Analyse / Interpretation des Gedichts 'Die frühen Gräber'
Friedrich Gottlieb Klopstock: „Die frühen Gräber" (1764)
1 Willkommen, o silberner Mond,
Schöner, stiller Gefährt der Nacht!
Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!
Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.
5 Des Maigis Erwachen ist nur
Schöner noch, wie die Sommernacht,
Wenn ihm Tau, hell wie Licht, aus der Locke träuft,
Und zu dem Hügel herauf rötlich er kämmt.
Ihr Edleren, ach es bewächst
10 Eure Male schon ernstes Moos!
O wie war glücklich ich, als ich noch mit euch
Sahe sich röten den Tag, schimmern die Nacht.
Interpretation:
Friedrich Gottlieb Klopstock wurde 1724 in Quedlinburg am Harz als Sohn eines Beamten geboren und ist 1802 in Hamburg gestorben. Nach kurzem Besuch des Gymnasiums in Quedlinburg kam er 1739 auf die Fürstenschule Schulpforta bei Naumburg. 1745 ging er zum Theologiestudium nach Jena, wechselte jedoch nach einem Semester nach Leipzig. 1748 veröffentlichte er, durch Bodmer ermutigt, die ersten drei Gesänge des Messias (es folgten der 4.-lO.Gesang 1755, der 11.-15.Gesang 1768, der 16.-20. Gesang 1773). Klopstock wurde dadurch sogleich berühmt. Nach kurzer Hauslehrertätigkeit (1748-1750) folgte er 1750 einer Einladung Bodmers nach Zürich (vgl. die Ode Der Zürchersee), 1751 reiste er nach Kopenhagen, wo ihm der Minister Graf Bernstorf ein festes Jahresgehalt des dänischen Königs zur Vollendung des Messias vermittelte (bis 1770). 1754 heiratet Klopstock Margareta (Meta) Mollen in Hamburg, die jedoch schon 1758 stirbt. Neben mehreren Oden schreibt er 1757-72 eine Reihe von biblischen Dramen. 1774 besucht er die Autoren des „Göttinger Hain", wo er enthusiastisch gefeiert wird. Anschließend trifft er Goethe in Frankfurt. 1771 erschien die erste Ausgabe seiner Oden, die großen Anklang fand. Weitere Schriften Klopstocks waren: 1774 Die deutsche Gelehrtenrepublik, 1778 Die deutsche Rechtschreiburig u. a. Sie fanden jedoch ebenso wie seine Ansätze zu einer germanisch-mythologischen Dramatik (sog. Bardieten = Bandenlieder u. Hermann-Dramen) weniger Resonanz.
Klopstock verfaßte das Gedicht Die frühen Gräber 1764. Er wählte dafür erstmals die Form der elegischen Ode mit einem eigenen, fast freirhythmischen Versmaß, um der Trauer und dem Gedenken an die frühverstorbenen Freunde und ihm Nahestehenden, besonders auch an seine Frau, eine würdige Form zu geben, die Trauer artifiziell zu sublimieren und so im Kunstwerk aufzuheben. In dem motivverwandten Gedicht Die ,S'ornrnernacht (1768) hat Klopstock in der gleichen Form der elegischen Ode die Trauer um die frühverstorbene Frau noch expliziter verkiindet: „So umschatten mich Gedanken an das Grab/ der Geliebten" heißt es hier zu Beginn der zweiten Strophe. Wenn hier auch bei beiden Gedichten Anregungen aus der englischen Lyrik der Zeit stammen mögen, so hat Klopstock sich doch von der bloß sentimentalen Gräberidyllik gelöst und die Schönheit der Sommernacht und des Maimorgens als gemeinsam erfahrenen Wert dem Tod und dem Grab gegenübergestellt. Die friiheii Grober, wurden 1775 im Göttinger Musenalmanach erneut veröffentlicht, nunmehr mit einer kongenialen Vertonung durch Christian Willibald Gluck von 1773. Diese elegischen Oden fanden bei den Göttinger Autoren, besonders bei Hölty, manche Nachahmungen.
