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Analyse

Frage: Analyse
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wie analys ich dieser text ?
Armin Ayren: Das Unbehagen am Literaturunterricht

Den Lehrplänen für Deutsch und Literatur liegen zwei elementare Irrtümer zugrunde.
Er¬stens: Literarische Texte gewännen dadurch, dass man sie interpretiert. Zweitens: Interesse oder gar Freude an Literatur sei dadurch er¬reichbar, dass man die Texte bestimmten Lern¬zielen dienstbar macht.
Erstens: Das Interpretieren. Ich bin nicht ganz Enzensbergers Meinung. Selbst¬verständlich soll der Lehrer zu den Texten hin¬führen, ihr Verständnis fördern. Dazu ist er ja da, und es wäre ein Irrtum anzunehmen, der Schüler erwarte das nicht von ihm. Sinnvoller¬weise geschieht dies dadurch, dass der Lehrer die Texte auswählt, dass er den Schüler sein eigenes Interesse daran spüren lässt, dass er Hintergrundwissen vermittelt: Historisches, Biographisches, Worterklärungen, dass er, wo dies nützlich ist, von Aufbau und Organisation eines Textes spricht. Aber schon wenn er an¬fängt, Sprache und Stil zu behandeln, muss er vorsichtig sein: Formfragen langweilen die meisten Schüler; das Interesse daran erwacht meist erst später. Vollends unsinnig ist es, das Hauptgewicht auf Gattungsbegriffe und Ein¬ordnung in Entwicklungsreihen zu legen. Der Schüler müsste mehr wissen, mehr gelesen ha¬ben, um damit etwas anfangen zu können. Doch das Hauptübel des Interpretierens be¬steht darin, dass der Lehrer meint, er müsse dem Schüler den Text auslegen wie ein Predi¬ger die Bibel dem Gläubigen, er müsse ihm zeigen, was denn der Autor wirklich gemeint habe. Da wird eine Auslegung als die richtige erarbeitet und dann als Material für schriftli¬che Wiederholungen und somit für die Notengebung missbraucht. Statt selber über einen Text nachzudenken oder ihn auch nur vorur¬teilsfrei auf sich wirken zu lassen, lernt der Schüler, die Meinung des Lehrers zu überneh¬men und sie wiederzukäuen, und glaubt dann, selbst verstanden zu haben, was er nachplap¬pert.
Doch auch wo ein guter Lehrer diesen Fehler nicht begeht, müsste er, wenn schon interpre¬tiert sein soll (der Lehrplan schreibt es zwin¬gend vor), dem Schüler vorab klarmachen, dass mehrere Auffassungen möglich sind, auch solche, die nach Meinung des Lehrers auf Nichtverstehen gründen, ja dass der Rang eines Kunstwerks geradezu daran ablesbar ist, dass es mehrere Deutungen erlaubt. Ein Schü¬ler, dessen Deutung der Lehrer gelten lässt, wird viel mehr Freude am Lesen bekommen als einer, dem gleich nach den ersten Sätzen gesagt wird, er habe nicht recht hingeschaut, nichts begriffen. Ich weiß - solche Bemerkun¬gen sollten eigentlich unnötig sein. Ich weiß aber auch aus langer Erfahrung, wie nötig sie sind. Müsste uns die Geschichte der Germani¬stik mit ihren stets wechselnden Methoden, müsste uns der Missbrauch unserer Klassiker im Dritten Reich und in der DDR nicht gelehrt haben, dass es „richtig" und „falsch" im absolu¬ten Sinne in den Geisteswissenschaften nicht geben kann?
Als ob Freude an Literatur je durchs Interpre¬tieren entstanden wäre! Ich erinnere mich, wie ich mit achtzehn Jahren zufällig an Kafkas Er¬zählungen geriet, wie ich das Fischer-Bänd¬chen „Das Urteil" atemlos auf einen Sitz auslas und nichts begriff, aber fasziniert war wie nie zuvor von Dichtung. Alles, was ich später an Klugem über Kafka las, hat zwar mein Ver¬ständnis erweitert, die Faszination aber nicht erhöhen können. Dichtung wirkt, wenn sie tat¬sächlich Dichtung ist, gerade durch das, was sich jeder Erklärung entzieht. Deshalb ist der Lehrer, der an ihr heruminterpretiert, so oft ein erbärmlicher Klempner. Er tut, was eine Großmutter täte, die einem Kind das Märchen von Hansel und Gretel erzählen und dann die psychoanalytische Deutung Bettelheims nach¬folgen lassen würde. Zwar ist der Schüler kein kleines Kind mehr, er kann die Interpretation verstehen, aber die Interpretation macht den Text zum Bearbeitungsmaterial, und wie oft ist der Klempner, der daran herumbosselt, dem Autor gar nicht gewachsen und zerrt ihn auf sein eigenes Niveau herunter!
Zweitens: Die Lernziele. Gewiss, hier ist eini¬ges verbessert, manches Hirnverbrannte wie¬der zurückgenommen worden. Die Curricula1 und die in Linguisten2-Kauderwelsch verfass¬ten Arbeitsanweisungen der sechziger und siebziger Jahre haben gottlob fast überall aus¬gedient. Aber auch die wieder lesbarer und bescheidener gewordenen Lehrplanvorgaben sind immer noch oft im Ansatz schon verfehlt. Noch immer lernt der Referendar, seine Stun¬den nach einem ganz bestimmten, unbedingt einzuhaltenden Schema aufzubauen und dann abschnurren zu lassen, und vor der Lehrprobe gibt er seinen Prüfern einen penibel ausgear¬beiteten Entwurf, aus dem hervorgeht, welche Lernziele er erreichen möchte. Oder vielmehr soll. Erreicht er sie nicht, gilt die Stunde als misslungen und wird entsprechend bewertet. Vor lauter Bemühen, seine Lernziele zu errei¬chen, kann er gerade das nicht aufkommen lassen, was im Umgang mit Literatur einzig sinn¬voll wäre: eine von beiden Seiten durch keiner¬lei Vorgaben eingeengte, vorurteilsfreie, spontane Annäherung an den Text. Jeder Leh¬rer weiß aus Erfahrung, dass die besten Stunden die sind, die ganz anders verlaufen als geplant, weil da etwas entsteht, was nicht geplant wer¬den konnte.
Erläuterungen 1 Curriculum: Lehrplan 2 Linguist: Sprachwissenschaftler
Frage von tom572 | am 25.02.2018 - 18:10





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