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Kehlmann, Daniel - Die Vermessung der Welt: Analyse des 15. Kapitels

Alles zu Werke

Analyse des Romans "Die Vermessung der Welt"


Der Roman "Die Vermessung der Welt", geschrieben von Daniel Kehlmann und veröffentlicht im März 2008, beschreibt das Leben der beiden Wissenschaftler Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß. Er geht dabei sowohl auf deren Arbeit als auch auf ihr persönliches Leben ein. Behandelt wird das 19. Jahrhundert, also die Zeit der französischen Revolution und Napoleons Eroberungskriege.
Der im Folgenden analysierte Textauszug stammt aus dem 15. Kapitel.

Ich werde nun den Gesamtzusammenhang näher erläutern. Der Textauszug ist Teil der Rahmenhandlung des Buches. Der Roman beginnt mit der Reise des Mathematikers Gauß und dessen Sohn nach Berlin, zum Deutschen Naturforscherkongress, zu dem sie Humboldt einlud. Das Kapitel endet mit ihrer Ankunft in Berlin, die allerdings erst im 11. Kapitel fortgesetzt wird. Die Kapitel 2-10 befassen sich chronologisch mit der Kindheit, der Arbeit und dem Privatleben der Hauptcharaktere Gauß und Humboldt. Fortgesetzt wird die Rahmenhandlung dann mit einem Essen bei Humboldt, während dem sich Gauß und sein Sohn streiten und letzterer dann mental verletzt und wütend das Haus verlässt, um Berlin zu erkunden. Der Sohn, genannt Eugen, gerät an die national orientierte Bewegung Friedrich Jahns und wird wegen der Teilnahme an einer Versammlung dieser Bewegung festgenommen. Gauß stört das nicht sehr, er verhindert sogar die Bestechung eines Gendarmen, die dem Zweck der Befreiung Eugens galt und besiegelt somit Eugens Schicksal im Exil. Humboldt und Gauß widmen sich ihrer gemeinsamen Arbeit und erforschen das Flukturieren des Erdmagnetfeldes, jeder auf seine Art.

Hieran knüpft der zu analysierende Textabschnitt an. Es folgt eine Reise Humboldts nach Russland, während Gauß daheim versucht Messungen durchzuführen. Diese letzten Arbeiten zeigen beiden Wissenschaftlern, wie sehr sie durch das Altern einbüßen mussten. Das letzte Kapitel befasst sich mit Eugen Gauß, der sich in Amerika gut zurechtfindet und eine Familie gründet.

Der Textauszug selbst beginnt zunächst mit einer Rede Humboldts, in der er berichtet, der Tod sei ein langer Prozess und nicht nur "das Verlöschen und Sekunden des Übergangs". Es folgt der Tod seiner Schwägerin, bei dem Humboldt seinem Bruder zur Seite steht. Die beiden wagen gemeinsam einen Rückblick und erinnern sich an einen Moment ihrer Kindheit, der für Humboldts weiteren Werdegang entscheidend war. Humboldt äußert Zweifel und Kritik an seinem eigenen Wirken.
Die Brüder stellen fest, dass es Unterschiede zwischen ihnen gibt, die auch für den Verlauf ihrer unterschiedlichen Leben von Bedeutung sind.
Wilhelm hatte Angst vor dem Alleinsein, Alexander hingegen vor der Langeweile. Im Anschluss gibt Wilhelm zu, mit seinem Lebensverlauf nicht ganz glücklich zu sein, er wäre gerne Kanzler geworden.

Dabei verweist er auf Bestimmung, die von Humboldt mit der Begründung abgelehnt wird, man täusche eine Bestimmung nur vor, bis man ihr irgendwann Glauben schenke. Wenn etwas nicht in die Bestimmung hinein zu passen scheint, tut man sich "entsetzliche Gewalt" an.
Wilhelm macht klar, dass er schon immer von Alexanders Homosexualität bzw. Pädophilie wusste. Es folgt Stille und dann ein Abschied, mit der Hoffnung einander wieder zu sehen, im "Fleische oder im Licht".

Der Textauszug ist so aufgebaut, dass zunächst eine förmliche Rede gehalten wird und dann etwas sehr Privates folgt. Allerdings bezieht sich das Private, nämlich der Tod eines Familienmitgliedes, auf die zuvor gehaltene Rede, so dass ein fließender Übergang entsteht. Darauf folgt ein tiefgründiges Gespräch zwischen zwei Brüdern, das ihre Gemeinsamkeiten aber auch Gegensätze zeigt.

Die im Textauszug genannten Personen sind Alexander und Wilhelm von Humboldt, deswegen werde ich nun eine Charakterisierung beider erstellen und anschließend auf die Figurenkonstellation eingehen.