Das dreistrophige, in jeweils weiter eingerückten Zeilen gedruckte Gedicht, das so bereits durch den Druck eine bestimmte Form verdeutlicht, fällt zunächst durch die Diskrepanz zwischen der Cberschrift und den beiden ersten Strophen auf. Erst der Text der letzten Strophe, vor allem die letzte Zeile, bietet die Lösung des anfänglichen Widerspruchs. Erst hier werden der anbrechende Tag, wie er als Maimorgen in der zweiten Strophe als das schönere Naturerlebnis gepriesen wird, und die schöne „schimmernde" Mondnacht, die die Eingangsstrophe feiert, als die Vorgänge genannt, die der Dichter mit den früh Verstorbenen gemeinsam erlebt hat. In der sprachlich-bildhaften Vergegenwärtigung dieser Naturerlebnisse vollzieht er sogleich das Gedenken an die Frühverstorbenen und verleiht so dem gesamten Gedicht den ihm eigenen elegisch-klagenden Ton.
Der Leser oder Hörer des Textes meint allerdings zunächst, ein besinnliches, meditativ gestimmtes Naturgedicht vor sich zu haben, zumal es mit einem Willkommensgruß an den „silbernen Mond" (das Gegenstück zur goldnen Sonne!) beginnt, der als „schöner, stiller Gefährt" (= Gefährte) „der Nacht" emphatisch apostrophiert wird. Die so begonnene Personifizierung des Mondes wird in der dritten Zeile in einem Naturbild dynamisch fortgeführt: Dadurch, daß der Mond unter schnell ziehenden Wolken verdeckt wird, entsteht der Eindruck, daß er hinwegeilt, weshalb der Dichter ihn zum Bleiben auffordert und ihn nun als „Gedankenfreund" bezeichnet. Damit setzt er die mit dem Willkommensgruß und der Aufforderung zum Bleiben begonnene persönliche Zuwendung fort und rückt den Mond in die Sphäre der Vertraulichkeit. Goethe (1778) und Gleim (1794) vollziehen dies in ähnlicher Weise, Gleim ebenfalls mit der Anrede „Gedankenfreund". Erst nach dem Verstehen des gesamten Gedichts wird auch die Metapher „Gedankenfreund" begreiflich: Der Mond wird zum Anreger und Mittler eines Gedankenaustausches des gegenwärtig sprechenden lyrischen Ichs mit seinen Erinnerungen. Diese Zwiesprache mit dem Mond verdeutlicht zugleich die Zeitstruktur dieses Gedichts: Die erste Strophe bildet die Erzählgegenwart für den Dichter bzw. das lyrische Ich. In ihr erfolgen der Vergleich in der zweiten Strophe und die Rückerinnerung („O wie war glücklich ich") in der dritten Strophe.
Während die in der zweiten, sechsten und zwölften Zeile erwähnte Nacht nur durch den Mond und das „Gewölk" bildhaft repräsentiert wird, ist der verglichene schönere Maimorgen in seiner Personifizierung auch in Einzelbildern gekennzeichnet: Das „Erwachen" als Vorgang, der im Morgenlicht glitzernde Tau, der aus den Pflanzen und Gräsern perlt, gleichsam wie aus den Lokken der Erde oder des als Jüngling gesehenen Maimorgens, der mit der Morgenröte heraufkommt, so wie die Morgensonne allmählich die einzelnen Hügel erreicht.
Beide, Mondnacht und Maimorgen, bildhafte Vergegenwärtigungen einer nicht mehr als nützlich (wie bei Brockes) betrachteten, sondern schön empfundenen Natur, sind die Höhepunkte des mit den verstorbenen Freunden gemeinsamen Erlebens, das in der jetzigen Mondnacht als Erinnerung heraufbeschworen wird. Erst mit und nach der Vergegenwärtigung dieser Naturbilder kann sich der Dichter der unmittelbaren Ansprache der Verstorbenen zuwenden. Sie sind ihm die „Edleren", die Besseren, deren Bild als Freunde in der Erinnerung nicht mehr getrübt, nur noch verklärt werden kann. Ihren schon länger zurückliegenden Tod mag der Autor nur bildhaft umschreiben: Das würdevoll „ernst" genannte Moos, Symbol des Alters, das schon die Grabsteine („Male") bewächst, steht für das frühe Hinscheiden dieser Freunde. Das gemeinsame Naturerleben mit ihnen hatte den Dichter beglückt, der diese glückvolle Zeit nur noch in der Erinnerung nacherlebt.
