Der Blaue Reiter (Stilrichtung)
"Der Blaue Reiter"
Gabriele Münter, Wassily Kandinsky, Alexej Jawlensky, Marianne von Werefkin, Franz Marc, August Macke u.a. vollzogen zwischen 1908 und 1914 den revolutionären Schritt zur expressionistischen Malerei (Raum 10, 11) - angeregt durch die Murnauer Landschaft und durch die bayerische Volkskunst. Gemälde aus der ersten Murnauer Zeit (1908/10) zeigen den künstlerischen Umbruch der "Neuen Künstlervereinigung München" und des "Blauen Reiter".
Murnau und die Künstler der "Neuen Künstlervereinigung" und des "Blauen Reiter"
Als Wassily Kandinsky und Gabriele Münter im Sommer 1908 Murnau kennen lernten, ahnten sie nicht, wie folgenreich dieser Aufenthalt für ihre künstlerische Arbeit der nächsten sechs Jahre sein würde. Die großflächige, im Süden von der Alpensilhouette gerahmte Landschaft mit ihren klaren Farben, dem intensiven Licht und dem darin ruhenden Ort, der sich in frischer, freundlicher Farbigkeit und Gastlichkeit den Sommergästen präsentierte, begeisterte das Paar.
Zusammen mit den Münchner Freunden Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin gestalteten sie in intensiver gemeinsamer Arbeit zahlreiche Landschaftsbilder und Ortsansichten, die völlig die vorangegangene "spätimpressionistische", in Spachteltechnik ausgeführte Malerei der Künstler hinter sich ließen. Im Frühjahr 1909 setzten sie ihre Arbeit in Murnau fort, die den radikalen Bruch mit der europäischen Tradition der Malerei bedeutete. Charakteristisch für diese neue Malerei ist eine leuchtende, reine Farbigkeit, die kontrastreich und in großflächiger Malweise auf ihre Grundformen zurückgeführt ist. Dunkle Umrißlinien in großen Zügen geben besonders den Bildern Jawlenskys und Münters das Gerüst
Die künstlerische Arbeit dieser Jahre wurde auch durch die bayerische Volkskunst stark beeinflusst, in der besonders Kandinsky Vertrautes aus seiner russischen Heimat empfand. Vor allem die volkstümliche bayerische Hinterglasmalerei späten 18. und 19. Jahrhunderts mit ihren schwarz eingefassten, auf flächig gemalte Hauptformen reduzierten Motiven entsprach der Vorstellung der Maler von Ursprünglichkeit und einfacher künstlerischer Form. Die Künstler lernten solche Hinterglasbilder in der Sammlung des Murnauer Braumeisters Hans Krötz kennen. Münter war ihrer Erinnerung nach die erste, die diese Technik probierte. Der damals an Sommerfrischler verkaufende Hinterglasmaler Heinrich Rambold zeigte ihr das technische Vorgehen.
In dieser Zeit fanden intensive Diskussionen über Kunst im Münchner und Berliner Freundeskreis statt; vor allem Marianne von Werefkin war wichtige Gesprächspartnerin Kandinskys.Bedeutendste Konsequenz dieser künstlerischen Auseinandersetzung wird Kandinskys Weg zur Abstraktion, auf der gegenständliche Motive immer mehr in den Hintergrund treten werden.
"Der Blaue Reiter"
Bereits vor der dritten Ausstellung der NKVM entstehen Anfang Dezember 1911 unter den Mitgliedern Differenzen über künstlerische Vorstellungen, die in der Ablehnung von Kandinskys Gemälde "Komposition 5" offen zu Tage treten; daraufhin verlassen Kandinsky, Münter, Marc und Kubin die Vereinigung.In aller Eile bereiten Kandinsky und Marc eine eigene Ausstellung vor, die zur gleichen Zeit unter dem Namen "Der Blaue Reiter" in der Galerie Thannhauser präsentiert wird. Als begleitende theoretische Grundlage gibt Kandinsky schließlich 1912 zusammen mit Franz Marc den Almanach "Der Blaue Reiter" heraus, der die wichtigste programmatische Schrift für die Kunst des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum werden sollte. Der Almanach war als Buch von Künstlern für Künstler gedacht.
