eingehen.
In einem Land ist man geboren, aufgewachsen und kennt die Kultur, Sprache und Mentalität. Auch wenn man es nicht glauben mag gibt es Menschen, die sich nach anderen Ländern mit einer anderen Kultur, Sprache und Mentalität sehnt. Man hat das Land nie besucht geschweige denn war man mit Menschen aus diesem Land konfrontiert. Nur wenige Berichte hat man gehört und sofort intuitiv eine Sehnsucht danach entwickelt.
Im Sommer entschloss sich Linda dazu, nach Algerien auszuwandern. Gerade erst hat sie ihr Studium in Berlin abgeschlossen. Als sie ihren Eltern an einem Nachmittag von ihrem Vorhaben erzählt, sind sie ganz ausser sich. Linda ist aber entschlossen und reist mit wenig Gepäck in eine kleine Stadt nach Algerien. Zunächst hat sie schwer Anschluss dort gefunden, doch mit der Zeit hat sie sich etwas aufgebaut und eingelebt. Nach Jahren besucht sie ihre Eltern in Berlin, mit denen sie keinen Kontakt hatte. Die Eltern sind misstrauisch und verschlossen auch nach langer Zeit.
Enttäuscht geht Linda wieder fort. Ihre Eltern lernten nach und nach mit der Situation umzugehen und besuchten ihre Tochter im fremden Land. Einmälig fanden sie auch Interesse an der neuen Welt. Alles ist anders wie die Gesellschaft, die Mentalität und Kultur.
Sie sahen, dass Linda glücklich ist und sie besuchten sie jedes Jahr.
Anhand diesem Beispiel zeigt sich, dass man sich im Leben von Vorurteilen lösen muss und sich neuen Welten öffnen muss. Lindas Eltern hätten auch ihre Tochter leugnen können und sich ständig Vorwürfe machen können wie: „Haben wir sie falsch erzogen? Oder warum ist sie so geworden? Was haben wir falsch gemacht?“. Stattdessen sagen sie sich:“ Was soll's? Hauptsache unsere Tochter ist glücklich. Ausserdem ist es hier viel sonniger!“.
Ob ein Mensch glücklich ist, hängt mit seiner Einstellung zusammen und die Perspektive der Betrachtung der Angelegenheiten.
Gebildet ist man in diesem Fall, wenn man sich nicht an der Vergangenheit festhält, sondern sich löst. Wenn man flexibel ist und dem Neuen eine Chance gibt es zu entdecken.
Lindas Eltern haben zuerst an ihrer Erziehung festgehalten und eine konservative Stellung eingenommen. Für sie war die Situation etwas ganz Neues. Sie fanden es angemessen so zu handeln, wie ihre Eltern gehandelt hatten, da sie die Situation nicht einschätzen konnten. Das Wissen hat ihnen dazu gefehlt.
Wie hier Lindas Eltern konservativ eingestellt waren, löste sich die Epoche des Sturm und Drangs von den konservativen Einstellungen der Gesellschaft. In dieser kurzen Epoche kritisierte man die gesellschaftlichen Strukturen und die Reduzierung auf das Rationale. Die Emotionen und das Menschsein standen im Mittelpunkt. Der Bauer soll sich nicht mehr dem König unterwerfen. Die seit Jahrhunderten anhaltenden Sitten, Ordnungen und Ansichten sollten durch die Epoche Sturm und Drang beseitigt werden, um neue und bessere Türen zu öffnen. Linda (Bauer) hat sich nicht ihren Eltern (dem König) unterworfen, sondern gegen ihren Willen neue Türen betreten.
Sie, Linda (Bauer), gehört zu dem Mitläufertum wie es Bieri bezeichnet, sondern entschied selber, was für sie am Besten ist. Die Autorität ihrer Eltern unterwarf sie sich nicht. Auch ihr Vorhaben war nicht besonders traditionell. Ihre Eltern hätten sich eher gewünscht, dass sie daheim bleibt und alt wird. Genau wie Linda, wendet sich die kurze Epoche des Sturm und Drang gegen die Autorität und Tradition, als auch gegen das Mitläufertum und das unmündige Denkverhalten.
Gebildet meint demnach zu Wissen, was richtig ist für einen selber, als auch für die Mitmenschen. Schaden anzurichten ist sicherlich nichts gutes und kann nicht als „gebildet zu handel“ bezeichnet werden. Bildung oder auch „gebildet sein“ heisst im Guten zu handeln und einen weiteren Blick zu haben als andere. Die jungen Mitwirkenden des Abschnittes Sturm und Drang gelten allgemein als gebildet, da sie sich nicht eingegliedert haben in die Kette der mechanisiert denkenden Menschen. Der Umschwung mit dieser Zeit hat mehr positive Konsequenzen hervorgerufen als negative. Sie haben die Aspekte Menschsein, Gerechtigkeit und Würde eine neue Perspektive und einen neuen Wert gegeben. Für sie und für die Gemeinheit ist es gut gewesen. Ein Fortschritt, eine Überlegenheit über die Mehrheit und ein raffinierter Weg der Umsetzung. Das war „gebildet“ durchdacht.
Zahlreiche Beispiele kann man sicherlich noch erwähnen, doch am Ende kommt man auf das gleiche Ergebnis:
Jeder ist ein Teil des Ganzen und als Einzelgänger hat man wenig Austausch mit Mitmenschen, die einen weiterbringen können. Wer verstanden hat, dass man sich austauschen muss mit dem Umfeld und sich selber immer weiterentwickeln muss, der ist gebildet. Wer die Welt, das Ich und das Wir versteht und zu verbinden weiss, der hat sich etabliert in den Kreislauf des Menschsein.
Der Kreislauf des Wahrnehmens, Denkens und Handelns. Dazu gehört auch manchmal das Lösen vom Alten und Neues zulassen.
Am Ende ein schönes Zitat von Konrad Adenauer:
„ Wir lebe alle unter dem gleichen Himmel, haben aber nicht den gleichen Horizont!“
Mensch
Artikuliertheit
Selbsterkenntnis
Moralische Sensibilität
Selbstbestimmung
Poetische Erfahrung
Leidentschaft
Weltorientierung
Aufklärung
Historisches Bewusstsein
Zur Literatur, Wissen, Neugier
Sprache, Rhetorik, Kommunikation
Informationen, Vertiefung
Reflektion, Auswertung, Weiterentwicklung
Identität schaffen, Vorwissen
Wahrnehmung des Ichs
Eigene Aktionen durchführen
Umfeld wahrnehmen, eigene Postion verdeutlichen
Einfühlungsvermögen, Integration
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Essay über das Thema: "Wie ist es gebildet zu sein?" im Bezug zum Unterricht und zur Rede von Peter Bieri in einer schweizer Universität.
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