Klopstocks Die frühen Gräber ist somit ein elegisches Natur und Freundschaftsgedicht zugleich. Das klagende Gedenken an die Freunde und an das einstige gemeinsame Naturerleben wird mit dem erneuten Naturerleben realisiert.
Fragt man nach den Ursachen für die starke Resonanz dieses Gedichts in seiner Zeit, das Hölty, Gleim, Goethe und andere Autoren zu ähnlichen Gestaltungen anregte und auch heute noch dafür sensibilisierte Leser anzusprechen vermag, so wird man neben der dargestellten Situation auch die sprachliche Form betrachten müssen.
Wie sehr die englische Nacht- und Grabespoesie, die unter dem Einfluß von Youngs A'achtgedanken (1742-1745) entstand, auch in Deutschland nachwirkte, vermögen wir nicht genau abzuschätzen. Klopstock hat es jedenfalls geschickt verstanden, die Naturbilder und das Freundschaftsmotiv in den Vordergrund zu rücken und das Gräbermotiv lediglich im Titel und zu Beginn der dritten Strophe anklingen zu lassen. Angesichts der hohen Wertschätzung der Freundschaft in der Literaturphase der Empfindsamkeit, auf die schon verwiesen wurde, mußte ein solches Gedicht des ohnehin als Dichter hochgeschätzten Klopstock viele Gleichgesinnte ansprechen, seine lyrisch-musikalische Sprache zur Vertonung reizen (vgl. C. W. Gluck).
Worin besteht nun die sprachliche Eigenart des Gedichts, die seinen ästhetischen Wert mitbestimmt? Hier kann man zunächst auf die distanzlose Unmittelbarkeit der Aussagen hinweisen, die durch Häufung der Anredeformen erreicht wird. Sie richten sich zunächst an den Mond, dann in Z.4 an ein imaginäres Publikum, dem die rationale Erläuterung des Ziehens der Wolken gilt („sehet, er bleibt"), und dann an die „Edleren" in der 3. Strophe. Nur die z. Strophe ist frei von Anredeformen. Das lyrische Ich tritt explizit nur in der vorletzten Zeile hervor („O wie war glücklich ich . Ein weiteres Kennzeichen der lyrischen Sprache Klopstocks besteht hier in der erlesenen, fast preziösen Wortwahl, die sowohl auf die Klangwirkung als auch auf die geringere Gebräuchlichkeit und Lebendigkeit der Wörter und Syntagmen achtet. So mag etwa die Charakterisierung des Mondes durch drei Adjektivattribute in sich steigernder Häufung und mit nachgestellter Apposition (mit metrisch bedingter e-Elision) auffallend wirken, ihre Wortwahl (silbern, schön, still) dagegen besänftigend und verklärend, die Klangfolge von hoch einsetzenden i-o-Abfolgen und Umlauten (ö, ä) und i-a-Folgen schließlich beruhigend. In der 3.Zeile schafft die Frage: „Du entfliehst?" eine leichte Unruhe, die durch die Doppelung mit breit wirkenden ei-Wörtern und der abschließenden Metapherprägung „Gedankenfreund" ausgeglichen wird. Ebenso wirkt die 4. Zeile argumentativ wie klanglich beruhigend.
Die Formulierungen der z. Strophe sind durch Archaismen der verschiedenen Ebenen bestimmt: Es beginnt mit der archaischen Wortstellung der Eingangswörter („Des Maies Erwachen"), wobei der „Mai" nicht unbedingt den Monat, sondern auch den Frühling umschreiben kann; es setzt sich fort in der Fernstellung der Partikel „nur" und „noch", die so schon zu Klopstocks Zeit von der üblichen Wortstellung abwichen, ebenso wie die Wörter der B. Zeile umgestellt erscheinen. Auch der (im Mitteldeutschen heute noch geläufige Steigerungsvergleich mit „wie" (statt „als") ) wirkt standardsprachlich archaisch ebenso wie das -ö- im Verb ,kommen` der B. Zeile. Die Klangwirkung wird hier durch mehrere Lautwiederholungen und Alliterationen beeinflußt (Licht : _Locke; Hügel : herauf; rötlich : kömmt). Auch in der 3. Strophe fallen Archaismen auf: so das singuläre „Male" (st. Grabmale), die Wortstellung der 11. und 12. Zeile, die metrisch bedingte unhistorische Verbform „sahe". Eine Besonderheit der Dichtersprache Klopstocks, die später Hölderlin wieder aufgreift, ist der ,absolute Komparativ` in Anreden („Ihr Edleren"), dem kein Vergleich entspricht.