Die beteiligten Autoren, z. B. Burljuk, Delaunay, Macke und Schönberg, lieferten Textbeiträge und Bildbeispiele aus verschiedensten Bereichen der Bildenden Kunst, der Volkskunst, der Musik und des Theaters. "Das hiermit angekündigte erste Buch, dem andere in zwangloser Reihe folgen sollen, umfasst die neueste malerische Bewegung in Frankreich, Deutschland und Russland und zeigt ihre feinen Verbindungsfäden mit der Gotik und den Primitiven, mit Afrika und dem großen Orient, mit der so ausdrucksstarken ursprünglichen Volkskunst und Kinderkunst, besonders mit der modernsten musikalischen Bewegung in Europa und den neuen Bühnenideen unserer Zeit." (Franz Marc im Subskriptionsprospekt zum Almanach "Der Blaue Reiter" Januar 1912)
Die Künstler wollten verdeutlichen, dass die neuen künstlerischen Entwicklungen nicht von Traditionen losgelöst waren, sondern in den künstlerischen Äußerungen verschiedenster Zeiten, Völker und in unterschiedlichen Entwicklungsstadien wurzelten. 1911 entstanden Kontakte zu den in Berlin zur "Neuen Sezession" zusammengeschlossenen Künstlern der "Brücke" und zu dem Galeristen Herwarth Walden.Im folgenden Jahr stellten sie in München und in Berlin in Waldens Galerie "Der Sturm" gemeinsam aus. Hier wurde zuerst der Begriff "Expressionismus" geprägt, unter dem diese verschiedenen bedeutsamen Tendenzen der neuen deutschen Kunst jener Zeit zusammengefasst werden.
Die wichtigsten Zeugnisse der Künstler der "Neuen Künstlervereinigung München" und des "Blauen Reiter", darunter besonders jene bedeutenden, die die Schritte Wassily Kandinskys zur "abstrakten" Malerei dokumentieren, sind seit der 1957 erfolgten Schenkung Gabriele Münters an die Stadt München in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus zu sehen.
Das Haus Gabriele Münters in der Murnauer Kottmüllerallee, dessen Treppe und Möbel Wassily Kandinsky unter dem Einfluss des ländlichen Umfeldes und der bayerischen Volkskunst mit volkstümlichen Motiven bemalte, zeugt von der entscheidenden Zeit dieser Künstler in Murnau.
Wassily Kandinsky (1866 - 1944)
Am 4. Dezember 1866 wird Wassily Kandinsky in Moskau geboren. Nach einem Jurastudium in seiner Heimatstadt arbeitet er ab 1893 als Dozent an der dortigen Universität. Bilder Claude Monets in der Impressionisten-Ausstellung in Moskau 1895 und der Besuch einer Wagner-Oper beeindrucken ihn so stark, dass er sich entschließt, Maler zu werden und 1896 zur Ausbildung nach München zu gehen. Nach dem Studium an der Azbè-Schule und bei Franz von Stuck an der Münchner Akademie der Bildenden Künste gründet er 1901 mit Künstlerkollegen eine Malschule, die "Phalanx", in der er unter anderem Gabriele Münter als Schülerin unterrichtet; er geht mit ihr eine enge persönliche Bindung ein, die bis 1914 dauern wird. Zwischen 1904 und 1908 folgt ein unstetes Leben mit zahlreichen meist gemeinsamen Reisen innerhalb Deutschlands und nach Russland, Italien, Holland, Tunesien und längeren Studienaufenthalten in Paris und Berlin. 1908 kehren beide nach München zurück. In enger Freundschaft und intensiver gemeinsamer Arbeit mit Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin während ihres ersten Aufenthalts in Murnau beginnt die künstlerisch fruchtbare Phase der nächsten Jahre. Kandinsky und Münter ziehen 1909 nach Murnau, wo die intensive Maltätigkeit des Vorjahres fortgesetzt wird. Mit den Freunden gründen sie 1909 die "Neue Künstlervereinigung München" (NKVM), um angesichts der übermächtigen, von Franz von Lenbach beherrschten Münchner Kunstszene eine stärkere eigene Basis zur Ausstellung ihrer neu geschaffenen Werke zu schaffen.
