"Mephisto" von Klaus Mann
Berlin, den 3. März 1942
Mein lieber Hendrik,
Francesco Domenico Guerazzi, ein italienischer Dichter und Freiheitskämpfer, sagte einmal, Ruhm sei „der Schatten, der den Erfolg begleitet.“
Ich habe immer an dich geglaubt, das weißt du. Habe bei deinem Handeln und den Entscheidungen, die du getroffen hast bzw. treffen musstest, nie an deinem guten Willen gezweifelt. Für mich warst, bist und wirst du immer mein Hendrik bleiben, mein Sohn.
Du hattest es nie leicht. Dein Vater hatte Schulden. Wir waren arm. Sich eine ruhmreiche Karriere aufzubauen, wenn man aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kommt ist nicht leicht. Und ich konnte deine Begeisterung für das Theater und den Glanz gut nachvollziehen- etwas in der Welt zu sein, etwas darzustellen. Aber mein lieber Sohn, du hast den falschen Weg gewählt. Dein maßloser Ehrgeiz lies dich jeglichen Sinn für die Realität verlieren. Du erkanntest zu spät, dass der Preis dafür den Verlust deiner Identität bedeutete.
Haben wir dich nicht nach moralischen Werten erzogen, dich Ehrlichkeit gelehrt und dir beigebracht, Verantwortung zu übernehmen? Deine Sucht nach dem Ruhm, dem Erfolg in der Hauptstadt ließ dich das vergessen, der Glanz machte dich zu einem egoistisch denkenden Mensch, moralische Dinge blieben auf der Strecke. Deine Beziehungen zu Frauen und auch zu Kollegen, sie waren für dich nur noch Mittel zum Zweck. Ich denke nur an Barbara, du sagtest du würdest sie lieben. Du betörtest sie mit deinen schmeichelnden Worten. Doch an dem Tag, als wir im Hause der Bruckners eingeladen waren, ich sah- ich spürte, dass es bei dir noch etwas anderes war, das dich magisch anzog. Es war die Chance, auf deiner Karriereleiter ein Stück höher zu kommen. Du heiratetest sie doch nur Berechnung, denn Geheimrat Bruckner war ein einflussreicher Mann und das war günstig für deine Karriere. In meinem Innersten hoffte ich, dass ihr glücklich werden würdet. Doch als ich in dein Gesicht blickte, wusste ich, dass es nicht von Dauer sein wird. Und es machte mir Angst. Mein Sohn, ein Heuchler. Ich verdrängte den Gedanken, doch im Laufe der Jahre kam er immer wieder. Ich sah zu, wie du in dein Unglück ranntest, ich glaubte an dich. Ich dachte immer, du würdest schon wissen, was du tust. Barbara war eine gute Frau, sie wollte dir dein guter Engel sein, doch aus deinem „guten Engel“ war dein schlechtes Gewissen geworden. Du bemühtest dich um sie, doch sie brauchte keinen Mann, für den erst der Ruhm und die Karriere kamen und dann die Liebe. Barbara war auch nur eine Frau, die sich nach Liebe sehnte. Das konntest du ihr nicht geben. Sie zog sich von dir zurück und wie du selbst weißt, kam es nach ihrer Emigration nach Frankreich zum endgültigen Bruch- zur Scheidung. Du verlorst sie durch deinen übersteigerten Egoismus. War es das wert?
Doch Hendrik, mein lieber Sohn, du warst zu blind vor all dem Ruhm und dem Glanz.
Ich als deine Mutter spürte in was für einem Teufelskreis du dich befandest. Die unsichtbare Gefahr war da, die Gefahr, dass du dich verlieren könntest. Doch du sahst es nicht, du erkanntest es erst zu spät. Nicht nur auf der Bühne spieltest du eine Rolle; dein Leben war ein einziges Schauspiel geworden. Du wurdest zum Mitläufer, durch den das System überhaupt entstehen und bestehen bleiben konnte.
Deine ganze Schuld, dein großes Versagen- ich kann es verstehen. Ich begreife es.
Aber mein lieber Sohn, ich habe die Hoffnung in dich noch nicht ganz verloren.
Denke daran:
„Es ist niemals zu spät, vernünftig und weise zu werden; es ist aber jederzeit schwerer, wenn die Einsicht spät kommt, sie in Gang zu bringen.“ (Immanuel Kant)
In Liebe,
Deine Mutter
Inhalt
Ein Brief an den Protagonisten Hendrik Höfgen, geschrieben aus der Perspektive seiner Mutter in Bezug auf sein falsches Handeln. (1183 Wörter)
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von unbekannt
Schlagwörter
Mephisto von Klaus Mann | Hendrik Höfgens falsches Handeln im Dritten Reich | fiktiver Brief an Hendrik | Mutter | Deutsch
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