1 Willkommen, o silberner Mond,
Schöner, stiller Gefährt der Nacht!
Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!
Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.
5 Des Maigis Erwachen ist nur
Schöner noch, wie die Sommernacht,
Wenn ihm Tau, hell wie Licht, aus der Locke träuft,
Und zu dem Hügel herauf rötlich er kämmt.
Ihr Edleren, ach es bewächst
10 Eure Male schon ernstes Moos!
O wie war glücklich ich, als ich noch mit euch
Sahe sich röten den Tag, schimmern die Nacht.
Friedrich Gottlieb Klopstock wurde 1724 in Quedlinburg am Harz als Sohn eines Beamten geboren und ist 1802 in Hamburg gestorben. Nach kurzem Besuch des Gymnasiums in Quedlinburg kam er 1739 auf die Fürstenschule Schulpforta bei Naumburg. 1745 ging er zum Theologiestudium nach Jena, wechselte jedoch nach einem Semester nach Leipzig. 1748 veröffentlichte er, durch Bodmer ermutigt, die ersten drei Gesänge des Messias (es folgten der 4.-lO.Gesang 1755, der 11.-15.Gesang 1768, der 16.-20. Gesang 1773). Klopstock wurde dadurch sogleich berühmt. Nach kurzer Hauslehrertätigkeit (1748-1750) folgte er 1750 einer Einladung Bodmers nach Zürich (vgl. die Ode Der Zürchersee), 1751 reiste er nach Kopenhagen, wo ihm der Minister Graf Bernstorf ein festes Jahresgehalt des dänischen Königs zur Vollendung des Messias vermittelte (bis 1770). 1754 heiratet Klopstock Margareta (Meta) Mollen in Hamburg, die jedoch schon 1758 stirbt. Neben mehreren Oden schreibt er 1757-72 eine Reihe von biblischen Dramen. 1774 besucht er die Autoren des „Göttinger Hain", wo er enthusiastisch gefeiert wird. Anschließend trifft er Goethe in Frankfurt. 1771 erschien die erste Ausgabe seiner Oden, die großen Anklang fand. Weitere Schriften Klopstocks waren: 1774 Die deutsche Gelehrtenrepublik, 1778 Die deutsche Rechtschreiburig u. a. Sie fanden jedoch ebenso wie seine Ansätze zu einer germanisch-mythologischen Dramatik (sog. Bardieten = Bandenlieder u. Hermann-Dramen) weniger Resonanz.
Das dreistrophige, in jeweils weiter eingerückten Zeilen gedruckte Gedicht, das so bereits durch den Druck eine bestimmte Form verdeutlicht, fällt zunächst durch die Diskrepanz zwischen der Cberschrift und den beiden ersten Strophen auf. Erst der Text der letzten Strophe, vor allem die letzte Zeile, bietet die Lösung des anfänglichen Widerspruchs. Erst hier werden der anbrechende Tag, wie er als Maimorgen in der zweiten Strophe als das schönere Naturerlebnis gepriesen wird, und die schöne „schimmernde" Mondnacht, die die Eingangsstrophe feiert, als die Vorgänge genannt, die der Dichter mit den früh Verstorbenen gemeinsam erlebt hat. In der sprachlich-bildhaften Vergegenwärtigung dieser Naturerlebnisse vollzieht er sogleich das Gedenken an die Frühverstorbenen und verleiht so dem gesamten Gedicht den ihm eigenen elegisch-klagenden Ton.