In der Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen seiner Zeit, mit religiösen und okkulten Fragen, unter anderem mit den anthroposophischen Ideen Rudolf Steiners, führt Kandinskys Schaffensprozess zu zunehmender Verschlüsselung des Gegenständlichen. Er fasst seine vielschichtige künstlerische Arbeit - analog der Musiksprache - in "Impressionen", die noch dem Gegenständlichen folgen (zwischen 1908 und 1911), "Improvisationen", die spontane Empfindungen ausdrücken (zwischen 1909 und 1914) und "Kompositionen", die sich jeweils nur in langwierigem, gründlich vorbereitetem Arbeitsprozess entwickeln konnten (zwischen 1910 und 1913). In einem Kandinsky sehr wichtigen Murnauer Bildmotiv etwa, dem Blick aus dem eigenen Haus an der Kottmüllerallee auf den Ort mit den mächtigen Gebäuden der Pfarrkirche St. Nikolaus und des zweiteiligen Schlosses, ist dieser künstlerische Weg exemplarisch zu verfolgen.
1911/12 arbeitet Kandinsky gemeinsam mit Franz Marc, Gabriele Münter, August und Helmut Macke an der Herausgabe des Almanachs "Der Blaue Reiter". In diesem Buch werden in Texten und zahlreichen Abbildungen ihre grundlegenden Ziele vermittelt, nämlich "die innere Notwendigkeit" des Dargestellten und diesen "inneren Klang" der Formen zu bewirken.
Der konsequente Weg Kandinskys in die gegenstandslose Malerei führt im Dezember 1911 zum Bruch mit der NKVM und zu eigenen Ausstellungen des "Blauen Reiter".
1912 erscheint eine weitere grundlegende Schrift Kandinskys: "Über das Geistige in der Kunst". Zugleich beteiligt er sich an der Ausstellung im Ersten Deutschen Herbstsalon im "Sturm" in Berlin. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 muss er wie alle Ausländer Deutschland verlassen und kehrt nach Russland zurück. Nach der endgültigen Trennung von Gabriele Münter heiratet er 1917 in Moskau Nina von Andreewsky. In Russland ist Kandinsky für den staatlichen Museumsbereich tätig und erhält eine Professur an der dortigen Universität. 1922 kehrt er nach Deutschland zurück, als er von Walter Gropius als Lehrer an das "Bauhaus" in Weimar berufen wird (es übersiedelt 1925 nach Dessau und besteht von 1932 bis 1933 in Berlin). Dort arbeitet er in den folgenden zehn Jahren als sog. Formmeister für Wandmalerei und gibt Grundkurse der Form- und Farbenlehre entsprechend den Zielen des Bauhauses, mit der gleichzeitigen geistig-künstlerischen und praktisch-handwerklichen Ausbildung ein umfassendes gestalterisches Schaffen zu ermöglichen.
Kandinsky arbeitet in diesen Jahren insbesondere mit Paul Klee und Lyonel Feininger künstlerisch eng zusammen und bildet mit Klee, Feininger und Jawlensky die Ausstellungsgruppe "Die blauen Vier".
Nach der Schließung des Bauhauses aufgrund der politischen Verhältnisse verlässt er 1933 Deutschland und siedelt nach Paris über. 1937 werden 57 Werke Kandinskys in deutschen Museen als "entartet" beschlagnahmt und verkauft.
Am 13. Dezember 1944 stirbt Kandinsky in Neuilly-sur-Seine.
Inhalt
Die Entstehungsgeschichte einer neuen Stilrichtung, beteiligte Künstler, bedeutendste Werke. Beispiel am Blauen Reiter, Wassily Kandinsky. (1375 Wörter)
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