Alexander von Humboldt wächst wohlhabend auf und erhält Unterricht auf Universitätsniveau, da es ihm vorbestimmt ist, einmal ein Mann der Wissenschaft zu werden. Er unternimmt Selbstversuche, ist sehr zielstrebig und beherrscht Selbstdisziplin. Alexander legt großen Wert auf Ruhm und seinen Ruf und verhält sich dementsprechend oft freundlich, bei der Arbeit allerdings auch manchmal autoritär und bestimmt. Er stößt oft auf Unverständnis seiner Mitmenschen auf Grund seines Enthusiasmus, mit dem er der Wissenschaft begegnet. Seine Jugend ist geprägt von einer Rivalität zu seinem Bruder. Im Gegensatz zu seinem Bruder arbeitet er oft praktisch, unternimmt Expeditionen und zeigt kein Interesse an Frauen. Auf seinen Expeditionen wird er von Aimé Bonpland begleitet. Im Laufe der Zeit entwickeln die Brüder Humboldt ein herzliches Verhältnis zueinander.

Wilhelm von Humboldt wächst unter denselben Bedingungen wie sein Bruder auf, soll aber ein Mann der Kultur werden. Er versucht mehrmals seinen Bruder umzubringen. Dies tut er einerseits aus Forscherdrang und Neid, aber wohl auch, um den Ehrgeiz seines Bruders zu wecken, was ihm letztendlich gelingt. Er heiratet, wird Diplomat und begründet eine eigene Universität.

Die Beziehung der Brüder wird ihm Verlauf des Romans immer besser. Sie führen einen regen Briefverkehr und helfen und unterstützen sich gegenseitig.

Nun werde ich auf die erzähltechnischen Merkmale eingehen.
Das Buch ist aus der Sicht des Er-Erzählers geschrieben, welcher teilweise auktorial und teilweise neutral das Geschehen beschreibt. Der vorliegende Textauszug ist größtenteils neutral verfasst, nur in Zeile 17 wechselt der Autor in die Innensicht ("Humboldt hielt die Hand des Älteren, weil er wusste, dass die Situation das verlangte...").

Der Erzählton ist im gesamten Buch oft ironisch. In dem Textauszug scheint vor allem der Übergang von einer Rede über den Tod zum tatsächlichen Tod ironisch. Diese Ironie wird verwendet, um die Genies Gauß und Humboldt als Menschen mit Fehlern darzustellen, wie sie jeder andere auch besitzt. Zudem wird des öfteren mit Rückverweisen gearbeitet, wie auch in diesem Textauszug in Zeile 21 ("Ob er sich noch an den Abend erinnere..."). Diese Rückverweise sollen dem Leser bereits vergangene Momente wieder in das Gedächtnis rufen, die immer noch von Bedeutung sind.

Zur weiteren Analyse ist es auch von Bedeutung, die sprachliche Gestaltung hinzuzuziehen.

Die Rede zu Beginn des Textauszuges zeigt die Gefühle Humboldts im Bezug auf den Tod und baut auf Eigenerfahrung auf. Sowohl Humboldt als auch Gauß sehen sich bereits im Prozess des Todes, da ihre Fähigkeiten und auch ihr Ruhm nachlassen. Besonders Humboldt macht der fehlende Ruhm zu schaffen ("...ist auch seine Größe lange dahin...", Z.6) Er redet zwar vom Mensch allgemein, bezieht sich jedoch auf sich selbst.

Die Reaktion der Schwägerin kurz vor ihrem Tod macht klar, wie ähnlich sich die Brüder geworden sind. ("leicht erschrocken, als fiele es ihr schwer die beiden zu unterscheiden", Z. 14 ff). Diese Reaktion der Schwägerin kann bildlich als Zeichen für die gegenseitige Annäherung der Brüder im Verlauf ihres Lebens gesehen werden und stellt insofern auch eine Metapher dar.

Die Brüder Alexander und Wilhelm stellen im gesamten Buch die "typischen Deutschen" dar. Sie sind diszipliniert, genau und halten sich immer gerade. Auch in diesem Moment des Todes bewahrt Alexander den Anstand und hält die Hand seines Bruders. Er tut dies, weil "die Situation es verlangt". Dennoch vergessen sie irgendwann "gerade zu sitzen und klassische Dinge zu sagen". Das "Deutschsein" nimmt in diesem Moment teilweise ein Ende und macht dem Menschlichen Platz. Der Autor möchte in diesem Abschnitt das "Deutschsein" einer gewissen Ironie aussetzen, um die Brüder sozial inkompetent darzustellen. Dann jedoch, als die Brüder vergessen "gerade zu sitzen" billigt er ihnen doch ein wenig Sozialkompetenz zu allerdings, nur bis zum Ende des Textabschnittes ("und sie umarmten einander so förmlich wie stets", Z. 48). Hier werden beide Brüder wieder typisch deutsch, das zuvor aufgetaute Verhältnis, erhält wieder seinen förmlichen Charakter.

In Zeile 34 ff findet sich eine Anapher, welche zeigt, wie Ich- betont die Brüder sein können ("Er sei immer allein gewesen (..), er habe sehr darunter gelitten"). Auf Alexanders Beschreibung seine Gefühle antwortet der Bruder nur mit seinen eigenen Gefühlen. In diesem Moment merkt man doch noch etwas von dem Neid, der die beiden in ihrer Kindheit begleitete.