Der Leser oder Hörer des Textes meint allerdings zunächst, ein besinnliches, meditativ gestimmtes Naturgedicht vor sich zu haben, zumal es mit einem Willkommensgruß an den „silbernen Mond" (das Gegenstück zur goldnen Sonne!) beginnt, der als „schöner, stiller Gefährt" (= Gefährte) „der Nacht" emphatisch apostrophiert wird. Die so begonnene Personifizierung des Mondes wird in der dritten Zeile in einem Naturbild dynamisch fortgeführt: Dadurch, daß der Mond unter schnell ziehenden Wolken verdeckt wird, entsteht der Eindruck, daß er hinwegeilt, weshalb der Dichter ihn zum Bleiben auffordert und ihn nun als „Gedankenfreund" bezeichnet. Damit setzt er die mit dem Willkommensgruß und der Aufforderung zum Bleiben begonnene persönliche Zuwendung fort und rückt den Mond in die Sphäre der Vertraulichkeit. Goethe (1778) und Gleim (1794) vollziehen dies in ähnlicher Weise, Gleim ebenfalls mit der Anrede „Gedankenfreund". Erst nach dem Verstehen des gesamten Gedichts wird auch die Metapher „Gedankenfreund" begreiflich: Der Mond wird zum Anreger und Mittler eines Gedankenaustausches des gegenwärtig sprechenden lyrischen Ichs mit seinen Erinnerungen. Diese Zwiesprache mit dem Mond verdeutlicht zugleich die Zeitstruktur dieses Gedichts: Die erste Strophe bildet die Erzählgegenwart für den Dichter bzw. das lyrische Ich. In ihr erfolgen der Vergleich in der zweiten Strophe und die Rückerinnerung („O wie war glücklich ich") in der dritten Strophe.
Während die in der zweiten, sechsten und zwölften Zeile erwähnte Nacht nur durch den Mond und das „Gewölk" bildhaft repräsentiert wird, ist der verglichene schönere Maimorgen in seiner Personifizierung auch in Einzelbildern gekennzeichnet: Das „Erwachen" als Vorgang, der im Morgenlicht glitzernde Tau, der aus den Pflanzen und Gräsern perlt, gleichsam wie aus den Lokken der Erde oder des als Jüngling gesehenen Maimorgens, der mit der Morgenröte heraufkommt, so wie die Morgensonne allmählich die einzelnen Hügel erreicht.
Beide, Mondnacht und Maimorgen, bildhafte Vergegenwärtigungen einer nicht mehr als nützlich (wie bei Brockes) betrachteten, sondern schön empfundenen Natur, sind die Höhepunkte des mit den verstorbenen Freunden gemeinsamen Erlebens, das in der jetzigen Mondnacht als Erinnerung heraufbeschworen wird. Erst mit und nach der Vergegenwärtigung dieser Naturbilder kann sich der Dichter der unmittelbaren Ansprache der Verstorbenen zuwenden. Sie sind ihm die „Edleren", die Besseren, deren Bild als Freunde in der Erinnerung nicht mehr getrübt, nur noch verklärt werden kann. Ihren schon länger zurückliegenden Tod mag der Autor nur bildhaft umschreiben: Das würdevoll „ernst" genannte Moos, Symbol des Alters, das schon die Grabsteine („Male") bewächst, steht für das frühe Hinscheiden dieser Freunde. Das gemeinsame Naturerleben mit ihnen hatte den Dichter beglückt, der diese glückvolle Zeit nur noch in der Erinnerung nacherlebt.
Klopstocks Die frühen Gräber ist somit ein elegisches Natur und Freundschaftsgedicht zugleich. Das klagende Gedenken an die Freunde und an das einstige gemeinsame Naturerleben wird mit dem erneuten Naturerleben realisiert.
Fragt man nach den Ursachen für die starke Resonanz dieses Gedichts in seiner Zeit, das Hölty, Gleim, Goethe und andere Autoren zu ähnlichen Gestaltungen anregte und auch heute noch dafür sensibilisierte Leser anzusprechen vermag, so wird man neben der dargestellten Situation auch die sprachliche Form betrachten müssen.
