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Zusammenfassung des Lebens der Mme Gaillard

Alles zu Werke

Kapitel 4 und 5



Das Leben von Madame Gaillard

Der kleine Grenouille fand bis zu seinem neunten Lebensjahr Unterkunft bei Madame Gaillard. Mme Gaillard zog unzählige Waisen und Findelkinder groß, sie nahm sie wahllos auf, solange jemand dafür bezahlte. Wahrscheinlich hätte Grenouille nirgendwo anders als bei Madame Gaillard überleben können, aus Gründen, die wir gleich erfahren werden.

Einer ihrer Zöglinge hat es in seinem späteren Leben zu großen beruflichen Erfolgen gebracht, Monsieur Lambert. Er ist dankbar für die Unterkunft und die Verpflegung, die ihm Madame Gaillard geboten hatte, denn er meint, wenn er dieses nicht gehabt hätte, hätte er es in seinem Leben zu nichts bringen können.

Bei einem zufälligen Besuch auf dem Friedhof von Clamart endeckt Monsieur Lambert auf einer nahezu unleserlichen Tafel eines Massengrabs Madame Gaillards Namen. Er stellt einige Nachforschungen an und beschließt, einen Nachruf zu verfassen:

„Madame Gaillard war in jeder Hinsicht eine erstaunliche und außergewöhnliche Frau.

Als ich zu ihr kam, war sie wohl um die dreißig Jahre alt, jedoch bereits als Kind innerlich gestorben. Von ihrem Vater bekam sie einen Schlag mit dem Feuerhaken oberhalb der Nasenwurzel, womit sie ihren Geruchssinn und die Fähigkeit, Gefühle zu empfinden, vollständig verlor. Madame Gaillard konnte nicht auch nur den Hauch von menschlicher Wärme, Leidenschaft oder Freude verspüren, genauso wie Abscheu, Verzweiflung oder Trauer. So mußte sie ihr Leben als völlig emotionsloser Mensch verbringen, ausgenommen eine leichte Gemütsveränderung bei der monatlichen Migräne.

Sie stellte auch keine Erleichterung fest, als ihr Mann der sie schlug, im Hôtel-Dieu an der Cholera verstarb.

Jedoch besaß Madame Gaillard einen gnadenlosen Ordnungs- und Gerechtigkeitssinn, keiner ihrer von uns wurde bevozugt oder benachteiligt.

Wir bekamen drei Mahlzeiten am Tag, kein Häppchen mehr. Die Kleineren wurden bis zu ihrem zweiten Geburtstag dreimal am Tag gewindelt, wer danach noch in die Hose machte, bekam von Madame Gaillard eine vorwurfslose Ohrfeige und eine Mahlzeit weniger. Vom Kostgeld benutzte sie genau eine Hälfte für uns, die andere für sich.

So starben bei ihr in den härtesten Wintern im Gegensatz zu anderen Ziehmüttern oder Waisenhäusern von zwei Dutzend Zöglingen nur drei oder vier.

Madame Gaillard brauchte jeden Pfennig der Hälfte des Kosgteldes, denn sie hatte sich zum Ziel gemacht, im Alter eine Rente zu kaufen und noch soviel zu behalten, dass sie es sich leisten konnte, zu Hause zu sterben. Sie wollte nicht wie ihr Mann in Hôtel-Dieu mit hunderten von fremden Menschen in der Öffentlichkeit sterben.

Trotz alldem meine ich, einmal bei Madame Gaillard doch eine Gefühlsregung bemerkt zu haben. Im Heim gab es einen häßlichen Jungen namens Grenouille, wir alle ekelten und fürchteten uns vor ihm. Madame Gaillard behandelte ihn nicht anders als die anderen.

Doch dann begann er Dinge vorherzusagen, und auch ihr schien es unheimlich oder fast unerträglich zu werden, mit ihm im Hause zu wohnen. Als dann kein Geld mehr für ihn kam, brachte sie ihn fort.

Als Madame Gaillard fast das Alter von siebzig Jahren erreicht hatte, gab sie ihr Gewerbe auf und kaufte sich, wie sie es sich gewünscht hatte, in eine Rente ein und wohnte einsam in ihrem Haus.

Zehn Jahre später sollte die Revolution ihr weiteres Leben bestimmen. Das Papiergeld wurde eingeführt, welches innerhalb weniger Jahre schnell seinen Wert verlor. Die Rente reichte nicht mehr aus und Madame Gaillard war gezwungen, ihr Haus zu einem kleinen Preis zu verkaufen, da neben ihr viele andere das gleiche tun mussten.

Mit fast neunzig Jahren hatte sie ihr gesamtes, mühevoll errungenes Vermögen verloren und fristete in einer winzigen möblierten Kammer ihr Dasein, als ihr Schicksal durch eine langwierige Geschwulstkrankheit im Hals besiegelt wurde. Madame Gaillard verlor erst den Appetit und dann ihre Stimme. So war sie nicht fähig, gegen ihre Einlieferung ins Hôtel-Dieu zu protestieren. Sie lag im gleichen Saal, in dem schon ihr Mann gestorben war, im Bett zusammen mit fünf fremden Frauen, bis sie dann endlich nach drei Wochen in aller Öffentlichkeit ein unverdientes Ende fand und in einem Massengrab bestattet wurde.

Madame Gaillard verdanke ich, dass ich nicht in der Gosse gelandet bin und etwas aus meinem Leben machen konnte. Möge sie wenigstens Ruhe und Frieden verspüren!“
Inhalt
Patrick Süskind - Das Parfüm:
Kurze Beschreibung des Lebens der Madame Gaillard, bei der Grenouille seine Kindheit verbrachte. (677 Wörter)
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