Die Redewiedergabe im Konjunktiv schafft die nötige Distanz zu den Figuren und zu dem historischen Text. Die beiden Brüder scheinen einem fremder, man hat das Gefühl, nicht direkt an der Unterhaltung beteiligt zu sein.

Weiterhin kommen viele kurze, meist parataktische Sätze vor, die den Abstand zu den Figuren und zur Handlung größer werden lassen. Die Ereignisse werden nüchtern aufgenommen, allerdings wird eine gewisse Authentizität vermittelt, sowie Dynamik. Es werden aussagekräftige Verben wie "gelitten" (Z. 36), "verlassen" (Z. 29) und vorzutäuschen" verwendet, die deutlich machen, dass der Autor die Gefühle der Personen an diesen Stellen deutlich machen möchte. Diese Sätze stechen aus den anderen heraus. Zudem werden fast nie schmückende Verben benutzt, nur an ganz bestimmten Stellen ("man müsse sich entsetzliche Gewalt antun" (Z.42). Der Stil des Buches kann somit als lakonischer Stil beschrieben werden.

Zuletzt ist noch zu erwähnen, dass Kehlmann viele Abschnitte durch Ellipsen verkürzt. So zum Beispiel Humboldts Rede (Z. 1-8) und den Tod der Schwägerin (Z. 12-16).

Nun möchte ich auf die inhaltliche, personale, sprachliche und erzähltechnische Gestaltung eingehen.

Die inhaltliche Gestaltung halte ich für sehr gelungen. Das Buch ist nüchtern und verständlich, so dass man die Informationen leicht aufnehmen kann. Der Roman zeigt das Potenzial an geistiger Größe in Deutschland um 1800 (Kant, Goethe, Schiller, Alexander v. H., Wilhelm v. H., Gauß) und lehrt über die Biographie von Gauß und Humboldt. Auch sonstige Vorgänge des 19. Jahrhunderts werden sinnvoll aufgegriffen. Das Buch lässt Fragen über die Bedeutung von Wissenschaft, Gesellschaft, Religion und Werten aufkommen und spannt so auch Bezüge zur Gegenwart. Zudem wird das Erlangen von Ruhm thematisiert, welches sich heute grundlegend verändert hat.

Der Textausschnitt ist inhaltlich gut zu bewerten, da auch hier eine ernste Frage gestellt wird, über die sich der Leser Gedanken macht. Viele Menschen beschäftigen sich mit dem Tod, deswegen dürften Humboldts Worte einige Leser interessieren.

Auch die personale Gestaltung ist gut gewählt. Die Figurenkonstellation zeigt gegensätzliche Figuren, wodurch Lebenspläne hinterfragt werden. Gauß und Humboldt werden jeweils von einer Ergänzungsfigur begleitet (Eugen und Bonpland, die ähnlich wie die von den Landvermessern verwendeten Spiegel die "deformation professionell" der beiden sichtbar machen. Auch die Beziehung der Brüder ist gut inszeniert. Besonders gefällt mir die Entwicklung, da zunächst nicht anzunehmen ist, dass die Brüder jemals ein enges Verhältnis zueinander haben werden.

Sprachlich enthält das Buch viel Ironie, die mir gut gefällt und das Lesen erleichtert. Der lakonische Stil passt, da es sich um eine Biografie handelt, sehr gut. Jedoch finde ich die Redewiedergabe im Konjunktiv falsch gewählt. Sie erschwert das Lesen und lässt so manche Stelle "trocken" erscheinen. Auch verliert man manchmal die Übersicht.

Die Erzähltechnik gefällt mir, da zwischen auktorialem und neutralem Erzähler gewechselt wird. Dabei wird besonders Gauß oft aus auktorialer Sicht betrachtet, Humboldt eher neutral. Im Textabschnitt wechselt der Autor kaum in die Innensicht, was den Abstand zu den Personen wahrt.

Zuletzt nehme ich Stellung zum thematischen Schwerpunkt. Im gesamten Buch und auch im Textauszug wird die deutsche Geschichte mit ihren vielen Genies ironisch entzaubert. Die Menschlichkeit von Genies wird sichtbar gemacht. Dennoch finde ich die dargestellte soziale Inkompetenz der Wissenschaftler übertrieben. Ich finde, man sollte sie respektvoller behandeln.

Humboldt spricht in der Szene außerdem an, dass er daran zweifelt, dass die Entdeckung des Orinokos Wohlfahrt gebracht habe. Daraus lässt sich ableiten, ob die Auswirkungen der Wissenschaft immer positiv sein müssen. Ich denke nein. Für viele Einheimische Amerikas wäre es sicherlich besser gewesen, so weiterleben zu dürfe, wie sie wollen. Auch denke ich nicht, dass Entdeckungen das Leid der Mehrheit der Bevölkerung ändern.
Inhalt
Es handelt sich um die Analyse eines Auszuges des 15. Kapitels aus "Die Vermessung der Welt" von Daniel Kehlmann. Die Analyse wurde in der Oberstufe verfasst. Ich habe einen Deutsch-Grundkurs belegt. (1964 Wörter)
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