Wie sehr die englische Nacht- und Grabespoesie, die unter dem Einfluß von Youngs A'achtgedanken (1742-1745) entstand, auch in Deutschland nachwirkte, vermögen wir nicht genau abzuschätzen. Klopstock hat es jedenfalls geschickt verstanden, die Naturbilder und das Freundschaftsmotiv in den Vordergrund zu rücken und das Gräbermotiv lediglich im Titel und zu Beginn der dritten Strophe anklingen zu lassen. Angesichts der hohen Wertschätzung der Freundschaft in der Literaturphase der Empfindsamkeit, auf die schon verwiesen wurde, mußte ein solches Gedicht des ohnehin als Dichter hochgeschätzten Klopstock viele Gleichgesinnte ansprechen, seine lyrisch-musikalische Sprache zur Vertonung reizen (vgl. C. W. Gluck).
Worin besteht nun die sprachliche Eigenart des Gedichts, die seinen ästhetischen Wert mitbestimmt? Hier kann man zunächst auf die distanzlose Unmittelbarkeit der Aussagen hinweisen, die durch Häufung der Anredeformen erreicht wird. Sie richten sich zunächst an den Mond, dann in Z.4 an ein imaginäres Publikum, dem die rationale Erläuterung des Ziehens der Wolken gilt („sehet, er bleibt"), und dann an die „Edleren" in der 3. Strophe. Nur die z. Strophe ist frei von Anredeformen. Das lyrische Ich tritt explizit nur in der vorletzten Zeile hervor („O wie war glücklich ich . Ein weiteres Kennzeichen der lyrischen Sprache Klopstocks besteht hier in der erlesenen, fast preziösen Wortwahl, die sowohl auf die Klangwirkung als auch auf die geringere Gebräuchlichkeit und Lebendigkeit der Wörter und Syntagmen achtet. So mag etwa die Charakterisierung des Mondes durch drei Adjektivattribute in sich steigernder Häufung und mit nachgestellter Apposition (mit metrisch bedingter e-Elision) auffallend wirken, ihre Wortwahl (silbern, schön, still) dagegen besänftigend und verklärend, die Klangfolge von hoch einsetzenden i-o-Abfolgen und Umlauten (ö, ä) und i-a-Folgen schließlich beruhigend. In der 3.Zeile schafft die Frage: „Du entfliehst?" eine leichte Unruhe, die durch die Doppelung mit breit wirkenden ei-Wörtern und der abschließenden Metapherprägung „Gedankenfreund" ausgeglichen wird. Ebenso wirkt die 4. Zeile argumentativ wie klanglich beruhigend.
Die Formulierungen der z. Strophe sind durch Archaismen der verschiedenen Ebenen bestimmt: Es beginnt mit der archaischen Wortstellung der Eingangswörter („Des Maies Erwachen"), wobei der „Mai" nicht unbedingt den Monat, sondern auch den Frühling umschreiben kann; es setzt sich fort in der Fernstellung der Partikel „nur" und „noch", die so schon zu Klopstocks Zeit von der üblichen Wortstellung abwichen, ebenso wie die Wörter der B. Zeile umgestellt erscheinen. Auch der (im Mitteldeutschen heute noch geläufige Steigerungsvergleich mit „wie" (statt „als") ) wirkt standardsprachlich archaisch ebenso wie das -ö- im Verb ,kommen` der B. Zeile. Die Klangwirkung wird hier durch mehrere Lautwiederholungen und Alliterationen beeinflußt (Licht : _Locke; Hügel : herauf; rötlich : kömmt). Auch in der 3. Strophe fallen Archaismen auf: so das singuläre „Male" (st. Grabmale), die Wortstellung der 11. und 12. Zeile, die metrisch bedingte unhistorische Verbform „sahe". Eine Besonderheit der Dichtersprache Klopstocks, die später Hölderlin wieder aufgreift, ist der ,absolute Komparativ` in Anreden („Ihr Edleren"), dem kein Vergleich entspricht.
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Das Gedicht 'Die frühen Gräber' von Friedrich Gottlieb Klopstock (1764) mit Analyse / Interpretation. Typisches Gedicht der Sturm- und Drangperiode. (Genieperiode) (1542 Wörter)
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